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XIII

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Das Pferd/Sassanidischer König/Ein Knabe weint/Die anderen Tiere

Die Edelmütigen oder die Geschichte des Sklaven

Perrudja erschrak.

Er konnte erschrecken, weil sein Hirn mit makelloser Genauigkeit arbeitete. Es ging von dem Eiter kein Gift aus, das seine Nerven betäubte. Das einsetzende Fieber verwirrte seinen Geist nicht. Es verdeutlichte nur seinen Zustand, beschwingte die Erkenntnisfähigkeit seiner Seele. Was er dachte, war klar und weiß wie eine Landschaft unter mittäglicher Tropensonne. Es fiel ihm ein: Das Land Afrika.

O Durst, der in den Schlund mir wächst!

Dem Kraut gleich, das verdorrt, bin ich geachtet.

Der staube Wegrand trinkt den letzten Schweiß,

den fahle Sonne aus mir brät.

O Durst, im Mittag stehe ich und warte.

Er wollte die Verse fortführen. Es gebrach ihm an Stoff. Er war das einsame Ich, das an sich selbst unfruchtbar geworden, das erlebnislos. Er konstruierte die Bekanntschaft mit einer Frau. Wonnesame Augenblicke sog er ein. Doch wurde es nicht vergessen, daß der Genuß eine Lüge, eine unirdische Erfindung. Ein Betrug. Daß ein Nebenbuhler, ein Mensch, ein Afrikaner ihn betrügen mußte. Daß er betrogen von Anbeginn. Daß seine Hoffnung der Schmerz. Und seine Erinnerung nur die Mutter zu einem nackten Vers. Daß die Süßigkeit nur im Vorschmack bestand. Und das Ziel des Verses die Auflösung der Süßigkeit war.

O Durst, im Mittag stehe ich und warte.

O tauber Traum! Noch duftet meine Haut

nach ihrem Öl. Mein Lager ist ein Tümpel,

das Bad, darin sie sich gekühlt.

Jetzt duftet sie an andern Brunnen.

O morsche Lust! Zuviel hat sie versprochen.

Ein Fremder droht nun ihren Schoß zu brechen.

»Hjalmar«, sagte Perrudja, »ich fiebere.«

»Ich glaube es, Herr«, war die Antwort.

»Das Fieber ändert nichts an mir, außer mein Herz schlägt hurtiger.«

Er nahm die Hand Hjalmars und legte sie sich über die Herzgrube. Die Knöpfe seines Hemdes waren geöffnet. Des Knechtes Hand wußte nicht, was sie auf der zarten Brust sollte. Sie fühlte wohl die weiche Haut. Aber es ging nichts den Sinnen ein. Er dachte an die Brüste einer Frau.

»Ich bin unbehaart«, sagte Perrudja.

»Ja«, antwortete Hjalmar.

»Ich bin traurig«, sagte Perrudja, »in mir ist es sehr leer, obgleich ich errechnen kann, daß zwölf mal zwölf gleich einhundertvierundvierzig sind, daß eins plus zwei gleich drei, drei mal drei gleich neun und eins plus vier plus vier ebenfalls gleich neun.«

Gegen Mittag sagte Perrudja:

»Es ist sehr anstrengend, was zu denken ich gezwungen bin. Mich quält auch etwas. Es ist eine Geschichte, deren Ausgang ich nicht weiß. Ich habe daran zu lesen begonnen. Die Umstände zwangen mich, daß ich abbrach. Wenn du die Mühe auf dich nehmen möchtest, mir vorzulesen, würde es mir eine Erleichterung bedeuten. Ich selbst würde das Buch nehmen; aber meine Augen verhaken sich in Buchstaben und in einzelne Worte. Wie in ein Gitterwerk. Sie gleiten nicht darüber hin. Und ich wünsche mir doch das Rollen der Meereswogen. Lang und gleichzeitig brechen sie sich, rund gewölbt. Das sind die Sätze. Ich liege am Strande. Man kann es sagen. Das weiße Bettuch hat eine bescheidene Ähnlichkeit mit dem Meeresstrand. Wenn man es nicht genau nimmt.«

