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7. Kapitel

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„Ist der Sergente schon zurück?“, fragte Sparacio, als er vorbei an Carla, seiner Sekretärin, seinem Büro entgegenstrebte. Irgendwie konnte er sich immer noch nicht an ihre Anwesenheit gewöhnen, doch einen triftigen Grund dafür konnte er sich nicht eingestehen. Marcello, keine Vorurteile, sagte er sich. Du kennst die Frau doch erst seit wenigen Minuten. Gib ihr eine Chance.

„Nein“, hörte er ihre sonore Stimme, die trotz aller Bestimmtheit irgendwie sympathisch herüberkam. „Aber Signore Sciutto hat angerufen. Es wird noch etwas dauern, sagt er. Ich soll Ihnen etwas ausrichten.“

„Na, was gibt‘s? Was hat der Sergente auf dem Herzen?“ Sparacio blieb in Höhe des Schreibtisches von Carla stehen und sah auf sie nieder, wie sie in ihrem Bürostuhl saß und irgendwelche Papiere ordnete. Sie saß nicht nur hinter dem Schreibtisch, sie thronte dahinter, mit der ganzen Fülle ihres Körpers und schaute Sparacio von unten herauf an, als stünde er als Rechenschaft abgebender Schüler vor einem Klassenlehrer.

„Nicht von Sciutto, nein, nein.“ Ihre Stirn schien sich in Falten zu legen und Sparacio spürte Schuldgefühle in sich aufkommen. Zum Teufel, dachte er. Was ist hier los? Bin ich hier der Chef oder was?“

Er bekam keine Gelegenheit, irgendetwas einzuwerfen und vielleicht war das auch gut so. „Der Vice-Questore hat schon wieder angerufen. Waren Sie inzwischen bei ihm?“

„Warum sollte ich?“ fragte Sparacio missmutig zurück. „Meine Arbeit geht vor. Ich habe einen Mörder zu ermitteln und keine Zeit, irgendein unnützes Stelldichein zu geben.“

„Ein Mord? Es ist also ein Mord? Der Mann im Baum. Das ist ja …“

„Sie werden kein Wort darüber verlieren, Carla! Haben wir uns verstanden? Ich sagte nicht, dass es ein Mord ist. Aber es kann sein, dass die Ermittlungen ergeben, dass Fremdverschulden vorliegt. Ich möchte, dass das vorerst unter uns bleibt. Können Sie schweigen?“

Sparacio hatte sich, während er sprach, nach vorne gebeugt und auf dem Schreibtisch von Carla mit beiden Armen abgestützt. Er sah seiner Sekretärin ins Gesicht und auf einmal hatte er ein gutes Gefühl. Irgendwie war es ihm, als sei ein Funke übergesprungen und während er noch darüber nachdachte, hörte er Carlas raue, aber dennoch warme und tiefe Stimme.

„Was glauben Sie, Commissario, tue ich hier? Bin ich die Reinemachefrau oder sehen Sie in mir eine Spionin? Ich bin Ihre Sekretärin und man kann mir vieles nachsagen, nicht aber, dass ich illoyal wäre.“ Nachdem sie es gesagt hatte, drehte sie den Kopf zur Seite und hob dabei die Nase leicht nach oben, ein deutliches Zeichen ihrer Empörung.

„Nein, um Gottes Willen, so war das nicht gemeint“, beeilte sich Sparacio um Schadensbegrenzung. „Sie gefallen mir, Carla. Und Ihre Einstellung ist in Ordnung. Übrigens: Können Sie auch Kaffee kochen?“

Mit einem leisen Pah, aber einem stolzen Lächeln im Gesicht, erhob sich Carla schwerfällig und steuerte in Richtung des Nebenraums. Würde mich nicht wundern, wenn sie dort bereits eine kleine Küche eingerichtet hätte, dachte Sparacio. Als habe Carla seine Gedanken gelesen, hielt sie inne und drehte sich zu ihm. „Der Raum ist so klein, dass man nichts Dienstliches damit anfangen kann“, sagte sie und es klang nicht so, als habe Sparacio noch ein Einspruchsrecht. „Ich an Ihrer Stelle würde den Vice Questore anrufen“, fuhr sie fort. „Er wird Verständnis haben, wenn Sie ihm erklären, warum er sich noch etwas gedulden soll.“

Der Kaffee war tatsächlich gut und Carla nahm das Kompliment von Sparacio mit Genugtuung zur Kenntnis.

„Leben Sie hier in Rom?“, begann Sparacio das betretene Schweigen zu brechen. Natürlich lebt sie in Rom, wo sonst, sagte er sich. Blöde Frage. Hoffentlich kommt Sciutto bald.

