Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 66
6.
ОглавлениеEin Schrei brach aus ihm hervor. Ganz gegen seinen Willen. Er wollte nicht schreien, aber er spürte den Boden näher kommen, und er wusste, dass ihn gleich unerträglicher Schmerz durchfluten würde, bevor das gnädige Nichts ihn erlöste.
Wo ist der Sinn?, fragte er sich verzweifelt. Wozu die Entführung von Aklard, wenn hier nichts als der Tod auf mich wartet?
Er spürte, wie der Wind an seiner Kleidung zerrte.
Wie lange dauerte ein Sturz aus etwa hundertfünfzig Metern Höhe?
Weshalb haben mich Kiart und Taleda auf diese Welt gebracht? Warum haben sie mich nicht gleich getötet, wenn sie mich aus dem Wege räumen wollten?
Mrothyr verspürte eine Veränderung.
Seine Geschwindigkeit verringerte sich.
Er fühlte, dass sich ihm etwas näherte. Irgend etwas griff nach ihm, fing ihn mit behutsamer Hand auf.
Seine Füße berührten den Boden, und jemand riss ihm das Tuch von den Augen.
»Mrothyr!«
Doyrirkhra packte ihn bei den Schultern und hielt ihn fest. Die beiden Männer starrten sich fassungslos an. Sie standen am Fuß des Turmes. Der Regen peitschte ihnen ins Gesicht, und sie hörten die Stimmen der Evutuumer, die sich irgendwo in der Nähe aufhielten.
»Wir leben«, stammelte der Wonko. »Ich begreife es noch immer nicht, aber irgend etwas hat uns aufgefangen.«
Mrothyr glaubte zu träumen. Er fürchtete, in der Sekunde seines Todes einem Trugbild zu erliegen. Es konnte nicht sein, dass sie gerettet worden waren.
»Weg hier«, drängte Doyrirkhra. »Schnell.«
Er zerrte den Freiheitskämpfer mit sich, nachdem er ihm die Fesseln von den Füßen genommen hatte. Mrothyr lief taumelnd hinter ihm her. Er stand noch immer unter einem Schock, und es wollte ihm nicht gelingen, sich so schnell daraus zu lösen.
Kiart und Taleda haben eingegriffen, schrie es in ihm. Sie konnten nicht zulassen, dass man Doyrirkhra und dich umbringt.
Roter Regen prasselte herunter und verringerte die Sicht bis auf wenige Meter. Die beiden Zyrpher rannten an Evutuumern vorbei, die am Fuß des Turmes arbeiteten, ohne dass sie bemerkt wurden. Die Eingeborenen schienen genügend mit sich selbst zu tun zu haben.
Plötzlich glaubte Mrothyr, einen weißlichen Nebel neben sich wahrzunehmen, doch als er zur Seite blickte, war da nur ein roter Regenschleier, durch den nur einige Häuser zu erkennen waren.
»Wohin willst du?«, fragte der Freiheitskämpfer, der sich allmählich von seinem Schock erholte. »Wir können doch nicht blindlings in die Gegend rennen.«
Er blieb stehen. Er hatte das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete. Langsam drehte er sich um sich selbst und spähte in den Regen hinaus.
»Komm doch«, forderte er mit lauter Stimme. »Zeige dich endlich.«
»Was ist mit dir?«, fragte Doyrirkhra. »Komm doch zu dir. Es ist vorbei. Wir haben es überlebt.«
»Spürst du es denn nicht? Da ist jemand, der uns nicht aus den Augen lässt. Vielleicht hat er uns gerettet. Ich will wissen, wer es ist.«
»Hör mal«, erwiderte der Wonko erstaunlich gefasst. »Mir ist es völlig egal, wer uns da aufgefangen hat. Vielleicht war es neue Technik. Es ist mir gleich. Ich möchte nur nicht, dass sie uns erwischen und noch einmal auf den Turm schleppen. Einen zweiten Absturz überleben wir womöglich nicht.«
Mrothyr setzte sich auf einen Stein.
