Читать книгу Perrudja - Hans Henny Jahnn - Страница 7

III

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Dann kam ein Tag, weh, wild, als wäre Gott nur Stunde und Wetter geworden. Alle Seele wurde Zustand und Wandlung der Natur. Nächtlich begann es. Die Nacht wurde überschwarz von Westen her. Auf den Boden nieder von oben herab kroch das Schwarze, stürzte sich aus den Himmeln in die Wälder, Täler. Die Sterne erstarben. Mond war nicht. Und eine faule, unerträgliche Wärme kam mit der Finsternis. Und ein Wind kam, der sich wie Sturm gebärdete; aber es war ein fauler, scheußlicher Sturm, ein toter Sturm, der stank. Widerliche Brühe in seinen Zähnen.

Da begann ein Seufzen, ein Jammern, ein Knarren, Biegen, Grollen. Überall Geräusch, und doch nirgendwo eine Ursache. Die Tannen bogen sich. Doppelt schwer wurde die Schneelast. Bäume, die bis dahin die eisige Verkleidung getragen, jetzt barst es sie entzwei. Ihr stolzes Haupt brach, die Zweige, an denen sie blühen wollten, violett und rot und grün und schwefelgelb geil, ihre Glieder, ihre kostbarsten, brachen jetzt. Und woher die Schwere? Noch regnete es nicht. Faulige Wärme. Verwesung vor der Hochzeit. Der Tod kam über die Letzten, die ihm im Winter gereift.

Perrudja lag im Bett, als das Leiden des Frühlings begann. Er hörte es in den Bergen poltern, hörte das zittrige Wimmern der Bäume. Was war die Erlösung derjenigen, die den Schnee abwarfen, gegen die Trauer der anderen, die zerbrachen! Der Schnee von den Kiefern fiel auf Perrudjas Herz, das pochte und glühend war. Gespensterfurcht packte ihn. Sein Hals engte sich. Ziellos, verworfen, weinend, nicht betend, gottlos, verkrampft, ohne Hoffnung lag er da in vollkommen lichtloser Nacht, ohne Fortgang der Stunden. Das Rauschen wurde stärker. Schnee häufte sich am Boden. Das Holzwerk des Hauses knarrte. Wind kam zu unheimlichen Lauten. Nebel umklammerte feucht alles Räumliche. Wurde Regen endlich. Unsichtbarer Regen, wie Speichel und klebrig. Ach, schrieen die Bäume und husch. Hasen und wilde Hühner verschüttete es. Dann brach es in den Bergen los. Donner. Steine, Eis, Schnee wälzten sich zutal. Bäume, Tiere, Steine starben den ihnen bestimmten Tod. Vergehen in Schwärze, in Feuchtigkeit. Die Finsternis wurde Lärm, Geister erwachten, die alten Götter, Gespenster nur, ohne die Macht zum Segen, Kraft nur zum Peinvollen, Leidbereitenden, umtosten die nördlichen Länder. Meer und Erde flossen ineinander. Während die Bergabhänge sich mit qualmig erstickender verbrauchter Luft tränkten, peitschten Eisschauer riesige Schneeballen ins Meer. Hier war Sturm. In den Skaeren Gischt, Heulen, Nebel, Hagel, rasendes Sprühen.

Die Schiffe auf dem Ozean, wer gedachte ihrer? Sie scheiterten oder überstanden. Da, wo der Tod einschlug, ging es wie mit eiserner Gesetzmäßigkeit zu. Am Abend noch hatte man gefischt. Leichen über Leichen. Fische nur, Eingeweide und Blut, Gestank der See. Knechte, beschürzt, rissen auf, Blut, Eingeweide, rote Kiemen. Stiefel zerquetschten Blut, Fischaugen. Daß die bleichbunten Leiber zappelten, nicht einmal die Meergötter sahen es. Die dummen Untertanen kämpften letzten Kampf, ungesehen, letzten Todeskampf, nur mit ihrer stummen, machtlosen Seele. Flossen vermögen nichts. Verwelkende, ausfallende Augen vermögen nichts, letzte Pein der Zerstückung vermag nichts.

