Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 52
1.
ОглавлениеDer Turm aus Bruchsteinen, auf dem ich stand, war erst vor wenigen Tagen nach meinen Instruktionen fertig gestellt worden, doch sein Material wirkte so verwittert, als wäre er schon Jahrhunderte alt.
Wuchtig wie ein Festungsbau überragte er die Häuser, die nur selten eine Höhe von mehr als zwei Stockwerken hatten. Von hier oben aus hatte man einen ausgezeichneten Blick über ganz Yutlamal und die malerische Umgebung. Die Stadt war auf einer Erhebung erbaut und lag inmitten eines hügeligen Geländes zwischen den senkrechten Hängen eines Urstromtals.
Es war ein schönes Fleckchen Erde. Majestätisch schlängelte sich der nahe Fluss durch die anmutige Landschaft, schimmernd wie poliertes Silber. Saftige Wiesen in sattem Grün bildeten Hintergrund und Kulisse für bunte Blumen und blühende Wildkräuter, die sich über die Gräser erhoben. Frisch gepflügte Streifen aus dunklem, fettig glänzendem Mutterboden umgaben die Vegetationsinseln, die nicht bearbeitet wurden. Wie gelbe Flicken hoben sich dagegen die kleinen Felder aus gelbem Löß ab, auf denen Mannanna angebaut wurde. Noch lagen die von Palisadenwänden, Hecken und Dornengestrüpp geschützten Äcker brach, aber bald konnte wieder gesät werden, und dann würde das üppig sprießende Korn sich in ein Meer aus wogenden Ähren verwandeln.
Von keinem Luftzug bewegt und achtunggebietend standen die Baumriesen da. Blankgeputzt leuchtete ihr Blattwerk, würdevoll reckten sie ihre belaubten Kronen in den hellen Himmel, den kein Wölkchen trübte. Eine gewisse Feierlichkeit ging von den Wäldern aus, die Felder und Wiesen säumten. Sie schienen über alles erhaben zu sein, scheinbar unangreifbar, nur den Naturgewalten Tribut zollend, uralte, weise Beobachter, die allem und jedem Nahrung und Lebensgrundlage boten, der sich in ihren Schutz begab. Freund und Feind tummelten sich zwischen den mächtigen Stämmen, die mit ihrem Laub die Unbilden der Witterung abmilderten.
Auch Yutlamal profitierte von den Wäldern. Ihr Holz diente nicht nur zum Hausbau, sondern auch zur Befestigung der Wälle rings um die Stadt, zur Anlegung von Brücken, zur Errichtung von Wachtürmen auf den Feldern und zum Bau von Toren. Unter meiner Anleitung hatte sich Yutlamal in eine Wehrsiedlung verwandelt, umgeben von einem Wassergraben, so dass die Stadt für die Tixudkatzen fast unangreifbar wurde. Dezimiert, wie die Tiere waren, stellten sie im Augenblick keine Bedrohung mehr für die Kaytaber dar, doch da die Planetarier sie nicht gezielt verfolgten oder gar ihre Ausrottung betrieben, würde sich die Art wieder erholen.
Die ärgsten Schäden hatten abgewendet werden können. Der Weiße Unbekannte, jener geheimnisvolle Nebel, der das Psi-Potenzial des Getreides in sich aufgenommen und es dadurch als Nahrung für die Kaytaber unbrauchbar gemacht hatte, hatte Aytab nicht mehr heimgesucht. Die Vermutung, dass es sich bei dieser Erscheinung um EVOLO oder zumindest um sein Werk handelte, lag nahe, doch der letzte Beweis fehlte mir trotz umfangreicher Untersuchungen. Immerhin hatte genug Mannanna geerntet werden können, um die Speicher halbwegs zu füllen und eine Neuaussaat zu sichern. Meine Analysen hatten ergeben, dass keine Substanzen im Boden zurückgeblieben waren, die das Korn in der nächsten Wachstumsperiode ungenießbar machen würden.
Nicht nur eine Hungersnot war gebannt worden, es war auch gelungen, die Zerstörungen zu beheben, die die rasenden Tixudkatzen angerichtet hatten. Damit nicht genug, hatte ich auch allerlei Verbesserungen einführen können, die der Sicherheit und der Anhebung des Lebensstandards dienten. Das betraf nicht nur den persönlichen Bereich, sondern vor allem auch die Technik. Die Holprigs, jene vorsintflutlichen Vehikel mit Verbrennungsmotor, die als bodengebundene Transportmittel eingesetzt wurden, konnten inzwischen tatsächlich als »Autos« bezeichnet werden, und aus der mittelalterlichen Alchimistenküche von Linque und Restjue war ein Labor geworden, das diesen Namen auch verdiente. Das Wrack des abgestürzten Traykon-Schiffes hatte sich dabei als eine unerschöpfliche Fundgrube erwiesen, dessen Schätze noch längst nicht alle geborgen waren.
