Читать книгу Tatort Hunsrück, Sammelband 2 - Hannes Wildecker - Страница 14
10. Kapitel
ОглавлениеDer Montag brachte kaum Neuigkeiten. Keinen Fortschritt in den Ermittlungen, aber auch keinen weiteren Toten.
Steiner allerdings hatte sich mächtig ins Zeug geworfen. Der „Trierer Merkur“ berichtete mit einem übergroßen Aufmacher. „Die Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig“ stand da in großen Lettern und ich traute meinen Augen nicht. Steiner hatte nichts von dem Anrufer der unbekannten Person und seinen weiteren Absichten berichtet. Das rechnete ich ihm hoch an, denn Panik unter die Bevölkerung zu bringen, wäre gerade in so einem Moment wie jetzt total überflüssig gewesen. Doch die Todesart hatte er nicht verschwiegen und dem Leser musste es eiskalt den Rücken hinunterlaufen beim Studieren der Lektüre. Auch auf die unbekannte Person mit der Kapuze, die zur Auffindungszeit der Leiche im angrenzenden Wald von Steiner auf einem Foto abgelichtet worden war, wies der Reporter hin und bat im Namen der Ermittler um sachdienliche Hinweise.
Die Obduktionen waren für dreizehn Uhr angesetzt worden. Die Leichen von Karl Leyenhofer und Matthias Meyerfeld waren, ich hatte es vorausgesehen, ins Brüderkrankenhaus nach Trier gebracht worden, denn die Voraussetzungen für eine Obduktion waren in Hermeskeil nicht gegeben. Leni und ich kamen ziemlich pünktlich dort an und begaben uns zielstrebig zum Sezierraum.
Und wieder erwartete uns dort das Team, das offensichtlich immer dann Dienst hatte, wenn im Trierer Raum jemand gewaltsam zu Tode kam.
Das erste, das ich sah, war das linke Auge von Wladimir Kornsack, dem Gehilfen von Professor Theodor Schneider. Kornsack stand gebeugt über einer vor ihm nackt auf dem metallenen Sektionstisch abgelegten männlichen Leiche und bereitete diese offenbar für die Obduktion vor. Das Auge beobachtete uns, als wir in den Sektionsraum eintraten, das zweite Auge war noch geschlossen. Es würde sich öffnen, ich wusste das, aber etwas später, das war für das Augenpaar von Kornsack ganz normal.
Das rechte Auge war aufgrund eines geschädigten Nervs nicht in der Lage, so zu reagieren, wie Kornsack es eigentlich wollte. Es sah schon recht makaber aus. Kornsack sah immer noch zu uns herüber, mit dem linken Auge. Doch dann bewegte es sich, das rechte. Das Lid öffnete sich und ein Anflug von Erleichterung glitt über Kornsacks Gesicht. Er nickte uns kurz zu, lächelte zufrieden und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
„Man könnte meinen, Ihre Dienststelle ist unterbesetzt oder aber sie hat nur zwei fähige Leute!“
Professor Schneider kam zur Tür herein, die Gummihandschuhe hatte er bereits angezogen, und lachte.
„Sie wissen schon, wie ich das meine, nicht wahr? In den vergangenen Monaten haben wir uns öfters gesehen, als uns lieb war. Aber Spaß beiseite. Kommen Sie mal mit!“
Schneider ging voran zu der zweiten männlichen Leiche, die auf einem Metallwagen am anderen Ende des Raumes aufgebahrt war.
„Wir waren schon etwas früher hier, heute. Deshalb haben wir diesen Toten“ -er drehte den Zettel am Zeh der Leiche herum- „Karl Leyenhofer, schon fertig obduziert.“
Leni sah Schneider fragend an. „Wir können davon ausgehen, dass Sie uns nichts Außergewöhnliches mitteilen können?“
„Na, ja. Außergewöhnlich ist doch sicherlich die Todesart, die Vorgehensweise des Täters. Ich kann mich nicht erinnern, einen gleich gelagerten Fall bearbeitet zu haben“, antwortete Schneider, deckte die Leiche auf und legte das Laken beiseite.
„Wenn das nichts Außergewöhnliches ist, junge Frau! Sieht man doch nicht alle Tage, oder?“
Ich bemerkte, wie Leni verlegen wurde und antwortete an ihrer Stelle.
„Das Gleiche gilt für uns. Auch für uns sind das die beiden ersten Toten, die auf eine solch grausame Weise hingerichtet worden sind. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Dr. Schneider? Es werden nicht die letzten sein. Wenn wir es nicht verhindern können, werden sicherlich weitere Menschen auf diese Art und Weise sterben.“
„Warum wollen Sie das wissen?“
Ich erzählte Schneider in Kurzform über unsere Erkenntnisse, die wir über Steiner gewonnen hatten.