Der Anbruch der Nacht war mit Ruhe gekommen, und die Stunden blieben ruhig – bis es plötzlich irgendwo in Masten, Takelage, an Schornsteinen riß. Unruhe, Laute gebaren sich selbst. Bewegung begann. Das alles begab sich wie von Anbeginn, nur wuchs es an, wuchs an, einfach, sachlich, nachdem es einmal geweckt. Über Fischleichen, über Tran, Geräte, Menschen, Licht, Maschinen, Instrumente wuchs es an. Mit Lärm, den niemand mehr hörte über einer kleinen Furcht. Bis irgendwo eine unbedeutende Unregelmäßigkeit geschah. Es rollte ein Etwas über ein anderes. Das Schiff warf sich, als ob es spränge. Es tauchte, also ob es nicht schwimmen könnte, mit dem Vordersteven in einen Wellenberg. Es tat das wiederholt. Es gewöhnte sich daran. Es konnte es bald recht gut. Und was von den Dingen an Bord rollte, hatte es bald recht gut gelernt zu rollen. Was brechen wollte, brach ohne Erlaubnis, ohne Schamgefühl, ohne Verpflichtung gegen irgend was in dieser Welt. Daß Fischleichen, Menschen mit Angst dazwischen gerieten, wurde nicht bemerkt, ganz einfach übersehen. Lichter noch, Dampf irgendwo, schweres Stöhnen, bis plötzlich Wasser darüber hinging, und abermals, und abermals. Kein Licht dann, kein Dampf irgendwo, kein Stöhnen, nur Sturm noch, Schneeschauer, Lärm der Elemente.

Ein Schiff auf den Klippen wie Gespenst. Da kam ein Vampyr, eine Harpye, ein blutsaugender Troll, der nicht verriet, welcher Familie er angehörte. Man fand in den nächsten Tagen Leichen im Wasser, alles Blut aus ihnen, die Pulsadern auf, die Schläfen zerspellt, Bäuche sinnlos aufgeschlitzt, die Eingeweide halb zerrissen, halb zerfressen, das Herz hing unwirklich noch an seinem Platz, als hätte es nie etwas mit dem Menschen zu schaffen gehabt. Man mußte an den Geist denken, der nicht von sich gab, zu welcher Familie er zu zählen sei.

Auf den hohen, runden ausgewaschenen Granitbarren, wo die Wasserscheiden errichtet standen, wo qualmige Wärme vom Schneesturm getrennt wurde, saß der weiseste der alten Götter, halb Mann, halb Weib. Der in schmerzvoller Lust in sich hineinstach und Weib wurde, wo er hinbog den zeugenden Schmerz. Der sich selbst Kinder gebar, Götter und Göttinnen nach Osten und Westen, Geschwister des Aufgangs und Untergangs, daß sie zeugten untereinander ohne Schmerzen und wiederkehrten vom Stillstand des Nordens und Südens. Er saß auf der Kuppe und sandte qualmige Wärme, Schneesturm dorthin und dorthin. In Wirbeln umschlang es ihn, donnerte. Von fern standen in Herden Rentiere und sahen mit roten Augen auf ihn und verrichteten Dienst auf kalten Steinen vor ihm. Die Bullen besprangen die Kühe, um ihm zu dienen. Er sah es, und ein Lächeln entglitt ihm. Es entglitten ihm Schneesturm und qualmige Wärme.

Perrudjas Herz war zermalmt vom Tod, der ihn in eines Unbekannten Dienst umheulte. Zeit wurde erst wieder, als Dämmerung anbrach. Da schlief er ein. Am Morgen lag aller Schnee von den Tannen ab. Wind, Regen in den Bergen. Trübe Sturzbäche, kalt und schaumig, grandeten zutal.