Meine unermüdlichsten und auch sachkundigsten Helfer dabei waren die beiden Forscher, die ich der Einfachheit halber Links und Rechts nannte. Natürlich begriffen sie nicht alles und beherrschten die komplizierte Maschinerie nur zu einem geringen Teil, doch sie waren wissbegierig und lernten täglich dazu. Routineangelegenheiten konnte ich ihnen getrost überlassen, und hatten sie erst einmal die Problemstellung erkannt, machten sie auf eigene Faust weiter und tüftelten und bastelten, bis sie eine brauchbare Lösung fanden.
Vor rund drei Monaten hatten Atlan, Chipol und Mrothyr den Planeten mit der STERNSCHNUPPE verlassen, und ich bereute es bis heute nicht, hiergeblieben zu sein. Schon beim ersten Kontakt hatte ich eine ungeheure Zuneigung zu diesem liebenswerten, friedlichen Völkchen entwickelt, die in den letzten Wochen eher noch zugenommen hatte. Ja, ich hatte die Kaytaber regelrecht in mein positronisches Herz geschlossen, eine emotionelle Komponente, die wohl Schwiegermutter und vor allem Blödel in meine Speicher und Programme eingebracht hatten. Deutlicher als je zuvor empfand ich, dass meine Entscheidung richtig war, den Planetariern beim Wiederaufbau zu helfen. Auf Aytab wurde ich wirklich gebraucht. Ob ich Atlan bei seiner Mission so nützlich sein konnte wie hier, war fraglich.
Meine besondere Liebe galt Perlmutt, einer niedlichen, jungen Kaytaberin, mit der ich enge Freundschaft geschlossen hatte. Sie begleitete mich auf Schritt und Tritt, und sogar die Unterkunft teilten wir miteinander. In meinem Unterbewusstsein war der Begriff »Agaporniden« aufgetaucht – die »Unzertrennlichen«. So hatte man seinerzeit das Gespann Nockemann-Blödel genannt, doch das mochte ich für unsere Beziehung nicht gelten lassen. Die beiden waren oft aneinandergeraten, wir zwei dagegen verstanden uns ganz prächtig und stritten uns nie.
Wie immer war Perlmutt an meiner Seite. Sie räkelte sich neben mir auf der Plattform behaglich in der Sonne. Sanft fuhr ich ihr über den hellblauen Pelz und kraulte sie zwischen den Ohren, eine Liebkosung, die sie besonders gern mochte. Genüsslich schloss sie die Augen und schnurrte dabei fast wie eine Katze.
»Ist Aytab nicht eine herrliche Welt, Traykon, so voller Frieden und Harmonie?«, meinte die zierliche Kaytaberin schwärmerisch und atmete tief die würzige Luft ein.
»Ja, das ist sie wirklich«, bestätigte ich. Überwältigt brach sich das Blödel-Erbe in mir Bahn und riss mich zu einem Goethe-Zitat hin. »Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht, verdient nicht, dass die Welt von ihm erfahre.«
»Das hast du schön gesagt, Traykon.« Sie öffnete die ausdrucksvollen Augen und bedachte mich mit einem warmherzigen Blick. »Ich bewundere dich. Du weißt alles, du kannst alles, und du verstehst dich sogar auf die Dichtkunst. Nie zuvor bin ich jemandem begegnet, der so vollkommen ist wie du.«
Fast wurde ich ein wenig verlegen über dieses Lob. Nicht, dass ich ein Typ war, der sein Licht unter den Scheffel stellte, aber ein Meister der Feder und der Reime war ich nicht, und dass das Wissen von drei Positroniken in mir verankert war, konnte ich ihr schlecht auf das hübsche Näschen binden, also verstieg ich mich zu dem klassischen Ausruf:
»Die unbegreiflich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tag.«
»Oh, mein Traykon, ich liebe dich und deine Künste!«
Nun wurde mir die Sache doch peinlich. Schroffer als beabsichtigt sagte ich:
»Du mich auch.«
Verständnislos blickte mich die Kleine an.
»Du mich auch? Was heißt das?«
Sofort tat mir meine dumme Bemerkung leid, ich ärgerte mich darüber. Im Umgang mit rüden Raumfahrern mochte sie ihre Berechtigung haben, für so liebliche Ohren war sie eigentlich nicht bestimmt. Um eine Ausrede nicht verlegen, hatte ich sofort eine passende – wenn auch alberne – Antwort parat.