»Ich denke doch«, gab er zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
»Aber ich werde es nicht darauf ankommen lassen«, keuchte Doyrirkhra.
»Dadurch unterscheiden wir uns voneinander.«
Der Wonko blickte ihn fassungslos an. Nervös wischte er sich das Wasser aus dem Gesicht. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
»Nein, Mrothyr, so weit geht die Freundschaft nicht. Ich werde nicht hierbleiben und warten, bis sie mich erwischen. Ich werde das Glück nicht herausfordern.«
Er zögerte noch einen kurzen Moment, dann hob er grüßend einen Arm und rannte in den Regen hinaus. Mrothyr sah, wie er in den roten Schleiern verschwand. Er selbst blieb, wo er war.
Minuten später hörte es auf zu regnen, und die Sicht klärte sich. Nur wenige Meter von ihm entfernt stapften mehrere Evutuumer über die schlammige Straße. Sie blieben stehen, als sie ihn bemerkten, und blickten ihn an, als hätten sie einen Geist vor sich. Einer von ihnen begann zu schreien, und dann drehten sich alle um und flüchteten zum Turm hinüber.
Etwa eine Minute verging, dann kamen A'thruif und der Priester an der Spitze einer Gruppe von etwa fünfzig Männern und Frauen von dort auf den Zyrpher zu.
»Das ist nicht wahr«, stammelte Ashkahir, als er nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war. »Bisher hat noch nie jemand den Sturz vom Turm überlebt.«
»Einer ist immer der erste«, erwiderte Mrothyr.
»Wir werden dich noch einmal hinabstürzen«, verkündete der Baumeister. Nervös zerrte er an der Kette, die um seinen Hals hing.
»Das könnt ihr so oft tun, wie ihr wollt«, erwiderte der Zyrpher. »Das Ergebnis wird immer gleich sein.«
»Bist du einer der Götter?«, fragte der Priester ängstlich.
Mrothyr ging zu A'thruif und zog ihm den Kombitraf aus dem Gürtel.
»Ihr beide werdet dafür büßen, dass ihr versucht habt, mich und meinen Freund zu töten«, erklärte er. »Beendet die Arbeiten am Turm, oder ich werde ihn zusammenstürzen lassen – als Zeichen für eure Schuld.«
Ashkahir trat dicht an ihn heran und blickte ihm in die Augen.
»Ganz schön raffiniert«, flüsterte er. »Du weißt genau, dass der Turm zusammenbrechen wird – auch ohne deinen Fluch.«
Mrothyr wich nicht vor ihm zurück, und der Priester blickte verstört zu Boden. Irgend etwas in den Augen des Zyrphers hatte ihn zutiefst erschreckt und machte es ihm unmöglich, sich noch weiter gegen ihn aufzulehnen.
Vom Turm her kam eines jener Kombinationsfahrzeuge, die teilweise von einem Motor angetrieben, teils von Tieren gezogen wurden. Mrothyr ging zu ihm hin. Mit einer knappen Geste verscheuchte er den Fahrer von dem Fuhrwerk. Der Mann flüchtete entsetzt in eines der Häuser, während der Freiheitskämpfer die Tiere antrieb. Willig zogen sie den Wagen weiter.
Mrothyr blickte erst zurück, als er die blattförmige Siedlung unter dem Turm längst verlassen hatte. Niemand folgte ihm.
Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, den Motor zu starten, und nun kam er schnell voran. Er fuhr über eine schlammbedeckte Straße in Richtung Osten durch einen immer dichter werdenden Dschungel.
Die vier Zugtiere waren bullig und klein. Sie hatten einen breiten Nacken und kurze, aber scharfe Hörner. Er beschloss, sie irgendwann freizulassen, weil er nicht wusste, wie er sie versorgen sollte.
Als er eine Lichtung überquert hatte, begann es wieder zu regnen. Aus dem Unterholz kam eine zerlumpte Gestalt hervor. Es war Doyrirkhra, der kaum glauben wollte, dass er den Evutuumern unbehelligt entkommen war.
»Du hast dein Leben riskiert«, sagte er, als er neben Mrothyr auf dem Wagen saß.