Der Waldbesitzer fuhr sich mit Händen zu den müden Augen. Ekel erfüllte ihn. Jammer, grundloser Jammer häufte sich in ihm, Langeweile plagte ihn und floß in ihn unaufhörlich. Seine Jugend vergaß er. Seine Träume vergaß er. Er schien sich ein glückloser Feiger. Mit seiner Nase nahm er sich wahr. Seinen Atem, der träge, gegoren nach Bier roch und weißlichem Käse, den Angstschweiß in langbehaarten Achselhöhlen, seiner Mannbarkeit Regungen.

Du wirst einst gerichtet sein, schuldig und schuldlos zugleich, weil du faul und stinkig.

Das Gefühl seiner Einsamkeit kam über ihn, das Gefühl eines Durstes kam über ihn, die Sehnsucht nach Macht kam über ihn, die Pein seines Geschlechts kam über ihn. Und er warf sich in den feuchten kalten Schnee vor seiner Tür, und ein Schluchzen und Weinen faßte ihn, bis er fühlte, seine Brust ist naß, sein Bauch naß, seine Kniee naß. Er erhob sich, lustlos, ziellos, ging von seiner Wohnstatt in den trüben Wald. Über die heidigen, graupigen, triefenden Steinflächen. In einer Saeterhütte machte er Feuer, wärmte sich, trocknete Kleider, suchte nach Speise, fand trockenes Brot, alten Käse, gedörrten Hammelschinken. Er aß viel, trank Schnee, den er im Munde zergehen ließ. Durch die Tür schaute er hinaus in Nebel und Regen. Die undeutliche Ebene vor ihm würde den Hengst und seine Stutenherde tragen, wenn erst der Schnee geschmolzen, wenn übersät mit tausendfacher Buntheit die Sonne hoch darüber stände.

Er suchte in diesem Vorfrühling den Saeter Gaustads häufig auf. Er machte ihn beinahe zu seiner ausschließlichen Wohnung. Als der Schnee verschwunden, das Wachsen wie mit fanatischem Zorn begann, ging er zutal.

Der Mai kam mit Milliarden roter, harter, kleiner krauser Birkenblätter, mit einem Himmelsgewölbe voll weißer Sonne, mit Larven, Käfern, mit ungezähltem Getier, mit einer neuen Welt, die das Sterben vergessen.

Das Wachsen kletterte die Berge hinauf gegen den ewigen Schnee der Gletscher und Finnen. Die Herrschaft der dunklen gewalttätigen Götter war zerstört. Zicklein und Lämmlein sprangen, begabt mit der Schönheit behender Bewegungen. Sie verstanden etwas vom Spiel. Und waren sie vor den ergrauten Augen der Menschen auch Zahl nur, vermehrtes Fleisch, Hoffnung auf Milch und Käse, auf Wolle, auf Geld: ihre Jugend verströmten sie sorglos im offenen Mai.

In den geweckten Birken, den Kiefern, die zu atmen begannen, erfanden die Vögel Laute, ein Zwitschern, ein Flügelschlagen. In Paare schieden sie sich, in Männlein und Weiblein und jagten einander. Fanden sich, trennten sich, federnspreizend, sangen sich, erzwitscherten sich. Es wurde gesät, heilig, geopfert in beglückenden Handlungen, an denen nichts war, was an den Schweiß gemahnte, der an den Ackergeräten der Menschen klebte.

