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7. Kapitel

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So, meine Damen, meine Herren. Vielen Dank, dass Sie an diesem Sonntag meiner Einladung gefolgt sind und ihre Freizeit geopfert haben. Es hat sich sicherlich schon herumgesprochen, weshalb ich dieses Treffen einberufen habe. Dennoch darf ich Sie eindringlich bitten, über jegliche Erkenntnisse, die sich heute und hier ergeben, Diskretion zu bewahren. Das bedeutet, dass Sie keinerlei Einzelheiten des derzeitigen Ermittlungsstandes nach draußen tragen sollen, auch nicht in die übrigen Kommissariate. Das soll keine Diskriminierung dieser Kollegen dort bedeuten, sondern eine reine Vorsichtsmaßnahme sein. Das gilt auch für Äußerungen gegenüber der Presse. Dafür ist ausschließlich die Presseabteilung zuständig.“

Wittenstein machte eine Pause und atmete tief ein.

„Es hat sich seit gestern eine Situation ergeben, wie sie unsere Dienststelle über Jahrzehnte nicht mehr erlebt hat.“ Wittenstein sah von einem zu anderen Kollegen. „Und auch niemand von Ihnen, das unterstelle ich mal. Da geht ein Monster um. Ein Mensch ohne Skrupel. Denn so, wie er die Taten ausgeführt hat, hat der Mensch offensichtlich keine Bedeutung für ihn. Wir müssen ihm das Handwerk legen. Wir alle gemeinsam. Darum habe ich Sie herbemüht. Sie alle werden ein Teil des Uhrwerks sein, welches die Zeit, indem dieser Mensch auf freiem Fuß ist, radikal minimieren wird.“

Wittenstein hustete. Er würde nicht mehr lange sprechen können und so kam es auch.

Sein allergiebedingtes Asthma zwang ihn zur Aufgabe und er sah Hilfe suchend zu mir herüber. „Herr Spürmann wird Sie über die näheren Umstände der Fälle aufklären.“

Ich erhob mich von meinem Stuhl in der ersten Reihe und kam mir sogleich wie ein Schüler vor, der sein Prüfungsreferat halten sollte. Einige Vorbereitungen hatte ich getroffen. Eine Leinwand stand bereit und die dazugehörigen Fotos hatte inzwischen ich von Peters erhalten und konnte sie vom Laptop über den Beamer auf die Leinwand projizieren.

„Also, für diejenigen, die noch nicht über den aktuellen Stand informiert sind, hier ein kurzer Überblick. Wir haben zwei Tote innerhalb von zwei Tagen. Beide Toten wurden an einem Wegekreuz, einmal in der Nähe von Neuhütten einmal zwischen Hermeskeil und Nonnweiler, vorgefunden. Die Auffinde-Situation war bei beiden Opfern die gleiche. Ihnen wurden die Geschlechtsteile, mit einem scharfen Schneidewerkzeug, wie wir inzwischen wissen, vom Körper getrennt. Die Opfer sind verblutet. Weitere lebensgefährliche Verletzungen wurden in keinem der beiden Fälle festgestellt.

„Man hat ihnen die abgetrennten Teile in den Mund gestopft, ist doch richtig, oder?“

Die Frage kam von einem der jüngeren Kollegen und offensichtlich hatte sich die Sache bis ins kleinste Detail herumgesprochen. Entweder über die Kriminaltechnik oder Kollegen, die am Tatort waren. Aber gut, so lange das alles in den eigenen Reihen blieb, okay.

„Ja, das ist richtig“, war meine direkte Antwort. Ich ging nicht weiter auf den Ursprung seiner Kenntnis ein und begann, die Fotos vorzuführen. „Hier sehen Sie den Tatort und die beiden Opfer. Ich möchte, dass Sie alle einen Bezug zu der Tat, zum Tatort und damit zu den künftigen Ermittlungen bekommen. Sie alle werden in den Fall, in die beiden Fälle, besser gesagt, einbezogen. Die einzelnen Einsatzbereiche erfahren Sie immer vor dem jeweiligen Einsatz.“

Ich schaute in die Runde der Gruppe, die aus geschätzten fünfzehn Personen bestand. Drei davon waren Frauen, eine von ihnen Leni.

„Wenn ich ehrlich sein soll, uns fehlt nicht nur der Täter zu diesen Morden, uns fehlt auch das Motiv. Und da ist dann noch die Frage: Warum gerade diese beiden Personen?“

„Besteht, oder besser gesagt, bestand eine Verbindung der beiden Opfer zueinander?“

Die Frage stellte ein junger Kollege, den ich bisher noch nie gesehen hatte.

