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Freitag, 10. Oktober 2014, Stuttgart

In den letzten drei Wochen nach meinem erzwungenen Büroauszug hatte ich meine persönliche Insolvenztournee beendet. Amtsgericht, Bank, die drei wichtigsten Geschäftspartner. Der Geschäftswagen, ein 3er-BMW, war von der Leasinggesellschaft abgeholt worden, ich fuhr deshalb seit neuestem Bus oder Stadtbahn. Anfänglich wusste ich nicht mal, wie ich dem Automaten einen Fahrschein entlocken konnte. Das schaffte ich inzwischen, nachdem mir eine ältere Dame den Vorgang erläutert hatte. Es war entsetzlich peinlich. Meine Versuche, das ein oder andere aus meinem Besitz noch zu retten, waren weitgehend erfolglos geblieben. Auch der SL war in der Zwangsversteigerung gelandet. Edgar hatte mich zu sehr in die Scheiße geritten. Immerhin konnte ich schnell einen Nachmieter für meine Wohnung finden, der mir sogar noch vier Wochen Zeit ließ, etwas Einfacheres und Billigeres zu finden, was sich als gar nicht leicht herausstellte. Edgar ließ sich nach wie vor verleugnen, er war verschwunden.

Ich brauchte Zuwendung, die ich nicht bekam. Mir ging es richtig schlecht, die ganze Situation warf mich um und aus der Bahn. Ich aß fast nichts mehr, trank dafür mehr, ließ mich auch persönlich gehen, wurde zu einer bemitleidenswerten Figur. Mein ohnehin nur mittelmäßig ausgeprägtes Selbstbewusstsein tendierte gegen null, ich lief planlos und ohne jeden Antrieb in der Gegend herum, ich war zum Kämpfen innerlich nicht bereit. Aus, vorbei.

An diesem Tiefpunkt erreichte mich ein Anruf von Jasmin. Immerhin hatte ich mein altes iPhone noch, das ich bis zum Auslaufen des Vertrags benutzen konnte.

»Hi, Opi, ich bin's, Jasmin« schallte es mir entgegen.

»Grüß Dich, meine Liebe, wie geht es Dir?«

»Eigentlich bestens, aber wenn ich an Dich denke, dann beschissen. Sag mal, komm‘ doch bitte bald mal vorbei. Oder noch besser, wir gehen was essen bei meinem Italiener um die Ecke, was hältst Du von morgen Abend? Ich lade Dich ein, da habe ich das Studio zu.«

Ich hatte keine Termine mehr, deshalb konnte ich sehr schnell zusagen. »Wann passt es Dir?«

Jasmin überlegte nur kurz. »Um halb acht, dann haben wir genügend Zeit zum Plaudern. Und Du erzählst mir ganz genau, in welchem Schlamassel Du steckst, ich habe nichts Genaues gehört. Also dann, bis morgen Abend, ich freu‘ mich auf Dich, ciao Peter.«

»Ich freue mich auch, mach's gut und tschüs.«

Es klickte, und Jasmin hatte aufgelegt. Nun gab es wenigstens einen einzigen Grund, mich auf den kommenden Tag zu freuen.

Am nächsten Morgen, es war ein Mittwoch, regnete es in Strömen und die Luft war recht kühl. Ich trieb mich den Tag über zu Hause in meinen vier leeren Wänden herum. Eigentlich müsste ich jetzt langsam meine restlichen Habseligkeiten verpacken, die mir nach dem Besuch des Gerichtsvollziehers geblieben waren. Und ich sollte dringend nach einer neuen kleineren Bude suchen. Aber mir war alles zu viel, ich hing nur apathisch rum. Gegen sechs schaute ich im Vorbeigehen aus Versehen in den Garderobenspiegel und erschrak. Sah so der Tod aus? Zumindest stellte ich ihn mir ähnlich vor. Kann ich in diesem Zustand meine Enkelin, eine attraktive junge Frau treffen? Nein! Ein letzter Rest an Selbstachtung war also doch noch vorhanden. Fünf Minuten später stand ich unter der Dusche, schaffte es anschließend, mir eine akzeptable Frisur zu föhnen und zog meinen dunkelblauen italienischen Anzug an, den ich für teures Geld vor zwei Jahren in Mailand erworben hatte. Menschenskind Peter, sagte ich mir, jetzt bist Du wenigstens optisch wieder besser beieinander. Ich konnte mir ein Grinsen über mich selber nicht verkneifen, zog den Regenmantel über, obwohl es aufgehört hatte, zu regnen, und verließ die Wohnung. Mit der Stadtbahn fuhr ich bis zum Charlottenplatz und lief die wenigen Meter bis zu Jasmins Lieblingsitaliener. »Trattoria Toscana« verhieß ein kleines Schild über der Eingangstür. Ich war ein paar Minuten zu früh da, weshalb ich vor dem Restaurant wartete. Pünktlich kam sie an, strahlend wie immer. Im schwarzen engen Rock mit knallgelbem Pulli, in einen schwarz-grau gemusterten Poncho gehüllt, die Haare zur Abwechslung mal wieder in schwarz. Das wechselte, soweit ich mich erinnern konnte, recht häufig.

