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Mittwoch, 12. November 2014, Stuttgart/Überlingen

Silvia Rothstein war eine attraktive Frau, kaum jemand schätzte sie auf die knapp fünfzig, die sie bald erreichen würde. Sie war selbstbewusst, emanzipiert, erfolgreich in ihrem Beruf. Hochintelligent, gebildet. Dass sie manchmal mit ihrer direkten Art aneckte, war ihrer Meinung nach kein Nachteil. Sondern für ihre Tätigkeit meist vorteilhaft. Als frei arbeitende Wirtschaftsjournalistin nutzte sie diese Fähigkeit, um möglichst gerade auf ihre Gesprächspartner oder Themen zuzugehen.

Sie war Single, seit vor fünf Jahren eine zwölfjährige lose Verbindung mit einem Buchautor in die Brüche gegangen war und in einem Rosenkrieg endete. Mit sehr viel schmutziger Wäsche. Geboren und aufgewachsen in Freiburg, lebte sie nun schon zwanzig Jahre in Stuttgart, in einem modern, fast nüchtern eingerichteten Appartement aus den Achtzigern an der alten Weinsteige. Neben ihrer Leidenschaft für Theater und Kino liebte sie alles, was mit Italien und Spanien zu tun hatte. Sprache, Küche, Kultur, Natur, die Menschen. Zweimal im Jahr reiste sie für mindestens drei Wochen in den Süden. Toskana, Kampanien, das Piemont oder die Marken mussten es in Italien sein. Andalusien und die Balearen waren ihre Ziele in Spanien. Sie genoss es, ihre hervorragenden Kenntnisse in den beiden Sprachen vor Ort anwenden zu können. Gleichzeitig recherchierte sie für hochinteressante Artikel zu Wirtschaftsthemen auf diesen Märkten. Silvia Rothstein war mit sich persönlich im Reinen, die Welt um sie herum betrachtete sie dagegen kritisch. Das Ergebnis waren immer wieder topaktuelle und oft brandheiße Exklusivartikel über Unternehmen, Manager und die internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik, die von ihr in den führenden Magazinen erschienen. So, wie letzte Woche ein viel beachteter Beitrag über die verschwiegenen TTIP-Verhandlungen zwischen der EU und den USA.

Vor drei Tagen war unvermittelt der Chefredakteur des BusinessMagazine bei ihr zu Hause aufgetaucht, Winfried Berner. Die beiden waren seit letztem Frühjahr per Du, nach einer langen Nacht in Hannover während der Messe, die beide später nie wieder erwähnten.

»Silvia, ich habe von früher noch einen Kontakt mit einem ehemaligen Stuttgarter Anwalt, der jetzt am Bodensee sitzt und seine Kohle verlebt. Jetzt sieht es allerdings so aus, dass er einem geschlossenen Immobilienfonds zum Opfer gefallen wäre. Da ist die letzte Ausschüttung ausgeblieben und man munkelt, dass die ganze Sache vor der Pleite stünde und dass vielleicht sogar nicht alles sauber wäre. Wäre das was für Dich?«

Berner schaute Silvia fragend an und ertappte sich selbst dabei, an die damalige Nacht zu denken.

»Warum kommst Du dabei gerade auf mich, was ist faul an der Story?« Silvia lächelte ihn an. »Welche Hintergedanken hast Du dabei, ich kenn‘ Dich doch?«

»Du weißt, dass ich bei Dir nie ohne Hintergedanken auskomme, aber die betreffen nicht den Job, ehrlich! Vielleicht können wir da was richtig Gutes draus machen, vor allem jetzt mit diesen ganzen Niedrigzinsen, die immer mehr Leute dazu bringen, unbekannte Risiken einzugehen. Gerade auch unsere Zielgruppe, mittelständische Unternehmer, Dienstleister, Freiberufler und auch größere Handwerker, die alle neue Anlageformen suchen. Ich brauche die Beste dafür, bis jetzt ist in dieser Sache nichts bewiesen und ich habe nur die Aussage eines beschissenen Anwalts. Also von einem, der sich beschissen fühlt, meine ich. Und seit wann kann man Anwälten trauen, frag‘ ich Dich.«

»Habe ich alle Freiheiten? Keinen Terminstress? Kann ich auf Eure Datenbank uneingeschränkt zugreifen?«