„Dann wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg“, sagte Schneider, sichtlich beeindruckt, und auch das offene Auge von Kornsack sah kurz zu und der Gehilfe nickte uns zu.
„Umso mehr wird es Sie interessieren, nach welchem Tatwerkzeug Sie suchen müssen!“
„Heißt das, Sie können uns in dieser Richtung weiterhelfen?“
„Ob ich Ihnen weiterhelfen kann, das vermag ich nicht zu sagen. Aber ich kann Ihnen Hinweise auf das Tatwerkzeug geben. Kommen Sie bitte näher heran!“ Schneider zeigte auf die Schnittstelle unterhalb des Bauches, dorthin, wo vor ein paar Tagen noch das Geschlechtsteil von Kalle Leyenhofer angeordnet war. Nerven und Adern hatte sich in den Körper zurückgezogen und man sah nur noch eine große Öffnung, die jedoch durch die Wunde der Stelle, wo die Haut vom Körper abgetrennt worden war, einen weit größeren Eindruck machte.
„Der Täter hat mehrere Schnitte ausgeführt.“ Schneider nahm das Geschlechtsteil, das neben dem Toten abgelegt war, in die Hand und zeigte auf die Schnittstelle. „Es gibt da mehrere Abstufungen, Sehen Sie!“
„Und das bedeutet?“
„Das bedeutet, dass es eine sehr kurze Klinge gewesen sein muss. Außerdem handelt es sich um einen sehr scharfen Schnitt, wie man unschwer erkennen kann.“
„Sie denken an ein Skalpell?“, fragte Leni.
„Ja, davon würde ich ausgehen. Haben Sie jemanden im Verdacht, der von Berufs wegen mit einem Skalpell arbeitet?“
„Nein“, gab ich kleinlaut zu. „Wir haben überhaupt noch keinen Verdacht. Bis auf die Vermutung, dass es ein Mann sein könnte.“ Nach dem mysteriösen Anruf bei Steiner mussten wir vorerst davon ausgehen.
Ich gab Leni ein Zeichen. Hier unsere Zeit zu verbringen, war unnötig. Schneider konnte uns nicht weiterhelfen und die weiteren Schritte der Obduktion kannten wir zur Genüge. Wenn sich etwas Neues geben würde, wir würden es erfahren.
Wir verabschiedeten uns von Schneider und nickten kurz zu Kornsack hinüber, dessen linkes Auge uns bereits wieder im Visier hatte. Das rechte versagte den Dienst wiederum vollends.
Auf dem Parkplatz des Präsidiums angekommen, hielt Leni direkt vor meinem Auto.
„Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Häuslekauf“, feixte sie. „Ich hoffe für dich, dass der Dienst dich nicht wieder aus den Verhandlungen reißt.“
„Ich habe dir die Annoncen aus den Zeitungen der vergangenen Tage mal raus geschnitten“, empfing mich Lisa. „Stell dir vor, alleine hier in Forstenau sind es zwölf Häuser, die zum Verkauf anstehen, überwiegend Altbaus.“
„Ich würde sagen, wir sehen uns erst mal das Haus in der Birkengasse an. Dafür könnte ich mich schon erwärmen.“ Ein Geräusch hinter der Küchentür irritierte mich. „Ist da jemand im Haus?“
„Apropos Haus.“ Lisa sah mich mit einem mitleidigen Ausdruck an und überging meine Frage. „Frau Berwanger hat heute Morgen angerufen. Das Haus ist so gut wie verkauft. Es waren mehrere Interessenten bei ihr und du musst zugeben, du hattest keine Versprechen oder Zusagen erhalten.“
Ich hörte schon wieder ein Geräusch im Inneren der Wohnung, hinter dem Flur, in dem wir gerade unseren Haus-Kauf-Dialog führten.
„Läuft der Fernseher?“ Ich sah Lisa fragend an. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich fühlte nach meiner Pistole und schob Lisa beiseite.
„Heiner, warte mal, da ist…!“
Mit einer Handbewegung erstickte ich Lisas Einwand und drückte langsam die Türklinge nach unten. Das Geräusch wurde lauter und es schien sich jemand gegen die Tür zu stemmen. Mit aller Kraft stieß ich mit der rechten Schulter gegen die Tür und mit einem schlürfenden Geräusch, begleitet von einem Schmerz erfüllten Jaulen öffnete sich diese auf einmal so leicht, dass sie mit der Klinke gegen die Wand schlug.