»Unsinn«, widersprach der Freiheitskämpfer. »Ich habe Stärke gezeigt, und das ist oft viel besser als nachzugeben oder wegzulaufen, so wie du es getan hast. Mit deinem Verhalten hast du demonstriert, dass du Angst vor ihnen hast, dich ihnen also unterlegen fühlst. Das war viel gefährlicher als das, was ich getan habe. Es hätte sie zu einem Angriff auf dich provozieren können, wenn sie dich bemerkt hätten.«
»Vielleicht hast du Recht«, entgegnete der Wonko. »Ich hatte allerdings nicht den Mut, mich ihnen so entgegenzustellen, wie du es getan hast.«
»Das war ich ihnen schuldig«, lächelte Mrothyr. »Jetzt müssen Ashkahir und der Baumeister ausbaden, was sie angerichtet haben.«
*
Willig trotteten die Zugtiere vor dem Fahrzeug her. Sie setzten sich in Trab, sobald sich der Motor einschaltete, und sie schienen nicht zu ermüden. Es sah so aus, als könnten die beiden Zyrpher mit ihrer Hilfe schnell vorankommen und den Raumhafen in einigen Tagen erreichen. Eine Straße führte durch den Dschungel direkt darauf zu. Sie tangierte mehrere Siedlungen, und die beiden Zyrpher erregten einige Male die Aufmerksamkeit von Evutuumern, wurden jedoch nicht aufgehalten.
»Ich muss wissen, wer uns gerettet hat«, sagte Doyrirkhra, als sich der Tag seinem Ende zuneigte. Er hatte diese Worte im Lauf des Tages einige Male wiederholt, und Mrothyr beachtete sie kaum noch. Sie näherten sich einer Stadt, die mitten in einer weiten, steppenartigen Lichtung lag. Es regnete seit Stunden, und die Landschaft zu beiden Seiten der Straßen verwandelte sich mehr und mehr in einen undurchdringlich erscheinenden Sumpf.
»Warum antwortest du nicht?«, fragte der Wonko aufbrausend. »Interessiert dich nicht, wer es war?«
»Du bist zu ungeduldig«, erwiderte Mrothyr. »Wie passt das zu einem Priester deiner Art? Gehört nicht zu deren wichtigsten Pflichtübungen die Geduld? Irgendwann wird sich derjenige schon zeigen, der uns gerettet hat.«
»Es war schrecklich«, gestand Doyrirkhra. »Ich werde diese Sekunden nie vergessen. Es hat lange gedauert, bis ich die Wahrheit begriffen habe. Irgendwann werde ich mich dafür an A'thruif und Ashkahir rächen.«
Mrothyr lachte lautlos.
»Was hast du davon?«, fragte er. »Ich werde diesen Planeten so schnell wie möglich verlassen und nach Zyrph zurückkehren. Nur die Freiheit unseres Volkes ist mir wichtig.«
Doyrirkhra wechselte das Thema von einer Sekunde zur anderen. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht, um das Wasser und die winzigen, roten Pflanzen abzuwischen.
»Die Stadt vor uns scheint nicht besiedelt zu sein. Jedenfalls sind keine Einwohner zu sehen.«
Sie erreichten die ersten Häuser. Es waren einfache Kastenbauten, die jedoch mit kunstvollen, reich verzierten Metallfenstern versehen waren.
»Wir sind etwas ganz Besonderes«, sagte Doyrirkhra plötzlich.
Mrothyr hielt den Wagen vor dem größten Gebäude der Stadt an. Es war ein etwa zehn Meter hoher Kastenbau, der etwa dreißig Meter lang und zwanzig Meter breit war. Bevor er die Tür öffnete, löste er die Gespanne und ließ die Tiere laufen. Sie entfernten sich nur einige Schritte weit und ließen sich dann in den Schlamm sinken, um sich darin zu suhlen.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte der Wonko.
»Wir wollen uns nicht überschätzen«, erwiderte Mrothyr. Er ging an dem Priester vorbei und öffnete die Tür des Gebäudes. Er empfand es als Wohltat, endlich aus dem pausenlos strömenden Regen herauszutreten und in einen trockenen Raum zu kommen. Er nahm die Mütze vom Kopf und drückte sie aus.