Bocksgeruch in der Luft. Brennende Dornbüsche wie die stillen Buchten des Meeres, deren Wasser weich und milchig wird vom nicht mehr zu haltenden Samen der Heringsmännchen. Den Abenden entgegen sangen in hohen Baumwipfeln Amseln. Flöteten mit aufgerissenem Schnabel, weil ihnen ihr Weibchen so sehr gefiel, weil ihnen Lust so sehr gefiel, weil sie sich selber fühlten, glücklich, ein Teil des unermeßlichen Lebens zu sein. Perrudja genoß an allem. An den Insekten, Gräsern, Moosen, kleinen Wässerlein, Steinen. Kurz vor Mittag saß er eines Tages am Waldrand gegen eine große Wiese. Man trieb Rinder heran. Noch beschmutzt vom Stall. Im Gehen plump, blind vor der Sonne, ohne Gefühl des Atmens. Ein Bursche riß die versperrenden Stangen zum Weidegang auf. Die Tiere wankten herein, unsicher, getrieben durch Schläge, die auf ihren Rücken fielen. Dann war das Hüh und Hott verstummt. Auf Augenblicke war nichts als der Wirbel der Luft über sonnerwärmten Dingen. Die Zeit stand still. In den Tierhirnen dämmerte ein Erinnern, eine vergessene Sage. Einige hoben plötzlich die hinteren Beine vom Boden, die vorderen, abwechselnd die hinteren, die vorderen. Ihr dicker Leib schwankte wie ein Kahn auf unruhiger Wasserfläche. Und war doch ein wilder Lobgesang. Der anhub, wie der des heiligen Patrik, plump, weil die schwere Gefängniszeit in engen Ställen die Glieder erlahmt hatte, ungewußtes Trächtigsein den Blick der Augen krank gemacht, gestohlene Kälber das Euter um der entzogenen Milch willen schwer und unförmig. Schwabbelt. Das Gesetz des Lebens beugte auch diese Versklavten, zwang sie in Bewegungen, in unergründliche Taten. Aufeinander hängten die Kühe sich, als müßten sie zeugen. Voreinander liefen sie, als kennten sie sich, liebten und begehrten sich. Die Bewegung ergriff sie alle. Sie stampften, wuchteten, schnoben. Die dicke Zunge fuhr unbändig in die feuchten Nasenlöcher, der Schwanz schlug gegen die eingefallenen Flanken. Dann löste der mächtigste Leib sich aus der Herde heraus, der bis dahin halb untätig mit ihr getrieben war, gewann Vorsprung, brach auf die Nüstern, floh einem Unsichtbaren, stolperte, richtete sich wieder auf, jagte mit plumpen Hörnern voran, mit wunden Augen in der gleißenden Luft. Der älteste Stier war’s. Vor einer reichlich armdicken Buschkiefer blieb er stehen. Seine runden Augen weiteten sich, füllten sich mit Blut, daß die kleinen Adern im Augapfel sprangen. Den Nacken senkte er. Rannte an gegen den Baum, zog sich zurück, stieß wieder, wiederholte es, keuchte, zerstampfte, riß aus. Beschmierte den Kopf sich mit Sand, Harz, Blut. Brummte. Wühlte in die Erde, da der Baum vernichtet. Befreit endlich, blieb er reglos stehen.

Perrudja hatte lächelnd an dem Schauspiel genossen. Er entfernte sich nun langsam, kreuz und quer bergauf durch den Wald. Vor einer Felswand mußte er halten, bog ab gegen den Weg, der über die letzten Waldhütten seiner Behausung zuführte. Nahe der obersten Wohnstätte fand er einen Burschen Rinder hüten. Es war nichts Sonderliches an dem Umstand. Die Tiere schienen nur Maul und Duft nach würzigen Waldkräutern. Ein wenig entfernt von der Herde im Dickicht stand nachdenklich ein zweijähriger Stier. Weiß und rot. Perrudja mußte nahe an ihm vorüber. Dabei gewahrte er, daß die rote Farbe wie Blut begann, tief schon, mit wenig Kupferhärchen nur aufgehellt, und sich dann in schwärzliches Braun verfinsterte.

Etwas daran begreife ich nicht.

Er faßte nach dem Fell des Tieres, das mit festen Hörnern den Kopf ihm entgegen neigte, seine Kleider beleckte, mildtätig die Kraft seiner Existenz dem anderen antrug.

Ein Stier nur, zum Schlachten, zum Zeugen, den Menschen zum Nutzen. An ihm ist Fülle der Farbe, Fülle der Kraft, Fülle der Ahnungslosigkeit.

Der Mensch taumelte den Weg weiter bergauf.

Perrudja

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