Читать книгу Abuso - Hans J Muth - Страница 7
1.Kapitel
ОглавлениеBei einer Wasserleiche handelt es sich um die sterblichen Überreste eines Menschen, die logischerweise in einem Gewässer gefunden wurden. Durch den Aufenthalt im Wasser, beispielsweise in Seen, Flüssen oder im Meer ist der Prozess der Verwesung je nach Liegezeit, Temperatur und diverser anderer Umstände, wie auch durch das Vorkommen von Bakterien, die sich im Wasser befinden, meist in hohem Maße fortgeschritten.
Gefunden werden Wasserleichen üblicherweise in Flusskehren oder an Stränden im Gewässer treibend, mit dem Gesicht und den Extremitäten nach unten zeigend, den Rudern von Booten gleich.
In den seltensten Fällen aber werden Wasserleichen an Land vorgefunden und nahezu unwahrscheinlich ist ihr Vorkommen in den Ästen von Bäumen, auch wenn sich diese an Uferböschungen befinden. Dennoch gibt es diese äußerst seltenen Fälle, wie der frühe Montagmorgen des 11. Juli an einem Pfad entlang des Tibers im römischen Stadtteil von San Lorenzo bewies.
Ein heißer und wolkenloser Sommertag begann sich über Rom zu legen, so wie es seit einer Woche täglich der Fall war. Die Freude darüber war den Bürgern der Stadt anzumerken, denn die anhaltende Regenperiode hatte insbesondere den Anwohnern im Stadtteil San Lorenzo in der Nähe des Tiber-Verlaufs gezeigt, dass auch die Ewige Stadt von Naturkatastrophen nicht verschont blieb. Der schier endlos herabfallende Regen hatte das Wasser des Flusses bis über die Begrenzungen seines Bettes angehoben, hatte die Uferwege im Wasser verschwinden lassen und sogar die Bäume an den Uferhängen nahezu bis an die Kronen in der schmutzigen Brühe ertränkt.
Seit 40 Jahren war der Tiber nicht mehr so hoch angestiegen wie in diesem Jahr. Über 12 Meter zeigten die Skalen der Wasserstands-Anzeiger; die Schäden, die das Hochwasser angerichtet hatte, waren hoch. 150 Millionen Euro schätzten die Behörden die Wasserschäden alleine in der Heiligen Stadt.
Dann hatte sich das Wasser langsam wieder zurückgezogen, die Wolken waren aufgebrochen und seit über einer Woche prallte die Sonne auf das ehemals überschwemmte Gebiet und trocknete auch den letzten Tropfen des Tiberwassers dort, wo es nicht hingehörte. Die Uferwege boten den Radfahrern, Wanderern und Joggern wieder ihre Dienste an und dort, wo der Fluss den von ihm verteilten Unrat liegengelassen hatte, waren die Kräfte der Polizia Stradale bemüht, mit Besen und Schaufeln den Urzustand wiederherzustellen.
Um acht Uhr in der Früh an diesem Sommertag, einem Montag-, folgten zwei junge Männer ihrer Gewohnheit, sportliche Aktivitäten auf dem Pfad entlang des Tiber-Ufers auszuleben, wie sie es seit Jahren taten. Heute war es das erste Mal seit dem Regen und der Überschwemmung, dass sie die Stadt für ihr Fitnesstraining mieden und die Nähe des Flusses bevorzugten.
Luigi Ferraro und Georgio Fellini verrichteten gemeinsam ihren Dienst bei der städtischen Feuerwehr und hatten ihre Nachtschicht ohne größere Einsätze hinter sich gebracht. Stumm liefen sie nebeneinander her und ihre einzige Abwechslung bestand darin, ab und zu den noch nicht gänzlich ausgetrockneten Pfützen auf dem unbefestigten Uferweg auszuweichen.
Sie hatten die verschiedensten Straßen des Stadtteils San Lorenzo durchlaufen und folgten der Via Luigi Petroselli, um schließlich in die Via della misericordia abzubiegen. Damit verließen sie die verkehrsträchtigen Straßen und eilten zur Ponte Palatino, wo sie einem Fußweg auf die Uferpromenade folgten. Nebeneinander joggten sie nun auf dem Pfad entlang des Tibers unterhalb der Häuser von San Lorenzo.
Beide waren bekleidet mit hellblauen T-Shirts und kurzen dunklen Sporthosen und ihre muskulösen Beine glichen inzwischen landkartenähnlichen Gebilden, geschaffen vom schlammigen Schmutz des Weges.
Luigi verlangsamte seinen Lauf und riss die kräftigen Arme in die Höhe, um sogleich in die Beuge zu gehen und mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren. Es war eine von den zahlreichen Lockerungsübungen, für die sie ab und zu ihren Lauf unterbrachen. Seine schulterlangen schwarzen Haare, die er zu einem Zopf zusammengebunden hatte, fielen ihm dabei nach vorne über die Schulter. Laut ausatmend wiederholte er die Dehnung und Georgio tat es ihm gleich.
„So liebe ich die Stadt“, keuchte Luigi zwischen den Übungen und drehte mit angewinkelten Ellbogen den Oberkörper von einer Seite zur anderen. „Regen passt nicht hierher. Nur das sonnige Rom ist das echte Rom.“
„Dann hoffen wir einmal, dass es so bleiben wird“, keuchte Georgio und schwang kraftvoll den Oberkörper mit den gestreckten Armen nach hinten, mal nach rechts, mal nach links, jede federnde Bewegung mit einem zischenden Atemgeräusch begleitend.
„Benedetto, il Tedesco, wird's schon richten!“, rief Luigi lachend mit einem Blick in Richtung des Vatikans, von dem man gerade einmal das obere Ende der Kuppel des Petersdoms erkennen konnte. „Sieh, die rote Sonne dort drüben. Man könnte meinen, Nero würde Flammen über die Stadt werfen. Sieh dir dieses Rot an! Sieh doch nur! Sieh … was ist das?“
Luigis Tirade erstickte mitten im Satz und sein Blick erstarrte in der Richtung des blutroten Sonnenaufgangs.
„Was ist was?“ Georgio war dabei, die Sehnen seiner Oberschenkel zu dehnen. Er hatte das rechte Bein gestreckt nach hinten abgesetzt und presste den Oberkörper auf das angewinkelte linke Bein. Dann hielt er inne und sah zu Luigi hinüber.
„Dort … im Geäst der Bäume, gleich dort. Siehst du es nicht?“ Luigis rechter Arm zeigte in die Richtung der am Uferhang befindlichen Bäume, -bei den meisten handelte es sich um wilden Ahorn-, wobei Georgio das Zittern seiner Hand kaum übersehen konnte.
Georgios Blick folgte dem ausgestreckten Arm und als er in die blutrote Sonne sehen musste, zog es ihm für einen Moment die Pupillen zusammen.
„Siehst du auch, was ich sehe?“ stotterte Luigi und kniff die Augen zusammen, um das, was er zu sehen glaubte, im Gegenlicht erkennen zu können. „Verdammt, was ist das?“, flüsterte er, als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Auch sein Blick schien sich nicht von dem lösen zu können, was auch Georgios Blick wie hypnotisiert anzog.
„Das … das sieht ja aus, wie …“
„Wie ein Mensch“, beendete Luigi stotternd und mit weitaufgerissenen Augen den begonnenen Satz. „Oder das, was von einem Menschen übriggeblieben ist.“