Читать книгу Im Bann der Rache - Hans Bischoff - Страница 16
ОглавлениеDienstag, 11. November 2014, Stuttgart
Fritz Wachter hatte erst vor einem Monat seinen vierundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Alleine. Zu Hause in seiner 2-Zimmer-Altbauwohnung in Stuttgart-Ost, nicht weit vom alten Gaskessel. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, alles auf 60 Quadratmetern. Er hatte Antonio Vivaldis »Vier Jahreszeiten«, interpretiert von den Münchner Philharmonikern aufgelegt und sich ein Glas Rotwein gegönnt. Ein Chianti aus der Toskana. Das war einer der wenigen italienischen Weine, die er kannte und den es im Supermarkt einigermaßen günstig gab. Seine Stereoanlage war der einzige Luxus, den er an fast jedem Abend genoss, klassische Musik war seine Welt. Er ging so gut wie nie aus, das war nicht sein Ding. Kneipen, Puffs und Kebabbuden sah er viel zu oft im Dienst, die brauchte er nach Feierabend nicht auch noch. Wachter war Hauptkommissar bei der Kripo Stuttgart und bearbeitete aufgrund der derzeitigen personellen Unterbesetzung in zwei anderen Dezernaten unterschiedlichste Fälle, von Wirtschaftsverbrechen bis zu Tötungsdelikten. Er war oft derjenige, dem die alten verstaubten Akten aus den Tiefen der Ablage aufs Auge gedrückt wurden.
»Fritz, Du bist halt ein Pinscher, einer, der ewig rumschnüffelt, bis er was findet«, hatte ihm sein früherer Chef vor einigen Jahren mal bei einem Bier gesagt. Und das als Lob gemeint.
Wachter hatte das allerdings anders gesehen und seinen Diensteifer im Hinblick auf die kommende Pensionierung auf ein etwas niedrigeres Durchschnittslevel gebracht. Ja, er würde in zwei Jahren in Pension gehen und mit dem finanziellen Ruhekissen seiner Altersbezüge in eine Seniorenanlage nach Oberbayern ziehen. Er fand schon immer die Berge schöner als den Stuttgarter Talkessel mit seiner dauernden Feinstaubbelastung, und der bayerische Dialekt war auch um Klassen origineller als das schwäbisch hier. Im Moment jedoch saß er vor einer Anzeige, die vor fast zwei Wochen hereingekommen war. Eine Anzeige wegen Betrugs gegen eine Finanzanlagenfirma. Darin wird angeführt, dass ein Mensch namens Edgar van Damme – wie kann man auch so heißen, dachte er – die Gesellschafter eines Immobilienfonds über den Tisch zog. Das Thema »Geschlossener Immobilienfonds« sagte Wachter überhaupt nichts.
»Hat er Euch beschissen, Euch gieriges Volk, ihr wolltet es doch nicht anders. Und jetzt habe ich diese Scheiße am Hals«, dachte er laut und legte die Akte erst mal auf die Seite. »Kommt Zeit kommt Geld« murmelte er vor sich hin.
»Was maulst Du hier rum?« Kollege Branic linste durch seine dicke Brille zu ihm rüber.
»Vergiss es!«, war die einzige Antwort von Wachter.
Nachdem er die Berichte zu zwei abgeschlossenen Ermittlungen geschrieben und mit der Hauspost an die Staatsanwaltschaft geschickt hatte, wandte er sich doch noch einmal dem Fall van Damme zu. Er war zumindest neugierig, was es mit diesen Fonds zu tun hatte. Und er musste noch zwei Stunden bis zum Feierabend rumkriegen. Also ab ins Internet, diesem allwissenden digitalen Moloch. Unter dem Suchbegriff »Geschlossener Immobilienfonds« fanden sich mindestens hundert Einträge. Wachter fing einfach oben an und klickte auf den Ersten: www.finanztreff.de.
»Was ist ein Geschlossener Immobilienfonds?
Der geschlossene Immobilienfonds definiert als Investitionsgegenstand ein bestimmtes Immobilienobjekt, dessen Erwerb, Betrieb und abschließende Veräußerung im Mittelpunkt der unternehmerischen Tätigkeit der Fondsgesellschaft steht. Bei dem Objekt kann es sich sowohl um einzelne Immobilien, als auch um komplexe Objekte handeln, wobei diese verbindlich fixiert sind, bevor damit begonnen wird, Investorengelder einzuwerben. So ist sich der Anleger bereits bei Zeichnung entsprechender Anteile darüber im Klaren, in welchen Gegenstand konkret investiert wird. Er hat somit die Möglichkeit, unter unzähligen Angeboten am Markt diejenigen zu identifizieren, denen er die höchsten Erfolgsaussichten zuschreibt. Die Bandbreite reicht hierbei von attraktiven Wohnimmobilien, über Geschäftsobjekte, bis hin zu speziellen Projekten, wie etwa Hotels, Ferienanlagen oder Immobilien, die im Zusammenhang mit Heil- und Pflegeaufgaben stehen.
