Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 102
9.
ОглавлениеGoman-Largo
Endlich schien Anima den Ort genau anpeilen zu können, von dem aus ihr Ritter nach ihr rief.
Es wurde auch höchste Zeit.
Ich war richtig kribbelig, weil ich mit den Nachforschungen in meiner ureigenen Sache nicht weiterkam. Es war nicht nur eine dumpfe, vage Ahnung, die mir sagte, dass ich die vom Orden der Zeitchirurgen aufspüren musste, falls es sie noch gab – und dass ich, sobald ich sie gefunden hatte, etwas Entscheidendes gegen sie unternehmen musste. Es war beinahe Gewissheit.
Ich brauchte nur an den Temporalbruch zu denken, den ich mit Hilfe dreier Module in der unter Quarantäne stehenden Zeitgruft auf Polterzeit entdeckt hatte. Zwar hatte ich übertrieben, als ich meinen Gefährten erklärte, der Temporalbruch zöge sich durch alle Zeitebenen aller Parallelzeiten. In dem Fall wäre das Gefüge des Universums nämlich längst zerbrochen. Aber es stimmte, dass das Gefüge des Universums durch den Temporalbruch gefährdet war.
Er musste geschlossen werden!
Wie ich das fertigbringen sollte, das allerdings war mir noch ein unlösbares Rätsel. Das »Gespenst von Polterzeit« beziehungsweise die Wesenheit namens Shymee, die in die Zeitgruft auf Polterzeit verbannt gewesen war, hatte mir von dem vergeblichen Versuch von Gurak-Sogoon berichtet, den Temporalbruch zu schließen.
Gurak-Sogoon war ein Spezialist der Zeit gewesen wie ich, aber kein Tigganoi, sondern ein Tagg – und er sollte einer Zivilisation entstammen, die weiter entwickelt war, als ich mir vorzustellen vermochte.
Dennoch war er bei dem Versuch der Schließung des Zeitbruchs gescheitert und umgekommen.
Es wäre folglich unrealistisch von mir gewesen, anzunehmen, ich könnte diese Aufgabe bewältigen.
Nein, was er nicht geschafft hatte, würde ich auch nicht schaffen – nicht, wenn ich mir nicht etwas Besseres einfallen ließ als er. Oder wenn ich mehr über die Zeitchirurgen und ihre Geheimnisse erfuhr – und wenn ich die Welt mit den drei Monden im Zentrum des dreigeteilten Silbernebels fand, auf die Shymee mich hingewiesen hatte.
Dort sollte das Vermächtnis des Zeitingenieurs Tronh Tronomonh ruhen, der das Geheimnis der Neutralisierung von Zeitbrüchen erforscht hatte.
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, wenn ich an das alles dachte. Kein Wunder, wenn ich Fieberanfälle bekam und Wahnvorstellungen wie die von Llokyr und von Askyschon-Nurgh hatte. Es war zuviel für mich. Ich brauchte mehr Hilfe, als Neithadl-Off und Anima mir zu gewähren vermochten.
In meiner Verzweiflung richteten sich alle meine Hoffnungen auf Atlan.
Nach dem was Anima uns bisher von ihrem Ritter berichtet hatte, musste er ein ganz außergewöhnliches Intelligenzwesen sein. Wenn mir jemand helfen konnte, dann er.
Ich schrak auf, als Anima mit monotoner Stimme zu sprechen begann – und als ich ihr Gesicht sah, wusste ich, dass sie sich im Zustand tiefster Trance befand.
Hoffentlich konnte sie diesmal Atlans Aufenthaltsort anpeilen!
Ich wollte ihr zurufen, alle Kraft zusammenzunehmen. Aber Neithadl-Off wedelte ablehnend mit den Tastfäden ihrer Vordergliedmaßen, als sie meine Absicht erkannte.
Danach zog sie ihr Aufzeichnungs- und Multifunktionsgerät aus dem Futteral, nahm es zwischen die Vordergliedmaßen und pfiff leise hinein, während sie damit vor ihrer Mundleiste hin und her fuhr. Es sah immer aus, als bliese sie ein Musikinstrument. Manchmal machte ich mich darüber lustig.
Diesmal nicht.
Denn plötzlich fing Anima an zu reden.
»Von der Spitze des Schwertes annähernd vertikal durch die gebogene Klinge abwärts«, verstand ich – und die Vigpanderin pfiff es sofort in ihr Gerät hinein. »Durch den untersten Stern des Schwertgriffs wieder hinaus, wobei dieser Griffstern mit der Schwertspitze eine Gerade bilden muss. Auf einer Verlängerung dieser Geraden entlang. Weiter, immer weiter!«
Als Anima schwieg, fühlte ich, wie meine Handflächen schweißnass wurden.