»Du liebst mich, ich liebe dich, ich liebe mich, und du mich auch.«
»Ach so.« Sie lachte glockenhell. »Du bist wirklich unterhaltsam.«
»Ich weiß. Scherz erkannt, Witz gebannt.«
»Du bist wirklich ein Schatz.« Wieder lachte Perlmutt. »Was du dir immer für lustige Dinge ausdenkst. Ich erinnere mich noch deutlich daran, als Valabog seine eigenen Verse vortrug und dich um deine Meinung fragte. Weißt du noch, was du ihm gesagt hast?«
»Natürlich, denn mein Gedächtnis ist vollkommen«, gab ich im Brustton der Überzeugung zurück. »Ich antwortete: Du passt zu den Dichtern wie ein A...«
Erschrocken hielt ich inne. Um ein Haar hätte ich einer Dame gegenüber diesen unaussprechlichen Körperteil in den Mund genommen – bildlich gesprochen, denn ich besaß weder eine Analgegend noch ein Organ zur Nahrungsaufnahme. Bevor ich Perlmutt ablenken konnte, ergänzte sie voller Heiterkeit:
»... zu den Gesichtern. Ich habe mich köstlich darüber amüsiert, nur der arme Valabog war etwas geknickt, als er dein Urteil hörte.«
»Vielleicht habe ich es ein wenig hart formuliert. Ich mag ihn, er ist ein netter Kerl, aber er sollte lieber Flurhüter bleiben. Was er sich da zusammenreimt, lässt mir ja direkt mein Gesichtsfeld beschlagen. Was soll ich halten von ›Auf der grünen Wiese / wartet ein Tixud / auf eine milde Brise / die ihn erfrischen tut‹? Oder den anderen Wiesen-Quatsch-Vers ›Auf der Denkerwiese / sitzen S. Ydo und G. Riese / den Kopf voll Ideen / die hin und her gehen / dann haben sie es satt / und reißen vom Baum Blatt für Blatt / um sie mit Stiften / als Exposés zu beschriften‹. Das knickt mir ja förmlich die Antennen weg.« Ich musterte die Kleine. »S. Ydo und G. Riese – was für eine Bedeutung haben sie überhaupt? Sind es Namen, Personen, Begriffe?«
»Vermutlich sind es irgendwelche Bezeichnungen, die der Phantasie Valabogs entsprungen sind«, meinte Perlmutt versonnen. »Er hat oft so seltsame Einfälle, wenn ihn die Muse küsst.«
»Ich denke, die Muse wird ihn eher fliehen, denn sonst hätte er bei seinen geistigen Ergüssen schon Knutschflecken.«
Die junge Kaytaberin kicherte vergnügt und wälzte sich auf den Rücken, um auch den Bauch von der Sonne bescheinen zu lassen. Auffordernd streckte sie mir ihre Beine entgegen, um gestreichelt zu werden. Ich tat ihr den Gefallen und fuhr ihr mit den Fingern beider Hände durch das seidige Fell. Ein behagliches Brummen zeigte, dass es ihr gefiel, und mir bereitete es Freude, meine kleine Freundin so zufrieden zu sehen. Wenn ich da noch an die Zeit meiner Ankunft dachte ...
Kampf, Not, Elend und Tod hatten den Alltag der Kaytaber bestimmt, Angst und Ohnmacht, Hilflosigkeit und vergebliches Aufbäumen gegen das, was sich planetenweit tat. All das war nun Vergangenheit, auch wenn das Leid noch nicht vergessen war, sondern vielleicht nur verdrängt. Die Schäden, die die Planetarier an die schlimme Zeit erinnern konnten, waren beseitigt, technische Entwicklungen, von mir angeregt und in die Wege geleitet, wiesen einen erfolgversprechenden Weg in die Zukunft, und die Nahrungsgrundlage der vegetarischen Körneresser war gesichert. Überall kehrte der Alltag wieder ein, eine Phase der Ruhe und Beschaulichkeit, beides Eigenschaften, die zum Wesen dieses Volkes gehörten.
Auch ich genoss diese Zeit des inneren und des äußeren Friedens. Wieder nahm ich das Bild der paradiesischen Landschaft in mir auf und ließ meinen Blick schweifen. Da die Feldarbeit ruhte und kein Acker zu bestellen und zu bewachen war, hielt sich auch kein Einwohner Yutlamals außerhalb der Stadt auf. Kein Holprig störte die Ruhe und Harmonie der Natur, selbst die intelligenten Tixudkatzen hielten sich verborgen, alles atmete jene Beschaulichkeit aus, die typisch war für Aytab und das Zusammenleben seiner höchstentwickelten Vertreter mit der Flora und Fauna.
Plötzlich kam Bewegung in das Stillleben. Drei Gestalten bevölkerten auf einmal die Szenerie. Sie folgten der mehr schlecht als recht ausgebauten Straße, die eigentlich nur von landwirtschaftlichen Fahrzeugen benutzt wurde und sich wie ein Lindwurm durch einen Wald schlängelte. Verschiedene Gehölzgruppen verhinderten, dass sie immer einsehbar war – selbst von unserer Warte aus nicht.
Der Gestalt und der Art der Fortbewegung nach handelte es sich eindeutig um Kaytaber, doch sie konnten unmöglich aus Yutlamal stammen. Weder Leute der Tixudabwehr noch Flurhüter hatten Exkursionen angekündigt, zumal auch keine Notwendigkeit bestand, auszurücken. Noch am Morgen hatte ich mit den Verantwortlichen gesprochen, doch niemand hatte die Absicht geäußert, Aktivitäten außerhalb der Stadt zu starten.
Es wäre mir auch nicht verborgen geblieben. Die Planetarier waren ein Völkchen, das geradezu funksüchtig war. Überspitzt gesagt, meldeten sie sogar über dieses Medium, das sie im Normalbereich nahezu perfekt beherrschten, wann die Toilette frei war und von anderen Familienangehörigen benutzt werden konnte. Die drahtlose Verständigung mit anderen Siedlungen und Artgenossen – das war die Leidenschaft der Kaytaber. Alles und jedes – selbst Banalitäten – ging per Radiowelle rund um den Globus.