»Kannst Du!«

»Ok, ich mach es. Zu meinen Bedingungen?«

Berner stöhnte. »Auch das. Mein Gott, es ist doch immer wieder der Horror, mit Dir Geschäfte zu machen!« Berner schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf. »Und jetzt, gehen wir essen? Du bist eingeladen, heute geht Luxus auf Spesen. Lust?«

Silvia brauchte nur kurz zu überlegen, sie hätte sonst noch im Supermarkt vorbeigehen müssen, um einzukaufen. »Aber diesmal endet es nach dem Essen, und zwar direkt!«

»Das werden wir dann sehen« dachte Winfried Berner halblaut. So, dass es gerade noch zu hören war.

Silvia drohte ihm. »Sexist!«

»Nach dreihundert Metern links abbiegen, dann haben Sie Ihr Ziel erreicht.« Es war schon bequem heutzutage, der Stimme des Navigationssystems zu folgen. Meersburg am Bodensee, Kronenstraße, Obermüller, ihr erstes Ziel im Rahmen ihrer Recherche über den Immobilienfall. Silvia parkte ihr kleines Cabrio direkt vor der Einfahrt zur Garage. Sie liebte dieses kleine Kraftpaket, den Mini Cooper S mit seinen getunten 240 PS. Ihre »Rennsemmel«. In manchen Dingen war sie wirklich nie ganz erwachsen worden, dachte sie bei sich. Atypisch für eine Frau.

Obermüller stand schon vor der Haustür. »Frau Rothstein? Angenehm. Kommen Sie rein!«

»Guten Tag Herr Obermüller, freut mich, vielen Dank.«

Sie gaben sich die Hand, beide hatten einen festen Händedruck. Beide waren sie Menschen, die wussten, was sie wollen. Nur einmal hatte Obermüller anscheinend daneben gegriffen. Der Anwalt taxierte Silvia, während sie durch die Diele gingen. Er schätzte sie als durchsetzungsfähig ein, vielleicht ist sie lesbisch, dachte er, konnte sich aber nicht erklären, warum. Sie hielt ihn für einen peniblen Menschen mit wenig Humor. Sie sollte recht behalten.

»Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder etwas anderes? Nur mit Alkohol bin ich nicht gut sortiert«, entschuldigte sich Obermüller.

»Ich nehme gerne eine Tasse Kaffee, für was Stärkeres wäre es doch etwas früh. Selbst für eine Journalistin.«

Silvia setzte sich in den angebotenen Sessel und hatte Zeit, sich das Interieur des Wohnraums näher anzuschauen. Alles gediegen, aber fantasielos. Penibel aufgeräumt, wie in einem Museum, dachte sie. Kurz darauf brachte Obermüller zwei Tassen Kaffee auf einem Holztablett, er stellte es auf dem Glastisch vor dem Sofa und den beiden Sesseln ab.

»Es freut mich, dass Sie sich der Betrügereien des Herrn van Damme annehmen wollen. Dann passiert ja vielleicht bald etwas.« Obermüller hatte sich bei diesen Worten richtig ereifert.

»Langsam, Herr Obermüller, ich bin nicht die Polizei oder die Staatsanwältin. Ich bin Journalistin und versuche, in einem Artikel die Problematik von geschlossenen Fonds für die Anleger aufzuzeigen. Aber auch die Vorzüge für Anleger, für die diese Form des Fonds passt.«

Obermüller reagierte enttäuscht. »Ja, das verstehe ich schon, aber ich meine ...«

»Wenn hier unsaubere Praktiken des Herrn van Damme dabei herauskommen sollten, greife ich die natürlich auf.« Silvia musste hier von Anfang an für eine klare Ausgangsposition sorgen. Sie war nicht die Rächerin für diesen geldgierigen Exanwalt.

In den nächsten paar Minuten erläuterte sie ihrem Gesprächspartner, wie sie vorgehen wollte und begann anschließend, ihn mit ihren Fragen zu löchern.

»Das war ja fast wie bei einem Kreuzverhör« stellte Obermüller danach fest. »Ich hoffe, ich konnte Ihnen das ganze Dilemma aus meiner Sicht anschaulich schildern und wenigstens Sie werden etwas damit anfangen. Bei der Polizei hatte ich nicht das Gefühl, dass die sich über ihren Dienst nach Vorschrift hinaus für die Angelegenheit interessieren würde«.

