Читать книгу Abuso - Hans J Muth - Страница 12
6. Kapitel
ОглавлениеSparacio parkte den dienstlichen Alfa auf der Piazza Borgese, unmittelbar vor der Universita La Sapienza. Dass der einzige freie Parkplatz für das dort beschäftigte Personal reserviert war, störte ihn dabei nicht. Er betrat das riesige Portal an der Längsseite des U-förmigen Gebäudes und begab sich, nachdem er sich an der Rezeption legimitiert hatte, zielstrebig zu den Aufzügen.
Im Kellergeschoss, in dessen Weiten sich ein Unkundiger ohne interne Hilfe hoffnungslos verlaufen würde, stand Sparacio wenige Minuten später vor einer doppelflügeligen Tür mit der Aufschrift Pathologie - Eintritt nur für Befugte. Er klopfte kurz und wartete nicht, bis ihn irgendjemand aufforderte einzutreten.
Mit einem Blick erfasste Sparacio die Situation. Ein Arzt in grünem Kittel stand mit dem Rücken zu ihm an einem Waschbecken an der gegenüberliegenden Wand des geräumigen Raumes, in deren Mitte nebeneinander drei metallene Obduktionstische standen. Zwei davon waren leer und wie es den Eindruck erweckte, frisch gereinigt. Auf dem Tisch an der linken Seite hingegen schien sich das derzeitige Arbeitsobjekt des Pathologen zu befinden. Eine mit einem grünen Tuch abgedeckte Leiche war dort in Rückenlage platziert, worauf die freiliegenden Füße schließen ließen.
Als die automatische Tür hinter Sparacio im Schloss einrastete, drehte sich der Arzt um und es schien, als habe er auf seinen Besucher gewartet. Mit ausgebreiteten Armen kam er auf Sparacio zu, ein breites Lächeln auf dem runden vollen Gesicht, das ein dunkler kräftiger Schnauzbart zierte. Sein kahler Kopf, dessen Haarpracht nur noch aus einem schmalen Haarkranz bestand, hatte die Form eines Balles und seine kräftige rundliche Figur hatte im Bereich der 160-Zentimeter-Marke aufgehört zu wachsen.
Sparacio lächelte zurück. Er kannte den Arzt seit mehreren Jahren und er war froh, dass gerade er heute Dienst hatte: Georgio Santos. Der Ruf um seine Gewissenhaftigkeit, mit der er seine Arbeit verrichtete, war in römischen Polizeikreisen und darüber hinaus bekannt und geschätzt.
„Commissario Sparacio! Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich noch antreffen. Ich wollte gerade zu Tisch. Obwohl,“ -er zeigte mit dem Daumen seiner rechten Hand über seine Schulter-, bei einem solchen Anblick kann einem schon der Appetit vergehen.“
„Dottore Santos, ich freue mich, Sie hier anzutreffen. Ich hoffe, Sie haben einen Moment Zeit für mich.“
„Einen Moment? Commissario, ich weiß, wie bei Ihnen ein Moment aussieht. Nein, nein, lassen Sie nur“, winkte er ab, als Sparacio antworten wollte, „ich werde meinen Hunger in seine Grenzen weisen und mich Ihren Fragen stellen. Es geht um ihn dort, nicht wahr?“
Dr. Santos machte eine Kopfbewegung zum Tisch mit der zugedeckten Leiche und nickte. „Dann lassen Sie uns beginnen.“
Sparacio folgte Santos zu dem metallenen und eisige Kälte ausstrahlenden Seziertisch. Lediglich die Füße der abgedeckten Leiche lugten unter dem grünen Tuch hervor und unwillkürlich verzog sich Sparacios Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse. Das, was die Füße ihm offenbarten, sollte nur eine Vorahnung dessen sein, was ihn nach Entblößen der Leiche erwarten würde. Santos Augen folgte dem Blick Sparacios und als sie vor dem Tisch standen sagte er: „Das Wasser hat die Haut aufgeweicht und die Sonne hat ihr den Rest gegeben.“
Sparacio wusste, was der Doktor meinte, doch in sein Grübeln schien Santos seine Gedanken erahnt zu haben.
„Sind Sie auf den Anblick vorbereitet? Santos sah Sparacio erwartungsvoll an.