Er griff nach einem Buch, das neben dem Bette lag, blätterte darin, murmelte Zahlen, hielt inne, wies mit dem Finger auf einen Druckabsatz und sagte: »Beginne hier.«

»Wie ich nun tief beschämt und zaghaft mich aufrichtete, angewidert von dem faden Geruch des Schmutzes an mir, auch hilflos, weil ich nicht wußte, welcher Richtung Weg meinen unvorteilhaften Zustand entwirren würde, öffnete sich noch einmal die Tür des Hauses ein weniges. Ein dunkler Arm drang durch den Spalt und reichte meinen Mantel hinaus. O Herr, ich nahm es als ein kleines Zeichen des Trostes in meiner bejammernswerten Lage.

Meine Füße trugen mich davon. Ich gelangte vor das Haus meines Bruders. Ich trat über die Türschwelle. Mein Tun war durch keinen Gedanken veranlaßt. Ich war wie Eisen dem Magnet. Die Dichter sagen: Des Rosses Eigenschaft ist das Feuer; des Weibes Eigenschaft ist das Wasser; des Liebenden Eigenschaft aber ist die Luft, denn es gibt kein Hindernis, das er nicht zu durchdringen vermöchte. – Ich kam bis vor das Angesicht der Freundin. Sie erkannte mich. Sie schloß mich in ihre Arme und weinte über meinen Zustand. Sie wandte sich nicht ab, weil ich übel roch; ihr Mitleid war groß. Sie befahl, daß ich gebadet und neue Kleider mir gereicht würden. Nach dem Bade begehrte sie heftig die Geschichte meines Mißgeschickes zu hören. Sie richtete es so ein, daß wir allein blieben. Sie sagte, ihr Gatte sei auf Reisen. Sie bewahrheitete das Wort, daß auch das tiefste Wasser dem Werben des Windes nicht widerstehe. Meine Erzählung entschleierte mein Herz. Und sie fand, es war nicht schlecht genug, ihm die Zuneigung zu versagen. Mitgefühl gebot ihr, den gefährlichen Bezirken meiner Leidenschaft nicht auszuweichen. Meine Lippen und meine Hände waren nicht müßig in der schönen Kunst zu überzeugen. Mein Mund wölbte sich so vollkommen wie niemals vorher und rötete sich tief. Und die Augen bettelten, und die Sprache verstummte. Ich war begehrlich und ohne Scheu und wagte, was der Verstand als tollkühn verworfen hätte. Ich pries mich an. Ich zwang sie, meinen Atem zu schmecken, ihre Stirn gegen meine Brust zu senken. Ehe die Sonne hinab war, hatten wir mehr verliebte Spiele getrieben als die Lagerstatt eines jungen Paares nach den Probenächten zu erzählen vermöchte.

