Читать книгу Tatort Hunsrück, Sammelband 2 - Hannes Wildecker - Страница 17
13. Kapitel
Оглавление„Jetzt observieren die Kollegen schon zwei Tage im Wald von Neuhütten und nichts tut sich.“
Leni sah mich von ihrer Schreibtischseite her fragend an. „Also, ich glaube, der hat Lunte gerochen, 0der? Verwandte besucht der zurzeit sicherlich nicht.“
„Ich verstehe das nicht. Vielleicht war er in der Nähe, als wir sein Lager umgekrempelt haben und hat uns beobachtet. Nicht mal eine richtige Fahndung haben wir ausgeben können. Keine Beschreibung, nichts.“
„Also, was machen wir jetzt? Es ist Freitag und das Wochenende steht an!“
„Feierabend. Ich bin zu Hause zu erreichen, wenn was ist.“
Ich wollte gerade das Büro verlassen, da drängte mich Peters von der Kriminaltechnik zurück ins Zimmer.
„Du darfst raten, was wir auf deinem Spurenträger gefunden haben.“
„Fingerspuren!“
„Falsch!“
„Blutspuren?“
„Wieder falsch!“
„Was denn?“
„Nichts!“
„Wie…nichts?“
„Der vermeintliche Spurenträger war sauber wie ein Kinderpopo. Das ist unnormal. Von der Herstellung des Produkts, in unserem Falle der Skalpelle bis zum Kunden geht jede Ware durch zahlreiche Hände. Ein Fragment von irgendeinem Fingerabdruck hätte darauf sein müssen. Ich sage es ungern. Aber das Teil wurde fein säuberlich abgewischt, alle Spuren vernichtet.“
Das war ein Rückschlag. Selbst wenn der Mann festgenommen werden würde, er könnte behaupten, dass dieses Skalpell und die Jacke, in der es gefunden wurde, einer ihm unbekannten Person gehörte. Gleich wie er es darstellen würde, das Gegenteil müssten wir ihm dann erst einmal beweisen.
Peters legte das Skalpell auf meinen Schreibtisch, und mit einem „dann viel Erfolg“ verließ er unser Büro.
„Das war dann ja wohl ein Schuss in den Ofen“, ließ sich Leni vernehmen. „Hoffentlich fassen wir den Mann bald. Langsam wird mir die Sache unheimlich.“
„Ja, mir auch. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir uns an diesem Wochenende wiedersehen.“
Zu Hause angekommen hatte ich kaum den Haustürschlüssel umgedreht und die Tür geöffnet, kam ein Schatten auf mich zugesprungen und ehe ich mich versah, stolperte ich und fiel zu Boden. Ein heftiger Schmerz in meinem Allerwertesten vermittelte mir, dass ich mir den Steiß geprellt hatte. Schlimmer aber noch war der nasse Waschlappen, der mir mehrfach durch das Gesicht gezogen wurde, und als ich die Augen öffnete, stand er groß und schwarz vor mir und schaute mich mit seinen dunklen Augen an, als täte ihm leid, was er gerade angerichtet hatte. Terry!
Ich rappelte mich auf und Terry wedelte vor mir her und begleitete mich in die Küche, wo Lisa den Tisch deckte. Ich sah, dass sie sich ein Lachen kaum verkneifen konnte.
„Sein Eigentümer hat sich noch nicht gefunden?“, fragte ich überflüssigerweise und ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen.
„Hat es sehr wehgetan?“ Lisa kam auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss. Das versteckte Lachen war immer noch in ihrem Gesicht.
„Nein, nein, alles okay“, brummte ich. „Bin nur froh, dass ich nicht auf den Hund gefallen bin. Das arme Tier!“
„Terry hat sich doch nur gefreut, dich zu sehen. Was machen deine Ermittlungen?“
„Wenn das so weitergeht, werden es nicht meine Ermittlungen bleiben. Wir stehen vor einem Rätsel.“
Terry hatte sich inzwischen unter dem Tisch vor meine Füße gelegt und schaute mich mit großen Augen von unten her an. Ich schien ihm offenbar noch etwas suspekt, andererseits schien er an mir einen Narren gefressen zu haben.
Ich streifte meinen Schuh vom rechten Fuß und begann, Terry damit zu streicheln. Als habe er nur darauf gewartet, drehte er sich auf den Rücken und genoss die Streicheleinheiten mit geschlossenen Augen, die er ab und zu öffnete, um dankbar brummend in meine Richtung zu sehen.
