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XV

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Die Kuhmagd Lina war die abweisende inbrünstig Geliebte eines jungen Mannes. Sie roch auch in ihren Festkleidern nach dem Stall. So durften ihre Verehrer den Geruch der Pferde an sich haben oder den mehligen Schweißes. Sie waren geringe Menschen. Und ihre Versuche zur Liebe waren klein und alltäglich und sehr direkt, doch schön wie gemeine Blumen, die zumeist gelb an Farbe sind, und nur wenige Tage überdauern. Lina war kaum zwanzig Jahre alt und sehr anmutig. Sie besuchte die Versammlungen der Pfingstgemeinde und die der Heilsarmee. Trotz dieser Neigung war sie nicht fromm. Sie ging nicht zu ihrer Erbauung, um ihres Vergnügens willen ging sie in die Versammlungen. Wie andere zu Tanz und Festen. Sie war musikalisch und liebte es zu singen. Sie vermochte Mund- und Ziehharmonika zu spielen, wiewohl sie keines dieser Instrumente besaß und nur bei seltener Gelegenheit nach Gehör und Neigung üben konnte. Den Reden, die die frommen Brüder- und Schwesterschaften über die Zugelaufenen ergossen, verschloß sie die Ohren. Hingegen fiel sie mit lauter, strenger und glasklarer Stimme in alle gesungenen Strophen ein. Sie lachte bei den Andachten beständig, auch wenn der Text von Not und Tod handelte oder mit Zungen einer anderen Welt es aus den zuckenden Körpern der Gläubigen schrie, unverständlich, eine tiefe Warnung. Not und Tod waren außer ihr, denn sie sang. Not und Tod waren im Kuhstall. Bei der Geburt der Kälber. Wenn der Schlachter kam. Wenn der Herr befahl, und sie, willenlos, die Hand des Herrn war. Der unsichtbar blieb; und der nichts von dem verstand, was geschah. Daß sie Kühe und Kälber liebte (sie war ja deren Magd) – für was denn empfing sie Wohnung und Essen? Daß bei dem Leid, das ihren Schützlingen widerfuhr, ihr Herz blutete, war nur ein Entgelt für genommenen Lohn. Die Tränen auf dem schmutzigen Kopfkissen des Nachts gehörten zum Beruf wie das Melken. Sie seufzte oft in der unreinen Sprache ihres Dialektes: »Stakkels, stakkels«, und es sollte heißen: Ärmstes, ärmstes.

Lina war zugetan einem feurigen, dunkelhäutigen Menschen, der durch die Post festbesoldeter Kutscher war. Linas Hausfrau aber sagte, eine Liebe zwischen Menschen ungleicher Herkunft müsse unglücklich enden. Standesunterschiede seien nicht zu überbrücken. Lina glaubte den Worten. Sie kannte keine Empörung. Deshalb begann sie zu trauern und wünschte zu sterben. Sie nahm es für nichts, daß einer unter den Knechten ihr unwandelbar und innig anhing, keiner Regung der Untreue gegen sie Raum gab. Wiewohl er, gleich den anderen, keinen Trost für seine Liebe empfing. In ihrer Traurigkeit ob des Verzichtes auf eine Ehe mit dem Beamten schaute sie nicht auf den anderen, sah ihn nicht an mit ihren Augen. Als er sie darum bat, tat sie es auch nicht. Wies alle Anträge, alle Umarmungen, alle Küsse, alle Spaziergänge, gemeinsamen Tanz, wies ab, immer und immer wieder. Er schlich ihr nach zu den Versammlungen der Sekten, setzte sich neben sie, sang mit ihr. Versuchte, klar und laut zu singen, ihr gleich. Sie lächelte. Weil sie sang. Aber sie sah ihn, lächelnd, nicht. Wie in ihrer Traurigkeit. Er lief hinter ihr drein, fast hündisch. Aber sein Herz wollte an keine Erfüllung mehr glauben. Er war mutlos geworden. Es brachte keine Entscheidung, daß der Beamte sich eine andere Geliebte genommen.

