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5.

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Anima

Wir brauchten nur wenige Minuten, um das Ziel zu erreichen. Neithadl-Off benutzte ihr Gravojet-Aggregat. Ich dagegen flog nicht, obwohl ich mir mein Aggregat ebenfalls angelegt hatte. Aber Nussel hatte solange gebettelt, ich möchte doch auf ihm reiten, dass ich es ihm nicht abschlagen konnte.

»Hier soll es sein?«, fragte die Vigpanderin enttäuscht, als ich Nussel zum Stehenbleiben veranlasste.

Die Frage war begreiflich, denn wir waren auf einem kleinen, von Lagerhallen umringten Platz angekommen.

Ich deutete nach unten.

»Wir müssen ungefähr hundert Meter hinabgehen.«

Ich stieg vom Rücken des Einhorns und ging die Treppe zu einer Verladerampe hinauf und durch das halboffene Tor in die angrenzende Halle hinein. Nussel und die Vigpanderin folgten mir. Neithadl-Off ging zu Fuß.

In der Halle herrschte Halbdunkel. Es gab keine Beleuchtung. Das war auch nicht nötig gewesen, wie die herumstehenden Roboter verrieten. Roboter brauchten kein Licht. Ihre Sensoren ermöglichten ihnen auch im Dunkeln eine optimale Orientierung. Die Maschinen rührten sich allerdings nicht. Das war nicht verwunderlich. Sie hatten nichts zu tun.

An den Wänden der Halle war Leergut gestapelt, darunter mehrere große Container, die sicher einmal bessere Zeiten gesehen hatten. Einer von ihnen war allerdings nur äußerlich ein Container. Ich öffnete die vordere Schiebetür, schaltete den Handscheinwerfer auf dem Brustteil meiner Kombination an und schloss die Tür, nachdem Nussel und Neithadl-Off mir gefolgt waren.

Danach ging ich ins hintere Drittel und fuhr mit den Fingern die stilisierte Zeichnung eines Vulkankegels nach. Daraufhin glitt vor mir der Boden beiseite und gab die quadratische Öffnung eines Treppenschachts frei.

Ich wollte die Treppe gerade betreten, als Neithadl-Offs Frage mich zögern ließ.

»Woher kennst du das?«, wollte die Vigpanderin wissen.

Ich dachte nach, dann schüttelte ich den Kopf, eine Geste, die ich schon Hartmann vom Silberstern und später Atlan abgesehen hatte.

»Ich kenne es nicht«, erklärte ich. »Zumindest war ich noch nie zuvor hier. Aber ich wusste Bescheid. Wahrscheinlich war die betreffende Information auch in der emotionalen Erinnerungsflut Gurays vorhanden, und ich habe sie unbewusst aufgenommen.«

»Das klingt plausibel«, meinte die Vigpanderin.

Nussel schnaubte unwillig.

»Aber die Treppe ist unpassierbar für mich«, erklärte er. »Wollt ihr wirklich hinuntergehen? Ich kann euch dort nicht beschützen.«

»Wir werden deinen Schutz nicht brauchen«, erwiderte Neithadl-Off. »Ich war während meiner Exkursion als Parazeit-Historikerin schon vielen Gefahren ausgesetzt und habe gelernt, mich selber zu beschützen.«

»Aber Anima!«, begehrte das Einhorn auf.

»Auch ich habe gelernt, mit Gefahren zu leben«, beruhigte ich es. »Du kannst uns aber auch hier von Nutzen sein, indem du aufpasst, dass uns niemand in den Rücken fällt.«

Nussel nickte heftig und scharrte mit den Vorderhufen.

»Oh, ja!«, versicherte er eifrig. »Das werde ich tun.«

Ich winkte ihm zu, dann stieg ich endgültig die Treppe hinab. Es handelte sich um eine Geschosstreppe mit Umkehrpodesten. Sie war für Nussel nur deshalb unpassierbar, weil die Decke zu niedrig war. Ich musste mich bücken. Nur Neithadl-Off konnte normal gehen.

