Читать книгу Perrudja - Hans Henny Jahnn - Страница 4
Inhaltsangabe
ОглавлениеIn diesem Buche wird erzählt ein nicht unwichtiger Teil der Lebensgeschichte eines Mannes, der viele starke Eigenschaften besitzt, die dem Menschen eigen sein können – eine ausgenommen, ein Held zu sein. Manche Leser werden deshalb vor allem herausfinden, die männlichen Züge haben nur eine schwache Prägung an ihm gefunden. Und werden ein kränkliches und peinliches Mißverhältnis entdecken zwischen ihm und seiner strotzenden Umwelt. Sie werden es am Ende unverzeihlich finden, daß er viele Tränen vergießt und mehr Taten der Verzweiflung und Lässigkeit begeht als vorgefaßte Entschlüsse zur Ausführung bringt. Weder der Eine, noch der Beschreiber dieses Lebens werden eine Verteidigung auf solche Vorwürfe entdecken können. Sie werden sich auf die Behauptung zurückziehen müssen, daß der Zwang zu einem Leben, wie es hier beschrieben wird, ein wenn nicht eben so großer wie zum heldischen Dasein, so doch immerhin ein so starker sein muß, daß der dazu Auserwählte oder Verdammte sich ihm nicht anders entziehen kann als durch die Vernichtung der eigenen Existenz. Da der Wille zur bedingungslosen Selbstaufgabe wiederum vorgefaßte Maxime voraussetzt; dazu ein Übriges noch, nämlich die Kraft, jene in die Wege zu leiten, aus der Erkenntnis heraus, an ihr geschieht eine moralische Manifestation, so ist wahrscheinlich, daß nur ein Held diesen Schluß gegen sich selbst würde ziehen können.
Dem Kronisten bleibt kein anderer Ausweg, als die Existenz anzuerkennen – eine Höflichkeit gegen die Leser, sie im voraus zu warnen, sie werden wenig Erbauliches, wenig Hoffnung und Stärke für die eigene Seele in dem Buche finden. Für den Mutigen, der trotz der Verwarnung das Buch liest, erhofft der Erzähler einen Gewinn: daß er die Anschauung von einer neuen Art Mensch gewinnt, die noch recht unbekannt. Die nicht eigentlich gestalt, vielmehr existent ist.
Deren Lebensfunktionen unwichtig sind wie der Flügelschlag der Mücken in der Luft. Die ein Gesetz des Fleisches. Eine Wiederholung nur kraft unbegreiflichen Samens. Keine Qualität der Dämonien. So sehr vermeint der Verfasser dieses Menschen Pulsschlag deutlich zu fühlen und die Bemühungen eines rohen Muskels, der Herz heißt, daß er, mitleidig mit dem Einen, die Leser zu langweilen wagt mit einem Teil der bescheidenen Erziehung des Einen, mit Erkenntnissen der Geschichte, die sie längst hinter sich gebracht, mit rührseligen Erzählungen und alltäglichen Märchen. Ein Mensch beschattet sein Auge mit flacher Hand. Zwischen Licht und Dunkelheit geht ein schwacher Atem. Vielleicht, die Leser möchte etwas von jener Brüderlichkeit anfallen, die den Zeichner dieses Buches erfaßt hat (Gesang der gelben Blume); die sie zwar einsamer machen wird als sie waren; deren Besitz aber am Ende ein notwendiger Schritt ist, soll es je Wirklichkeit werden, daß die Menschheit die Blutgerüste abbricht, auslöscht aus der Weltgeschichte die Namen, um an ihre Stelle den ungehemmten Strom des Lebens zu setzen, den die Willkür der Helden nicht mehr umbiegt oder spaltet. (So ist dies kein Roman nur für weißhäutige Menschen.) Nicht bis in eine unvorstellbare Ferne, in die Einsamkeit uferloser Ozeane, in die tiefen Tiegel der Gesichte, die uns enthüllen, mit welchen Wanderungen der Menschheit auch wir gegangen sind, nicht bis an die Pforten des Todes, des Irrsinns, der Sklaverei (die selbst das Widerliche erklärt), wo das eigene Ich verlöscht, soll der Weg der Leser geführt werden. Sie werden zu nichts verpflichtet. Nur ein kleiner Zweifel soll ihnen eingeträufelt werden, ob wir nicht viel mehr als zum Gesicht zum Pulsschlag berufen sind. Ob das heldische Dasein nicht eine frühe und barbarische Haltung des Menschen; aus der alles Richten und Rechten, alle ungekonnte Moral fließt. Daß wir groß Unrecht tun, indem wir einen Maßstab aufrichten, der nur die Gestalt abbildet, die wir sein möchten, eine Puppe, ein Götze, auch wenn wir ihn Gott nennen. Daß wir nötig haben uns zu bekennen, nicht zu Seiner Gestalt, sondern zu Seiner Existenz.