Der Knecht war Hjalmar gewesen. Er hatte während des einsamen Winters, den er bei Perrudja verbracht, Lina nicht vergessen. Verschwieg ers auch, um ihretwillen geschah die Rede, die er dem Waldbesitzer über praktische und häusliche Dinge hielt.

Und welche Vorschläge hätte er zurückgewiesen? Hätte er gar den Menschen, dem er die Rettung seines Lebens danken mußte, mit einer abweichenden Meinung kränken können? War nicht zudem Ziel der Aussprache, die Grundlage einer Ordnung zu schaffen, die dem Herrn Bequemlichkeiten bereiten würde? – Das Haus müsse umgebaut und erweitert werden.

Eine Magd könne nicht länger entbehrt werden, solle nicht zuviel der Arbeit auf Perrudja selbst entfallen. Hjalmar erbot sich, eine tüchtige ausfindig zu machen. Erklärte, daß er an ein bestimmtes, ihm bekanntes Mädchen denke, für dessen Geschicklichkeit er bürgen wolle.

Steinschläger kamen. Zimmerleute. Tischler. Der Schmied. Der Maler und Glaser. Nacheinander. Die Wohnung für Perrudja wurde wieder weit und bequem. Die Dinge erstanden aus ihren Kisten. Die Metalle und die Hölzer, das Bunte und das nur Schattige. Magd und Knecht erhielten ihre Stuben. Die Ställe wurden nach besseren Grundsätzen aufgeteilt. Als das Werk vollendet, zog Lina hinauf. Sie stellte sich dem Herrn vor. Dankte für den hohen Lohn. Versprach fleißig und sorgsam zu sein, sich wert zu zeigen der Beförderung, die ihr zuteil geworden, daß sie neben dem Stall auch Küche und Haus bewirtschaften dürfe. Als sie in ihr Zimmer geführt wurde, weinte sie über Tisch und Stuhl und Bett, darüber warme und weiche Decken gebreitet, weißes Linnen, das wie Seide war. Daß alles verschwenderisch und nicht wie für eine Magd hergerichtet sei. Für Perrudja kam eine Zeit der Ruhe. Wie in vergangenen Tagen betreute er nur das Pferd. Ritt aus. Im Haushalt verbreitete sich eine wohltuende Ordnung. Lina schaffte nicht nur mit Fleiß: aus Dankbarkeit, mit der Kraft einer Befreiten. Es gab für sie keine Befehle. Hjalmar erlaubte sich, im Hause Zigaretten zu rauchen. Er war der Wille, der befragt werden wollte. Er antwortete. So und so und das und das. Es war richtig, was auf diese Weise vor sich ging. Und es war leicht zu tun.

Der Waldbesitzer genoß staunend die ihm ungewohnte leichte Luft des Zusammenlebens mit Menschen, die guten Willens sind. Daß er der Herr, und sie die Dienenden, niemand empfand es. Nicht oft saß er allein in seinem Zimmer. War zumeist mit den beiden in der Küche oder auf der Diele. Hing wie knochenlos mit dem Oberkörper über einer Stange im Stall. Aß mit ihnen, lachte, schaute ihnen zu, fragte, erzählte. Ließ sich behandeln wie ein Kind. Naschte aus allen Töpfen. Half beim Backen. Schlug vor, was einzukaufen sei. Die wenigen Geschäfte, die er mit den Bauern zu verhandeln hatte, übertrug er Hjalmar. Legte umständlich das Geld vor den anderen hin oder zahlte es in die Hand. Prahlte auch mit seinem Reichtum. Ließ sich beraten, welcher Art Kleider ihm ziemten. Schenkte den beiden was ihnen gefiel.

