Читать книгу Im Bann der Rache - Hans Bischoff - Страница 12

Оглавление

Montag, 03. November 2014, Stuttgart

Wie so oft in den vergangenen Tagen stand ich auf dem Balkon meiner Wohnung im dritten Stock eines Patrizierhauses über dem Stuttgarter Talkessel. Gehobene Wohnlage nach Südwesten. Halbhöhenlage mit Blick auf die City und die Weinreben entlang der Neuen Weinsteige. Einer der ganz wenigen Weinberge weltweit mitten in einer Großstadt. Die Abendsonne stand schon ziemlich niedrig, sodass sich einzigartige Licht-Schatteneffekte bildeten. Die Glasfassaden höherer Gebäude spiegelten das letzte Sonnenlicht, die ersten Lichter gingen an. Paradiesisch. Ich wollte diesen Blick noch ein letztes Mal in mich aufsaugen, morgen würde das Vergangenheit sein. Der Moment erschien mir fast wie ein Todesurteil, das dann vollstreckt werden sollte. Der Delinquent darf zum letzten Mal die Sonne sehen.

Ich hatte in den Tagen seit meinem Treffen mit Jasmin den Offenbarungseid abgelegt, Privatinsolvenz beantragt. Ich war jetzt auch ganz offiziell privat pleite. Der rote SL war schon weg, die Wohnung würde es morgen sein. Ich wandte mich langsam vom Ausblick ab und schaute in die Wohnung hinein. Vom Ausblick zum Einblick dachte ich und musste lachen. Hier hatte ich viele schöne Jahre mit Nina, meiner Frau verbracht, bis sie dem verdammten Krebs nichts mehr entgegensetzen konnte. In diesen drei großzügigen hohen Räumen mit den Stuckdecken und der modernen Einrichtung hatten wir gelacht, geliebt, gestritten. Hier war Brigitte, meine Tochter aufgewachsen, hier hatte ich ganz am Anfang mein kleines Büro eingerichtet. Hier waren Freunde zu Besuch, meine und Ninas Eltern, als sie noch lebten.

»Junge, das ist vorbei, löse Dich von dieser schönen Vergangenheit. Du hast Dich schließlich selber in die Scheiße geritten.« Ich sagte das laut vor mich hin. Nun führte ich also schon Selbstgespräche. Die Wohnung war ähnlich leer wie ich. Nahezu alle Möbel waren längst draußen, die Küche gepfändet, was hielt mich also noch hier? Meine Schritte, als ich durch den Wohnraum lief, hallten hohl auf dem Parkett. Auf der Küchenablage stand nur noch der Brunello di Montalcino, den ich im Keller beim Ausräumen gefunden hatte. Ich war damals, vor fast dreißig Jahren, unheimlich stolz auf diese zwölf Flaschen, die ich von einem Besuch in der Toskana mitgebracht hatte, Jahrgang 1984. Bis ich vor einigen Jahren durch Zufall eine Liste mit den besten und schlechtesten Jahrgängen des Brunello in die Hand bekommen hatte. Meiner war dabei, nicht bei den guten. Ich forschte dann nach, und musste leider herausfinden, dass der 84er einer der schlechtesten Jahrgänge der letzten vierzig Jahre war. Passt doch wunderbar zu meiner Situation, dachte ich. Die großen Weingüter, wie Biondi Santi und andere, hatten in diesem Jahr überhaupt keinen Brunello ausgebaut, sondern nur Rosso di Montalcino, also den einfacheren Tafelwein. Wir hatten ihn trotzdem gerne getrunken, und für mich reichte er sowieso. Gläser waren keine mehr da, deshalb schnappte ich mir die Flasche, setzte mich auf den Boden, lehnte mich an die Wand in meinem ehemaligen Arbeitszimmer, stierte auf die leere gegenüberliegende Wand und trank Brunello aus der Flasche. Ich hatte keinen Plan, weder einen Plan A noch einen Plan B. Wie ich eingeschlafen bin, wusste ich nicht mehr, auf jeden Fall war am nächsten Morgen der edle Rotwein leer. Trotz meines dicken Kopfes und der Rückenschmerzen musste ich lachen, als ich mich mit Trappatonis berühmten Worten vom Fußboden hoch quälte, »Flasche leer, habe fertig!«

