Читать книгу Abuso - Hans J Muth - Страница 8
2.Kapitel
ОглавлениеCommissario Marecello Sparacio faltete murrend die Tageszeitung zusammen und legte sie neben sich auf dem Kaffeetisch ab. Er war heute sehr früh aufgestanden und verhielt sich bewusst leise, damit Sophia, seine Frau, nichts davon mitbekam und friedlich weiterschlummern konnte. Er hatte für sich Kaffee und für Sophia Cappuccino, den sie so liebte, vorbereitet und war schnell zwei Straßen weiter zur Bäckerei gelaufen, um Cornettos und Olivenbrot einzukaufen. Dann hatte er so leise wie möglich den Tisch gedeckt. Er hätte lieber auf Sophia gewartet, doch heute wollte er zeitig auf seiner Dienststelle erscheinen, auf seiner neuen Dienststelle, deren Leiter er war.
Während er eine Scheibe des noch lauwarmen Brotes mit Marmelade bestrich, hatte er gleichzeitig die Tageszeitung im Blick. La Repubblica berichtete wieder einmal, wie es jeden Tag in den vergangenen beiden Wochen der Fall gewesen war, über das Hochwasser des Tibers und seine Auswirkungen, obwohl der Wasserpegel inzwischen wieder seinen normalen Pegelstand erreicht hatte und das Leben an seinem Ufer schon fast zur Normalität zurückgefunden hatte. Es gab auch heute für Rom kaum Neues und Interessantes zu berichten und schon gar nicht für den Stadtteil San Lorenzo, in den es ihn vor einer Woche ohne eine Vorwarnung verschlagen hatte.
Im Polizia-Commissariato in der Via Portuense war die Position des Commissario-Capo seit mehr als zwei Monaten vakant gewesen. Leonardo Balestra, der bis zu diesem Zeitpunkt die Dienststelle geleitet und sich selbst als brutaler Verbrecher entpuppt hatte, hatte in den unterirdischen Irrungen des Tempelberges in Jerusalem, geprägt von Habgier und Mordlust, den Tod gefunden. Ausgerechnet Sparacio hatte die mörderische Spur eines erst unbekannten Verbrechers verfolgt und schließlich seinen Vorgesetzten Balestra als Verbrecher entlarvt und im Heiligen Land zu Fall gebracht.
Während dieser vergangenen beiden Monate hatte Sparacio die Dienststelle in der Via Portuense kommissarisch geleitet und insgeheim gehofft, irgendwann in nächster Zeit die Leitung als Commissario Capo offiziell übernehmen zu können. Doch es war anders gekommen, anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Sparacio ließ die Kaffeetasse sinken und stöhnte auf, gerade in dem Moment, als Sophia, ein Lied summend, früher als erwartet, fröhlich die Küche betrat. Sein aufkommender Ärger verebbte und er stand auf, um sie mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Sophia roch gut und genau in dem Moment, als er ihr Parfum einatmete, wusste er bereits, dass sie heute nicht gemeinsam das Frühstück einnehmen würden.
„Ich muss los, Carino, ich werde im Büro eine Tasse Kaffee zu mir nehmen“, flüsterte sie ihm ins Ohr und Sparacio trat einen Schritt zurück. Dabei hielt er ihre Oberarme mit gestreckten Händen, als wolle er sie einerseits aufgrund des gerade Gehörten von sich stoßen, sie aber andererseits mit seinem starken Griff zum Bleiben veranlassen.
Er sah in ihr schönes, leicht gebräuntes Gesicht, an dessen beiden Seiten die leicht gelockten schwarzen Haare bis auf die Schultern fielen, er sah auf ihre dezent geschminkten vollen Lippen und stellte wieder einmal fest, dass sie für ihr Alter, -immerhin hatte sie vor einem Monat ihren 45-jährigen Geburtstag gefeiert- noch sehr jugendlich aussah. Ihre großen dunklen Augen über den leicht hervorstehenden Backenknochen mit dem zart aufgelegten Rouge wurden bei dem um Verständnis bittenden Lächeln noch um einen Glanz heller.