Lag er abends allein im Bett, empfand er eine Leere, eine Verlassenheit, einen Lebensunwillen. Sattheit, obgleich er nichts genossen. Widerwillen gegen sich selbst. Er fühlte, daß er mit den zwei Menschen nichts zu schaffen habe. Daß er ihr Feind. Er klammerte sich dann an seinen einzigen lebendigen Besitz, an Shabdez. Erhob sich von seinem Lager, ging in den Stall. Küßte sie auf die Nüstern. Mochte sich nicht trennen.

Auch Shabdez riß sich eines Tages von ihm los, folgte dem Gesetz ihrer Art. Lehnte sich auf gegen die Vernachlässigung ihrer Blutgewalten. Seine Süchte waren flau. Er ballte nicht einmal die Fäuste. Er sattelte eines Morgens früh, verabschiedete sich auf mehrere Tage, brach auf, ritt westwärts ins Gudbrandstal. Gab der Nächtlichen die Gemeinschaft mit einem Hengst, ihre Unruhe zu stillen. Daß sie trächtig würde. Der Mensch trauerte leise, weil sich allüberall das Gesetz erfüllte; er selbst, nicht zugehörig, ausgeschieden wurde, einsam zurückblieb vor den Landschaften des Glücks. – Er verweilte eine Woche, versuchte gut Freund mit dem Gebieter seiner Stute zu werden. Söhnte sich aus, begann die Reise zu genießen. Wünschte am Ende kein anderes Gesetz als das unaufhaltsamer Vermehrung des Fleisches. Erschrak vor der Erzlehre, die von allem Zeugen ausging. Fühlte sich ärmer denn je. Heimlich suchte er mit seinen Blicken starke Mädchen und Frauen.

Als er von der hochzeitlichen Reise zurück, verschleierte die tägliche Wiederkehr des Gewohnten, daß in ihm allmählich die Lebenssubstanzen sich umschichteten. Daß auch er, um den die Zeiten wuchsen, mit jedem Atemzug von sich einen Teil preisgab, um einen fremden aufzunehmen. Daß auch er nicht den Ratschlüssen seines Wachsens und Alterns entrann. Zwischen dem Jüngling und dem Manne hatte als sichtbares Zeichen eine Krankheit gestanden, die ihn aufgescheucht. Flucht in die Gemeinschaft der Menschen hinein. Nun saß er gekrümmt in sich und horchte auf alles außer ihm und verstand doch nichts von den Signalen. Wuchs im Schoß seiner Stute ein Füllen, seine tauben Augen doch sahen es nicht. (Verborgen.)

Hatten seine Träume ihn geblendet? Ausgewischt die Berichte vom Polkreisen seines Lebens? Fand er die Richtung nicht mehr in der wilden Landschaft seines Leibes?

Es war sein Los, tiefer zu erschrecken von Ereignis zu Ereignis, daß er gepeitscht (nicht anders) Schritt um Schritt seine Bahn ging. Schlaflosigkeit befiel ihn. Grauenvolles Wachen in den lichtlosen Nächten. Ohne Ziel, ohne Sorgen, ohne Vorwurf war dies Wachen. Wie eine Krankheit, eine Unpäßlichkeit. Wie ein Geschwür, das nicht heilen will. Gegen Morgen verfiel er unerquickendem Schlaf, der ihn in Blei einsargte. Manchmal zwischen Traum und Wachen meinte er Musik zu hören. Er wiegte sich tanzend, wollte tiefer ergreifen. – Eine Fratze bespie ihn. Er begann wieder mit Eifer zu lesen, ohne doch daran genießen zu können. Er begriff die Sinne nur noch mit der Skepsis des Kulturbürgers. In den Leidenschaften, die abgebildet wurden, zirpte nicht mehr der Kristallhauch der Milchstraße. In abgerissenen Schlafbildern pflegte er französisch zu sprechen. So nahm er sich dieser Sprache an, um im Wachen zu begreifen, was er schlafend geredet.

