Читать книгу Tatort Hunsrück, Sammelband 2 - Hannes Wildecker - Страница 15
11. Kapitel
ОглавлениеEs ist noch früh an diesem Mittwochmorgen, als die beiden Brüder Frank und Stefan Petry sich auf den Weg machen. In dieser Nacht haben sie gut geschlafen, in einer Gaststätte in Züsch, ausgepowert von dem Marsch des gestrigen Tages. Die rund dreißig Kilometer von Morbach bis hierher, über den siebten Wanderabschnitt des Saar-Hunsrück-Steigs, haben sie einen Tagesmarsch gekostet, den sie so eigentlich nicht geplant hatten. In Börfink wollen die beiden Brüder ursprünglich Rast machen, doch ihr Tatendrang ist zu groß.
Es gibt deswegen auch keine Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden, denn sie sind Zwillinge und wie das bei Zwillingen meist so ist, herrscht auch in diesem Fall große Einigkeit. Also marschieren sie drauflos, um sich am nächsten Morgen weiter über Nonnweiler nach Hermeskeil und von dort aus bis nach Grimburg zu begeben.
Ihre Kondition ist gut. Auch die heute vor ihnen liegenden dreißig Kilometer auf dem Saar-Hunsrück-Steig stellen für die beiden Mittzwanziger keinen hohen Schwierigkeitsgrad dar. Sie sind Sportler durch und durch und haben in den vergangenen Jahren von Sternwanderungen bis hin zu Marathon-Läufen zahlreiche Kraftakte gemeistert. Immer gemeinsam, versteht sich. Zwillinge eben.
Obwohl sie eineiige Zwillinge sind, sind sie dennoch gut zu unterscheiden. Sie sind zwar gleich groß, so um einen Meter achtzig, haben die gleiche Haarfarbe, doch ihre Gesichtszüge sind differenzierter, als man es oftmals bei anderen Zwillingen feststellen kann. Und sie kleiden sich individuell, jeder so, wie es ihm gefällt. In das Klischee, das Zwillinge zum Verwechseln ähnlich und deshalb auch in ihrem Äußeren angepasst sein müssten, da hinein lassen sich die beiden nicht zwängen.
„Ich schlage vor, wir wandern bis Neuhütten, gehen hoch zum Steig und von dort aus weiter über die Dollberge nach Nonnweiler.“ Frank schultert seinen Rucksack und zurrt ihn fest. Dabei sieht er seinen Bruder fragend an.
„Ich bin dabei, okay, machen wir es so.“ Stefan schnürt seinen rechten Schuh zu und steht auf.
„Dann mal los!“
Ein letzter Blick auf die Gaststätte, in der sie die vergangene Nacht verbracht haben. „Wanderer-Klause“ steht auf einem Schild, eingerahmt von zwei Hirschtrophäen, über der Eingangstür. Das Lokal werden sie sich merken. Ein leckeres Abendmahl mit Hirschragout und Spätzle, und ein kleines, aber gemütliches Zimmer hatte man ihnen geboten. Frank und Stefan sind zufrieden. Sie sehen sich an, nicken sich zu und langsam verfallen sie wieder in das Marschtempo, das sie versuchen, die gesamte Wanderung über beizubehalten. Vorerst bleiben sie noch auf befestigtem Weg, marschieren erst die Saarstraße, dann unterhalb der Dollbergstraße entlang, um dann in das freie Gelände abzubiegen, das hinauf zu den Dollbergen und zum eigentlichen Saar-Hunsrück-Steig führt.
„Hier in der Nähe muss es doch gewesen sein. Ich meine die beiden Toten in der vergangenen Woche“, beginnt Stefan ein Gespräch, wie das bei ihnen während einer Wanderung sonst nicht üblich ist.
Frank nickt. „Das war weiter oben bei dem ‚Tirolerkreuz’. Dort kommen wir heute nicht vorbei, wegen unserer Abkürzung. Muss auch nicht unbedingt sein.“
„Ich glaube, die beiden Fälle sind noch nicht aufgeklärt. In der Presse stand jedenfalls noch nichts darüber.“ Stefan schaut sich nach allen Seiten um.
„Ist ja immer nachts passiert!“
„Muffe?“ Stefan grinst. „Keine Sorge, ich bin ja bei dir!“
Der Weg führt die beiden schließlich durch unwegsames Gelände und Stefan beginnt zu fluchen.
„Wir hätten uns etwas genauer informieren sollen! Das kann doch nicht der offizielle Weg sein.“
Während sie sich weiter über den unbefestigten, zum Teil matschigen Weg, an Hecken und kleinen Niederwäldchen vorbei quälen, kommt Frank eine Idee.
„Lass uns einfach durch den Wald gehen. Die Richtung stimmt ja, aber ich glaube, da geht es sich bequemer.“
Also verlassen sie den Weg, den sie eigentlich so auch nicht hatten gehen wollen und zwängen sich durch die dürren Äste der immer dichter stehenden kleinen Fichten.
Plötzlich bleibt Stefan stehen und hält Frank am Ärmel seiner Wanderjacke fest.
„Da ist doch was! Hörst du?“
„Ich höre nichts.“
„Pst!“
Beide lauschen gespannt in den Morgen, der langsam einem warmen Sommertag weicht. Dann hört auch Frank das Knistern, als gehe jemand über trockenes Reisig.
Stefan legt den Finger über seine beiden Lippen und geht, langsam und vorsichtig auftretend, weiter und Frank folgt ihm auf die gleiche Weise, stets darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen.
Dann sehen sie den Mann. Sie sehen ihn, aber erkennen können sie ihn nicht. Der Mann trägt einen grauen Anorak, dessen Kapuze er sich auf den Kopf gezogen hat und ist dabei, auf der Erde dürres Geäst zu sammeln. Als er den linken Arm scheinbar schwer genug beladen hat, geht er mit seiner Last zu einer Baumgruppe und die beiden Wanderer können erkennen, dass sich der Mann dort einen Verschlag gebaut hat, eine Art Behausung, die ihm offensichtlich als Aufenthalt dient. Die dürren Reiser legt der Mann vor dem Verschlag ab und Frank und Stefan können erkennen, dass der Unbekannte sich dort eine kleine Feuerstelle mit Feldsteinen errichtet hat.
Dann verschwindet der Mann im Inneren seiner Behausung und die beiden Wanderer sehen zu, dass sie hier verschwinden und sind froh, dass sie wieder auf ihrem ursprünglichen, matschigen Weg ankommen, den sie nun nicht mehr verlassen wollen.
„Was hältst du davon?“, will Frank wissen und schaut sich noch einmal um. „Das ist doch ein Versteck! Wovor versteckt der sich? Was meinst du, sollen wir das melden?“
„Also, diese Baracke ist tatsächlich nur durch Zufall zu finden. Wir werden von der Anhöhe dort die Polizei informieren. Vielleicht hat dieser Kerl ja etwas mit den Mordfällen zu tun!“