Ich richtete mich während der Abwesenheit meines Bruders in seinem Hause als sein Nachfolger in allen Rechten ein. Keine Vorsicht erschien mir geboten. Ein Eroberer, der einen unbeliebten König verjagt hat, ist nicht unbescheidener im Gebrauch der zugefallenen Macht wie ich es während der knappen Wochen als ungebetener Gast war. Nicht einmal die Abrechnung mit dem Betrogenen scheute ich. Ich floh nicht, als seine Ankunft bevorstand. Die Tränen des reuevollen oder geängsteten Weibes zerblies ich mit flötendem Munde. Ich sagte, einen Bissen würde ich ihm hinhalten, an dem er ersticken müßte. Er kam. Er sah mich. Er umarmte mich als seinen Bruder. Durch die Diener erfuhr er, daß ich das Gastrecht mißbraucht, seinen Besitz nicht geachtet, seine Ehre und sein Glück zerstört. Selbst nahm er wahr, daß ich, schier grundlos, meine Anwesenheit ausdehnte, frech mit zweideutigen Reden mich ihm stellte. Ich verdarb ihm den Genuß an den Speisen. Er fürchtete Gift. Ich verdarb ihm die Sucht nach seinem Ehebett. Er fürchtete Dolche. Er begriff, daß ich ihn zwingen wollte, mich anzureden um Rechenschaft. Er ahnte eine Schwäche bei sich. Er erklärte meinen Mut mit seinen geringen Kräften. Ich weidete mich daran, daß seine herrliche Gestalt einschrumpfte an der Last seines Herzens. Ich war grausam. Ich gab den Dienern Befehle über seinen Kopf hinweg. Mit zärtlichen Berührungen umlohte ich sein Weib. Bis er sprach. Bis sein Mund überging in Schmerz und Groll und Scham. Und ich antwortete ihm. Die Eide und Verfluchungen höhnte ich in seine Ohren. Vielleicht war er klug und erkannte, daß ich, so sprechend, alle Rechte verausgabte; daß ich die Lüge mit dem Gewande der Unschuld und Reinheit umgab; wie ein Händler um einen längst verfallenen Schuldschein stritt. Vielleicht war er gerecht und fand seinen Kummer nicht ärger als den meinen. Er antwortete mir: »Wir haben einander geschadet. Ich habe genossen und deine Lust vergällt. Du hast genossen und meine Lust vergällt. Wir haben unsere Angelegenheit geordnet schlicht um schlicht. Doch das Weib, dem ich nichts zugefügt hatte, hat meine Ehre besudelt.« Und schwieg. Und fügte hinzu: »Und die Frucht ihres Leibes unbekannt gemacht.« Und schwieg. Und fügte hinzu: »War es möglich, die Ehre, die nichts mit meinem Glück, nur mit den Ohren und Augen meiner Nachbarn zu schaffen hat, zu zerstören, muß auch ein Weg sein, sie wieder aufzubauen. Denn die Ohren und Augen sind neugierig. Das Weib wird sterben; und du wirst von dannen ziehen.«

»Sterben«, fragte Perrudja.

»Von dannen ziehen«, sagte Hjalmar.

»O Herr, der eisige Hauch einer erschöpften aber unerbittlichen Stimme überwand mich. Ich begann zu winseln. Mein Leben war plötzlich so bar allen Glückes. Daß ich die Süchte nicht begriff, die mich getrieben und weiter am Dasein erhielten. Der dumpfe Schmerz der Heimatlosen durchseuchte mich, die neidisch ihre Gedanken an den Rauch jeden Herdfeuers verlieren. Und den Geruch des Zaumzeuges von Pferden schwer ertragen, weil Stalldampf daran haftet. Und die Erde küssen, die ihnen nicht gehört. Und Kindern mit hohler Hand die Augen bedecken, weil sie selbst keine gezeugt. Ich erbot mich, das Sühneblut zu vergießen, wenn das Weib geschont würde.

Es ist mir nicht bekannt geworden, o Herr, ob mein Jammer den Bruder anrührte. Er sagte nur, daß er das Haus verlassen werde. Daß er sieben Tage lang, eine Stunde vor Mitternacht, einen Gedungenen senden werde mit dem Auftrage, einen Dolch in das Ehebett zu stoßen. Der Mann und das Eisen würden nicht fragen, in wessen Fleisch sie getroffen. Doch müßte die Handlung der Vergeltung wirkungslos bleiben, wenn nicht das Weib im Bette gefunden würde. Nicht länger ausüben das grausame Handwerk würde der Schlächter, wenn vor seinen Füßen am Eingang zur Kammer ein Leichnam sich fände. In der achten Nacht würde der Bruder, er selbst kommen. Und wäre inzwischen kein Betrug geschehen, das Weib am Leben, werde aus seinem Innern ausgemerzt sein die Schmach. Vergessen, daß das Gefäß seines Glückes gläsern. Er werde sein Hirn regieren lernen. –«