An seltenen Tagen beschäftigte er sich mit dem Grundplan eines neuen Hauses. Es sollte aus Stein errichtet sein. Aus den graubraunen dichten Graniten seiner Berge. Er hantierte mit dem Zirkel. Der Zirkel gab ihm die Anleitung zu einfachen und erhabenen Formen. Der Kreis war eine Festung. Ein Kreis war ohne Eingang und Ausgang. Ohne Anfang und Ende. Er wünschte sich eine Wohnstatt ohne Türen. Mit einem Tor, das verrammelt, überflutet werden konnte. Die Furcht und die Einsamkeit arbeiteten mit an dem Grundriß. Brandgeruch kam zuweilen in seine Nase. In dem neuen Hause sollte alles Holzwerk verworfen sein. Steinerne runde Gewölbe. Er zeichnete einen Hof, ein Geviert, offen gegen den Himmel. An den Ecken traten Pfeiler vor, die sehr flache, kappenartige, weit gespannte Bogen trugen; nur wenige Meter über dem Erdboden ansetzend, daß gedrungene vier Höhlen den Hof umgaben. Tiere konnten darin unterstehen vor Regen und Schnee. Wagen ihre Remise finden. Eine mächtige kreisrunde Mauer wuchs hinter der Bogenstellung auf. Durchbrach das untere Geschoß. Nun saß der Hof, ein Kubus, wie ein Kristall in einem weiten Zylinder, der mit seinen runden Rändern eine flache Scheibe aus dem Himmel ausschnitt. Um die Ringmauer legte sich ein Wandelgang, dessen Bahn ebenfalls der Zirkel zeichnete, überwölbt. Von dem aus Türen zum mittleren Hof sich öffneten. Gegen den Gang stießen kleinere, kuppelgekrönte, sphärische Räume. Aneinandergereiht wie große runde Blüten. Teichrose. Lotoskelche um einen Kranz. Äpfel, Pfirsichen, Stahlkugeln, Glocken, Sterne, Sonnen. Starke Mauern befestigten sie nach außen. Ihre Fenster saßen hoch, waren sehr schmal, nur wie Scharten. Schnitten ein in die Gewölbe, daß das Licht von oben herabfiel. Zwei Stockwerke übereinander. Zweimal Zwölf. Vierundzwanzig Räume. Das war das Maß. Es mußte reichen für Wohnung, Ställe, Küche, Keller, Schuppen. Er dachte:

Ich werde das Oben zur Wohnung machen. Und gegen das Unten befestigen. Ich werde das Unten gegen die Welt befestigen.

Er nahm das Maß, den Stoff, die zweimal zwölf Kuppelräume und begann sie auszustatten nach ihrer Bestimmung. Er sann über die Art des befestigten Einganges nach und wie er den oberen Wandelgang mit seinen zwölf Orten von dem unteren mit seinen zwölf Orten trennen solle. Eine Treppe hinauf und hinab würde vorhanden sein müssen. Er mußte, wann immer, in die Ställe, zu Shabdez, gelangen können.

Heimliche Wendeltreppen in den mächtigen Mauern.

Da geschah an einem Abend die Erschütterung, die sein bisheriges Leben entwurzelte. Daß er sie erst so spät erlebte, war vielleicht das einzig Wunderbare daran. Nach einem Aufbruch vom gemeinsamen allabendlichen Zusammenhocken, das unter seiner Furcht vorm Alleinsein immer tiefer in die Nacht hineinwuchs, suchte er nicht sogleich das Bett oder eine Zerstreuung, die ihn fernhielt von der letzten Verrichtung der Dienenden in Küche und Haus. Er horchte in die ruhende Nacht. Horchte auf die Geräusche in der Küche, die vom bewegten Geschirr herzurühren schienen. Wartete auf das gleichmäßige Abbild des Erstorbenseins innen und außen, als ob er die Spannung nicht ertrüge, die im Gegensatz von Stille und Geräusch, von Totem und Lebendigem.