Grundsätzlich steht der kostengünstige Erwerb eines geeigneten Objektes am Beginn der unternehmerischen Tätigkeit der Fondsgesellschaft. Hierbei werden Markt- und Standortanalysen ebenso einbezogen, wie gutachterliche Aussagen renommierter Immobilienspezialisten. Im weiteren Verlauf der Fondsaktivität geht es nun um den möglichst wirtschaftlichen Betrieb des angeschafften Objektes. Wenn nötig, so werden in dieser Phase weitreichende Optimierungen in Bezug auf den Gebäudezustand, die Mieterstruktur und das Nutzungskonzept durchgeführt. Entsprechende Maßnahmen steigern sowohl die Gewinne, die während der Betriebszeit vereinnahmt werden können, als auch die Verkaufschancen am Ende der Anlagezeit. Der abschließende Verkauf, zu möglichst vorteilhaften Konditionen, steht hier grundsätzlich im Mittelpunkt des Fondsinteresses. Der Anleger profitiert sowohl von den laufenden Einnahmen, als auch von dem Schlussgewinn der Fondsgesellschaft. Interessierte Anleger sollten entsprechende Projekte vorrangig über den Gebäudestandort, die Anschaffungskosten, den Vermietungsstand, die Mieterstruktur und die Veräußerungschancen beurteilen, um so ein optimales Anlageobjekt zu identifizieren und zu zeichnen.«*
*Aus www.finanztreff.de
Wachter hatte nun zumindest mal ein erstes Basiswissen über das Thema. Er suchte weiter und fand neben vielen anderen mehr oder weniger informativen Artikeln zum Schluss auch den folgenden unter test.de.
»Anleger geschlossener Fonds haben das große Los gezogen, so scheint es. Sie beteiligen sich an Unternehmen, denen Bürotürme, Windräder und vieles mehr gehören und kassieren dafür ordentlich Geld. In den Prognosen stellten die Anbieter Renditen von bis zu 10 Prozent pro Jahr in Aussicht. Das kam bei Geldanlegern gut an. Sie investierten in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Milliarden Euro in Sachwerten. Für Emissionshäuser und Vertriebe war das ein Erfolg. Für Anleger meist nicht. Nur wenn sie großes Glück hatten, erwischten sie einen Fonds, der seine Prognosen einhielt. Im Schnitt haben nur 6 Prozent der geschlossenen Immobilien-, Umwelt-, Schiffs- und Medienfonds ihre Gewinnprognose erfüllt – gemessen am investierten Anlegergeld. Weitere 25 Prozent haben ihre Prognose verfehlt, aber wenigstens noch die Gewinnzone erreicht. Satte 69 Prozent schafften das nicht. Sie bescherten Anlegern Kapitalverluste. Das ist das enttäuschende Ergebnis einer Finanztest-Untersuchung von 1139 geschlossenen Fonds, die seit 1972 bis heute aufgelegt wurden.« *
*Aus Stiftung Warentest www.test.de
Er hatte nur Bruchteile der ungeheuren Menge an Informationen kapiert, aber so würde ein solcher Fonds also funktionieren, dachte sich Wachter, und lehnte sich, laut ausatmend, in seinem neuen, »ergonomisch optimierten« Bürostuhl zurück. Er fühlte sich noch nicht wohl darauf, ein neuer Schreibtisch wäre weit sinnvoller gewesen. Wachter verstand Leute nicht, die ihr Geld in solch fragwürdige und praktisch nicht kontrollierbare Geschäfte steckten. Die Gier ist es, die sie blind macht. Die Gier nach Rendite, immer mehr Rendite. Nun ja, wenn er es sich genau überlegte, war die möglicherweise zu erzielende Rendite natürlich schon um ein Vielfaches höher, als das, was in der Bankenkrise mit konventionellen Anlagen zu erreichen war.
No Risk, no fun, er schmunzelte vor sich hin, von sich selbst wegen dieses englischen Sprichworts begeistert. Wobei er sonst Anglizismen vermied wie der Teufel das Weihwasser. Meetings, Keynotes und der ganze Quatsch. Warum konnten diese Wichtigtuer in den oberen Etagen nicht deutsch reden. Wo sollte er anfangen? Diese Überlegung erübrigte sich allerdings im selben Moment, als ihn sein Handy mit einem hässlichen Kreischen störte.
»Dieser blöde Klingelton« schimpfte er und meldete sich muffig. »Wachter?«
»Hallo Herr Wachter, hier ist Doktor Stockmann. Könnten Sie kurz zu mir rüber kommen, wir sollten etwas klären« schallte es ihm entgegen.
»Ja ich komm‘«, antwortete der Kommissar und drückte das Gespräch weg. Was der wohl will, dachte er und stemmte sich aus seinem Stuhl hoch. »Ich bin mal beim Doktor«, rief er Branic zu.