Was sie bisher gesagt hatte, war eine äußerst wertvolle Information. Aber sie reichte nicht aus, nicht bei den Dimensionen einer ganzen Galaxis.
Wir mussten mehr erfahren!
Wenigstens noch einen Anhaltspunkt brauchten wir: entweder eine halbwegs genaue Entfernungsangabe oder die Beschreibung einer markanten Konstellation, eines Nebels oder eines anderen hervorstechenden Phänomens.
Doch Anima schwieg.
Hochgradig erregt stürmte ich auf sie zu, um sie aus ihrer vermeintlichen oder wirklichen Lethargie zu reißen, egal wie.
Es hätte mich beinahe das Leben gekostet.
Plötzlich stand mir Nussel im Wege – und sein spitzes Horn zeigte genau auf meine Brust.
Ich verhinderte meinen Tod nur, weil ich blitzschnell die Hände vorstreckte, das in sich schraubenförmig gedrehte Horn umfasste und die Handflächen als Bremsbacken benutzte.
Es funkte, als die Spitze des Horns das Symbol meiner Zunft – der Zunft der Spezialisten der Zeit – anstieß, dann ging Nussel in die Knie und legte sich stöhnend auf die linke Seite.
Anima erwachte aus ihrer Trance.
»Du Rohling!«, beschimpfte sie mich. »Was hast du mit Nussel gemacht?«
»Er hat gar nichts gemacht«, nahm Neithadl-Off mich in Schutz. »Im Gegenteil, Nussel hätte ihn beinahe mit seinem Horn durchbohrt.«
»Das wüsste ich aber!«, schrie Anima.
»Streitet euch nicht!«, ermahnte ich meine Gefährtinnen. »Die Spitze von Nussels Horn traf ziemlich hart auf mein Zunftsymbol.« Ich rieb mir die schmerzende Stelle. »Daraufhin hat es gefunkt. Ich weiß auch nicht, was das war. Vielleicht eine mir unbekannte Schutzvorrichtung. Es war jedenfalls nicht von mir gewollt.«
Ich kauerte mich zu Anima neben das Einhorn, während die Vigpanderin ihr Aufzeichnungsgerät verstaute und dann behutsam in Nussels Nüstern blies.
Plötzlich lief ein Zittern durch Nussels Leib.
»Es stirbt!«, jammerte Anima.
»Hilf ihm!«, forderte ich sie auf. »Du kannst es doch.«
»Nicht jetzt«, erwiderte die Hominidin bekümmert. »Ich bin psionisch völlig ausgelaugt. Meine Konzentration auf die Artikulation von Atlans Ruf hat mir alle besonderen Kräfte entzogen. Wir müssen wieder aus der Stationärbahn hinaus und auf Kurs gehen, damit ich neue Kraft schöpfen kann.«
Ich fing an, Nussels Leib zu kneten, nur, um irgend etwas zu tun, das ihm vielleicht half.
»Hör auf damit!«, schnaufte das Einhorn. »Der Blitz hat mich erschlagen, aber es geht mir schon wieder besser.«
Es nieste schallend – genau auf die Mundleiste Neithadl-Offs.
Ich musste lachen.
Während Anima vor Erleichterung Tränen auf Nussels Fell vergoss und meine Vigpanderin unverständliche Verwünschungen pfiff und sich die Mundleiste putzte, ging ich zum KOM-Sektor der Bordpositronik.
»Du hast gehört, welchen Kurs Anima beschrieben hat, POSIMOL«, sagte ich. »Schlage ihn ein!«
»Ich kenne die Richtung, aber nicht die Entfernung«, gab die Positronik zu bedenken. »Auf der Verlängerung der beschriebenen Geraden geht es zirka siebzigtausend Lichtjahre weit durch das Sternenmeer von Manam-Turu. An welcher Stelle dieser Strecke soll ich anhalten?«
Das war eine gute Frage.
Natürlich konnten wir die Strecke von 70.000 Lichtjahren mit vielen Zwischenstopps abfliegen und darauf warten, dass Anima bei einem Halt den exakten Aufenthaltsort Atlans aufspürte, doch wenn wir Pech hatten, würden wir am siebzigtausendsten Zwischenstopp nicht schlauer sein als jetzt. Aber älter, viel älter.
So ging es also nicht.
»Halte am unteren Schwertstern an!«, befahl ich der Positronik. »Dort wollen wir uns noch einmal orientieren – und wenn wir Glück haben, kann Anima ihre Peilung dort vervollständigen.«
»Verstanden«, gab POSIMOL zurück.
»Du bist wirklich fein raus«, erwiderte ich. »Wenn dir nur jemand sagt, was du tun oder lassen sollst, bist du zufrieden mit dir und der Welt.«
»Aber nicht mit dir, Modulmann«, entgegnete POSIMOL spitz.