Ich werde die Einfahrt tief legen. In den Felsen einmeißeln lassen. Rohre münden hinein. Wasser kann die Schlucht ausfüllen. Die Tore ertränken. Der Weg wird wieder frei, wenn Pumpen die Flüssigkeit absaugen.

Sein Herz schlug hörbar. Er fürchtete, in einen unnatürlichen Kampf mit seinem Ich zu kommen, das unerlöst, gefangen in dem Netz seiner Tatenlosigkeit zuckte.

Wie als Jüngling entblößte er den Oberkörper. Legte die Hand über das unruhig klopfende Herz. Als wäre nicht Zeit in die Ewigkeit abgeflossen, waren noch immer die Brustwarzen ihm aufgebrannt, unverändert im Anblick. Aber hätte er noch sprechen können: Perrudja hat eine wilde Brust? Perrudja wird hinreiten über die Granitglasinseln und ein König sein? Vermochte er noch zu fühlen, daß er vor sich stehen konnte: er der Richter und er der Beschuldigte? War nicht ein ekler seelenloser Mensch entsprungen aus den beiden Traumbildern, die sich stets widersprachen, nun, da sie zusammengeflattert waren zu seiner Existenz? Ein Fleisch, das roh, mit so und soviel Graden der Verweslichkeit behaftet? War in der langen Krankheit verlorengegangen eine Hälfte Perrudja, der er nachtrauerte? Seine Geliebte? War darum die qualmige Leere neben ihm in seinem langweiligen Bett, das vor Sauberkeit starrte; weil ein Toter, ohne sündige Gedanken, ohne Hochmut, ohne verbrechende Wünsche sich hineinlegte, um die Nächte mit Nichtwissen zu morden?

Ich will breiigen Gips über mich gießen und meinen Körper formen bis zu den Schenkeln. Und sündigen.

Das Geräusch in der Küche wollte kein Ende nehmen. Das Klirren und Klappern folterte seine Nerven. Die Brust verhüllte er wieder. Hinter der sich nicht mehr verbarg als ein unruhiges Herz, das vergebens den Herrn gemahnte, ihm das Opfer seiner Sehnsucht zu bringen.

Taube Frucht.

Stand auch sein Bauch nicht mehr voll bequemen Fetts an ihm. –

Sprache meiner nur wispernden Sinne. Ich kenne meine Augen nicht. Auf eine menschenlose einsame Insel verschlagen werden. Wie ein Verbannter leben. Wenn ich nichts denke, male ich den Buchstaben D. Schöne Kurven.

Das Geräusch in der Küche wollte kein Ende nehmen. Oder schlichen die Sekunden nur klebrig an ihm vorüber? Verlor er das Bewußtsein der Zeit wie alle anderen Fähigkeiten? Hatten seine unwirklichen Gesichte die Brücken zu den Gesetzen der Wirklichkeit schon ganz zertrümmert? Wurde ihm Stillstehen, was anderen enteilte, die Zeit sogar? – Wahnsinn also. Dagegen bäumte er sich. Riß ein Fenster auf.

Auch steinerne und eiserne Falltore sollen den Eingang bewachen. Hinauf- und hinabzuwinden. In die Flut. Schleusentore.

Starrte zu den Sternen. Man könnte sich damit beschäftigen, sie zu verehren. Runde Weißfeuerpunkte. Kugeln. Die Nacht würde darüber verstreichen. Man könnte Brandopfer gegen die Dunkelheit schleudern, daß sie an den Flammen ihre Grausamkeit verlöre.

Das Geräusch in der Küche wollte kein Ende nehmen. Er ertrug es nicht länger. Er wollte nachschauen, was es dort noch zu schaffen gäbe.

Ging einen dunklen Gang entlang. Öffnete die Tür zur Küche. Da sah er, halb entkleidet, die Magd sich waschen. Sie blickte auf. Er erkannte zwei runde feste Brüste, die weiß ihm entgegenstanden. Wie Früchte. Er enteilte. Schämte sich. Errötete im Dunkeln.