»Was fehlt Dir, bist Du krank?«
»Nicht zum Arzt, Du Depp, zum Stockmann.«
Branic lachte nur als Antwort.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Büros im gleichen hässlichen Sechzigerjahre-Gebäude des Stuttgarter Präsidiums, allerdings zwei Stockwerke über Wachters Abteilung. Er schnaufte die Treppen hoch, da er mit dem Aufzug erst ab mehr als vier Etagen fuhr. Er hasste die engen Kabinen von Lifts und ein wenig war Treppensteigen gut für seine Fitness. Er klopfte nur kurz an der Tür zum Büro des Oberstaatsanwalts und öffnete ohne eine Antwort abzuwarten.
»Hier bin ich.«
Stockmann schaute von seinem Laptop auf. »Setzen Sie sich, Herr Wachter. Wie geht es sonst? Kommen Sie klar mit Ihren Fällen? Die Sache mit dem Totschlag haben Sie ja blitzschnell gelöst, meinen Glückwunsch!«
Wachter verzog nicht mal das Gesicht und blieb stumm.
»Herr Wachter, ich habe ein Anliegen. Sie haben doch die Anzeige wegen der Immobilienfonds auf den Tisch bekommen. Ist doch so, oder?«
Stockmann schaute Wachter fragend an.
»Ja, aber erst heute« antwortete dieser, »noch liegt sie auf dem Stapel.«
»Gut so, und da lassen Sie sie im Moment auch liegen. Die anderen Fälle haben absoluten Vorrang.«
»Ich habe sonst aber gar nichts so Wichtiges.«
Wachter blickte Stockmann irritiert an. »Herr Wachter, das kommt von oben. Also lassen Sie den Fall einfach liegen, oder besser noch, bringen Sie die Akte nachher zu mir, ich kümmere mich dann darum, bis es wieder weitergehen kann. Haben wir uns verstanden? Sie sind vorläufig draußen aus der Sache. Vielleicht können Sie auch mal wieder Überstunden abbauen. Danke und Tschüs.«
Sprach es und wandte sich demonstrativ seinem Laptop zu. Wachter stand genauso stumm, wie er gekommen war auf und verließ den Raum. »Arschloch« dachte er. Es ging also um einen Großen. »Da hackt eine Krähe ..., na ja, mir soll es egal sein.« Vor sich hin brummend stieg er wieder die Treppen hinab.
»Branic, kannst Du schnell dem Stockmann die Akte von dem van Damme bringen? Diesem Finanzmenschen. Sie liegt auf meinem Schreibtisch. Ich muss dringend pinkeln gehen.«
Branic stöhnte, schnappte sich aber den Aktendeckel, schaute nicht mal darauf und ging grinsend zum Büro raus. »Brauchst Du bald Windeln, so oft wie Du pinkelst, wirst halt doch langsam alt.«
Auf diese Sprüche reagierte Wachter schon lange nicht mehr, er winkte ab
Dr. Stockmann sagte nur kurz danke, als Branic die Akte ablieferte. Er machte einen abwesenden Eindruck. Van Damme hatte ihn im Griff, das Schwein. Vor einer Woche war der plötzlich vor seinem Gartentor gestanden, als der Staatsanwalt seiner zweiten Leidenschaft frönte, dem Grillen. Stockmann kannte van Damme, allerdings nicht näher, sondern nur von zwei Veranstaltungen, auf denen sie sich kurz zufällig getroffen hatten und vom Golfplatz.
»Das riecht ja schon verlockend«, hatte van Damme gerufen.
Stockmann wusste nicht, was er mit diesem unangekündigten Besuch anfangen sollte. »Ja danke, ich bin gerade mittendrin.« Er versuchte, diesen Finanzmenschen abzuwimmeln, er hatte keine Lust, sich seinen Grillabend versauen zu lassen.
»Keine Sorge, ich will Sie nicht stören, nur kurz etwas mitteilen. Könnten Sie kurz herkommen, ich möchte nicht schreien.«
Stockmann lief zögernd zum Gartentor. Im Gegensatz zum Golfplatz sprach ihn van Damme jetzt mit Sie an.
»Herr Dr. Stockmann, ich sage nur noch einmal, ihr feiner Sohn und meiner dealen mit Drogen. Mir ist das gleich, aber Ihnen dürfte das auf den Magen schlagen, in Ihrer Position. Und dass Sie auf gewisse Praktiken mit schwarz gewandeten bösen Damen stehen, sollte doch auch besser unter uns bleiben. Oder etwa nicht. So, nun wünsche ich guten Appetit und schöne Grüße an die Familie.«
Mit diesen Worten ließ ihn van Damme stehen, drehte sich um, stieg in den Porsche und fuhr betont gemächlich an. Stockmann stand völlig fassungslos da, unbeweglich, zur Salzsäure erstarrt.
»Bist Du so weit mit der Glut?«, rief seine Frau aus der Küche.
Stockmann fühlte sich elend, hundeelend. Nun wusste er warum. Van Damme hatte ihn in der Hand und er musste versuchen, die Sache aus der Welt zu schaffen. Sonst ... In diesem Moment wurde ihm schlecht und er übergab sich in das Rosenbeet neben der Terrasse, dem Lieblingsplatz seiner Frau.