„In einer Viertelstunde erwartet mich ein Kunde, um sich ein Projekt anzusehen. Du musst mir die Daumen drücken, Carino. Es wird ein gutes Geschäft, wenn ich ihn überzeugen kann.“
„Du wirst ihn überzeugen, Liebes“, antwortete Sparacio leise, darauf bedacht, ihr seine Enttäuschung über den allzu schnellen Abschied nicht zu zeigen. „Wenn das Projekt hier in San Lorenzo liegt, wünsche ich ihm viel Glück“, bemerkte er vielsagend lächelnd.
„Mir gefällt es in diesem Stadtteil“, rief Sophia im Hinausgehen und winkte Sparacio noch einmal zu, ehe sie aus der Wohnung verschwand. Er hörte noch das Klappern ihrer Pumps, dann fiel die Tür ins Schloss.
Sparacio seufzte. Dass Sophia einmal mit Immobilien makeln würde, daran hätte er noch vor einigen Wochen nicht im Traum gedacht. Claudio Lulli, ein Freund der Familie, hatte Sophia gefragt, ob sie nicht Interesse an einer Tätigkeit in seiner Firma hätte. Nicht, dass er in dem Glauben handelte, für Sophia oder gar für sie und Marcello wäre ein Zubrot finanziell vonnöten. Beileibe nicht. Claudio wollte Sophia damit lediglich einen Gefallen tun, ihr die Möglichkeit bieten, tagsüber, wenn ihr Mann im Dienst war, in einem Arbeitsverhältnis Kontakt zu anderen Menschen zu haben.
Sparacio sah es einerseits mit einem Hauch von Eifersucht, andererseits gönnte er Sophia ihre Eigenständigkeit oder das, was sie darunter verstand. Und sie hatte Freude an dem, was sie tat. „Ich bin wieder unter Menschen, Carino“, hatte sie zu ihm gesagt und in ihren Augen las er das Verlangen nach Verständnis, bevor sie ging.
Sparacio versuchte es zu verstehen. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb acht Uhr. Zeit genug, seinen Kaffee gemütlich auszutrinken. Außerdem war er der Chef. Er war der Commissario Capo, der Leiter der Dienstelle, seiner neuen Dienststelle. Allerdings nicht mehr im Polizia-Commissariato in der Via Portuense. Sparacio seufzte erneut. Er schenkte sich frischen Kaffee ein und schob den Frühstücksteller von sich. Der Hunger war ihm vergangen.
Sparacio wohnte mit Sophia in der Via della Pilotta mit Blick auf einen kleinen grünen Park, der nur durch die verkehrsreiche Fahrbahn geteilt wurde. Immer, wenn er aus dem Fenster sah, war er erfreut darüber, in der dritten Etage und nicht im Erdgeschoss zu wohnen. Die Aussicht hier war, trotzt aller städtischen Begebenheiten, nicht derart eingeengt, wie es in den dichten Straßen Roms der Fall war. Es bedeutete ihm ein Stück Freiheit, wenn er über die Bäume und Sträucher dies- und jenseits der Via Maggio sah, und er empfand es als große Erleichterung, dass die Geräuschkulisse des Straßenverkehrs bis zu seiner Wohnung hin fast verebbte.
Seit einer Woche war Sparacio nun Commissario Capo des Polizei-Kommissariats in San Lorenzo. Questore Giovanni Recchia hatte ihn zu sich in die Questura geladen und nicht nur ihn. Erstaunlicherweise sah sich Sparacio einem weiteren, ihm bislang unbekannten Kollegen, gegenüber.
„Sie werden sich nicht kennen“, begann der Questore. „Commissario Sparacio - Commissario Bretone“, stellte er die beiden vor und Bretone neigte leicht den Kopf in Sparacios Richtung, ohne eine Miene zu verziehen.