»Schlächter«, sagte, als ob seine Gedanken über die Sterne hinaus kreisten, Perrudja, »ich habe mein Hirn regieren gelernt, Hjalmar. Wie kann der Mensch leben, wenn das Erinnern sein Unglück zur unvergänglichen Gegenwart macht? Wir schlafen. Und jeder Abend ist ein anderer Abend. Der nach vierundzwanzig Stunden. Die einen vergessen nach einem Jahr, die anderen nach einem Monat, die dritten nach sieben Tagen, die Auserwählten nach vierundzwanzig Stunden. Und was auf dem Sieb des Gedächtnisses bleibt, ist die geschminkte Lüge. Die willfährige Hure. Die Parteilichkeit unseres Karakters.«

Und die Kreise stiegen wie Blasen von ihm auf. Und er wußte nichts mehr von ihnen.

»Er ging von mir. Ratlos blieb ich zurück. Ich hatte seine Rede nicht gut begriffen. Allmählich verdeutlichte ich mir die Meinung. Und daß ein Weg mir zugestanden, die Geliebte zu retten. Es kam die erste Nacht, die ich in dem reich duftenden Bett freudlos verbrachte. Die warme Haut der Geliebten rührte mich nur zu Tränen. Und die Küsse meiner Lippen waren kühl und trocken. Die schwellenden Brüste und Schenkel der Unvergleichlichen waren die Ursache meiner Klagelaute. Die Süße der Liebe war ganz in Bitterkeit verwandelt. Die Finsternis, die allein unsere Retterin hätte sein können, fürchtete ich. Meine Augen gierten nach Licht, weil meine Phantasie die Dunkelheit mit Mordwaffen angefüllt wähnte. So stellte ich fern vom Bett eine Ampel auf, daß meinen Blicken des Mörders Tun nicht entginge. Und er kam. Schleichend. Der Türspalt entließ ihn ins Zimmer. Er suchte die Lagerstatt. Seine Hände waren kahl und braun. Um den Leib war er fest gegürtet mit einer roßledernen Weste. Sein Oberkörper war entblößt und glänzte ölig. Die Arme waren gepanzert mit pergamentenen Schuppen. Wie die Haut eines Krokodils. Doch weißlich und wächsern. Und er war groß an Gestalt. Und ohne Gesicht. Nur ein Grinsen war ihm gegeben. Er ließ es spielen, als er das Weib erblickte. Eine Hand streckte er aus nach den unverborgenen Hügeln der Brüste. In der anderen sah ich ein Blitzen von Stahl. Ich wollte schreien; doch schrie ich nicht. Ich war ohnmächtig; doch bewegte ich mich. Mit meinen Schultern warf ich mich in die Bahn der Waffe. Ein Schmerz. Ein kaltes Knirschen. Eine Leere in der Milz, als wäre der Nabel mir ausgelaufen. Ein klebriges Naß schien sich ins Bett zu ergießen. Ich schämte mich fröstelnd, weil mein Erinnern trübe geworden; und mein mattes Herz nicht bänger des Weibes Schicksal zu wissen begehrte. Allmählich begriff ich, daß mein Blut die Laken rot besudelt hatte. An meinem Rücken klaffte eine Wunde. Der Geliebten Fleisch war unberührt.

Es kam die zweite Nacht. Sie glich der ersten. Doch war die Furcht verdoppelt. Die Wunde meines Rückens schmerzte. Die Kraft eines Armes war gelähmt. Ich war plump in meinen Bewegungen. Ich war nicht sicher, ob ich geschickt genug mich vor den Blitz des Eisens würde werfen können, um das Herz der Geliebten zu schützen. Mit dem unnatürlichen Mut eines Fiebernden gelang es mir ein zweites Mal. Ich stieß mich in die Luft hinein und fiel zu Boden wie ein zerklaffter Schild. Bewußtloser als am ersten Abend.