Da es nunmehr entschieden ist, daß ich die Geschichte des mehr schwachen als starken Menschen schreibe; und manche vielleicht willens sind, trotz der mehr ungewissen als gewissen Moral zu lesen, wird die Forderung gegen mich erstehen, den Feigling, wie man sagen wird, oder den Untüchtigen, mit dem Beginn seines Eintritts in das Leben zu schildern. Hinzuzufügen, wer seine Eltern, welchen Aussehens Menschen sie waren (weiß braun gelb oder schwarz), auch wohl, welche Eigenschaften an Leiblichem und Geistigem sie ihm vererben konnten. Und weiter, wie er, der doch ganz in der Gestalt eines Menschen geboren, vertraut mit ihren Gebräuchen wurde, gebunden an zehn millionen Übereinkünfte, als Nutznießer der abermals millionenhaften Abstraktionen, Erfindungen sich einfand, hineinwuchs in die Einrichtungen dieser menschlichen Welt. Wie er den ersten Schrei getan, das erste Mundspitzen gelernt, um den Saft aus den Brüsten der Mutter zu trinken, sich abgefunden mit der Funktion seines Leibes, seiner Sinne. Daß sein Fleisch, an glühendes Eisen gehalten, verbrennt. Gelernt, gesetzmäßige, aber geringgeachtete Verrichtungen auf gewisse Stunden und Örtlichkeiten zu beschränken. – An all das erinnert der Mensch, dieser Perrudja, sich nicht. Er ist um der einfachen, durch Erfahrung zu gewinnenden Erkenntnisse und Ordnungen willen nicht geprügelt worden (außer im Erfahren selbst). Er erinnert sich deshalb nicht. Er erinnert sich nicht an das Mundspitzen über den Brustwarzen der Mutter. Vielleicht gar ist sie an seiner Geburt gestorben; und er hat den Mund über dem Euter eines Tieres gespitzt. Er weiß seine Geburt nicht. Wer auch wüßte sie, wenn er sie nicht mit Bewußtsein dem Herzen der Eltern, träumend in ihrer Nähe, abgelauscht? Ob auch in späten Jahren Ungewißheit ihn hätte antreiben können, nachzuforschen, wie bald hätte sein Trieb nach Zuversichtlichem erlahmen müssen. Exakter war die Historie nicht: An einem entlegenen Ort der Welt, ohne die Kontrolle glaubwürdiger Dritter wurde seine Geburt notifiziert als ein Akt, der die Willkür eines Meineides nicht ausschloß. Bastard, Sproß einer glücklichen, jäh endenden Ehe, gehaßtes oder geliebtes Kind blutschänderischer Liebe, das geboren wurde wie alle anderen Kinder auch, wenn Armut nicht zur Peinigung und Strafe treibt, konnte er sein. Er war der Eine und wie alle. Er trug den Namen keiner Familie. Dennoch war er nicht frei und er selbst. Ob er es auch nicht wußte, es gab ein Geschehen vor ihm, das sich an ihm auswirkte. Aus einem Manne war er in den Schoß einer Frau gefallen, war gewachsen auf den Stufen vieler Tiere zum Menschen. Er tritt vor uns hin in einem Alter, wo sein Dasein eine jugendliche Vollkommenheit aufweist, die uns befähigt, uns ihm ohne Abscheu zu nähern. Eine süße Melankolie ist ihm eigen, die ihn gewinnend macht. Mit nicht unerheblicher Schönheit, einer zwar menschlichen, die wir aber, selbst Menschen, am ehesten begreifen, ist sein Leib ausgestattet, weshalb wir vieles ihm verzeihen und uns willig in manche Landschaft seines Daseins führen lassen. Das Befremden wird beizeiten und in einer Weise, die tief genug ist, die Grenze zwischen ihm und uns ziehen. Die Tendenz seines Lebens wird uns fortschreitend mit dem Anwachsen der Kenntnis seines Daseins schaler dünken. Und feststellen werden wir, daß er in unseren Augen abnimmt. Er hat nur das eine Los, leichter zu werden. Die wachsenden Tage zwingen ihm Handlungen auf, die er nicht anders meistern kann als aus den zufälligen Bedingungen einer ungewollten Konstellation heraus. Nur gar zu oft wird er bei zwei Wegen den törichten wählen; mehr noch sich verkriechen vor Entschlüssen. So wird es scheinen, als liefe Substanz von seinem Herzen ab, und als würden seine Hände flacher und leerer. Und er eine Kreatur, an die wir Mitleid nicht zu verschwenden brauchen. Die nicht vorgefaßten und nicht begründeten Ziele, die Quellen seiner Melankolie, werden anwachsen zu einem Berg der Schwäche, den er in seinen verzweifelten Stunden selbst, wie durch einen Nebel zwar (er stürbe sonst), erkennen muß. Vor dessen bedrohlichem Ausdehnen er sich so wenig retten kann wie vor dem Ablauf der Zeit. – Bis er sich fallen läßt, untertaucht in dem Meer des Nichtverantwortlichseins; also das menschliche Gebäude der Entscheide zertrümmert. Sich annähert dem Tier, das unschuldig schuldig die Süchte und Schlafe des Daseins erträgt und ihnen folgt. Und sie vergißt. (Mensch, der nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden kein Erinnern mehr an Vergangenes hat.)