Von den dreien, die sich Yutlamal näherten, wusste ich – wussten wir – nichts. Merkwürdig war, dass sie nicht angekündigt worden waren, noch merkwürdiger war, dass sie nicht selbst versuchten, mit der Bevölkerung der Stadt Kontakt aufzunehmen. Höchst suspekt war, dass sie einen Weg benutzten, der als Fernverbindung ausschied und nur regionale Bedeutung hatte. Welches intelligente Wesen kam schon auf die Idee, quer durch die Wildnis von Acker zu Acker zu trampen, wenn es Straßen gab?
»Wir bekommen Besuch.«
Sofort kam Perlmutt hoch und tappte auf ihren Hinterbeinen ein wenig unbeholfen zur Brüstung vor. Ein paar Sekunden lang spähte sie nach unten, dann wandte sie sich um.
»Seltsam, sie sind gar nicht avisiert worden. Oder hast du eine Nachricht empfangen?«
»Nein. Ich werde Tranoque und Maronx informieren.«
Ich gab einen kurzen Kennungsimpuls ab und bekam auch sofort Kontakt mit den beiden Kaytabern. Sie bildeten etwas ähnliches wie die Führung Yutlamals. Tranoque war Verantwortlicher der Tixudabwehr, Maronx trug den Titel »Oberster Flurhüter«. Sie empfanden es ebenfalls als ungewöhnlich, dass Reisende sich einer Stadt näherten, ohne sich zu melden.
»Maronx und Tranoque wollen die Fremden am Nebentor II empfangen«, berichtete ich, nachdem das Funkgespräch beendet war. »Wir sollten sie begleiten. Ich möchte die unbekannten Wanderer auch in Augenschein nehmen. Wer weiß, was sie dazu bewogen hat, ausgerechnet diesen Weg zu nehmen.«
Gemeinsam verließen wir das wuchtige Bauwerk. Zwei Kaytaber nahmen unseren Platz als Türmer ein.
*
Ich war überrascht. Die drei Ankömmlinge glichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie waren exakt 106 Zentimeter groß, hatten das gleiche rauchblaue Fell und identische Gesichter. Selbst Bewegungen und Mimik stimmten völlig überein. Kein Zweifel, es musste sich um eineiige Geschwister handeln. Solche Mehrlingsgeburten waren zwar selten, doch sie kamen ab und zu vor.
»Willkommen in Yutlamal, der wehrhaften großen Stadt am Fluss«, spulte der Torwächter sein Verslein herunter. »Darf ich euch nach den Namen, eurem Begehr und eurer Herkunft fragen?«
»Wir heißen Evodix, Evroom und Everyhan«, stellte einer der drei sich und seine Brüder vor. »Wir kommen von weither und bitten darum, in den Mauern dieser Stadt rasten und übernachten zu dürfen.«
Diese Auskunft war nun wirklich ein wenig sehr dürftig und entsprach nicht dem Mitteilungsbedürfnis der Kaytaber. Keiner der drei trug ein Funkgerät bei sich, und die Taschen und Beutel, die sie mitführten, fassten kaum Proviant für eine Tagesration. Wenn es stimmte, dass sie eine weite Reise hinter sich hatten, dann waren sie dafür verdammt schlecht ausgerüstet.
Der Wachtposten, der wohl auch eine konkretere Antwort erwartet hatte, blickte unsicher zu Maronx. Der bedeutete ihm mit einer Bewegung des Vorderlaufs, die Wanderer einzulassen. Gehorsam trat der mit einer Lanze bewaffnete Kaytaber zur Seite.
»Ich bin Maronx, der Oberste Flurhüter.« Der Reihe nach nannte er unsere Namen. »Es ist lange her, dass Drillinge in Yutlamal weilten. Erweist ihr mir die Ehre, euch bewirten und für euer Wohl sorgen zu dürfen?«
»Wir sind keine Drillinge«, sagte der Fremde, der sich Evodix nannte, »obwohl man uns oft dafür hält.« Er lächelte. »Dennoch nehmen wir dein Angebot gerne an – sofern du es nicht zurücknehmen willst.«
Die Gesichter meiner kaytaberischen Freunde drückten eine Mischung aus Unglauben, Erstaunen und Verwunderung aus. Niemand schien so recht glauben zu können, dass eine solche Ähnlichkeit rein zufällig und eine Laune der Natur sein konnte. Maronx fasste sich rasch und überspielte seine Zweifel an den Angaben durch übertriebene Höflichkeit.
»Selbstverständlich seid ihr mir willkommen. Darf ich euch zu meinem Haus führen? Sicher seid ihr müde und hungrig.«
»Ja, doch deine herzliche Gastfreundschaft entschädigt uns für die Mühen des Tages. Mit einem so freundlichen Empfang haben wir nicht gerechnet«, gab Everyhan artig zurück.
Der Torwächter, dessen Tätigkeit derzeit mehr die Abwehrbereitschaft der Städter gegenüber den Tixudkatzen symbolisierte, als dass es eine wirkliche Aufgabe war, nahm seine ursprüngliche Position wieder ein, während Maronx und Tranoque die Brüder zur Unterkunft des Obersten Flurhüters führten. Perlmutt und ich folgten in einigem Abstand.