Während Lisa den Tisch deckte, kreisten meine Gedanken um die beiden Todesfälle. Hatten wir etwas übersehen? Was hatte ein Mann, der in der Wildnis des Hunsrücks ein provisorisches Lager aufgeschlagen hatte, für ein Motiv? Musste er nicht damit rechnen, dass seine Behausung irgendwann gefunden wird? Was war mit dem Skalpell aus der Mehrfachpackung? Wenn er der Täter war, wo müssten wir nach den anderen, den gebrauchten Skalpellen suchen? Fragen über Fragen. Ich fand keine Antworten, keine logischen Erklärungen für all diese Fragen.
Ich brauchte dringend etwas Abwechslung und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass das Wochenende noch einige Überraschungen bringen würde. Lisa war nicht begeistert, als ich mich nach dem Abendessen verabschiedete und ins „Hochwaldstübchen“ ging. Auch Terry brachte seinen Unmut über mein Verschwinden zum Ausdruck, indem er sich unter den Tisch zurückzog und mich von unten mit seinen schwarzen Augen her vorwurfsvoll ansah.
Im „Hochwald-Stübchen“ war an diesem Freitagabend schon einiges los. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr, als ich die Gasthaustür öffnete und mich sofort nach dem Stammtisch umsah. Dort saßen Kulturfreak Dieter Lauheim und Florian Glasheber, Förster in dieser Region, intensiv in ein Gespräch vertieft. Genauer gesagt bedeutete dies, dass Lauheim erzählte und Glasheber sich mehr an seinem Weizenbier beschäftigte als damit, sich mehr als nötig an dem Gespräch zu beteiligen. Das konnte nur eines bedeuten: Lauheim hatte mal wieder den Tourismus und all das, was man in Zukunft damit noch verbinden könnte, zum Thema und offensichtlich hatte Glasheber seine Ohren auf Durchzug gestellt.
„Darf man stören, oder handelt es sich um eine geheime Sitzung?“
„Ach, unsere Spürnase!“ Glasheber hob sein Bierglas und prostete mir zu. „Setzen Sie sich zu uns! Ich glaube, unser Stammtisch löst sich so langsam in seine Einzelteile auf.“
„Das wollen wir doch nicht hoffen. Warum sollte er?“
„Das fragen Sie noch? Wann waren Sie denn das letzte Mal hier? Ist kein Vorwurf, aber vor lauter Verbrecherjagden ist Ihr Erscheinen hier eben seltener geworden.“
„Was ist mit den anderen? Schaeflein, Hildebrandt…? Wo ist eigentlich Siggi?“
„Ja, Siggi.“ Lauheim nickte vielsagend mit dem Kopf. „Siggi ist in Kur, besser gesagt in der Reha. Hatte wieder einen Herzinfarkt. Lissy sagt, es gehe ihm inzwischen besser.“
Ich drehte meinen Kopf zur Theke. Jetzt fiel es mir auf. Beim Betreten der Gaststätte hatte Lissy mich nicht, wie sonst immer, freundlich begrüßt. Kein Wunder! Hinter der Theke stand nicht Lissy, sondern eine andere Frau, die ich nicht kannte.
„Lissy besucht heute Siggi“, sagte Lauheim. Das da ist eine gute Bekannte von den beiden. Ist aus Waldweiler. Hilft schon seit ein paar Tagen hier aus. Sagen Sie, wie geht es in Ihren Ermittlungen voran? Das sind ja schreckliche Dinge. Sind wir denn hier im Hunsrück überhaupt nicht mehr sicher?“
„Doch, doch, das glaube ich schon! Diese schreckliche Sache, die Sie ansprechen, die hat sich zwar hier in unserer Region abgespielt, aber ich glaube, die Motive liegen an geografisch anderen Orten.“
„Sie wissen also …?“
„Nein, ich weiß eigentlich noch gar nichts, aber ich kann eins und eins zusammenzählen und irgendetwas sagt mir, dass irgendeine Rechnung von irgendjemandem hier bei uns ausgetragen wird.“
Inzwischen hatte die neue Bedienung mir ein Bier gebracht und ich prostete Lauheim und Glasheber zu. Dann wandte ich mich an Lauheim.