Im Innern des Gebäudes gab es nur einen einzigen Raum. An seinen beiden Seiten erhoben sich lange Bankreihen. In der Mitte standen Dutzende von golden und silbern schimmernden Figuren von Evutuumern. Über ihnen wölbte sich eine überaus reich verzierte Decke. An zahllosen Haken unterschiedlicher Größe hingen Tausende von Ringen, von denen einige sehr schlicht, andere prunkvoll mit Edelsteinen besetzt waren.
»Wie würdest du das nennen?«, fragte Mrothyr.
»Einen Tempel«, antwortete der Wonko, ohne zu zögern.
Er ging zu der größten der Figuren hin, einer goldenen Statue, die über und über mit Edelsteinen bedeckt war. Die Augen waren pflaumengroße, funkelnde Diamanten. Er ließ seine Hände über die Figur gleiten.
»Weißt du, was so etwas wert ist?«
Mrothyr ging zu einer Bank und legte sich darauf. Er verschränkte die Arme unter dem Kopf.
»Schlage dir den Gedanken daran aus dem Kopf«, riet er dem Wonko. »Wir werden keine einzige Statue mitnehmen. Wir können froh sein, wenn es uns gelingt, unbemerkt an Bord eines Raumschiffs zu kommen. So ein schweres Ding können wir ganz sicher nicht mitschleppen.«
»Es war nur eine hypothetische Frage. Ich habe auch nicht vor, so etwas zu tun. Ich werde hier bleiben.«
Mrothyr richtete sich überrascht auf.
»Hier? Was willst du hier?«
»Ich werde ein Gott sein.«
Mrothyr glaubte an einen Scherz. Er ließ sich wieder auf den Rücken sinken, doch die folgenden Worte zeigten ihm, dass der Wonko es ernst meinte.
»Die Evutuumer haben mich mit einem Katapult vom Turm herabgeschleudert. Aus einer Höhe von wenigstens hundertfünfzig Metern bin ich in die Tiefe gestürzt. Aber ich wurde nicht auf den Felsen zerschmettert, sondern landete weich auf meinen Füßen. Völlig unverletzt. Die Evutuumer waren Zeuge. Sie haben mich gleich danach gesehen. Sie wissen, dass es ein Wunder war, wie es noch niemals auf diesem Planeten geschehen ist. Das macht mich zu einem Gott. Und jetzt habe ich das Haus gefunden, das mein Sitz sein wird. Das Haus? Nein, die Stadt. Dies wird die Stadt des unsterblichen Gottes Doyrirkhra sein.«
Mrothyr setzte sich aufrecht. Er blickte den Wonko forschend an.
»Hier werde ich die Gläubigen empfangen«, fuhr Doyrirkhra fort, und er begeisterte sich immer mehr für seine Idee. »Sie werden mir alles bringen, was ich zum Leben brauche. Irgendwann sogar eine zyrpherische Frau, die auf diesen Planeten verschlagen wird.«
»Du würdest hier zweifellos mehr Zulauf finden als zu Hause«, entgegnete der Freiheitskämpfer spöttisch.
»Es gefällt dir nicht«, stellte Doyrirkhra verärgert fest.