Es kam die dritte Nacht. Meine Schwäche hatte in schlimmer Weise zugenommen. Ich vermochte nichts gegen das Zittern, das meinen Körper schüttelte. Ich fürchtete nicht Schmerzen, nicht neue Verstümmelung, nur die Ohnmacht beim Anblick des Schlächters. Ich wünschte, daß sein Messer meine Rippen durchdringe und das Herz oder die Nieren fände. Aber auch in dieser Nacht schälte es Schwarten von meinen Rippen. Und schonte die Eingeweide.

Es kam die vierte Nacht. Das Weib hatte mir kräftigende Speisen eingeflößt, Brühe und Wein, Eselsmilch und Enteneier. Aber ich lag da, nicht fähig den Wunsch meines Geistes zu erfüllen. Ich weinte. Und verfluchte mich, daß ich nicht gestorben. Und ein jähzorniger Haß stieg in mir auf, wie ihn nur der Entmannte kennt. Aber ich wußte nicht, wen ich haßte. Denn ich haßte mich. Ich schob meinen Oberkörper über die Brüste des Weibes und wartete auf den Streich des Mörders. Und er kam wie alle Nächte vordem und schonte mich nicht.

Es kam die fünfte Nacht. Mein Rücken war zerfleischt und fast enthäutet. Er begann eitrig zu gären. Ich schrie vor Angst bei dem Gedanken, daß das Messer erneut an ihm schneiden würde. Ich tauchte in den schlammigen Strom des Fiebers unter. Ich flehte das Weib an, einen anderen Körperteil opfern zu dürfen. Die Brust. Die Freundin bangte um mein Herz. Den Bauch. Ach, die süßen Eingeweide. Den schwellenden Teil meiner Oberschenkel. Sie dachte gewiß dasselbe wie ich: Fleisch und Knochen. So verbarg ich ihren Leib mit dem fetten gespaltenen Muskel. Der Mörder kam. Wurde er im Halbdunkel getäuscht? Glaubte er das Weib allein? Hielt er das üppige Fleisch für die köstlichen Brunnen? Er stieß mit seinem Dolch.

Und der Dolch fuhr tief. Und ich schrie, aus einer Ohnmacht erwachend. Und sank wimmernd ins Bewußtlose zurück. Meine Krankheit war schlimm. Mein Blut war wässerig geworden. Die Geliebte schien dem Mörder preisgegeben. Denn ich war ein stinkendes Stück Holz ohne Bewegung. Da ich unfähig war, plante sie. Verwarf. Plante erneut.

In der Nacht riß sie die Verbände von meinen Wunden, daß sie erneut aufbrachen. Sie legte mich, blutüberströmt, unbekleidet vor die Kammertür. Der Mörder kam zum sechstenmal. Er stieß mit den Füßen gegen mich. Er beugte sich über mich. Er betrachtete mich. Er hob mich auf, trug mich auf die Straße. Er ging einige Dutzend Schritte mit mir fort. Dann warf er mich von seiner Schulter herab in den Kot. Und verschwand. Als er davongegangen, und ich die Kälte der Nacht deutlicher spürte als die Schmerzen der Zerfleischung, war es mir, als ob eine andere menschliche Gestalt heranschliche. Und eine zweite. Und eine dritte. Ich wollte an den Bruder denken; an die Geliebte; an den Vater. Aber sie blieben Schatten. Unbekannte waren es, die mich aufhoben und davontrugen. Als die übergroße Kraftlosigkeit von mir gewichen, die Starrheit meiner Glieder sich zu lockern begann, meine Sinne wieder erwachten, erkannte ich, daß ich gebettet lag. Ich hörte den Ton einer Stimme, die mir bekannt war. Die Hure stand an meinem Lager und sprach: »Es gibt niemanden so gering, daß seine Freundschaft in der Not nicht einen Vorteil zu bieten vermöchte.« Meine Augen wurden feucht, und ich antwortete: »Du hast mich vom Tode errettet.« Sie sagte: »Liebe ist die Mutter des Hasses; er ist zäher und verschlagener und selbstsüchtiger als die Liebe; er mißbraucht die Freundschaft, wie es die Liebe tut; er will einen Taumel, der den Freuden der Liebe nicht nachsteht. – Du erntest, was sich in den beiden Sprüchen ausdrückt. Du hast mein Herz nicht geschont. Darauf wird eine Antwort gegeben. Gnade würde meinen Karakter nicht zieren und deine Unklugheit nur fördern. Ich habe gelernt zu sehen, wer ich bin und wie alt. Es gibt keinen Verstoßenen, der dem Anstifter seiner Hoffnungslosigkeit vergibt. Da ein anderer mir vorweg nahm, deinen Tod zu wünschen, zum wenigsten doch dein wollüstiges Fleisch strafte, werde ich dich in Unfreiheit bringen. Verkaufen will ich dich, nachdem deine Wunden vernarbt sind. Um die Zukunft dir lästig zu machen; daß dein Hochmut zuende gehe an der Pflicht zu gehorchen. Schon um des Unbequemen willen warst du bereit zu verraten. Darum soll das Erniedrigende dir munden werden. Was du, entselbstet, nicht mehr belächeln kannst, wird zu ertragen schlimmer sein als das Sterben. Und das Recht, dein Los zu bestimmen ist bei mir. Denn das Gesetz sagt: Den Sklaven erwirbt man durch Kauf oder durch Erretten vom unabwendbaren Tode. – –«