Der Abstieg war mühsam. Schon dachte ich, die Treppe hätte überhaupt kein Ende, da sah ich im Lichtkegel meines Handscheinwerfers einen ebenen, stahlgrauen Boden, von dem hohe schlanke Pfeiler emporragten. Zwischen ihnen waren die Umrisse von Bauwerken zu erkennen.

Das musste die Stadt der Unauffindbaren sein.

Ich atmete auf und reckte mich erst einmal, als ich die Treppe endlich verlassen hatte.

»Was ist los?«, hallte von oben die Stimme Nussels herab.

Ich lachte zuerst, doch dann begriff ich, dass er sich ernsthaft um uns sorgte.

»Nichts, Nussel!«, rief ich zurück. »Wir sind jetzt unten.« Ich nahm den Handscheinwerfer ab und leuchtete umher. Schmalbrüstige Häuser mit Schlitzen statt Fenstern drängten sich eng zusammen. Eine Gasse erlaubte den Durchblick auf einen Platz. »Es ist niemand zu sehen«, fügte ich noch als Beruhigung für Nussel hinzu.

»Dann kommt zurück!«, rief das Einhorn. »Was wollt ihr dort, wenn der Modulmann nicht da ist?«

»Uns umsehen!«, pfiff Neithadl-Off. »Er steckt vielleicht innerhalb eines Gebäudes.«

Sie hatte ebenfalls ihren Scheinwerfer eingeschaltet und trippelte bereits durch die Gasse. Ich folgte ihr.

Nach kurzer Strecke führte die Gasse auf einen kleinen Platz – und auf der gegenüberliegenden Seite stand ein stahlgraues Gebäude, das mit seiner schlanken Kuppelform an die Urform aller Raumschiffe erinnerte – wie die meisten Tempelbauten, die ich gesehen hatte.

»Ein Tempel«, stellte auch Neithadl-Off fest. »Wenn Goman-Largo hier unten war oder ist, dann hat er sich mit Sicherheit darin umgesehen. Ihn interessiert alles, was irgendwie nach Tempel aussieht.«

Im nächsten Moment kreischte sie erschrocken, denn da schüttelte ein heftiges Beben den Tempel und die anderen Bauten. Aber es blieb völlig still dabei, was eigentlich bei einem Beben nicht möglich war.

»Eigenartig!«, flüsterte ich, nachdem sich alles wieder normalisiert hatte.

»Es war ein Dimensionsbeben«, erklärte die Vigpanderin. »Deshalb konnte es sich nicht akustisch bemerkbar machen. Wir haben praktisch nur die optischen Nebeneffekte einer Erschütterung und dabei teilweisen Überlagerung von Existenzebenen gesehen. Ich kenne mich damit aus. Als ich zu Gast bei Imperator Nukassl vom Sternenreich Poggimol war, gab es täglich ein Dimensionsbeben. Die Hohen Physiker des Reichsamts für Wissenschaft zelebrierten sie zu meinen Ehren.«

Ich erwiderte nichts darauf, weil ich nicht sicher war, ob sie das nur so dahingesagt hatte. Neithadl-Off behauptete oft die unmöglichsten Dinge. Manchmal erschienen sie mir unglaublich. Aber jedes Mal, wenn ich sie ausgefragt hatte, um sie bei einer Lüge zu ertappen, hatte sie mir so viele einleuchtende und logisch erscheinende Beweise aufgetischt, dass ich inzwischen kaum mehr wagte, ihre Worte anzuzweifeln. Insgeheim aber gestattete ich mir den Luxus des Zweifels schon – wenn auch nicht immer.

»Glaubst du mir etwa nicht?«, pfiff sie mich schrill an.

»Aber nein!«, beteuerte ich hastig. »Wie kommst du darauf?«

»Inzwischen kenne ich deine Mimik ziemlich genau«, behauptete Neithadl-Off. »Die Zweifel standen dir überdeutlich im Gesicht. Aber du kannst dich darauf verlassen, dass es ein Dimensionsbeben war. Das wird schon durch seine Begrenzung auf die Stadt der Unauffindbaren bewiesen. Ein tektonisches Beben hätte sich auch oben ausgewirkt – und in dem Falle wäre Nussel schon vor Sorge um uns auf dem Bauch die Treppe hinabgerutscht.«

Ich musste gegen meinen Willen lachen.