»Überhaupt nicht.«
»Und warum nicht?«
»Niemand hat das Recht, andere in dieser Weise auszunutzen.«
»Was heißt denn ausnutzen? Jetzt schleppen die Evutuumer ihre Reichtümer in solche Tempel, um sie nicht existierenden Göttern vor die Füße zu legen. Der Unterschied wäre, dass ich etwas mit diesen Schätzen anfangen kann. Ich lebe nicht irgendwo als nicht greifbares Wesen über den Wolken, unerreichbar für meine Gemeinde, sondern als höchst körperliches Geschöpf mitten unter ihnen. Sie haben viel mehr von mir als ihrem Gott als von jenen Wolkengöttern da oben.«
»Ich habe nicht vor, mit dir über religiöse Fragen zu streiten. Religiöse Gefühle gehören für mich zu jenen unantastbaren Dingen, die die Würde eines Menschen ausmachen. Daher ist es für mich ein Verbrechen, sich diese Gefühle zunutze zu machen, nur um ein bequemes und sorgenfreies Leben führen zu können.«
»Ach, rege dich nicht auf«, lachte der Wonko. »Ich bleibe hier, und du ziehst weiter. Jener, der mich beschützt hat, wird auch hier an meiner Seite stehen, und er wird dir helfen, an Bord eines Raumschiffs zu kommen.«
»Bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass diesem Unbekannten deine Pläne nicht gefallen könnten?«
Der Wonko-Priester lachte laut.
»Wenn du mir so kommst, mein Lieber, dann muss ich dich fragen: Woher weißt du, dass dieser Unbekannte nicht genau dies will? Wie kommst du auf den Gedanken, dass er uns nur gerettet hat, damit wir diesen Planeten verlassen können? Ich bin sicher, dass er uns hier auf Evutuum haben will, und deshalb tue ich ihm den Gefallen. Ich bleibe hier.«
Mrothyr war zutiefst enttäuscht von der Haltung des Wonko, und er billigte sie in keiner Weise. Er wollte es jedoch auch nicht zu einer Auseinandersetzung mit ihm kommen lassen. Sein Ziel war, diesen Planeten so rasch wie möglich zu verlassen und etwas für Zyrph zu tun.
»Ich fürchte, du wirst eine böse Überraschung erleben«, sagte er, während er sich auf die Seite drehte, um ein wenig zu schlafen. »Die Evutuumer sind nicht so dumm, wie du glaubst. Sie werden dich zum Teufel jagen.«
Er reagierte nicht mehr auf die weiteren Worte Doyrirkhras. Seine regelmäßigen Atemzüge kündeten davon, dass er eingeschlafen war.
Mrothyr wachte auf, als irgend etwas klirrend auf den Boden fiel. Unwillkürlich griff er zum Gürtel und stellte fest, dass er seinen Kombitraf verloren hatte. Er drehte sich zur Seite und stieß gegen jemanden. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, wer es war, und er stieß ihn unwillkürlich zurück.
»Das hilft dir gar nichts«, murmelte jemand.
Mrothyr fuhr mit den Händen über den Boden und suchte nach der Waffe, als ihn ein heftiger Schlag an der Schulter traf und zur Seite schleuderte, und wiederum klirrte etwas.
Sein Gegner im Dunkeln hatte den Kombitraf!
Mrothyr rollte sich zur Seite, sprang auf und lief einige Schritte weiter. Er stieß gegen eine Bank und stürzte kopfüber zu Boden. Im gleichen Moment blitzte es auf, und ein Energiestrahl fuhr an ihm vorbei.
Mrothyr war geblendet. Er konnte nicht erkennen, wer geschossen hatte, aber er war sich klar darüber, dass ihn nur ein Zufall gerettet hatte.
Er kroch auf allen vieren weiter, schnellte sich dann hoch, als er zu erkennen glaubte, wo die Tür war, und rannte weiter. Dieses Mal stürzte er nicht. Der andere schoss erneut, verfehlte ihn jedoch weit. Der Energiestrahl traf den Kopf einer Statue und ließ ihn krachend zerspringen. Der Freiheitskämpfer stieß die Tür auf und rettete sich ins Freie. Kalter Regen schlug ihm ins Gesicht und durchnässte ihn innerhalb weniger Augenblicke, während er hinter einem der anderen Gebäude in Deckung ging. Er drückte sich mit dem Rücken an die Wand. Vergeblich versuchte er, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen. Er hörte, dass jemand aus dem Tempel kam, konnte jedoch nicht erkennen, wer das war.
A'thruif oder einer der anderen muss uns gefolgt sein, dachte er. Wahrscheinlich haben sie Doyrirkhra schon umgebracht, und jetzt bin ich an der Reihe.
Er wartete darauf, dass sich irgendwo irgend etwas bewegte, doch alles blieb ruhig.