»Das wird sich zeigen im Lauf meiner Arbeit. Jetzt habe ich auf jeden Fall mal eine Basis, kenne die Situation Ihres Fonds und kann nun weiter recherchieren. Was ich noch vergessen habe, waren eigentlich überhaupt schon echte Gewinnausschüttungen dabei, oder nur Rückzahlungen?«

»Bis jetzt nur Rückzahlungen, und jetzt gar nichts mehr. Und die Rückzahlungen sind bei einer Pleite auch nichts mehr wert« seufzte Obermüller. »Da könnten sogar noch Nachzahlungen drohen.«

Sie verabschiedeten sich und Silvia sicherte Obermüller zu, ihn über wichtige Neuheiten selbstverständlich zu informieren. So siehst Du aus, dachte sie allerdings dabei, als sie das Haus verließ. Jetzt würde sie sich zuerst die Polizei und die Staatsanwaltschaft vorknöpfen, mal sehen, was das hergibt. Nach knapp zwei Stunden erstaunlich freier Fahrt – der Mini lief lässig 220 – über die A 81 zu Hause angekommen, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und hörte zuerst ihr Gespräch mit dem Anwalt, das sie auf ihr Smartphone aufgenommen hatte, noch einmal in Ruhe an. Da schien ja doch einiges dran zu sein an diesen Gerüchten. Anschließend rief sie ihren Kontakt bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart an, Tanja, eine gute alte Freundin aus der Sturm- und Drangzeit, die ihr manchmal dezente Tipps gab.

»Hallo mein Schatz, Ich bin es, Silvia. Alles gut?«

»Hi Silvie, wenn Du so nett fragst, brauchst Du was. Aber mir geht es bestens, bin seit vier Wochen wieder ohne, wieder frei. Ziehen wir mal wieder um die Häuser, ohne Kerle, so wie früher?« Sie lachte. »Aber was willst Du hören?«

»Läuft bei Euch eine Untersuchung gegen eine Fondsgesellschaft namens Van Damme Project GmbH? Und wenn ja, wer arbeitet dran?«

»Ok, ich suche es Dir raus und melde mich oder maile Dir was. Machs gut und ciao!«

»Danke Dir, wir sehen uns mal wieder.«

Zwei Stunden später blinkte der Rechner, eine neue Mail lag im Postfach.

»Der Fall liegt beim Oberstaatsanwalt und ruht dort in Frieden. Bearbeitet hatte ihn KHK Wachter, der ist aber zurückgepfiffen, von oben, warum weiß keiner. Mehr habe ich im Moment nicht. Küsschen Tanja.«

Rothstein hatte in der Zwischenzeit die wichtigsten Erkenntnisse ihres Gesprächs mit Anwalt Obermüller zusammengefasst und in ihren Laptop getippt. Nun sammelte sie parallel dazu Fakten aus dem Internet. Wie sahen die fünfzig wichtigsten Immobilienfonds momentan aus, gab es Informationen über besonders erfolglose Fonds oder sogar über Betrugsfälle. Sie nützte dafür neben den offen zugänglichen Quellen die interne Datenbank des BusinessMagazine und konnte so einiges über die Branche zusammen tragen. Dann versuchte sie, die Nummer von Oberstaatsanwalt Dr. Stockmann raus zu kriegen und rief dort an. Sie kam natürlich nur bis zur Vorzimmerdame. Der Doktor wäre leider außer Haus und hätte in den beiden folgenden Tage keine freien Termine. Sie würde sie aber gerne für nächste Woche auf die Liste setzen.

Silvia sagte dankend ab und dachte, »dann gehe ich halt den kleinen Dienstweg.«

Ihr Anruf bei der Kripo war erfolgreicher, sie bekam Branic an den Apparat.

»Keine Auskünfte« blockte der gleich unfreundlich ab. »Aber ich kann Ihnen sagen, dass Kollege Wachter gerade in der Kantine sitzt.«

»Super Information, herzlichen Dank« sagte sie sarkastisch. »Aber wer weiß, vielleicht kann man ihn dort mal überraschen.« Damit wandte sie sich wieder ihrem Laptop zu.

Im Bann der Rache

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