Es ist die Pflicht des Verfassers, darauf hinzuweisen, daß nicht nur ein Mensch, nicht ausschließlich dieser Perrudja im Roman wird gegenwärtig sein können. Wie der Eine es übernommen hat, mit einer Sprache zu reden, sich zu kleiden, selbst, wenn auch ohne gewisse Anhaltspunkte, ein Nachfahre von Vorfahren ist, also dienen muß, in manchem ein Spiegelbild der Menschheit zu sein, so wird die Menschheit, sie selber, wenn auch anfänglich in bestimmter Auswahl, sich hineinstellen oder drängen in die Lebensgegenwart des Einsamen. Es treten die Kräfte des Blutes, das in allen ist, nach alter Gewohnheit in eine Wechselwirkung. Es wird endlich gezeigt werden, daß von dem Schwachen aus, nachdem er sich ins Verantwortungslose hat fallen lassen, eine große Sturmwelle des Allermenschlichsten wird angetrieben werden; kraft einer sonderbaren Verquickung, die wiederum aufs naheste der Existenz des Unregierten, nur Getriebenen entspringt.
Da dieser Perrudja kein Held ist, wird er keine große Sorge um eines Zieles willen leiden wollen, außer jener, wozu ihn sein zeugendes Blut treibt. Er besitzt so wenig von der Kraft des Entschlusses, daß er, ohne Hilfe, bald würde verhungert sein; oder doch entkräftet durch Unordentlichkeit in der Lebensführung. Daß die Schwäche seines Urteils sich vermehrte an einer solchen seiner leiblichen Funktionen. Wodurch er uns als Beispiel entglitte und sich mit Schnelligkeit auflöste als Opfer unserer, ihm feindlichen Anschauungen in den tausend Stationen der Krankheit und des kleinlichen Verbrechens. Wir nennen’s Lungenschwindsucht oder Diebstahl. Doch erfüllte sich an ihm jene Verheißung, daß er ernährt wurde wie die Lilien auf dem Felde. Sein Dasein wurde nicht schon im Anbeginn verneint. (Wie das der millionen Kinder, die in den neun Monaten vor der Geburt und den ersten elf nach der Geburt lallend verenden.) Es war berufen zu einem Ablauf, ja, zum Zerschellen im Kulminieren (als ob er ein Held wäre). Als er in tiefsten Niederungen trieb, wurde er ausersehen zu einem Werkzeug. Die Kraft, die ihn ernährte, die das Arbeitspotential von millionen Menschen war (einziges Denkmal ihres Todes); die ihm glichen; das er verwaltet hatte mit seiner Untätigkeit, ließ er ausrinnen über die Menschenwelt, die sich daran entzündete. Weil ihm zum Greinen zumute war; und er dunkel erahnte, daß das Erbarmen die Vorstufe zur großen Einigkeit der Menschen sei. Perrudja also war reich durch den Schweiß Ungezählter, Ungekannter (Überlebende der ersten zwanzig Monate), die vor seiner Gegenwart sich verschwitzt hatten. Er zettelte mit dem Profit ihrer Arbeit, mehr noch mit dem Brotschrei ihrer Nachkommen (Überlebende der ersten zwanzig Monate), einen Krieg an; einen zwar leidlich gerechten, auch unvermeidbaren (wer will immer nur weiß und fett grinsen?). Erfüllte eine Mission, der kein Held, kein Vorbedacht gewachsen. Er entfesselte die gewagtesten Sehnsüchte mit ihren Kräften. Sein eigenes Leben zwar blieb gehorsam bescheidenem Ablauf. Ein zweites Buch wird von den späten Monaten des Lebens dieses Perrudja berichten.