»Du siehst wieder umwerfend aus«, rief ich ihr entgegen.

»Hallo, Peter, Du hast Dich aber auch gut aufgebrezelt«, entgegnete sie lachend.

»Logisch, wenn ich mit atemberaubenden Frauen ausgehe. War schließlich lange her das letzte Mal. Gnädige Frau, lassen Sie uns reingehen.«

Jasmin hängte sich bei mir ein und wir betraten das Lokal. Die Trattoria war schon zu diesem frühen Zeitpunkt gut besucht, Jasmin fing sofort alle Blicke ein, was sogar ein wenig auf mich abfärbte, wie ich hoffte. Ich fühlte mich seit Langem mal wieder richtig wohl. Sah fast nach altem Sack mit junger Freundin aus, wie in Italien, wenn die reichen Männer ihre jungen, meist einen Kopf größeren Geliebten ausführen.

»Ciao Bella, buona sera Signore« begrüßte uns Franco, der Wirt, und geleitete uns zu einem ruhigen Ecktisch. »Prego, nehmen Sie Platz. Un aperitivo? Faccio io!«

Mit diesen Worten legte er zwei Speisekarten auf den Tisch, nahm sie aber sofort wieder weg.

»Nix Speisekarte! Habe heute ganze frisch eine Branzino bekommen. Branzino pescato, nicht aus Aquazucht, sondern wild geangelt. Mache ich sotto sale, unter Salzkruste in Ofen, bisschen Rucola dazu e basta. Vorher eine bella Antipastiplatte, und ich habe eine neue Vino Bianco aus Campania, un Greco di Tufo, incredibile!«

Franco, ein gut aussehender Römer, konnte einzigartig von seinen eigenen Kreationen schwärmen, er liebte sie regelrecht. Wir blickten uns an und nickten praktisch gleichzeitig.

»Franco, perfekt, genau so« sagte Jasmin und zeigte ihm ihr bezauberndstes Lächeln, bevor sie mich lange stumm ansah. »Mensch Peter«, begann sie unser Gespräch und wurde wieder ernst. »Wie konnte das alles nur so passieren. Was hast Du für einen Mist gebaut, ich begreife das nicht. Du warst doch immer gut im Geschäft, und jetzt das?«

Ich wurde noch kurz von Franco unterbrochen, als er zwei wunderbare Martini Bianco mit Eis und Zitrone brachte, und danach legte ich los.

»Ich kann Dir die Frage, wie und warum alles so gekommen ist, leider nur schwer beantworten. Eines ist jedoch sicher, ich war und bin der größte Idiot, der auf dieser Welt rumläuft. Selbst schuld im Sinne der Anklage. Und damit muss ich jetzt leben, fertig.«

Jasmin schaute mich fragend an. »Ich würde aber schon gerne genauer wissen, was da los war, um Dich so ins Elend zu treiben, und warum, das bist Du mir schuldig.«

Ich brauchte ein paar Sekunden, aber dann redete ich ohne Ende wie ein Wasserfall mit Hochwasser. Lediglich unterbrochen durch die wunderbare Antipastiplatte, die Franco servierte. Die schönsten Meeresfrüchte, Scampi, Tintenfisch, Muscheln, eine Auswahl an Schinken, Salami, Pilzen, gegrillten Zucchini und Artischocken, kleinen Tomaten, Mozzarella di Buffala, Parmigiano und dazu wunderbares Olivenöl und ein duftendes frisches Giabatta. In Verbindung mit dem trockenen, perfekt temperierten Weißwein ein Gedicht. Urlaub vom Alltag. Jasmin hörte stumm zu, nur ihre Miene drückte zunehmend Ungläubigkeit aus. Als unser Fisch kam und am Tisch aus der dicken Salzkruste geklopft und filetiert wurde, war ich fertig mit meinem Monolog.