O Herr, sie sagte noch viele Worte, die leichter zu sprechen als anzuhören. –«

Der Knecht wuchtete seine Stimme schwerfällig von Satz zu Satz, buchstabierte sich durch ungewohnte Meinungen und Wortstellungen hindurch, eiferte mit heiligem Ernst, gemäß dem vorgeschriebenen Ablauf für das traurige Schicksal des Helden. Perrudja aber hörte nicht mehr. Er hatte die Augen geschlossen. Ihm war der Ort entglitten, die Stube mit der braunen Balkendecke. Und das Wort, das bedeutungsvoll aus einem ungeübten Munde kam. Er wurde an andere Stätten geführt. Und es erwies sich, daß diese Welt viele verborgene Kammern besaß. Diamantene Paläste auf dem Grunde der Ozeane. Gewölbte Höhlen in den Felsmassiven. Fjorde, in die man einfuhr und die kein Ende nahmen; die südlich die Heimat von Negern und Elefanten durchschnitten. Die nördlichen Berge waren weiß und durchsichtig, aus Quarz, die Heimat Afrika aber blaue korundene Wüste, Klippen aus schwarzem und grünem Basalt. Am Ende gerannen die Wunder der Welt und schrumpften ein. Und waren ein winzig kleines Bild in Glasfluß. Ein kostbares Stück seiner Emaillesammlung. Er erwartete jemand. Vielleicht eine Frau. Gewiß nur war er für sie der Verwalter der Kostbarkeiten. Sie war die unbekannte Bekannte der vor vierundzwanzig Stunden.

Ein Tag ist kurz. Der zweite Tag gebiert die unendliche Entfernung. Ich habe das Gesicht meiner Geliebten verloren. Mir ist, als hätte ich sie niemals anders als in tiefster basaltener Nacht angeschaut; wo sie doch nicht sein konnte, außer in meinen Händen. Meine Hände aber wechseln ihre Haut nach Ablauf eines Tages. Die Vergangenheit ist ein Schlaf.

