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Vom Orkan gepeitscht

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In der zweiten Nacht näherte ich mich der Einfahrt. Kein einziger Leuchtturm brannte. Einige Male versuchte ich, meine Sorge, ich könnte auf eine Untiefe laufen, durch Loten zu verscheuchen: das Senkblei sauste noch immer acht bis elf Meter in die Tiefe. Erst unmittelbar vor dem Leuchtturm erkannte ich die flache Küste und – den brennenden Leuchtturm selbst. Es herrschte hellste Vollmondnacht, und hinter dem Turm ging der Mond auf, so daß das schwache Feuer nicht zu erkennen war!

Noch in der Nacht meldete ich mich bei einem Lotsen, der Bissau von meiner bevorstehenden Ankunft benachrichtigte. Kaum war ich wieder an Bord, als im Südosten eine schwarze, drohende Wolkenwand heraufzog, aus der es gewaltig blitzte und donnerte. Die ersten Windstöße fegten über den Fluß. In aller Eile verstaute ich mein Schlauchboot. Dann begann es zu stürmen, wie ich es auf allen meinen Fahrten noch nie erlebt hatte und nie wieder erlebte.

Auf vier Meter Wassertiefe hatte ich 30 Meter Kette gegeben, aber selbst das erwies sich als zu wenig! Die Kette zitterte und vibrierte. Sintflutartige Wassermassen stoben beinahe waagerecht durch die Luft. Die Wasseroberfläche war zu weißem Geifer geworden. Als ich mich schließlich zur Ankerwinsch vorgekämpft hatte, peitschte der Regen meinen Körper wie mit einer neunschwänzigen Katze. Ich gab nochmals 30 Meter Kette. Aber was bedeuten schon dreißig Meter Ankertrosse in einem Tornado? Ich flog im Bugkorb hin und her, riß mir Knie und Hände blutig und konnte froh sein, daß ich schließlich doch noch die schützende Kajüte erreichte und erschöpft auf die Schlafbank fallen durfte.

Draußen donnerte und blitzte es wie aus einer kosmischen Hexenküche; die Ankertrosse stöhnte, die LIBERIA schlug wie ein Stück Eisen in tiefe, kurze Wellentäler. Der Orkan tobte, als wolle er alles daran setzen, mich zu vernichten. Eine Stunde lang, zwei Stunden – erst kurz vor dem Morgengrauen verschwand der Teufelsspuk.

Sonnenschein, klare Luft und schöne Segelbrise am Morgen! Ebensogut hätte die Sonne jetzt ein gestrandetes Boot bestrahlen können! Ein kleines Flugzeug flog einige Male über der LIBERIA auf und ab, eine Hand winkte, als ob sie sich freute, daß an Deck alles in bester Ordnung war.

Wieder gelangte ich erst in der Dunkelheit in die heutige Hauptstadt von Portugiesisch-Guinea, Bissau. Es schien, als hätte ich die Gewohnheit angenommen, immer nachts irgendwo vor Anker zu gehen. Der Ankergrund von Bissau ist ganz abscheulich: Tidenströmungen von drei bis sechs Knoten4, lehmiger Grund und unbeleuchtete Boote überall.

Als ich an Land ging, erfuhr ich, daß das Flugzeug mich tatsächlich gesucht hatte; man wollte nicht glauben, daß die LIBERIA diesen tobsüchtigen Tornado, den schlimmsten, den man seit Jahren erlebt hatte, heil überstand. Der Hafenkommandant gratulierte mir, der Rundfunk schleppte den verschollen Geglaubten vors Mikrophon.

Portugal hat für Afrika, insbesondere Westafrika, viel getan. Zahlreiche Namen, Forts und Städtegründungen sind ein bleibender Beweis dafür. Portugal hat überdies, nach dem Grundsatz Heinrich des Seefahrers, zu kolonisieren versucht, indem es Pflanzen in Afrika einführte oder auch systematisch weiter verbreitete: Bananen, Zitrusfrüchte, Mango, Mais, Maniok, Tabak. Auch Haustiere brachte es ins Land.

Als die ersten Syrer und Libanesen nach Liberia kamen, wurden sie ihres Aussehens wegen von den Eingeborenen „Portugiesen“ genannt. Wie tief muß sich selbst dort die Erinnerung an die Portugiesen eingegraben haben!

Die portugiesischen Gebiete Afrikas sind seit etwa zehn Jahren Portugal angegliedert und werden vom Ministério do Ultramar in Lissabon verwaltet. Zivilisierte Afrikaner, assimilados, haben die gleichen Rechte wie die Portugiesen, aber auch die gleichen Pflichten, zum Beispiel müssen sie Wehrdienst leisten und Steuern zahlen. Rassen- oder Farbschranken gibt es nicht. Die vielen Mulatten – ein portugiesisches Wort sagt: Gott schuf die Portugiesen, jedoch die Portugiesen die Mulatten – gelten als „Weiße“. Ob Portugal auf Grund dieser Einstellung seine afrikanischen Gebiete für sich wird retten können, ist nach den Aufständen in Angola dennoch unwahrscheinlich.

Bissau ist ein kleines, großzügig angelegtes Städtchen, dessen europäisches Viertel ebenso gut in Portugal stehen könnte. Die Privathäuser sehen einfach aus, alle Regierungsgebäude dagegen zeigen etwas von „diktatorischer Größe“: nichts für den Einzelnen, alles für den Staat.