Vor zwei Wochen hatte ich ein kleines möbliertes Zimmer in der Innenstadt gefunden. In einem heruntergekommenen, grauen Mietshaus in der Altstadt. Nicht weit vom Straßenstrich und dem Rotlichtviertel. Für mich hieß das, immerhin ein Dach über dem Kopf zu haben, für wie lange wusste ich nicht. Ich packte meine paar Habseligkeiten zusammen, alles ging in zwei Koffer und meinen Rucksack rein, mehr war nicht mehr. Das einzig private waren noch vier alte LPs, die ich niemals hergeben würde. »Just one night« von Eric Clapton, »Woodoo Lounge« von den Stones, Bob Dylan’s »Live 1975« und eine von Hubert von Goisern, dem intellektuellen Alpenrocker, mit seinem schönsten Song. »Hearst des net, wia die Zeit vergeht?«, sang er. Da waren einfach zu viele Erinnerungen damit verbunden. Als ich das Haus verließ und die Haustür hinter mir einschnappen hörte, drehte ich mich nicht mehr um, es ging nicht. Ich hatte ohnehin schon Tränen in den Augen. Eine Stunde später bezog ich mein neues Domizil. Ein dunkles Zimmer mit teilweise abblätternden Tapeten im Fifties-Look, braune und orange Kreise, sechzehn Quadratmeter, ein Bett mit durchgelegener Matratze, ein Kleiderschrank, ein Tischchen und zwei Stühle, die eher nach Sperrmüll aussahen als nach Möbelhaus. Dusche und Toilette auf dem Flur. Der mit hässlichem Linoleum belegte Boden quietschte bei jedem Schritt, es roch muffig. In einer Wandecke bildete sich Schimmel, von der Decke baumelte eine Glühbirne. Auf meiner Etage lebten außer mir noch eine Flüchtlingsfamilie mit vier Kindern aus Syrien, ein junger Mann aus Eritrea, zwei unfreundliche schwule Rentner, die rechte und rassistische Parolen von sich gaben sowie eine im Dienst ergraute Prostituierte, wie sich später herausstellte. Unter mir mussten ganze Kompanien von Menschen wohnen, zumindest vom Lärm her.

Mein Handy hatte ich noch, jetzt mit einer neuen Prepaidkarte aus dem Supermarkt. Zum Glück durfte der Gerichtsvollzieher das heute gar nicht mehr pfänden und wegnehmen. Am Abend meines Einzugs rief ich Jasmin an und gab ihr meine neue Adresse durch.

»Peter, hast Du es Dir überlegt? Willst Du angreifen, Du weißt, ich bin dabei« fragte sie sofort als Erstes.

»Jasmin, ich habe es Dir letztes Mal schon gesagt, ich kann nicht, vergiss es!«

»Das werde ich nie tun, das weißt Du, also reiß Dich zusammen. Mach nicht die Achtung kaputt, die ich immer vor Dir hatte. Übrigens, ich möchte Dich unterstützen. Lass mich die Miete übernehmen, dann hast Du wenigstens ein bisschen Luft zum Leben. Ist das ok?«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie das gar nicht sehen konnte.

»Nein Jasmin, danke dafür, aber ich will das nicht. Ich weiß, es ist gut gemeint, aber das würde mich noch mieser dastehen lassen vor mir selber. Lad mich mal zum Essen ein, dann kann ich wieder mit einer schönen Frau glänzen, meinen Anzug habe ich noch. Du bist ein Schatz, aber versteh mich bitte!«

Es war kurz ruhig, dann antwortete sie. »Ja, Du Sturkopf, ich sehe das ein. Aber melde Dich, wenn Du was brauchst, und vor allem, gib mir Bescheid, wenn wir beide angreifen sollen! Versprochen?«

Ich versprach es ihr, wusste im gleichen Moment, dass ich log und beendete das Gespräch während ich in die Kneipe im Erdgeschoss stolperte. Eine üble Pinte im Oberbayernlook, Hofbräuhaus im Kleinen. Mit trüben Funzeln über den Tischen, die alle paar Minuten die Farbe wechselten. An der Wand verblasste Fotos von barbusigen Tänzerinnen mit nicht viel mehr als High Heels am Körper. Drei undurchsichtige Gestalten hingen trübselig am Tresen rum, ein furchtbar dickes Pärchen saß an einem winzig kleinen Tischchen. Im Fernseher, der knapp unter der Decke an einer Wand montiert war, lief ein Boxkampf für den sich keiner interessierte. Ich bestellte ein Bier, setzte mich in eine Ecke und starrte auf den Bildschirm, in dem gerade einer der beiden Kämpfer zu Boden ging.

»… acht, neun, aus!«

Ich musste laut lachen, dem ging es genau wie mir. Die drei Typen an der Theke stierten mich eigenartig an. Ich blickte weg, wollte keinen Krach hier. Nach dem fünften Bier und einigen Kurzen machte mir der Wirt barsch klar, dass jetzt Schluss sei. Ich schlich in meine neue Behausung. Erstaunlicherweise schlief ich gut, träumte dabei von Sonnenuntergängen.

Im Bann der Rache

Подняться наверх