»Der Bursche lügt«, zischte die Kleine. »Es gibt keine Kaytaber, die sich so ähnlich sind, es sei denn, es sind Mehrlinge.«
Dieser Ansicht war ich auch, nein, ich war aufgrund meiner genetischen Kenntnisse sogar absolut sicher, dass es Drillinge waren. Warum aber wollten sie es nicht eingestehen? Allein ihre ähnlich klingenden Namen deuteten darauf hin. Und dann diese Ausflüchte über ihre Herkunft. Welchen Grund hatten sie, den Namen ihres Heimatorts zu verschweigen, warum gaben sie nicht an, was sie hergeführt hatte? Gab es einen dunklen Punkt in ihrer Vergangenheit? Hatten sie fliehen müssen, weil sie der Gemeinschaft oder einem einzelnen Schaden zugefügt hatten?
Ihre spärliche Ausrüstung ließ darauf schließen, dass sie überhastet aufgebrochen waren, und ihre Geheimnistuerei passte in dieses Bild. Keine Ankündigung, keine Funkmeldung, und offizielle Straßen wurden gemieden, obwohl in den Wäldern Gefahren lauerten, die hauptsächlich von den Tixudkatzen ausgingen. Niemand, der klar im Kopf war, nahm ein solches Risiko auf sich – es sei denn, er hatte etwas zu verbergen.
»Ich glaube, dass die drei Gauner sind«, raunte ich meiner zierlichen Freundin zu.
»Aber ein Verbrechen wäre uns per Funk bekannt geworden«, wandte Perlmutt ein.
»Im Prinzip ja, doch in den Wirren der vergangenen Wochen waren andere Nachrichten wichtiger. Ein Raub war einfach zu kaschieren in dem Durcheinander, und ein Tötungsdelikt ließ sich leicht als Unfall oder Überfall der entfesselten Raubtiere tarnen.«
»Du hast Recht, aber es ist ein entsetzlicher Gedanke«, hauchte die Kleine. »Meinst du ... ich meine, hältst du es für möglich, dass die drei ... Mörder sind?«
»Wir sollten nicht gleich das Schlimmste annehmen«, versuchte ich zu beschwichtigen. »Jedenfalls werde ich ein wachsames Auge auf sie haben.«
»Ob Maronx und Tranoque wohl Verdacht geschöpft haben?«
»Ich weiß es nicht. Immerhin sind sie intelligent genug, um sich über den seltsamen Auftritt ihre eigenen Gedanken zu machen.«
Perlmutt schwieg und trottete nachdenklich neben mir her. Die Fragen, die mich beschäftigten, hatte sie nicht gestellt. Diese Drillinge waren, wenn sie gemeinsam auftraten so wie jetzt, sehr auffällige Erscheinungen. Wo immer sie auftauchten, würden sie bestaunt werden und Aufsehen erregen, genug immerhin, dass es eine Meldung über Funk wert war. Und so, wie sie umherzogen, waren sie darauf angewiesen, Dörfer aufzusuchen, um sich zu verköstigen. Warum hatte keine Siedlung etwas über die Ankunft oder die Abreise der Brüder verlauten lassen? Selbstversorger konnten sie nicht sein, denn die Mannanna-Felder waren abgeerntet. Ernährten sie sich von Einbrüchen in Speichern, oder trat nur jeweils einer von ihnen in den Ortschaften als einsamer Wanderer auf, während die beiden anderen in den nahen Wäldern biwakierten?
Warum zeigten sie sich aber ausgerechnet jetzt in Yutlamal zu dritt? Hofften sie, in der Großstadt – zumindest für hiesige Begriffe – nicht aufzufallen? Gewiss, wenn sie sich trennten, konnten sie unter vierzigtausend Artgenossen durchaus anonym bleiben und untertauchen, doch warum waren sie dann gemeinsam hier einmarschiert? Sie mussten nun damit rechnen, dass ihr Aufenthaltsort publik wurde. Gab es in Yutlamal etwas, was eine Tarnung überflüssig machte? Beabsichtigten sie, hier ihre Identität zu ändern? Oder sollte in dieser Stadt ein Plan zur Durchführung kommen, der sie aller Sorgen enthob?
Die Antworten, die ich mir selbst geben konnte, waren Legion, aber keine befriedigte mich, da ich mangels Fakten zu sehr auf Spekulationen angewiesen war. In einem Punkt war ich mir allerdings sicher: Die Burschen hatten etwas auf dem Kerbholz, und sie führten etwas im Schilde, jedenfalls war mein Misstrauen geweckt, und es wurde von Minute zu Minute stärker.
So entging mir beispielsweise nicht, dass sie die Häuser und Straßen musterten und versuchten, sich Abzweigungen, Gassen und markante Gebäude einzuprägen, um sich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Das geschah nicht offen, wie es jemand tat, der in eine fremde Umgebung kam und sich interessiert zeigte, sondern heimlich, wie es Galgenvögel taten, die etwas auskundschafteten. Scheinbar zufällig drehte einer der drei manchmal den Kopf und sah zurück, doch der Blick galt stets mir und nicht der biederen Architektur. Fast kam es mir so vor, als wären sie über meine Anwesenheit nicht besonders glücklich, dabei musste sich längst herumgesprochen haben, dass ich meine Zelte in dieser Stadt aufgeschlagen hatte und der einzige Roboter auf Aytab war, denn die Traykons in dem abgestürzten Schiff, die nur die Hülle mit mir gemein hatten, hatte allesamt der positronische Teufel geholt.