Den Gouverneur traf ich verschiedene Male. Im Gegensatz zu seinem spanischen Kollegen in Rio de Oro beantwortete er offen alle Fragen, die ein Besucher an ihn richten konnte. Unruhen hätte es bisher noch nicht gegeben, nationalistische Ausbrüche irgendwelcher Art wären unbekannt; er glaubte daran, daß Portugal dieses Gebiet für immer halten könne.

Ein deutscher Ingenieur, den ich traf, nahm mich zu einer Exkursion ins Innere des Landes mit, wo wir noch unerwartet auf Eingeborene vom Balante-Stamm stießen, die einen Kriegstanz vorführten, wie ihn ihre Vorfahren vor tausend Jahren bestimmt nicht besser gekonnt hätten. Mein Landsmann erklärte mir auch, daß bei diesem Stamm eine seltsame Sitte herrsche: wenn die Jungen beschnitten werden, müßten sie als Zeichen ihrer Mannbarkeit eine außergewöhnliche Tat vollbringen – und das sei meist ein Diebstahl!

Vor uns dampfte der Regenwald, der echte Urwald. Er wächst in Westafrika dort, wo es keine langen Trockenzeiten gibt; er ist fast immer Laubwald. Da er keinem ausgesprochenen Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, blüht, wächst und gedeiht er ohne Unterlaß. Jeder Baum hat seinen eigenen Rhythmus; Laubwechsel findet innerhalb weniger Tage statt, man bemerkt ihn gar nicht, da er sich von Ast zu Ast vollziehen kann.

Betritt man zum ersten Male den immergrünen Wald, so ist man überrascht, wie wenig Unterholz es dort gibt, wie wenig Gestrüpp und Gesträuch. Der Waldboden ist kahler als in unseren Laubwäldern; Ameisen, Termiten, Bakterien, Pilze und Insekten arbeiten in Windeseile welke Blätter, Samenkörner, morsche Äste und ganze Urwaldriesen zu Humus um. Im Treibhausklima und im Treibhaustempo!

Läßt man den Blick die astlosen Bäume hinaufgleiten, bis zu den Kronen empor, so erkennt man den Stockwerkwuchs des Urwaldes und entdeckt zahllose Schlinggewächse, Kletter- und Luftpflanzen, die dem Boden die letzten Sonnenstrahlen wegnehmen. Lianen umschlingen die Bäume mit festem Griff. Sie gleichen Schiffskabeln – doch besseren und stärkeren als den von Menschenhand geschaffenen. Die Fischer verwenden in Westafrika statt Tauen wurmdicke Lianen, die sich nicht strecken und auch nicht zusammenziehen oder gar im Wasser faulen.

Im untersten Stockwerk des Urwaldgebäudes herrscht eine Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent. Die wenigen Eingeborenen, die unter dem grünen Baldachin hausen, können unbekümmert ihr Feuer anzünden: hier droht nicht die Gefahr eines Waldbrandes.

Im Regenwald halten sich nur wenige Großtiere auf. Ich bin früher im liberianischen Urwald oft auf Jagd gegangen, ohne jemals ein Tier vor die Flinte bekommen zu haben. Nur Affengeschrei erklang aus den Wipfeln – spöttisch, als wollten die Biester mich auslachen. Um am Abend solcher Buschtrips doch noch Fleisch in die Pfanne zu bekommen, beschloß ich meine Jagdausflüge in den Urwald meist mit einem Besuch der Faktorei, um eine Ente zu kaufen. Am Randes des Urwaldes, in den Savannen und an Gewässern, war die Jagd entschieden leichter.

Dennoch ist die Lebensgemeinschaft von Flora und Fauna im Urwald ungewöhnlich vielgestaltig; sie wird an Artenreichtum lediglich von der des Meeres übertroffen. Während in unseren Wäldern nur ein Dutzend verschiedener Bäume stehen, birst der Urwald von Hunderten von verschiedenen Baumarten. Und alle diese Pflanzen wachsen so schnell, daß ein Hektar Urwald eine Holzmenge liefert, die zu produzieren ein Hektar Wald in unseren Breiten sechsmal so lange braucht. Hin und wieder entdeckt man im Urwaldgebiet kleine Eingeborenen-Siedlungen, die von armseligen, mühsam angelegten Pflanzungen umgeben sind. Nach drei bis fünf Jahren Ernte roden die Eingeborenen einen anderen Abschnitt und lassen auf dem zurückgebliebenen, ausgelaugten Land Sekundärwald aufschießen.

Auch bei der Abfahrt von Bissau mußte ich wieder auf Stauwasser warten, ehe ich bei der starken Strömung und der stattlichen Zahl von Nachbarbooten den Anker aus dem Morast hieven konnte. Ich hatte mir vorgenommen, durch die vielen Inseln und Sandbänke nach Süden zu gelangen; bei der starken Strömung und der Ungenauigkeit der Seekarten mußte ich mich darauf beschränken, nur am Tage zu segeln. Hier war zentimetergenaues Navigieren nötig, wenn die LIBERIA nicht plötzlich wie ein gestrandeter Wal auf einer Sandbank sitzen sollte.

Im Bissagosarchipel ankerte ich abends in der Nähe der Insel Bubaque, auf der die deutsche Kamerun-Eisenbahngesellschaft früher einige Tausend Hektar Palmölwälder besessen hatte, die nach dem Kriege dem portugiesischen Staat übergeben werden mußten. Die Eingeborenen dieser Inselwelt haben sich lange gegen die portugiesische Oberherrschaft gewehrt; man erzählte sich von einer Königin, deren Untertanen sich bis in die jüngste Zeit weigerten, an die Portugiesen eine Hüttensteuer zu zahlen.

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