*
»Blutgrün!«, pfiff Neithadl-Off, als die STERNENSEGLER dicht vor dem untersten Schwertstern in den Normalraum zurückfiel.
Damit konnte sie aber Anima und mich nicht mehr aus der Fassung bringen, denn wir wussten längst, dass Vigpanderinnen (und Vigpander, sofern es sie gab) grünes Blut besaßen. Darum auch ihre graugrüne Hautfarbe.
Der untere Schwertstern leuchtete tatsächlich gleich einem von allen Seiten angestrahlten grünen Beryll.
Aber etwas stimmte nicht.
Die gesamte Zentrale war plötzlich in dieses grüne Leuchten getaucht – und das durfte nicht sein, da die Bildschirme keine optischen Eindrücke direkt wiedergaben, sondern nur Computerbilder von aufbereiteten Ortungsdaten.
»Was ist das, POSIMOL?«, schrie ich, um den Lärm zu übertönen, den das wildgewordene Einhorn mit Toben und Wiehern verursachte.
Doch die Positronik antwortete nicht.
Ich rettete mich mit einem Sprung auf ein Schaltpult vor den Hufen des auskeilenden Einhorns, dann sah ich mich nach Anima und Neithadl-Off um.
Anima kauerte vor dem seltsamen Gebilde aus Glassit, Metall und Plastik, das zirka drei Meter hoch aufragte und die Form eines halben Vogeleies hatte, auf das eine konische Säule gesteckt war, die von einem zweiten, kleineren, halben Vogelei gekrönt wurde. Es handelte sich sozusagen um das Aushängeschild POSIMOLS, denn die wesentlichen Elemente der Bordpositronik befanden sich hinter den Wänden und unter dem Boden der Zentrale.
Die Hominidin schien das Gebilde anzubeten. Sie hatte die Augen geschlossen und die Handflächen auf die Hülle der Konstruktion gelegt.
Von meiner Vigpanderin dagegen vermochte ich nichts zu sehen. Anscheinend war sie vor dem tobenden Einhorn aus der Zentrale geflüchtet.
»Roboter!«, rief ich, als Nussel die Hinterhufe gegen die Verkleidung meines Schaltpults schmetterte. »Fangt das Tier ein!«
Ein lautes Knistern ließ mich erschrocken zusammenfahren. Das Schiff schüttelte sich heftig. Ich zitterte um Anima und sah sie schon von Hufen zerstampft am Boden liegen.
Das grüne Leuchten wallte grell auf, dann erlosch es. Auf meiner Netzhaut flimmerte es aber noch eine ganze Weile nach. Das Wimmern der Alarmsirenen hallte durch das Schiff. Zu mehr schien POSIMOL aber noch nicht wieder fähig zu sein.
Nussel hörte auf zu toben und stand mit heftig bebenden Flanken still. Anima kauerte unverändert vor POSIMOLS »Aushängeschild«.
Ich sprang vom Schaltpult und ging auf den Durchgang zu den Backbordsektionen zu. Mein Ziel war die Kanzel für den Solo-Piloten. Aus dessen Cockpit hatte ich schon einmal die STERNENSEGLER in Manuellkontrolle übernommen. Falls POSIMOL nicht alles blockiert hatte, sollte es mir auch diesmal glücken.
Ich eilte in einem Korridor unter den Umsetzerblöcken für die Normal- und Hyperfunkantennen hindurch, an dem Schott vorbei, hinter dem die Vorratsräume lagen und die paar Stufen zur Kanzel hinauf.
Als ich mich in das enge Cockpit zwängte, dachte ich an Neithadl-Off. Sie musste sich irgendwo im Schiff befinden, und vielleicht ging es ihr nicht gut. Eigentlich sollte ich sie suchen, aber das Schiff war in Gefahr. Da war alles andere zweitrangig.
Ich legte die Unterarme auf die Druckleisten, während sich der Sessel noch meinen Körperformen anpasste, dann packte ich die Sticks mit je zwei Fingern und wartete, dass die Bildschirme sich erhellten.
Die 3-D-Bildschirme flimmerten, wurden aber nicht richtig hell. Immerhin erkannte ich auf ihnen die positronisch dargestellten »Bilder« einiger Sterne vom Schwert des Rächers direkt über dem Schiff. Sie waren nur als Lichtpunkte zu sehen, also weit entfernt.
Näher war ein smaragdgrüner Stern an Steuerbord. In Gedanken nannte ich ihn Schwertgriff, denn es konnte sich nur um den unteren Schwertstern vom Schwert des Rächers handeln. Er schien zu flackern, aber das mochte an der gestörten Elektronik liegen. Für mich stand fest, dass wir vorhin mit einer Art elektromagnetischem Puls angegriffen worden waren – in der Stärke von mindestens ein paar Gigawatt.