Ob sie mich fürchteten? Meine Taten und Erfolge waren ja um den ganzen Globus gegangen, und nur ein ausgesprochener Narr konnte meine Fähigkeiten ignorieren. War ich der Angstgegner der Drillinge, war ich derjenige, der ihnen einen Strich durch die Rechnung machen konnte? Es sah beinahe so aus – und ich würde es tun, denn das war ich mir und meinen liebenswerten Gastgebern schuldig. Ganoven konnten wir in Yutlamal nicht gebrauchen.
»Wirst du etwas gegen die drei unternehmen?«, wollte Perlmutt wissen.
»Noch haben sie nichts getan, was Anlass gibt, einzuschreiten.« Gerne hätte ich meiner Freundin ein aufmunterndes Lächeln gezeigt, doch der Traykon-Körper ließ keine Mimik zu. »Aber wenn sie beabsichtigen, hier ein Ding zu drehen, sind sie auf dem Holzweg.«
»Jetzt wirst du aber wunderlich. Warum sollten sie etwas über Stege und Brücken rollen?«
»Du hast mich missverstanden, mein kleiner Liebling. Ich habe eine Redewendung benutzt. Sie bedeutet sinngemäß, dass ich kriminelle Handlungen unterbinden werde.«
»Ich vertraue dir völlig. Wenn es einer schaffen wird, bist du es.«
Davon war ich auch überzeugt. Welche dunklen Absichten die drei auch haben mochten – ich würde ihnen auf die Schliche kommen und verhindern, dass sie Schaden anrichteten, schließlich war ich schon mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden. Zuversichtlich folgte ich Maronx, Tranoque und den Drillingen, die keine sein wollten, zum doppelstöckigen Haus, das der Oberste Flurhüter sein eigen nannte. Perlmutt schmiegte sich eng an mich, und ich ließ sie gewähren, weil ich ihre Nähe genoss. In Augenblicken wie diesem bedauerte ich es, dass ich niemals ihr wirklicher Gefährte sein konnte, weil ich weder ein organisches Geschöpf noch ein Kaytaber war. Manchmal hatte eben sogar ein robotischer Körper seine Nachteile.
*
Meine Annahme, dass die Drillinge ausgehungert waren und ordentlich zulangten, bestätigte sich nicht. Sie begnügten sich mit einigen Häppchen, die kaum mehr waren als Appetitanreger. Was da an Körnern aufgetischt wurde, verschwand fast ausschließlich in den Mägen meiner Freunde. Ein Schluck Quellwasser genügte den dreien, den Zusatz von ein paar Tropfen der Pinzfrucht mochten sie nicht und die Beigabe von vergorenem Yarmsud lehnten sie ganz ab.
Das gab mir besonders zu denken. Yarmsud war ein harmloses Stimulans, das kurzfristig zwar ein rauschähnliches Glücksgefühl hervorrief, aber keine Droge im eigentlichen Sinne war. Wann immer Kaytaber etwas zu feiern hatten oder ihre Gastfreundschaft besonders dokumentieren wollten, durfte Yarmsud ebenso wenig fehlen wie der Saft der Pinzfrucht.
Jeder Kaytaber war mit diesen Sitten und Gebräuchen vertraut, jeder wusste, dass es fast einer Beleidigung des Gastgebers gleichkam, diesen angereicherten Trank zu verweigern, und trotzdem taten Evodix und seine Brüder das. War es Absicht, wollten sie Maronx bewusst vor den Kopf stoßen? Was aber versprachen sich die drei von einer Kränkung ihres Wohltäters?
Der Oberste Flurhüter versuchte nicht, zu verbergen, dass er betroffen war.
»Ihr werdet verstehen, dass ich unter diesen Umständen meine Einladung nicht aufrechterhalten kann, die Nacht unter meinem Dach zu verbringen.« Er nahm ein Funkgerät zur Hand. »Ich werde einen Boten rufen, der euch zu einem öffentlichen Gasthaus bringt.«
»Mach dir keine Umstände, wir finden schon allein dorthin.« Evroom richtete sich auf die Hinterbeine auf. »Vielen Dank für das reichliche Mahl. Es war nett, eure Bekanntschaft zu machen.«
Auch seine Brüder richteten sich auf. Keinem war anzusehen, ob er über den Rausschmiss betroffen war, keiner hielt es für nötig, ein Wort der Entschuldigung zu sagen. Ohne sich noch einmal umzusehen, verließen sie grußlos das Haus und traten auf die Straße hinaus. Durchs Fenster konnte ich noch sehen, dass sie sich nach links wandten, einer Gasse zu, die in den Außenbezirk führte, dann verschwanden sie aus meinem Gesichtsfeld.