„Ich habe ein kleines Appartement hier in San Lorenzo, zehn Minuten von hier. Und bevor Sie danach fragen: Nein, ich bin nicht verheiratet und habe auch nicht vor, es jemals zu sein. Ich fühle mich sehr wohl in diesem Zustand.“

„Nein, um Gottes Willen, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten, Signora Formosa …“

„Nein, nennen Sie mich ruhig Carla, bitte“, beeilte sie sich zu sagen und es klang fast wie das Schnurren einer Katze. „Für eine Signorina bin ich zu alt und eine Signora … also bleiben wir dabei.“

„Danke, Carla“, lächelte Sparacio ihr zu. „Ich denke, wir werden uns gut verstehen.“

*

Sergente Enzo Sciutto kam kurz vor vier Uhr am Nachmittag. Geflissentlich legte er seine Aktentasche auf einem Beistelltisch ab und kramte eine Menge Schriftstücke hervor.

„Haben Sie sich die ganze Zeit über mit den Vermissten beschäftigt, Sergente?“, wollte Sparacio wissen und Sciutto nickte. „Auch über die Mittagszeit hinweg, Commissario. Mein Magen, ich …“

„Legen Sie die Akten hierher und gehen Sie was essen. Aber bleiben Sie nicht zu lange, unsere Zeit ist knapp. Sie wissen schon.“

„Natürlich, Commissario. Danke. Ich bin gleich zurück. Werde mir was aus der Macelleria holen.“

Als die Tür hinter Sciutto zugefallen war, zog Sparacio den Aktenstapel zu sich und öffnete den Deckel, den der Sergente mit einer Schnur gegen Herausfallen der einzelnen Blätter gesichert hatte. Beim Durchblättern stellte er fest, dass Sciutto alle Vermisstenfälle des Jahres zusammengetragen hatte. Jeden einzelnen Fall hatte er in einem separaten Hefter abgelegt.

Sparacio wollte sich gerade den einzelnen Fällen widmen, als ihm heiß einfiel, was Pietro Foresta von der Polizia Scientifica ihm gesagt hatte. Eine Narbe, die von einer Verbrennung herrühren könnte, hatte er festgestellt und er hatte es ihm gesagt. Verdammt, er hatte nicht mehr daran gedacht, als er bei Santos im Sektionsraum stand. Er griff zum Telefonhörer und zog seine Hand wie elektrisiert zurück, als das grelle Schrillen des Telefons ertönte.

Es war Santos.

„Commissario, ich glaube, Sie sollten noch einmal hier vorbeischauen“, begann der Pathologe und Sparacio nickte einer imaginären Person zu.

„Ich glaube, da hatten wir den gleichen Gedanken, Dottore. Sie haben eine Brandwunde auf dem Körper des Toten gefunden.“

„Bringen Sie Ihren Fotoapparat mit und beeilen Sie sich“, brummte Santos in den Hörer. „Ich bin mitten in der Obduktion und möchte nicht hier übernachten.“

„Ich mache mich sofort auf den Weg“, sagte Sparacio hastig und legte auf. Eine knappe halbe Stunde später stand er wieder vor Santos und der Leiche, die der Doktor bereits vom Hals an abwärts bis zum Schambein aufgeschnitten hatte. Aus dem Brustbereich hatte er ein trapezförmiges Rippenstück entfernt, um an Herz und Lunge und die unteren Atemwege zu gelangen. Der Körper des Toten war durch diese Maßnahme keineswegs in einen unansehnlicheren Zustand geraten.

Sparacios Blick glitt nach oben zum Kopf des Toten, dessen Gesicht nicht mehr vorhanden zu sein schien. Stattdessen blickte er auf eine blutige Hautmasse und den darüber aufgesägten Schädel, in dem nun die fast blutleere Gehirnmasse freilag.

Santos sah den Blick Sparacios und zuckte die Schultern. „Ich muss meine Arbeit machen, das ist nun mal so. Das ist seine Kopfhaut, die auf seinem Gesicht liegt. So kann ich sie erhalten und, nachdem ich den Kopf wieder mit dem Schädeldeckel verschlossen habe, zurücklegen. Niemand wird dann noch Schlüsse auf meine Arbeit ziehen können“, sagte er und mit einer hilflosen Handbewegung fuhr er fort. „Bei diesem armen Teufel wird es wohl egal sein, wie er hinterher aussieht. Man wird ihn nicht mehr aufbahren.“

Santos bemerkte, wie Sparacios Blicke über die Brust des Toten glitten. „So werden Sie nichts finden“, lächelte er. „Warten Sie“.

Er beugte sich über die Leiche und klappte die Haut der rechten Bauch- und Brustseite, die er zum Freilegen der Innereien zu den Seiten hin weggeklappt hatte und soweit sie noch vorhanden war, in ihre Ursprungsposition. Dadurch, dass Santos aus den Rippen ein Trapez herausgetrennt hatte, konnte man die Umrisse der Haut in dem Bereich sehen, wo sie über der Brust weggeschnitten worden war.

„Vielleicht hat uns der Täter ja, ohne es zu wollen, einen Hinweis dagelassen“, sagte er und zeigte auf eine Stelle der rechten Körperseite, etwa in Höhe des Rippenansatzes. „Sehen Sie her. Es ist nicht viel, aber ich dachte, vielleicht können Sie etwas damit anfangen.“

Sparacio folgte dem ausgestreckten Zeigefinger Santos‘ und musste sich wohl oder übel über die Leiche beugen. Der Gestank war für ihn fast unerträglich. Er sah zu Santos hinüber, der offensichtlich keine Probleme damit zu haben schien und hielt sich die flache Hand vor Nase und Mund. Dann entschloss er sich, die Sache kurz zu machen.