»Still!«, pfiff die Vigpanderin dazwischen. »Ich höre etwas.«

Ich hielt die Luft an.

Da hörte ich es ebenfalls.

Es waren scharrende Geräusche, die aus dem Innern des Tempels zu kommen schienen. Kurz darauf rumpelte es – und dann machte es erschreckend laut »hatschi«.

Neithadl-Off sprang mit allen Gliedmaßen gleichzeitig in die Höhe und kreischte.

Ich dagegen musste lachen, denn dieses »hatschi« kannte ich, wenn auch nur von früher und von meinen beiden Rittern. Da aber Hartmann nicht mehr lebte und Atlan nicht in der Nähe war (sonst hätte mein Orbiterinstinkt es gespürt), konnte eigentlich nur einer geniest haben.

Goman-Largo!

»Gesundheit!«, rief ich, wie es mir mein erster Ritter beigebracht hatte.

Das Niesen wiederholte sich, dann schimpfte der Modulmann aus dem Innern des Tempels:

»Gesundheit! Das ist blanker Hohn! Ich bin krank, deshalb hat es mich – ich weiß auch nicht was!« Er nieste zum dritten Mal.

Sekunden später tappte er mit tränenden Augen durch das Tempeltor.

»Du hast geniest«, erklärte ich ihm. »Hattest du denn noch nie einen Schnupfen?«

»Schnupfen?«, echote Goman-Largo. »Kenne ich nicht.«

»Kanntest du nicht«, erwiderte ich. »Jetzt lernst du ihn kennen. Du musst dich angesteckt haben, denn Schnupfen wird von Viren verursacht.«

Er wurde gleich von einer Niesdoublette geschüttelt. Schamhaft wandte er sich ab, als ihm massenhaft Sekret aus der Nase schoss.

»Mein armer Modulmann!«, pfiff die Vigpanderin, eilte zu ihm und umschlang seine Beine mit ihren Vordergliedmaßen.

Ich lächelte schadenfroh, als der Tigganoi abermals nieste und dabei ihre Oberseite benetzte. Aber die Schadenfreude schmolz dahin, weil ich sah, dass Neithadl-Off ihre transparente Raumschutzhülle trug.

Mitleid mit dem Modulmann ergriff mich. Ich wandte impulsiv meine besondere Fähigkeit an und sorgte dafür, dass alle Schnupfenviren im Umkreis von hundert Metern genetisch inaktiv wurden. Danach reichte ich Goman-Largo mein Halstuch und forderte ihn auf, sich damit die Nase zu putzen. Nach anfänglichem Zögern tat er es auch. Anschließend besserte sich sein Befinden allmählich.

»Danke!«, sagte Neithadl-Off, die zuerst merkte, dass ich ihm geholfen hatte.

»Er hätte uns sonst nicht sagen können, wo er war und was er erlebt hat«, schwächte ich meinen Edelmut etwas ab, dann wandte ich mich an ihn. »Also, sprich schon!«

Goman-Largo schnäuzte sich kraftvoll in mein Halstuch (das konnten sie alle, auch wenn sie es nie gelernt hatten), wischte sich die nassen Augen ab und sagte:

»Ich war im Raumsektor Askyschon-Nurgh – und zwar auf der Kristallwelt Llokyr.«

»Llokyr!«, echote Neithadl-Off begeistert. »Ja, dort war ich auch schon. Es ist die Welt der tausend Gesichter. Hat er sich dir gezeigt?«

»Wer?«, fragte der Tigganoi verblüfft.

»Ich habe seinen Namen vergessen«, erwiderte die Vigpanderin. »Aber seine Fähigkeiten sind verblüffend.«

Goman-Largo machte ein ungläubiges Gesicht.