Das Jaulen gehörte offensichtlich zu einem Tier, dessen Augen unter dem Küchentisch zu mir herübersahen. Mehr war kaum festzustellen, doch bei genauem Hinsehen erkannte ich, dass es sich um einen schwarzen Hund handelte.
Ich sah fragend zu Lisa hinüber. Die zuckte entschuldigend mit beiden Schultern.
„Das ist Terry.“
Als ob er seinen Namen verstanden hätte, kam Terry, respektvoll auf dem Bauch rutschend, unter dem Tisch hervor und sah zu mir hoch. Das Weiße in seinen Augen unterhalb der Pupille wurde dabei immer größer.
„Was, um Himmels Willen, ist das? Ein leises Pfeifen in meinen Ohren sagte mir, dass Stress ins Haus stünde.“
„Ein Hund.“
„Das sehe ich auch. Was macht der Hund hier? In unserer Wohnung?“
„Terry ist uns zugelaufen. Er saß heute Morgen ausgehungert und bemitleidenswert vor der Haustür. Da konnte ich nicht anders und habe ihn rein gelassen.“
„Ausgehungert sieht der nicht gerade aus.“ Ich sah mir Terry etwas genauer an und prüfend legte der seinen Kopf etwas schief und ließ seinen Blick nicht von mir.
„Wir können doch keinen Hund bei uns aufnehmen. Und außerdem gehört der doch irgendjemandem. Man wird ihn suchen!“
„Du willst das arme Tier also wieder vor die Tür setzen. Gut, du sollst deinen Willen haben. Komm Terry!“
Doch Terry rührte sich nicht.
„Nun mal langsam, Lisa!“ Ich wusste nicht, warum ich das sagte, aber ich sagte es. „Er kann so lange hierbleiben, bis wir die Eigentümer von Terry gefunden haben. Aber wohin mit ihm? Wo soll er schlafen. Was frisst so ein Hund? Ins Schlafzimmer kommt er auf keinen Fall!“
„Danke, Spürnase, ich wusste, dass du ein Hundefreund bist!“, rief Lisa überschwänglich. Ich werde mich um ihn kümmern. Und schlafen kann er ja im Hausflur. Dann haben wir gleichzeitig einen Wachhund.“
Ich sah hinab zu dem Hund. „Den wir seinem Eigentümer zurückgeben. Hast du gehört, du bist unser Leihkind?“
Terry registrierte meine Bemerkung mit einen knappen „waff“, blieb aber weiter liegen und sah mich misstrauisch an. Der Stoß mit der Tür, der ihn unsanft in das Rauminnere befördert hatte, hing ihm offensichtlich noch nach.
„Na, was ist? Frieden?“ Ich schlug mit der Hand gegen meinen rechten Oberschenkel und Terry rutschte auf dem Bauch ein Stück näher zu mir.
„Na, komm her, lass dich ansehen.“ Ich streckte meine Hand aus. Leise jaulend erhob sich Terry und kam, fast wie in Zeitlupe zu mir herüber. Ich berührte sein Fell und begann ihn zu streicheln, was Terry veranlasste, meine Hand zu lecken.
„Siehst du, jetzt habt ihr beide auch Freundschaft geschlossen. Ist es nicht ein schönes Tier.“
„Wieso heißt er Terry?“ Der Hund konnte sich doch unmöglich vorgestellt haben.
„Ich habe im Internet nachgesehen“, sagte Lisa. Schwarzer Terrier heißt seine Rasse. Da habe ich ihn einfach Terry getauft. Er wird uns noch viel Freude bereiten. Kraft, Mut und Treue sollen seine Eigenschaften sein und in der Familie Spielgefährte, Seelentröster und Freund. So stand es in der Beschreibung.“
„Ich hoffe, dass er ausgewachsen ist!“ Terry ging mir, jetzt wo er aufgestanden war, mit seinem Rücken bis zum Knie.
„Soll ich dir was sagen, Terry. Mir ist nach frischer Luft. Wie sieht es mit dir aus? Die Haussuche kann noch etwas warten.“
Als ob mich der Hund verstanden hätte, wedelte er mit dem Schwanz und schaute mich erwartungsvoll an.
„Na, dann wollen wir mal!“ Ich drohte Terry mit dem Zeigefinger, der sofort zurücksprang und einmal kurz bellte. Aber du gehst bei Fuß, ist das klar?“
„Ich komme mit!“, ließ sich Lisa vernehmen. „Auf dem Rückweg müssen wir für Terry einkaufen. Halsband, Hundeleine und etwas zu fressen.“
Lisa sah mich von der Seite an. „Und ein Hundekörbchen!“
Ich nickte ergeben. „Und ein Hundekörbchen.“