„Wo?“

„Es ist nur ein kleines Merkmal, Sehen Sie her“, forderte Santos ihn auf. „Ich vermute, dass es eine Narbe ist, die von irgendwelchen Verbrennungen herrührt. Ich hatte sie vorhin, als Sie mir meine Zeit zur rauben glaubten, übersehen.“ Bei dieser Bemerkung lächelte er verschmitzt, doch Sparacio schien nicht hingehört zu haben. Nun sah er auch, was der Dottore meinte und Enttäuschung zeigte sich auf seinem Gesicht. Das, was er dort sah, war nicht einmal so groß wie der halbe Fingernagel seines kleinen Fingers. Ein Brandmal, ja, das konnte es sein. Das, was Pietro Foresta vom Erkennungsdienst ebenfalls zu erkennen geglaubt hatte. Vielleicht hatte irgendwann irgendjemand auf der Brust des Mannes eine Zigarette ausgedrückt. Vielleicht hatte er sich als Kind verbrannt oder verbrüht. Doch dann dachte er an das fehlende Stück Haut über der Brust. Einen Zusammenhang durfte er nicht ausschließen.

„Machen Sie Ihre Fotoaufnahmen“, sagte Santos. „Hier ist ein Zollstock.“ Er legte ihn neben das Brandmal und Sparacio konnte nun sehen, dass die Narbe gerade mal drei Millimeter groß war. Er zoomte den Ausschnitt heran, soweit es die kleine Kamera zuließ und schoss mehrere Fotos, einige mit Blitzlicht, einige ohne. Dann sah er sich die Fotos auf dem Display an und schien zufrieden.

„Ach ja, noch eines, das Wichtigste“, beeilte sich Santos zu sagen. „Die Todesursache. Es steht nun genau fest. Der Mann ist nicht ertrunken. Er wurde stranguliert, erwürgt. Das Zungenbein ist gebrochen. Lässt auf einen starken Täter schließen.“

„Womit der Verdacht auf Fremdverschulden nun seine Begründung erfahren hat“, murmelte Sparacio. „Ich danke Ihnen, Dottore, dass Sie mir die Zeit gelassen haben“, sagte er nun laut und er meinte es ehrlich. Vielleicht würde sich dieses kleine Merkmal ja zu einem Hinweis entwickeln. „Sie haben etwas gut bei mir.“

„Ich werde darauf zurückkommen“, grinste Santos, der im Begriff war, ein neues Paar Gummihandschuhe überzustreifen. „Ein Barolo wäre gut, vielleicht in den nächsten Tagen am Tiberufer?“

„Barolo ist okay“, antwortete Sparacio. „Doch die Örtlichkeit … ich glaube, darüber reden wir noch.“

Als Sparacio in seinem Büro ankam, war es kurz nach siebzehn Uhr. Sciutto hatte fertig gegessen und unterhielt sich mit Carla. Als Sparacio eintrat, erhob er sich geflissentlich.

„Commissario, ich habe, Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, in den Vermissten-Akten gelesen. Einige sind dabei, die können wir ignorieren. Haben sich zum Teil erledigt, da es sich um Frauen handelt.“

„Woher wissen Sie, dass die Leiche ein Mann ist, Sergente?“, antwortete Sparacio amüsiert. „Ich habe mit Ihnen nicht darüber gesprochen.“

„Aber, Commissario, die Leiche im Baum, das war doch keine Frau. Die Größe, die Figur …“

„Die Leiche war aufgebläht, das ist bei Männern und Frauen der Fall. Ich glaube nicht, dass man dann noch einen Unterschied feststellen kann.“

„Aber …“

„Es ist alles okay, Sergente. Die Leiche ist ein Mann. Ich bin froh, dass Sie mir einen Teil der Arbeit abgenommen haben.“

Dann wandte er sich an seine Sekretärin. „Carla, würden Sie mich bitte mit meiner Frau verbinden.“ Er sah auf seine Uhr, obwohl er die Zeit wusste. „Eigentlich müsste sie schon zu Hause sein. Die Nummer befindet sich im Terminkalender auf meinem Schreibtisch.“

„Ich soll …?“

„Ja, Sie sollen. Stehen keine Geheimnisse drin. Wenn Sie sie erreicht haben, verbinden Sie.“

Sparacio ließ sich auf seinen Stuhl fallen und griff nach dem Stapel der Vermisstenfälle. Seit der Eröffnung der neuen Dienststelle war keine Vermisstenanzeige erstattet worden. Wenn eine solche vorläge, müsste sie in diesem Stapel zu finden sein. Was aber, wenn es für diesen Fall keine Vermissten-Meldung gäbe?

Gibt es Menschen, die niemand vermisst?

Nur in den seltensten Fällen. Man würde sehen. Auf jeden Fall würde er heute Überstunden machen.

Abuso

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