»Undankbares, ungehobeltes Pack«, schimpfte Tranoque. »Ich hätte nicht übel Lust, sie aus der Stadt zu jagen.«
»Sie verhalten sich wirklich sehr merkwürdig«, stellte Maronx enttäuscht fest. »Ich werde aus ihnen nicht schlau.«
»Traykon glaubt, dass es sich um Verbrecher handelt«, sagte Perlmutt mit Verschwörermiene.
Zwei Augenpaare starrten mich ungläubig an.
»Bist du sicher?«
»Nein, es ist eine Vermutung, aber vielleicht kann ich bald Beweise vorlegen.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Ganz einfach – indem ich ihnen folge. Wenn sie vorhaben, hier dunkle Geschäfte zu machen, werde ich sie auf frischer Tat ertappen.«
»Ich werde dich begleiten.«
»Nein, Perlmutt. Es könnte gefährlich werden«, lehnte ich ab und lief aus dem Gebäude.
Einen zu großen Vorsprung durfte ich den Kerlen nicht lassen, denn ich wollte sie ja verfolgen und nicht suchen. Schon warf die Sonne lange Schatten. Bald würde es Nacht werden, und dann war es auch für mich nicht einfach, jemanden aufzuspüren. Yutlamal war doch recht verwinkelt und bot besonders in der Dunkelheit allerlei Verstecke und Unterschlupfmöglichkeiten. Eins allerdings war unmöglich: Die Stadt zu verlassen, weil bei Anbruch der Dämmerung die Tore geschlossen wurden.
*
Die öffentliche Herberge war ein weißgetünchter Fachwerkbau mit zwei nach oben ausladenden Stockwerken. Ich postierte mich so, dass ich sowohl die Vorderfront als auch den Hinterausgang im Auge behalten konnte und nahm per Funk Kontakt mit dem Wirt auf. Zu meiner Überraschung meldete sich Valabog, der verkannte Dichter. Er war für den erkrankten Besitzer eingesprungen und verdiente sich so ein Zubrot.
Meine Abfuhr von neulich schien er mir nicht mehr übelzunehmen, denn auf meine Frage nach den Drillingen reimte er sofort los:
»Eingetroffen sind die drei, und harren aus in Zimmer 2. Der Raum, der liegt im Hinterhaus, das Fenster führt zum Hof hinaus. Sie wollten gleich zur Ruhe gehen, seitdem hab' ich sie nicht gesehen. Wünschst du schnell Kontakt mit ihnen, oder kann ich sonst dir dienen?«
»Danke, mehr wollte ich nicht wissen.«
Sie waren also tatsächlich im Gasthaus angekommen und hatten offensichtlich ihr Zimmer nicht verlassen. So richtete ich mich auf eine längere Beobachtungszeit ein und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Viel Verkehr war nicht mehr. Irgendwo in der Nähe ratterte ein Holprig vorbei, einige Passanten strebten ihren Unterkünften zu oder waren unterwegs zu einem Schwatz im Gasthaus. Die Handwerker, die ihre Werkstatt ins Freie verlegt hatten, waren dabei, Material und Geräte ins Haus zu schaffen, die meisten Verkaufsstände waren schon abgebaut. Schon flammten die ersten Lichter in den Wohnungen auf, und bald würden der Nachtwächter und seine Gehilfen die Fackeln anzünden, die an markanten Kreuzungen, Plätzen und den Stadttoren angebracht waren. Dann würde es auch nicht mehr lange dauern, bis die Kaytaber sich zur Ruhe legten und die Stadt schlief.
Noch war es aber nicht soweit, denn jetzt war die Zeit, in der die Planetarier Muße hatten, ihrer Leidenschaft zu frönen. Der Äther war erfüllt von den unterschiedlichsten Funksprüchen. Da tauschten Flurhüter ihre Erfahrungen aus, Ersatzteile für Holprigs wurden im Nachbardorf gesucht, ein Schreiner bot preiswertes Mobiliar an. Klatschbasen aus Yutlamal, Vorntleyt und anderen Ortschaften versuchten, sich gegenseitig mit Neuheiten und Indiskretionen zu übertreffen, Tante Niquas gratulierte Onkel Plesgun zum Geburtstag, ein Teenager offerierte selbstgemachte Salbe für ein glänzendes Fell und was der Dinge mehr waren. Nur von Evodix, Evroom und Everyhan war nicht die Rede – sehr zu meinem Leidwesen.
Ein Funksignal mit meiner Kennung erreichte mich. Sofort ging ich auf Empfang.
»Ich bin's, Perlmutt. Ich bin bei Linque und Restjue.«
»Was gibt es denn, meine Kleine?«
»Vor ein paar Minuten hatten die Forscher Besuch«, platzte die Kaytaberin heraus. »Von den Drillingen.«
Üblicherweise war meine Reaktionszeit kaum messbar, aber nun war ich doch ziemlich perplex.
»Das ist unmöglich. Ich habe die Herberge unter Kontrolle, niemand hat das Gebäude verlassen.«
»Die Beschreibung ist eindeutig, ein Irrtum ist ausgeschlossen.«
»Links und Rechts sollen sofort nachsehen, ob ihnen etwas gestohlen wurde. Ich melde mich wieder.«
Ich schaltete ab und stürmte auf das Gasthaus zu. Der Raumgeist mochte wissen, wie es ihnen gelungen war, unbemerkt das Haus zu verlassen. Und ausgerechnet mich hatten sie übertölpelt.