Waren wir dem fremden Zugriff entkommen?
Ich blickte zu dem blassen Abbild eines Planeten an Backbord. Er konnte nicht weiter als 30.000 Kilometer entfernt sein. Vorhin war er aber noch nicht dagewesen. Da ein so massereiches Objekt wie ein Planet aber nicht einfach über viele Lichtstunden hinwegspringen konnte, musste es die STERNENSEGLER gewesen sein, die »gesprungen« war.
Genauer gesagt, die »gesprungen worden« war.
Nichts und niemand aber wendete viele Gigawatt für die Paralysierung eines Raumschiffs und noch einmal viele Gigawatt für seine Versetzung auf, ohne damit etwas bezwecken zu wollen.
Gab es im Schwert des Rächers doch noch uralte Kräfte, die im Sinn ihrer Konstrukteure, Erbauer und Installateure wirkten?
Ich konnte es mir nicht vorstellen, aber ich wusste aus zahlreichen Erfahrungen, dass es im Universum sehr vieles gab, was ich mir nicht vorzustellen vermochte.
Mein Blick wanderte zu dem dicken gelben Sensorpunkt rechts von meinem rechten Daumen. Sobald ich ihn berührte, würde ich das Schiff in Manuellkontrolle übernehmen können.
Ich zuckte heftig zusammen, als der akustische Melder meines Armbandfunkgeräts schrillte. Das musste ich demnächst irgendwie dämpfen. Mein früheres Multifunktionsarmband hatte leiser signalisiert, doch das war schon vor langer Zeit von unbekannten Dieben an Bord gestohlen worden – und das Ersatzgerät aus dem Magazin der STERNENSEGLER war nicht von gleicher Qualität.
Verflixte Diebe!
Ich schaltete das Funkgerät ein und atmete erleichtert auf, als ich auf der kleinen Bildscheibe Neithadl-Offs Gesicht erkannte.
»Wo steckst du?«, fragte ich.
»Im Maschinenraum«, antwortete die Vigpanderin. »Askyschon-Nurgh hatte nach mir gerufen. Ich habe dafür gesorgt, dass wir über die Brücke von Llokyr gehen können.«
Ich hörte, dass ich mit den Zähnen knirschte.
Die Erwähnung von Askyschon-Nurgh und Llokyr ging mir auf die Nerven. Wie kam meine Partnerin überhaupt dazu, auch davon zu faseln?
»Du musst das Schiff in Manuellkontrolle übernehmen!«, drängte Neithadl-Off. »Sonst funktioniert es nicht. Ich habe alles andere schon getan. Glaube mir, Modulmann!«
Askyschon-Nurgh! Llokyr!
Ich merkte, wie es hinter meiner Stirn zu arbeiten begann.
Wenn diese Begriffe nicht nur mir, sondern neuerdings auch meiner Prinzessin erschienen, dann waren sie nicht nur Schall und Rauch, sondern dann steckte mehr dahinter.
Unter Umständen viel mehr.
»Aber wir müssen zu Atlan!«, versuchte ich einen letzten Protest.
»Wir müssen über die Brücke von Llokyr!«, behauptete Neithadl-Off steif und fest. »Vielleicht bringt sie uns zu Atlan – und von ihm aus nach Askyschon-Nurgh. Übernimm endlich, Modulmann!«
Ihre letzten Worte waren so drängend, dass ich den Rest meiner Bedenken über Bord warf.
Zwar akzeptierte ich damit, dass wir uns Mächten und Kräften auslieferten, von denen wir nur vage etwas zu ahnen vermochten und die wir vielleicht niemals ganz begreifen würden, aber ich fürchtete mich nicht länger davor.
Das Universum war keine chaotisch entartete Materie. Es gehorchte Gesetzen und Kräften, die über ihm standen. Folglich war es keine Schande, sich ihnen anzuvertrauen.
Vor allem aber sah es ganz danach aus, als käme ich anders nicht dazu, meiner ursprünglichen Mission nachzugehen – und vielleicht war die Brücke von Llokyr ja eine hyperenergetische Spur, die die STERNENSEGLER durch den Zwischenraum zum jetzigen Aufenthaltsort Atlans brachte.
»Modulmann!«, pfiff meine Partnerin streng.
Ich hieb mit der Faust auf den gelben Sensorpunkt ...
ENDE
Handlungsträger des nächsten Atlan-Bandes sind ebenfalls Anima, die Orbiterin, Goman-Largo, der Modulmann, und Neithadl-Off, die Parazeit-Historikerin. Hauptthema des Bandes ist ihr Eingreifen auf dem Seuchenherd Cirgro ...
SEUCHENHERD CIRGRO – das ist auch der Titel des von H. G. Ewers geschriebenen Romans.