Von der Wahrheit, Menschliches gesehen zu haben, wurde er nicht mehr befreit. Wie aus hartem Elfenbein stand vor ihm, in allen Stunden, die Gestalt des Weibes. Zwei weiße Brüste, gezeichnet mit einem runden braunen Kreis. Alle Bilder hatten ihn betrogen. Dies war Fleisch. Es fiel über ihn das Unleugbare, heftiger denn je: auch als Säugling konnte er niemals an solchen Brüsten gelegen haben. Wie hätte sonst sein Erschrecken so tief sein können? Einer Eselin oder Stute war er ans Euter gegeben worden, starken Tieren, daß er wüchse. Daß er getrennt würde, trotz des Wachsens, von der Gemeinschaft der Menschen. Daß er nicht von ihrem Blut schluckte, mehr nicht aufnähme davon als Zeugen und Geburt in ihn eingepflanzt, sein Gaumen tierisch jungfräulich bliebe. Er konnte seine Mutter nicht gekannt haben! Wie hätten sonst seine Augen sich verflucht fühlen können beim Anblick eines halbentkleideten Weibes? – Weshalb erfuhr er das so spät? Weshalb waren die kostbaren Jahre verronnen, in denen er hätte lernen können, sich den Menschen zu nähern? Weshalb mußte erst Krankheit ihn schlagen, ehe er gewagt, an eines Menschen Seite sich zum Schlaf zu legen? Weshalb nicht hatte er aufjauchzend im Knecht beim ersten Anblick den Erlöser begrüßt? Weshalb ihn nicht über und über mit Tränen genetzt? Nicht geküßt das Du aller Menschen, anbetend? – Das junge Weib, die Magd mit den Früchten über ihrem Herzen, den weißen runden unaussprechlichen Gefäßen, mußte es erst kommen, um ihn auf eine lange Wanderschaft zu treiben? War er am Ende doch der Troll, von dem Mägde auf einem Gutshof gesungen?

Wie es in ihm brannte! Wie er sich mühte, sich zu enthüllen, sich zu entreißen das Geheimnis seines Blutes! Vor den Spiegel stellte er sich, entkleidet, und schrie und schrie: »Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Mensch. Denn ich trage des Menschen Gestalt.« Tiefer sang es in ihm: ich habe keine Mutter gehabt. Bin mit dem Euter von Eselinnen gesäugt.

In den Nächten schlief er weniger denn je. Vor seinen Augen das halbentblößte Weib. Sein Schoß wurde weit. Jagende Herden von Stuten über ihn hinweg. Wuchs an zur Honigsüße der Hochgebirgsheide. Süßlicher Geschmack über seine Lippen. Wie der Geruch verwesender Pilze. Betäubung, als trüge ihn wer, eilends, eng eingeschlossen, warm, von Blut umpulst, über Meere: Wie ein Füllen im Mutterleib, das im Traben der Stute schaukelt.

Shabdez!

Er stöhnte. Rüttelte an sich. Schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. Griff sich in den weichen Bauch. Dann flammte wieder das Bild des jungen Weibes in ihm. Wie Erlösung spürte er eine unnennbare Sehnsucht.

Eines Morgens rief er Hjalmar zu sich ins Schlafzimmer. Streifte vor ihm das Hemd ab und befahl, jener solle etwas Unmenschliches an ihm finden. Menschenunähnliches. Haare von Tieren. Mißgebildetes.

Der Knecht erklärte, daß er nicht begreife. Er fand nichts, was den Herrn aushübe durch die Gestalt von anderen Menschen. – So kenne er denn endlich seinen Weg, schluchzte Perrudja.

Was sollte der Knecht zu solchen Ausbrüchen sagen? Schweigen war das Beste. Er schaute auf den Herrn und antwortete, als habe jener plötzlich Dringliches gefragt: Ja, ja. Beschrieb den Rücken glatt und unbehaart, ganz menschlich, wie der Wunsch nur fordern konnte.

Perrudja

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