Wer sagt denn, dass es A'thruif ist?, fragte er sich. Es kann auch irgendein anderer Evutuumer sein. Vielleicht jemand, der für den Tempel verantwortlich ist. Ein Priester wie Ashkahir.
Diese zweite Möglichkeit erschien ihm wahrscheinlicher als die erste. Welchen Grund sollte der Baumeister haben, ihnen so weit zu folgen? Musste er nicht froh sein, dass sie von der Bildfläche verschwunden waren und ihm keine Schwierigkeiten mehr machten?
Schritte näherten sich ihm, und er glaubte, eine menschliche Gestalt erkennen zu können. Waren da nicht rötliche Augen, die im Dunkeln kurz aufleuchteten?
Er drückte sich noch fester an die Wand.
Irrte er sich? Fiel er wieder auf zwei Blumen herein, die von einem Ast herunterhingen? Oder war da wirklich jemand?
Er glaubte, die körperliche Nähe des anderen zu spüren.
Ein Gedanke streifte ihn.
Er verstand ihn nicht.
Wer bist du?, fragte er, und er konzentrierte sich mit aller Macht auf diese Frage, ohne sie über seine Lippen zu bringen. Wenn der andere über telepathische Fähigkeiten verfügte, dann musste er ihn hören.
Etwas Weiches stieß gegen seine Hüfte.
Mrothyr fuhr herum. Unwillkürlich streckte er eine Hand aus, und er fühlte den borstigen Schädel eines Tieres. Er wollte vor ihm zurückweichen, doch dann wurde ihm klar, dass eines der Zugtiere bei ihm war und seine Nähe suchte.
»Du hast mich ganz schön erschreckt, Kleiner«, murmelte er.
Der Energiestrahler blitzte auf. Zischend fuhr ein Energiestrahl durch die Regennacht. Er schlug etwa drei Meter von Mrothyr entfernt gegen die Wand des Gebäudes, an dem er stand. Erschrocken stob das Zugtier davon.
Der Freiheitskämpfer warf sich zur Seite. Er fiel auf den Boden, rollte in eine Pfütze und sah durch das trübe Wasser, dass ein Energiestrahl dicht über ihn hinwegraste. Er zögerte keine Sekunde, schnellte sich hoch und flüchtete zu einem der anderen Gebäude hinüber, verharrte dort kurz und hastete dann wenigstens hundert Meter weiter bis zu einem Holzstapel, der neben einem Haus aufgeschichtet worden war. Er kletterte hinauf und stieg von dort aus aufs Dach. Dort legte er sich flach hin und spähte in die Dunkelheit hinaus.
Du musst etwas tun, mahnte ihn eine innere Stimme. Du darfst nicht warten, bis er dich trifft.
Bevor er irgend etwas unternehmen konnte, musste er erst einmal wissen, wo der heimtückische Schütze war, der ihn töten wollte. Angespannt lauschte er in die Nacht hinaus, und wenig später war er sicher, dass er Schritte vernahm.
Eine unendlich lange Zeit schien zu vergehen, bis Mrothyr schließlich mehrere Gestalten ausmachen konnte, die durch den Regen herankamen.
»Es hat geblitzt«, sagte jemand. »Ich bin sicher, dass es hier war, aber folgt auf Blitz nicht immer Donner?«
Evutuumer, dachte er. Dann stutzte er.
Natürlich waren es Evutuumer, die da kamen. Wer hätte es denn sonst sein können?
Wieder blitzte es auf. Der Energiestrahl schoss in den Regen hinein, fächerte sich tausendfach und ließ Millionen Wassertröpfchen aufleuchten, bevor sie sich in Dampf verwandelten. Für den Bruchteil von Sekunden lag blendende Helle über der Stadt, und Mrothyr sah Doyrirkhra.
Der Wonko-Priester stand etwa hundert Meter von ihm entfernt vor einem flachen Gebäude. Er hielt die Waffe in der Hand. Nach vorn gebeugt spähte er zu einer Gruppe von Evutuumern hinüber, die sich in der Nähe des Tempels versammelt hatten.
