Читать книгу Abuso - Hans J Muth - Страница 11
5. Kapitel
ОглавлениеDiejenigen, die mit Landolfo Franco Geschäfte machten, nannten ihn nur Accolito, den Handlanger. Seine Art der Geschäfte verlangte nicht nach einem vollständigen bürgerlichen Namen; sie bedurfte keiner Wohnadresse. Accolito erreichte man oder man erreichte ihn nicht. Er wechselte seine Wohnung häufig, ohne dabei die rechtlichen Bestimmungen für sich in Anspruch zu nehmen. Er war wie ein Phantom. Anmeldungen, die eine behördliche Verfolgung möglich gemacht hätten, kannte er nicht.
Denjenigen, bei denen er logierte, war es egal. Solange er gut bezahlte, waren sie auf seiner Seite. Die Bleibe, die man ihm bot und die er für seine Zwecke in Anspruch nahm, entsprach der niederen Gesellschaftsschicht. Die Zeit seiner Einmietung legte er nach Gefühl fest, manchmal waren es mehrere Wochen, manchmal nur wenige Tage. Nie verließ er ein Quartier, ohne sich bereits nach einem nächsten umgesehen zu haben. Er entlohnte seine Wohnungsgeber stets über die üblichen Unkosten hinaus, aber mit seiner erdrückenden Präsenz und der Tatsache, wie er mangelnde Loyalität bestrafte, verschaffte er sich nicht nur bei seinen Wohnungsgebern Ergebenheit und Verschwiegenheit.
Alle wussten, Accolito war ein Auftragskiller, doch niemand nahm das Wort in den Mund oder wagte gar, auch nur einen Gedanken in diese Richtung aufkommen zu lassen. Das eigene Leben stand an erster Stelle und schließlich fuhr man auch nicht schlecht, wenn man ihm zugetan war.
Wer Accolito das erste Mal begegnete, war versucht, ein völlig falsches Bild von ihm zu zeichnen. Nach außen hin vermittelte er mit seiner Körperfülle von weit über 100 Kilogramm und einer Größe unweit der Zwei-Meter Marke mit dem runden, kahlen Kopf, den wulstigen Lippen und einem stattlichen Bauchansatz eher den Eindruck der Unsportlichkeit, der Behäbigkeit. Alles in allem glaubte man in ihm einen Mann, dessen Hand sich bei einer Begrüßung zu einer Speckrolle in der des Gegenübers verformen würde. Dass er -vielleicht war es bedingt durch seine füllige Körpergröße- in der Bewegung leicht nach vorne abzuknicken neigte, verstärkte den Eindruck um einiges.
Doch der erste Eindruck täuschte. Mit dem Druck seiner Hand konnte er auch vermeintlich Starke in die Knie zwingen und wer erst einmal in seine eisklaren, kalten Augen gesehen hatte, vermied weitere Beurteilungen seines Körperbaus.
Accolito kannte Rom wie seine Westentasche, insbesondere die Armenviertel und die Behausungen von manchem lichtscheuen Gesindel, das er bevorzugt in seine Dienste zog.
Als ihn der Anruf gegen 13 Uhr erreichte, saß er auf der Terrasse einer Pizzeria und verspeiste genüsslich eine doppelte Portion Spaghetti-Bolognese. Auf der Serviette, die er sich über sein abgetragenes und faltiges graues Jackett in den offenen Hemdkragen geschoben hatte, vermehrten sich zusehends die roten Punkte, Soßentropfen, die ihr Ziel nicht erreicht hatten.
Es war das lautlose Vibrieren seines Mobil-Telefons in seiner Jackentasche, das Accolito veranlasste, sein Essbesteck beiseite zu legen. Er wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und kramte nach seinem Handy. Er musste sich nicht melden. Der Anrufer kam ihm zuvor und sofort zur Sache.
„Sie haben ihn gefunden. Das Hochwasser hat ihn an Land gebracht. Offensichtlich schon vor mehreren Tagen. Ich hoffe, du hast ganze Arbeit geleistet?“
Die Stimme klang sonor, fast väterlich, aber irgendwo doch so bestimmt und fordernd, dass Accolitos Körper sich straffte, als er antwortete.
„Natürlich, Eure …“
„Schweig!“, schallte es ihm entgegen. Die väterliche Stimme war nicht wiederzuerkennen. Nun war es pure Aggression, die Accolito im Bruchteil der Sekunde die Luft abpresste.
„Du wirst noch einmal an Deiner Redefreudigkeit zugrunde gehen“, sagte die Stimme und dieses Mal klang sie wieder so väterlich wie zu Beginn. „Namen und Titel sind tabu, wie oft muss ich es dir noch sagen? Also? Du hast die Zeichen entfernt? Sauber entfernt?“
„Es ist alles so geschehen, wie Sie es verlangt haben … Meister“. Accolito wählte dieses Wort bewusst. Es würde in Zukunft das Pseudonym des Anrufers für ihn sein. Dieses Wort würde er sich einprägen. Nur so durfte er ihn anreden, nur so entfiele die Versuchung, aus der Gedankenlosigkeit heraus verräterische Daten auszuplaudern.
„Meister? Das ist gut. Ich sehe, du denkst mit. Merke dir diese Bezeichnung. Sie wird irgendwann auch in Bezug auf deine Person Anwendung finden.“
Ehe Accolito über die Bemerkung weiter nachdenken konnte, fuhr die Stimme fort: „Hast du inzwischen Erkenntnisse über denjenigen, der uns das antut? Dieses Monster, das unserer heiligen Kirche mit seinen … Prägungen Schaden zufügen will?“
„Nein, Meister, es ist nicht so einfach …“
„Nicht so einfach?“ Die Stimme des Anrufers erhob sich erneut, fordernd, keinen Widerspruch zulassend. „Du weißt, du wirst fürstlich entlohnt. Also tue deine Arbeit. Du wirst ihn auslöschen.“
Es folgte ein kurzes Schweigen, und Accolito zog es vor, ebenfalls zu schweigen und abzuwarten.
„Es gibt ein weiteres Opfer“, hörte er schließlich die Stimme am anderen Ende der Leitung sagen. „Auch dieser Mann weilte einige Zeit in San Lorenzo. Geh‘ zur Basilika Sancti Laurentii in Damaso. Unter der Gebetbuchablage der hintersten Bank in der rechten Reihe des rechten Kirchenschiffs wirst du einen Zettel mit seinem Namen finden. Lies und vernichte ihn anschließend sofort. Sorge dafür, dass Unheil von der Kirche ferngehalten wird. Du weißt, was du zu tun hast.“
Es klickte in der Leitung und Accolito starrte noch einige Sekunden auf sein Mobiltelefon, bevor er es wieder in seiner Jackentasche verstaute. Dann nickte er vor sich hin. Er würde den Mann finden. Und er würde genau das tun, was ihm Meister von ihm verlangte.
Er zahlte und winkte einem Taxi. „Zur Basilika Sancti Laurentii in Damaso“, gab er kurz Anweisung. Dann verschwand der gelbe Alfa Romeo 90 Berlina im stärker werdenden Urlaubsverkehr der Stadt.