Aus Abend und Morgen war ein neuer Tag geworden. Darum beschäftigte ihn eine neue Erscheinung, die keine Beziehung zu einem Voraufgegangenen hatte. Das Einmalige war in den Fieberträumen seine Verdammnis. Es sollte ein spitzbogiges Fenster mit einem Gitterwerk verschlossen werden in schönen durchbrochenen Formen aus Marmor oder Metall. Die Leibungen, die Tiefen der Mauerbogen durften nicht leer neben der Pracht stehen, vielmehr mit ihrem Vorkragen und Zurückspringen hinleiten auf das eingerahmte Kunstwerk höchster Harmonie, dessen verwirkte Muster zu einer Ruhe, zu einem Kreis sich schlossen. Sonnenkugel. Es griffen Zacken und Blattwerk, Spiralen, Fischblasen, Erhöhungen und Vertiefungen ineinander. Tiere sprangen vor, Lotosblumen brachen auf zu fleischigen Sternen. Luft und Schatten verwoben sich zu einem Teppich. Daß der Wind, der aufkam, eine Melodie darauf singen konnte, die aus dem Nichts sich heranschlich und in die Ewigkeiten gegeben wurde; in die vor vierundzwanzig Stunden. Mit verdämmernden Augen löste Perrudja die Aufgabe. Riß er die Lider weit auf, war alles zerronnen. Er sah Hjalmar.

Ach, ich schwitze. Er wird schlecht von mir denken. Mein Geruch ist lästig.

Er verlor in den schlimmsten Tagen des Krankseins nicht ganz die Gewalt über seinen Geist. Er dachte zuweilen an den Knecht, daß er ihn beneide.

Er klagte Gott nicht an.

Es waren böse Augenblicke der Demütigung, wenn er, gegen Hjalmar gelehnt, die Bedürfnisse seines Leibes verrichtete.

Sein Mund, sein Schlund zerfielen zu Eiter, den er müde, unfähig sich zu erheben, schluckte. Dann wieder erbrach der Magen die Fäulnis. Große Bottiche voll eitrigen Schleims erbrach er. Seine Verdauungsorgane schienen an dem Gift der Zersetzung zu sterben. Sie erschlafften in Trägheit, erstarrten zur Unbeweglichkeit. Sein Bewußtsein blieb wach. Er fand, daß sein Bauch aufgebahrt lag wie auf einem Totenbett. Nichts darin schien sich zu rühren. Selbst der Herzschlag ging an der Betäubung der Fäulnis zugrunde. Da nistete sich Furcht beim Sitz der Seele ein.

Das ist Perrudjas Bauchleichnam, hörte er eine Stimme.

Die Furcht nahm zu, weil keine Schmerzen in dem Toten aufkamen. Schmerzen gab es nur im Mund und in der Speiseröhre. Zuweilen trank er mit Wasser gemischten roten Wein. Sobald er das Glas an die Lippen brachte, verfärbte sich die Flüssigkeit, verbrannte zu einem trüben Schwarz.

Die Tage wuchsen zu Wochen an. (In jeder Nacht erschien der Mörder.) Das Antlitz Perrudjas wurde wächsern; die Augen groß; der Mund eine Borke; die Hände sich häutende Krankenhände, bleich und mager, sehr sauber, aber ständig feucht. Die Brustwarzen, kleine Örestücke, lagen auf einem Gerippe. Der Nabel war groß, weil der Bauch schmal und eingefallen, nur über der Magengrube gebläht. Die Schenkel waren ein Nichts, geringes Bein und wenig Fleisch. Nacht für Nacht war Hjalmar zu ihm ins Bett gekrochen, hatte gesund neben dem tauben Leib des Kranken gelegen. So oft der Schatten des Auslöschens in die Stube kam und an das Bett des Verfaulenden trat und zugriff, faßte er an den gesunden braunen kräftigen Körper des Knechtes, über den behaarten straffen Bauch mit tiefem Nabel, der seine Schuldigkeit tat und den Menschen, verdauend, erhielt – wandte sich ab, enttäuscht, am falschen Platze zu sein. Der Gesunde fühlte die Berührung. Schaudernd wälzte er sich auf die Seite und versuchte, seine unbeschützte, nur mit dünnen Muskeln überspannte Leibeshöhle vor den kalten Händen eines Unbarmherzigen zu bewahren, indem er Rippen und Wirbel seiner knochigen Rückseite ihm zuwandte. Wie ein Hund lag er, auch den Mund, die Nase in feste Hände vergraben. Da schnurrte es eisig an seinem Rücken entlang, bohrte, als wolle es in saure Nieren einbrechen. Es ging vorüber. (Mörder.) Würde nun die Reihe an seinem Nachbarn sein? Würde der Herr sterben? An seiner Seite, ohnmächtig, kalt werden, doppelt verwesen? (Es war gut, die Geschichte des Sklaven gelesen zu haben.)