Wittenstein unterbrach die Situation, indem er aufstand und ein Handzeichen gab.

„Hatte ich vorhin vergessen.“

Wittenstein zeigte auf den jungen Mann, der die Frage gestellt hatte. „Darf ich Ihnen einen neuen Kollegen vorstellen. Kriminalkommissar Florian Lessing. Er wurde unserem Dezernat zugewiesen und sollte eigentlich morgen seinen Dienst hier antreten. Umso mehr freut es mich, dass auch er bereits heute hier erschienen ist.“

Wittenstein machte eine Pause und atmete schwer, bevor er fortfuhr.

„Kollege Lessing hat bisher seinen Dienst bei der saarländischen Kriminalpolizei in Saarbrücken verrichtet. Seine Lebensgefährtin ist aus Trier und ihr zuliebe hat er sich für einen Wechsel nach Rheinland-Pfalz entschieden. Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit! Da haben Sie sich ja den richtigen Zeitpunkt ausgesucht.“

Der junge Kollege stand auf und nickt kurz seinen neuen Kollegen zu.

Ein smarter Typ, hatte etwas von den Lackaffen, die glaubten, sie seien etwas Besonderes, war mein erster Eindruck. Schlank, sportlich, die dunklen Haare mit Gel nach hinten gelegt und stahlblaue Augen. Letzteres konnte ich sogar aus der Distanz erkennen. Der Mann setzte sich wieder. Wir würden sehen, was er draufhatte. Seine Frage zumindest war sinnvoll. „Besteht, oder besser gesagt, bestand eine Verbindung der beiden Opfer zueinander?“

„Leider haben wir bisher keinen Zusammenhang zwischen den beiden Opfern feststellen können“, gab ich ihm zur Antwort. „Wir kennen derzeit nicht einmal die Identität des zweiten Opfers. Es besteht aber die Hoffnung, dass der Erkennungsdienst über seine Fingerabdrücke beim LKA fündig wird. Was für die Ermittlungen relevant werden könnte, ist die Tatsache, dass beide Toten jeweils an einen Gedenkstein gefesselt waren. Wir dürfen deshalb einen religiösen Hintergrund nicht ausschließen.“

„Man sollte vielleicht auch auf die Bedeutung der Steine hinweisen. Vielleicht liegt darin ja auch der Schlüssel für das Motiv“, meldete sich Heinz Peters vom Erkennungsdienst zu Wort.

„Ja, das glaube ich auch. Beide Gedenksteine haben etwa den gleichen existenziellen Hintergrund. Der erste Tote wurde am ‚Tirolerkreuz’ bei Neuhütten gefunden. Dieser Gedenkstein erinnert an den gewaltsamen Tod eines Tiroler Wanderhändlers, der im Jahr 1741 erschlagen wurde. Das Motiv konnte nie geklärt, der Täter nie gefasst werden.“ Ich nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas, das ich vorsorglich auf dem Vorführtisch abgestellt hatte.

„Das zweite Opfer hatte der Täter an den ‚Lindenstein’ hinter Hermeskeil gefesselt. Der Stein wurde zum Gedenken an eine an dieser Stelle erschossene Person errichtet. Auch hier wurde das Motiv nie geklärt und der Täter ebenfalls nicht gefasst.“

„Vielleicht will uns der Täter damit suggerieren, dass er sich so sicher fühlt, dass auch er nie gefasst wird“, ließ sich erneut der vom Saarland nach Trier gewechselte Kollege vernehmen. „Damit bliebe dann wohl auch sein Motiv ungeklärt, wie in diesen beiden historischen Fällen.“

„Und es waren so genannte Mördersteine, von denen es in die Region nicht allzu viele gibt. Die meisten anderen wurden aus Dank oder nach einem Gelübde errichtet.“ Ich nickte gedankenverloren. Lessings Theorie war nicht von der Hand zu weisen. So könnten durchaus wirren Gedanken eines Täters aussehen. Wir würden ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

„Ich möchte, dass in den kommenden Nächten die Bereiche der beiden Gedenksteine observiert werden. Für den Fall. dass es den Täter nochmals dorthin zieht. Übrigens: Die Obduktionen sind für Montagnachmittag angesetzt. Wenn es etwas Neues gibt, werden Sie informiert.“

Tatort Hunsrück, Sammelband 2

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