Mrothyr richtete sich unwillkürlich auf. Der Schlag seines Herzens beschleunigte sich.
Doyrirkhra hat versucht, dich zu töten, schrie es in ihm.
Alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, dass der Mann, den er für einen Freund gehalten hatte, so etwas getan haben sollte. Doch es war keine andere Schlussfolgerung möglich.
Er will sich als Gott etablieren, dachte Mrothyr. Und er glaubt, das nur mit dem Kombitraf tun zu können, mit der neuen Technik, mit der er die Evutuumer beeindrucken will. Was für ein Narr er doch ist. Er begreift nicht, dass da ein anderer ist, der mächtiger ist als wir. Er hat uns gerettet, weil er ganz bestimmte Pläne mit uns hat, und er wird nicht dulden, dass wir unsere eigenen Wege gehen.
Wieder blitzte es auf. Dieses Mal feuerte Doyrirkhra mit dem Desintegratorstrahler. Das grüne Licht war so hell, dass Mrothyr sehen konnte, wie drei evutuumische Männer unter der Einwirkung des Energiefeuers zusammenbrachen.
Er stand auf.
»Hör auf damit«, brüllte er in die Nacht hinaus. »Doyrirkhra, du darfst sie nicht töten.«
Er beugte sich nach vorn und horchte, doch er vernahm nur den eintönig rauschenden Regen. Die Stadt schien wie ausgestorben zu sein, doch er wusste, dass sie es nicht war. Irgendwo lauerte der Wonko darauf, ihn töten zu können.
Mrothyr glitt von dem Dach herunter und eilte durch die Dunkelheit. Das Wasser spritzte unter seinen Füßen hoch, bis er sich dessen bewusst wurde, dass er zu laut war. Er blieb stehen, und jetzt hörte er die Schritte eines anderen. Er wartete eine Weile und ging dann langsam und vorsichtig weiter.
Allmählich wurde es heller, und er konnte die Konturen der Häuser erkennen. Unmittelbar vor einem Haus lag ein toter Evutuumer auf dem Bauch. Das Geweih ragte steil und mit spitzen Hörnern von seinem Rücken in die Höhe. Mrothyr schob sich an ihm vorbei zu dem Haus hin, schnellte sich in die Höhe, packte die Dachkante und zog sich hinauf, um sich flach auf das Dach zu legen. Dann wartete er. Etwa eine halbe Stunde verstrich, und es wurde immer heller.
Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Er fuhr herum und sah, dass Doyrirkhra sich auf das Dach hangelte. Der Wonko hielt die Waffe in der Hand. Mrothyr zögerte keinen Moment. Er wusste, dass er den anderen nicht angreifen konnte, ohne in das Energiefeuer zu laufen. Ihm blieb unter den gegebenen Umständen nur die Flucht.
Er drehte sich zur Seite und ließ sich über die Dachkante kippen. Im Fallen sah er den toten Evutuumer, und er warf sich zur Seite. Er landete dicht neben dem Toten im Schlamm und schnellte sich sofort zur Hausmauer hinüber.
Über ihm ertönte ein triumphierendes Lachen.
»Du wirst mich nicht daran hindern, ein Gott zu sein«, schrie Doyrirkhra in den Regen hinaus, und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er den Verstand verloren hatte.
Es war der Sturz vom Turm, erfasste Mrothyr. Das war zuviel für ihn. Der Schock war zu groß. Sein Geist hat sich verwirrt.
Doyrirkhra glaubte offenbar, dass er vor ihm im Schlamm lag. Er stürzte sich mit einem wilden Schrei vom Dach herunter auf die Gestalt, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Boden ruhte. Der Freiheitskämpfer hörte, wie er aufprallte. Dann war es still.
Langsam drehte er den Kopf zur Seite.
»Ihr Götter, habt Erbarmen mit ihm«, flüsterte er.
Doyrirkhra war dem toten Evutuumer auf den Rücken gesprungen, direkt in die Hörner des Geweihs hinein. Sie hatten ihn wie Dolche durchbohrt.