„Es ist nicht meine erste Leiche.“ Es klang schroff, als Sparacio dies sagte und sogleich tat es ihm leid. Santos tat, als habe er die Bemerkung nicht gehört. Mit einem Seitenblick auf Sparacio fasste er das Tuch, das die Leiche abdeckte und zog es mit einem Ruck bis zu deren Füße.
Santos lächelte. Das war seine Antwort auf Sparacios Bemerkung. Aus den Augenwinkeln sah er zu dem Commissario, den es unwillkürlich einen Schritt nach hinten gezogen hatte.
„Auch die hundertste Leiche kann einem noch einen Schrecken einjagen, stimmt‘s?“, fragte er, als er den starren Blick Sparacios auf die Leiche gerichtet sah.
„Was … was hat ihn so zugerichtet?“, fragte der, ohne seinen Blick von der Leiche zu nehmen. Was er dort vor sich sah, war ihm so in seiner kriminalistischen Laufbahn noch nicht vorgekommen. Dass dort ein Mann lag, das war das Einzige, das er auf eine Frage hin hätte bestätigen können. Aber sonst …?
Sparacio schloss kurz die Augen, doch dann regte sich sein kriminalistischer Sinn und er begann, die Leiche von oben nach unten mit seinen Augen abzutasten. Der Kopf war aufgetrieben wie ein Ballon, die wenigen blonden Haare lagen wie angeklebt auf der Kopfhaut, dass man sie kaum erkennen konnte. Die aufgeplatzten Lippen wiesen eine dunkle Farbe auf und zwischen ihnen hatte sich die ebenfalls aufgeblähte Zunge gelegt. Es sah aus, als habe man dem Mann ein rohes Stück Rindfleisch in den Mund geschoben. Nach den Augen suchte Sparacio vergebens. Die Höhlen waren leer, die Lider hingen in kleinen Fetzen über den Öffnungen. Sparacio überlegte, ob dafür die Vögel verantwortlich waren, doch er verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Der Hals des Mannes war nahezu auf die Dicke des Kopfes aufgedunsen. Das Gleiche galt für den gesamten Körper. Hautfetzen hingen von der lederartigen Haut in Streifen an den Seiten hinunter oder hatten sich aufgekringelt wie überbreite Fettuccine.
Was in Sparacio aber den größten Schock hervorgerufen hatte, war der Brust- und Bauchbereich des Toten. Dabei waren es nicht nur die Maden, die sich im Inneren der Bauchhöhle tummelten. Es waren auch nicht nur die freiliegenden Gedärme, die entweder die Leichenbestatter oder aber Santos wieder in die Bauchhöhle gepackt hatten und die dem Betrachter nun ein wabbeliges undefinierbares Gemenge darboten. Da war noch etwas. Die Rippen der Brust lagen zum größten Teil frei. Eine Hautschicht war dort partiell nicht vorhanden und wie es aussah, hatte Santos noch nicht mit der Obduktion begonnen.
Santos sah den fragenden Blick Sparacios und nickte vor sich hin. „Die meisten Maden habe ich mit der Brause in den Abfluss gespült“, begann er. „Vor der Obduktion werde ich den restlichen noch den Garaus machen. Ich hörte, die Leiche hing in einem Baum?“, fragte er in einem Atemzug.
„Sie hing im Geäst eines niedrigen Baumes an der Uferböschung des Tibers, ja. Besser gesagt, sie lag im Geäst.“
„Mit der Bauchseite nach oben, vermute ich.“
„Ja.“ Sparacios Blick war immer noch auf die Leiche gerichtet. „Erst hat sie eine Zeitlang im Wasser gelegen, dann hing sie einige Tage in dem Baum.“
„Also, was ich mit Bestimmtheit sagen kann: Der Mann ist nicht ertrunken. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie die Verfärbungen im vorderen Bereich des Halses feststellen. Sie sind zwar kaum sichtbar, aber durch den Bruch des Zungenbeins als äußere Gewalt belegbar. Kein Selbstmord also, falls Sie in diese Richtung Vermutungen hegten. Die Verwesung war offensichtlich bereits im Wasser weit fortgeschritten. Die Sonne hat den Leichnam dann getrocknet und ihr darüber hinaus einen Großteil des Wassers im Körper entzogen. Deshalb die Lederhaut an der Vorderseite. Anders sieht es auf der Rückseite des Körpers aus. Dort ist die Verwesung schneller vorangeschritten, da sie nicht der direkten Sonnenausstrahlung ausgesetzt war. Ich gehe davon aus, dass Sie am Fundort viele Maden vorgefunden haben?“
„Ja, unterhalb der Leiche, auf dem Erdboden“, antwortete Sparacio gedankenverloren.