So verging die Dunkelheit der bängsten Nächte. Des Morgens verscheuchte die brennende Talgkerze die Würgenden in ihre heimlichen Verstecke.

Einige Wochen nach Neujahr kroch eines Tages gegen Mittag Perrudja von der Lagerstatt, um sich anzukleiden auf eine Stunde. Hjalmar half ihm mit plumpen doch willigen Handbewegungen. Nach vielen Pausen voll schwindliger Mutlosigkeit war es getan. Der Herr stand zitternd auf schwachen Füßen.

Die ihn nicht tragen mochten. Er sah auf den Knecht. Machte einen mühsamen Schritt hin zu ihm. Umarmte ihn. Und küßte ihn mit kalten aber sehr neuen Lippen auf den wulstigen feuchten Mund. Er wollte den Tribut an den halbwilden behaarten Körper, der ihn errettet, nicht unterschlagen. Liebe, Verzicht, Ohnmacht, Dank, Verworfenheit, Anklage in dem Kuß. Hund, der die Hand seines Wärters leckt.

Noch monatelang schlief der nur langsam Genesende unter dem Schutz des Knechtes ein. Die Nähe des Starken machte ihn ruhig, zuversichtlich für die Nacht, in der er, des Willens beraubt, den Zufällen der Ängste und Tränen, heimlichen Giften, ersterbenden Gliedmaßen ausgesetzt war. Und die Namen Herr und Knecht wurden mit anderer Bedeutung erfüllt. Eine Festigkeit und Kraft aus eigenem Vermögen war bei dem Dienenden antag gekommen; Perrudja hatte an Selbständigkeit Einbuße erlitten. Er war in seinem Wesen verändert. Seine Wildheit war gebrochen, seine Feigheit gewachsen. Einsamkeit erschien ihm das Tor aller Finsternisse.

Allmählich nahm er wieder zu an Körperkräften. Er söhnte sich mit Shabdez aus. Durchstreifte reitend wieder die buschige Hügellandschaft der Granitkuppen. Erlebte den Frühling diesmal in allen Graden einer halbtraurigen Betäubung und Verworrenheit; meist müde erregt an der Sonne, sie trinkend mit Trägheit; wunschlos, dabei unerlöst in allen verschütteten Kräften seines Seins. Er war weniger geworden. Es war von ihm abgenommen worden. Er wußte nicht, wohin es gegeben worden war.

In den vor vierundzwanzig Stunden liegt es. Ich aber kann nicht zurück. Wir können nicht einen Schritt in der Zeit zurück. (Am Leben nach der Schindung, doch Sklave.) Des Menschen Zuflucht ist der Ort. Der Ort ist seine Heimat. Darum weinen wir um einer Heimat willen, die doch ein Nichts ist, ein Geringes, eine Stätte, die sich verändert. Unsere Hoffnung ist der Mitmensch, daß er mit uns gehe in den Jahren und unser Bett zu dem seinen mache. Wo wir allein schlafen, sind wir ohne Heimat. Wo wir zu zweien schlafen, hat uns die Traurigkeit nicht. Es entschied sich: Hjalmar würde den Dienst bei Perrudja nicht wieder aufgeben. So mußte sich das Haus dehnen. Perrudja plante. Hjalmar erhielt durch zweideutige Reden das Erwägen influß. Er kündete von Zeit zu Zeit Vorschläge für eine zweckmäßige Bewirtschaftung des Haushaltes an, war aber sehr zurückhaltend mit genauen Beschreibungen. Eile mit Weile. Er zog noch, angeblich, Erkundigungen ein. Ging oft zutal. Eines Abends endlich erklärte er sich bereit zu allen Aussprachen.

Perrudja

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