„Signore Bretone hat sich auf die vakante Dienststelle in der Via Portuense als Leiter beworben“, hörte Sparacio seinen Vorgesetzten wie aus weiter Ferne. „Wir haben dem entsprochen. Nein, lassen Sie mich ausreden.“ Der Questore hob beschwichtigend die Hand, als er sah, dass Sparacio tief einatmete. „Ihnen, lieber Commissario, haben wir eine andere Aufgabe zugedacht und Sie werden sich dabei nicht verschlechtern. Sie werden die neue Dienststelle in der Via Urbana im Stadtteil San Lorenzo übernehmen.“
Er winkte erneut mit der Hand ab, als er das Vorhaben Sparacios, einen Kommentar zu geben, bemerkte. „Sie beide, meine Herren, werden zum Commissario Capo befördert, wie es Ihrer Position zusteht. Ich weiß, Sie werden Ihre Sache hervorragend machen. Meine Herren.“
Der Questore erhob sich und geleitete die beiden Kollegen zur Tür und gab ihnen damit nicht die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder gar eine Diskussion zu beginnen. Es war ein einseitiges Gespräch gewesen und als Sparacio wenige Minuten später auf dem Gehweg vor dem Präsidium stand, überlegte er, ob man ihm die Entscheidung nicht hätte schriftlich mitteilen können, denn eine Gelegenheit, seine Meinung einzubringen, hatte man ihm so oder so nicht eingeräumt.
Es brauchte seine Zeit, bis Sparacio sich mit der Entscheidung des Questore abgefunden hatte, doch dann sah er es an der Zeit, die Gestaltung seiner neuen Dienststelle selbst in die Hand zu nehmen. Und so trug er seine Wünsche dem Questore telefonisch an und war erstaunt, dass er seinen Anträgen stattgab. Kurz darauf informierte er Enzo Sciutto, einen Beamten der Carabinieri, der immer zur Stelle war, wenn Sparacio einen zuverlässigen Mitarbeiter benötigte, per Telefon.
„Sie kommen mit nach San Lorenzo, zu unserer neuen Dienststelle“, hatte er ihm gesagt und Sciutto war schier aus dem Häuschen. „Da wird sich Maria aber freuen“, war das Erste, was er sagte. „Und ich habe nur noch den halben Weg zur Arbeit. Wann soll es denn losgehen, Commissario?“
„Sofort, Sergente, sofort. Drei Ihrer Kollegen haben schon vor einer Woche ihren Dienst dort begonnen.“ Er dachte kurz nach. Dann war die Dienststelle ja vollständig eingerichtet, eine Belastung weniger für ihn. „Sie, Sciutto“, endete Sparacio, „Sie werden bis auf Weiteres zu meiner persönlichen Verfügung stehen.“
Sparacio schmunzelte, als er Sciutto förmlich am anderen Ende der Leitung über das ganze Gesicht grinsen sah.
„Danke, Commissario, danke. Wenn ich das Maria erzähle.“
Sparacio beendete sein Frühstück, kaum, dass er einen Bissen zu sich genommen hatte. Er räumte die verderblichen Dinge in den Kühlschrank und stellte das benutzte Geschirr auf der Spüle der Anrichte ab. Dann überlegte er, ob er sich noch um den Abwasch kümmern sollte, doch ehe er die Entscheidung herbeiführen konnte, läutete das Telefon.
„Commissario, es tut mir leid, dass ich Sie störe.“ Es war Sciutto, der Sergente, den er zu seiner rechten Hand auf der neuen Dienststelle im Stadtteil San Lorenzo gemacht hatte. „Vermutlich sitzen Sie mit Ihrer Frau gemütlich beim Frühstück, draußen auf der Terrasse. Die Sonne … es wird ein so schöner Tag in Rom…“
„Sciutto, was ist los? Sie rufen mich doch nicht an, um mir einen guten Appetit zu wünschen. Haben Sie Probleme auf der Dienststelle?“
„Na, ja“, kam es gedehnt aus der Leitung. „Probleme kann man das schon nennen. Wir … wir haben einen Toten, unten an der Biegung des Tibers, etwa 200 Meter unterhalb der Ponte Palatino. Können Sie gleich kommen?“ Es klang irgendwie zaghaft.
„Eine Wasserleiche?“, fragte Sparacio zurück, während er mit dem Hörer am Ohr ins Wohnzimmer eilte und nach seinem Sakko Ausschau hielt.
„Ja und nein, Commissario“, kam es nun gequält aus der Hörmuschel. „Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll …“
„Dann lassen Sie es“, sagte Sparacio unwirsch. „Ich bin gleich bei Ihnen.“ Er ließ den Hörer auf die Ladestation fallen und warf sich das Sakko über. „Ja und nein“, äffte er Sciutto im Hinauseilen nach. „Er wird doch wohl noch eine Wasserleiche von einer üblichen Leiche unterscheiden können.“