„Sagen Sie, als Hobbyhistoriker und absoluter Kenner des Hunsrücks müssten Sie mir doch eine Frage beantworten können. Woraus leitet sich eigentlich der Name ‚Hunsrück’ ab? Ich frage deshalb, weil ich da schon die unterschiedlichsten Erklärungsversuche über mich habe ergehen lassen.“
„Ja, da sprechen Sie ein Thema an“, sagte Lauheim, nachdenklich vor sich hin nickend. „Eigentlich ist die Bedeutung des Namens ‚Hunsrück’ bis heute nicht endgültig geklärt. Erklärungsversuche gibt es allemal zahlreiche. Erstmals wurde das Mittelgebirge im Jahr 1074 in der Ravengiersburger Klosterurkunde erwähnt und zwar unter dem Namen ‚hundesrucha’, wobei wir bei der ersten Version wären“, begann Lauheim zu referieren und das Leuchten in seinen Augen verriet, dass er bei diesen Themen in seinem Element war.
„Hunderücken“, fuhr Lauheim fort, für diese Erklärung spricht, dass im Mittelalter der Name vielfach so gedeutet wurde. Es existieren beispielsweise die Schreibweisen ‚Cynonotus’ aus dem 15. Jahrhundert, was so viel wie großer Hunderücken bedeutet. Oder ‚Dorsum canis’, der lateinische Ausdruck im Jahr 1380 für Hunderücken oder ‚Hondesruck‚ um 1380, also Namen, die einen Hunderücken bezeichnen. Viele Landschaftsformen wurden früher nach Tieren benannt wie Roßrück, Rindsrück, Katzenbuckel und Eselsrück“, steigerte sich Lauheim in sein Lieblingsthema.
Aber es gibt eine weitere Theorie, die besagt, dass der Name ‚Hunsrück’ von dem Volk der Hunnen abgeleitet wurde. Dafür spricht, dass im Volksmund viele keltische Wallanlagen auf dem Schwarzwälder- und dem Osburger Hochwald sowie im Idarwald als Hunnenringe bezeichnet werden.“
Lauheim nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und wischte sich über den Mund. „Aber, gerade hier, in unserer Region, will man von diesen Erklärungsversuchen nicht allzu viel wissen. Die hiesigen Heimatforscher, zu denen ich mich natürlich auch zähle, behaupten, dass der Name ‚Hunsrück’ nicht von den Hunnen abgeleitet ist. Das mittelalterliche Wort ‚hun’ bedeutet ‚hoch’. Wir hier in der Region beziehen uns auf die Übersetzung von ‚Hunolgeding’, was so viel bedeutet wie ‚hohe Versammlung’ oder ‚Hunnenring’, ein hoch gelegener Ringwall, wie der bei Otzenhausen, es besteht aber keineswegs Affinität zu dem Volk der Hunnen.“
Lauheim rang nach Luft. „Reicht Ihnen diese Erklärung, oder wollen Sie …?“
„Sie reicht! Aber ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie auf Ihre Deutung keinen Eid schwören würden?“
„Wissen Sie“, sagte Lauheim nachdenklich. „Ich persönlich bin eigentlich froh darüber, dass es verschiedene Deutungen gibt. Solange dies der Fall ist, wird das Thema immer in aller Munde sein und so lange man über den Hunsrück und den Ursprung seines Namens diskutiert, ist unsere Region im Gespräch. Und Gespräch ist Werbung. Und Werbung ist gut fürs Geschäft. Und das Geschäft ist die Vermarktung einer Region. Dazu gehören auch unbedingt Geheimnisse oder Dinge, die nicht endgültig aufgeklärt werden können. Das macht die Sache eigentlich noch attraktiver.“
Dem konnte ich nicht widersprechen.
„Mir ist ein Hund zugelaufen. Ist Ihnen bekannt, ob jemand einen solchen vermisst? Schwarzer Terrier ist die Rasse…glaube ich jedenfalls.“
Achselzucken bei beiden ließ mich das Thema auch sogleich beenden. Ich ertappte mich dabei, dass ich eigentlich froh war, dass sich bis jetzt niemand als Eigentümer von Terry gefunden hatte. Irgendwie war mir der Hund schon ans Herz gewachsen und es wurde mir komisch ums Gemüt, wenn ich mir vorstellte, dass ich ihn irgendwie seinem Eigentümer würde zurückgeben müssen.
Ich bezahlte und ging geradewegs nach Hause, zu Lisa, die noch lange nicht mit mir gerechnet hatte und mich gut gelaunt empfing. Ein paar Pluspunkte konnte ich gut gebrauchen.