Jasmin schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Das gibts doch alles nicht, ich glaube, ich spinne. Das muss ich jetzt vor dem Fisch erst mal verdauen.«

»Lass Dir nicht zu lange Zeit, es wäre schade um den schönen Branzino«, antwortete ich. »Guten Appetit!«

Während des Essens merkte ich, wie Sie mit der Fassung kämpfte. Ob ihr der Fisch überhaupt schmeckte? Ich wusste es nicht. Beim nachfolgenden Espresso sah sie mich lange an. Ich merkte, sie war innerlich aufgewühlt, sie war wütend.

»Ich habe das damals mit der Veruntreuung nicht mitgekriegt, da war ich ein verzogener Teenager, den nichts interessierte. Dass er Dich dafür beschuldigte und sich jetzt so gerächt hat fasse ich nicht. Du musst es diesem Arschloch heimzahlen. Du musst ihn fertigmachen. Wehr Dich, verdammt!«

Jasmin hatte mir die letzten beiden Sätze viel zu laut entgegengeschleudert, sodass die Gäste an den beiden Tischen neben uns recht pikiert und fragend zu uns herblickten.

»Sorry, dass ich zu laut war, aber das musste sein, vergessen Sie das Ganze!« Sie blickte, während sie das sagte, zwischen den beiden Tischen hin und her, mit einem Gesichtsausdruck, der töten konnte. Und der keinen Zweifel daran ließ, »Was ihr da gehört habt, geht Euch einen feuchten Dreck an.«

Ich wusste, am besten war es jetzt, nichts zu sagen und abzuwarten, bis sie sich vielleicht wieder beruhigen würde. Das war schon so, als sie ein kleines Mädchen war und sich über irgendetwas aufregte. Es war immer besser, die Klappe zu halten und abzuwarten, bis sie sich abgeregt hatte. Sie war immer ein Energiebündel, das leicht explodieren konnte. Diesmal funktionierte das mit dem Abwarten und Aussitzen allerdings nicht.

»Jasmin, hör mal her. Ich bin am Boden und habe keinerlei Mittel mehr, gegen Edgar irgendetwas zu unternehmen. Vor Gericht zu gehen, macht keinen Sinn. Die müssten mir klar sagen, selbst schuld, und in diese Peinlichkeit möchte ich mich nicht begeben. Ich hätte auch sachlich kaum Chancen, ohne Spitzenanwälte damit zu betrauen. Und das kann ich und will ich nicht mehr.«

Jasmin schaute mich von der Seite an und schüttelte den Kopf. Jetzt war sie auf mich sauer. »Ich dachte nicht an Anwälte und Gerichte. Ich denke daran, das Schwein wirklich auf die linke Tour fertigzumachen. Hol Dir ein paar Jungs und zahle es ihm heim, so, dass er es niemals vergisst, dass es wirklich weh tut. Herrgott, sei einmal richtig stark, Du hast doch nichts mehr zu verlieren. Und eines garantiere ich Dir, ich bin dabei! Ich habe genügend Gründe als Kind erlebt, um ihn zu hassen und am Boden liegen zu sehen.«

»Jasmin, vergiss das, dafür bin ich der Falsche. Und Du solltest Dich auch heraushalten. Gefährde Deine Existenz nicht wegen eines Typen wie mir, der im Prinzip bereits aufgegeben hat. Noch mal, ich kann das nicht und habe auch nicht die Voraussetzungen dafür, haken wir es ab!«

Ich fühlte mich so erbärmlich gegenüber Jasmin. Im Gegensatz zu mir hatte sie den Mumm, was zu unternehmen. Ich war ein alter Sack, der sich in sein Schicksal und den Suff ergeben hatte, der über keine Kampfbereitschaft mehr verfügte. Der ausgelaugt, müde und hoffnungslos war. Ganz realistisch am Ende.

Jasmin legte mir die Hand auf den Arm. »Peter, wenn Du jetzt aufgibst, dann gibst Du Dich auf. Denke noch einmal in aller Ruhe darüber nach. Ich werde Dich voll und ganz unterstützen, egal bei was. Mach es, kämpfe, sonst stehst Du morgen auf der Straße.«

Wenn sie in diesem Moment gewusst hätte, wie recht sie haben würde. Ich konnte nicht mehr sitzen bleiben, stand auf, gab ihr noch einen halbherzigen Kuss und ging wortlos durchs Restaurant und durch die Tür.

Ich stand auf der Straße, auf der Flucht vor mir selbst.

Im Bann der Rache

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