»Diesmal glaube ich dir nicht«, erklärte er. »Llokyr und Askyschon-Nurgh waren nämlich nur Simulationen – so wie dieses Wesen, das mir ankündigte, ich wäre auserwählt, Großes zu vollbringen.«

»Das nächste Mal wird alles real sein«, pfiff die Vigpanderin. »So, wie es schon einmal war.«

»Woher weißt du, was dieses Wesen gesagt hat?«, fragte Goman-Largo verblüfft.

»Ich sagte dir doch, dass ich auch schon dort war«, gab Neithadl-Off zurück. »Du musstest natürlich zweifeln. Aber jetzt weißt du, dass ich die reine Wahrheit gelo..., äh, gesagt habe.«

Der Tigganoi machte ein Gesicht, als hätte er süßen Rahm genascht, dem Glaubersalz beigemischt war.

»Die Wahrheit gelogen!«, flüsterte er fast weinerlich. »Und die Lügen wahrgemacht! Du machst mich noch wahnsinnig, Neithadl-Off!«

Sie nahm ihre Gliedmaßen von ihm und trippelte rückwärts.

»Du beleidigst mich, Spezialist der Zeit«, erklärte sie.

»Das wollte ich nicht«, versicherte der Tigganoi, kramte in seinen Taschen und brachte einen smaragdbesetzten goldenen Armreif zum Vorschein. »Da, meine Prinzessin! Den habe ich für dich unter Lebensgefahr aus einer Schatzkammer Gurays geholt.«

Neithadl-Off war sofort wieder versöhnt.

»Oh, mein Modulmann!«, flötete sie. »Du hast dein Leben gewagt, um mir schlimmen Sünderin kostbares Geschmeide zu schenken! Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken kann.«

»Hört auf mit dem Schmus!«, fuhr ich dazwischen, denn die Erwähnung Gurays hatte mich an den Hilferuf Atlans erinnert. »Jetzt sind wir wieder komplett – und nur das zählt. Schnell, zurück zum Schiff!«

»Wie, bitte?«, fragte Goman-Largo mit typisch männlicher Begriffsstutzigkeit. »Du willst zum Schiff, Anima? Womöglich Barquass verlassen? Und das, nachdem du dich in den letzten Wochen förmlich in den Planeten hineingekrallt hattest.«

»Mein Ritter hat gerufen!«, schrie ich ihm ins Gesicht. »Er ist in Not. Ich muss ihm helfen.«

Er sah mich prüfend an, dann lächelte er und sagte:

»Das trifft sich gut. Zufällig warte ich nämlich seit rund sechs Wochen darauf, endlich von Barquass wegzukommen – obwohl, wenn ich mir überlege, dass ich eben erst eine Schatzkammer Gurays entdeckt habe ...!«

»Dann musst du erst recht fort von Barquass!«, erklärte ich – und meine Augen weiteten sich, als der Tigganoi einen Kristall aus seiner Kombination hervorholte und auf der flachen Hand präsentierte. »Was ist das für ein Stück?«, fragte ich erschrocken, denn ich spürte fünfdimensionale Vibrationen, die von dem Kristall ausgingen. »Es scheint ein psionischer Speicher zu sein. Wenn Guray merkt, dass du ihn gestohlen hast, kommst du nicht ungeschoren davon.«

»Ein psionischer Speicher?«, wiederholte Goman-Largo nachdenklich. »Das könnte stimmen. Mit dem Tryzotropie-Verfahren behandelte Kristalle lassen sich unter anderem zu psionischen Speichern umfunktionieren.« Er ließ den Kristall wieder in einer Tasche seiner Kombination verschwinden. »Guray giftet sich, wenn er sein Fehlen bemerkt, meinst du, Anima. Schön, dann beeilen wir uns also, Barquass zu verlassen. Ich bin sowieso froh, wenn ich mir das Vakuum des Alls um die Nase wehen lassen kann.«

Lachend eilte er auf die Treppe zu, bückte sich und sprang die Stufen hinauf. Neithadl-Off trippelte eifrig hinterher.

Ich folgte den beiden seltsamen Wesen kopfschüttelnd.

Das Vakuum des Alls um die Nase wehen lassen! Dieser Tigganoi drückte sich einfach verboten aus!

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