Wie ein Wirbelwind tauchte ich in der Gaststube auf. Zwei Kaytaber, die ihr Nachtmahl zu sich nahmen, vergaßen zu kauen und starrten mich an wie einen Geist. Valabog, der gerade einen Krug mit frischem Quellwasser füllte, ließ das Gefäß vor Schreck fallen. Er brachte keinen Ton geschweige denn einen Reim heraus.
Ohne mich um die drei zu kümmern, sauste ich die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dank der Beschreibung, die mir der Flurhüter in Versform gegeben hatte, fand ich Zimmer 2 auf Anhieb. Ich nahm mir nicht die Zeit, mit meinen eingebauten Sensoren zu analysieren, ob sich jemand in dem Raum befand, sondern riss gleich die Tür auf. Die spärlich möblierte Kammer – mehr war es wirklich nicht – war leer, die Lager unberührt. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand logiert hatte, und das Fenster war, wie ich mich sofort vergewisserte, verschlossen.
Da es schlichtweg unmöglich war, dass sich ein Lebewesen wie ein Kaytaber in Luft auflöste, unterzog ich die Stube einer gründlichen Untersuchung. Hinter der Wand, an der ein klobiger Schrank stand, ortete ich einen Hohlraum. Das Echo war so typisch, dass ich mir gar nicht erst die Mühe machte, das Möbelstück wegzurücken. Ich öffnete die Türen und versuchte, die Rückwand zur Seite zu schieben, ohne sie zu zerbrechen. Nichts tat sich, doch als ich dagegen drückte, schwang sie knarrend zurück.
Die Luft, die mir entgegenschlug, roch abgestanden und muffig. Ein winziger, unbeleuchteter Flur war zu erkennen, eigentlich mehr ein Treppenabsatz, der sich in einer wackeligen Holzstiege fortsetzte, die nach unten führte. Fußspuren in der Staubschicht ließen keinen Zweifel daran, dass die Drillinge diesen Weg genommen hatten, um die Herberge zu verlassen.
Vorsichtig vertraute ich mich dem angejahrten und teils recht morsch wirkenden Gebälk an, das unter meinem Gewicht bedenklich ächzte und knarrte. Unversehrt und ohne einzubrechen, erreichte ich die untere Ebene und stand vor einer winzigen Pforte. Behutsam zog ich sie auf und fand meine Vermutung bestätigt: Ich befand mich im Keller des Nachbarhauses.
Vorbei an Gerümpel und altem Plunder tappte ich dorthin, wo spärliches Licht durch eine massive Bohlenkonstruktion drang. Behutsam hob ich einen Flügel der Klappe an und spähte nach draußen – niemand war in Sicht. Hastig verließ ich das Gewölbe und schloss die Luke wieder. Ich musste mich nicht erst lange orientieren, sondern wusste sofort, wo ich war. Diese Seitengasse war von meinem Beobachtungsposten aus nicht einsehbar gewesen. Sie lag in der Nähe der Stadtgrenze und gehörte zu einem Bezirk, der traditionell das Gros der Tixudabwehr stellte.
Hier zu wachen, schien mir ein gutes Omen zu sein, schließlich war ich auch so etwas wie ein Abwehrexperte und ein Jäger dazu. Von Grimm erfüllt, legte ich mich auf die Lauer. Wenn die Drillinge unbemerkt in ihre Unterkunft zurückgelangen wollten, mussten sie den bereits benutzten Schleichweg wählen, denn noch einmal würde ich mich nicht an der Nase herumführen lassen. Sie mussten mein Versteck passieren, und dann würde ich sie zur Rede stellen. Ich freute mich schon jetzt darauf, ihre Argumente zu zerpflücken und sie zu überführen, denn die Heimlichtuerei ließ nur einen Schluss zu – die Drillinge waren kriminell.
Als der Morgen graute, wusste ich, dass sie mir erneut ein Schnippchen geschlagen hatten. Valabog, den ich mittels Funk auf Trab brachte, meldete verschlafen, dass die Drillinge schlummernd in ihren Betten lagen und vermutlich in die Herberge zurückgekehrt waren, als er mal eingenickt war. Nach einer ersten Bestandsaufnahme war im Labor nichts abhanden gekommen. Es gab keine Verlustmeldungen oder Einbrüche, keinen Raub und keinen Diebstahl. Maronx war zu Ohren gekommen, dass die drei darauf aus waren, heimlich Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten zu knüpfen, und meine kleine Perlmutt wusste zu berichten, dass sie sich anbiederten und Erkundigungen einzogen – auch über mich. Diese Ausfragerei betrieben sie recht geschickt und unauffällig, ohne etwas über sich selbst verlauten zu lassen.
Da ich im Augenblick nichts unternehmen konnte, marschierte ich zu meiner Unterkunft zurück, die ich mit Perlmutt teilte. Innerlich kochte ich vor Wut darüber, dass mich drei hergelaufene Galgenstricke nun schon zum zweiten Mal überlistet hatten – ausgerechnet mich. War ich tatsächlich ein solcher Idiot?