„Sind offensichtlich von der Leiche heruntergefallen. Und die Fliegen?“
„Was?“ Sparacio riss sich zusammen. Er musste seine Arbeit tun und dafür musste er der Realität in die Augen sehen. „Die Fliegen? Wissen Sie, da müssten wir die Kollegen von der Spurensicherung fragen. Die waren am näheren Tatort.“
„Ist nicht nötig“, lachte Santos und sein runder Bauch wippte auf und ab. „Es müssen schon viele gewesen sein. Viele Maden, viele Fliegen, oder umgekehrt. So ist das eben. Er dort bot ihnen eine gute Brut- und Nahrungsstätte.“
Sparacio zeigte auf die Brust der Leiche. „Was ist mit der Haut über den Rippen. Sieht merkwürdig aus.“
„Ja, äußerst merkwürdig. Sie ist nicht einfach der Verwesung zum Opfer gefallen. Wenn Sie mich fragen: Sie wurde entfernt.“
„Entfernt?“ Sparacio sah Santos voller Erstaunen an. „Entfernt? Sie meinen, jemand hat sie weggeschnitten?“
„Zumindest sieht es so aus. Kommen Sie.“
Santos ging hinüber zum Seziertisch und Sparacio folgte ihm widerwillig, sein Taschentuch vor den Mund pressend.
„Die Haut ist zwar durch die äußeren Einflüsse stark ramponiert“, begann Santos. „Aber, dass man mit einem Messer in die Haut geschnitten hat, das kann man noch an verschiedenen Stellen erkennen. Sehen Sie hier: Ein kreisförmiger Schnitt und dann wieder ein gerader. Als hätte man das Messer bewusst so geführt.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Eigentlich nichts, als dass ich glaube, dass jemand aus einem bestimmten Grund einen solchen Schnitt durchgeführt hat.“
„Um dann die Haut über einem bestimmten Bereich zu lösen?“
„Die einzige Erklärung, die Sinn macht, oder nicht?“
Sparacio überlegte. „Dann gibt es meiner Meinung nach zur zwei Erklärungen dafür.“
„Ich bin gespannt.“ Santos sah Sparacio erwartungsvoll an.
Entweder man hat ihm die Haut abgezogen, um damit etwas zu tun, was auch immer. Oder man hat sie entfernt, um etwas zu vertuschen.“
„Sie meinen, auf der Brust habe der Mann etwas wie … wie eine Tätowierung gehabt. Ein Zeichen einer … Verbrecherorganisation?“
„Wenn es das ist, dann wollte man Spuren verwischen, möglich ist das.“
„Glauben Sie? …können Sie …?“ Sparacio hielt inne, denn er wusste, dass sein Anliegen unsinnig klingen würde.
„Sie meinen, ich sollte versuchen, dieses Zeichen, wenn es denn eines gewesen wäre, wieder sichtbar zu machen? So, wie eine durchgedrückte Schrift auf einem Notizblock? Commissario! Wo denken Sie hin?“
„Ich weiß“, brummte Sparacio resignierend. „War nur so eine Idee. Wann werde ich das Ergebnis der Obduktion haben? Schon gut“, nickte er, als er Santos‘ Blick sah.
Santos breitete ergeben die Arme aus und atmete tief durch. Er war es gewohnt, dass die Ermittler seine Ergebnisse am liebsten schon gestern auf dem Tisch liegen hätten. Er nickte mit einem säuerlichen Lächeln auf den Lippen. „Ich werde mich gleich an die Arbeit machen. Sie hören von mir, okay?“
Sparacio nickte. „Wir wissen noch nicht, wer der Tote ist“, sagte er nachdenklich im Hinausgehen. „Wir brauchen seine DNA … und seinen Zahnabdruck. Für alle Fälle. Ich hoffe, Sergente Sciutto findet etwas in den Vermissten-Akten.“
Dann fuhr er zurück zur Dienststelle. Er war gespannt, was sein Kollege ihm zu berichten hatte.