Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 77
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ОглавлениеNach einer leisen Warnung des Stahlmanns wurden wieder die Schwerkraftgeneratoren eingeschaltet und langsam auf den Normalwert hochgefahren. Nahezu eisige Kühle herrschte in dem dunklen Kugelraum; durch drei kleine Bullaugen funkelten schwach die Sterne herein.
Die Körper der Hyptons richteten sich nach der Schwerkraft aus und kehrten aus dem schwerelosen Zustand (ein vorzügliches Mittel, um sich körperlich und gedanklich zu isolieren, einzukapseln und dem reinen Denken hinzugeben) wieder zu ihren Plätzen in den Maschen des federnden Netzes zurück.
Eine Stimme wisperte durch die kalte Dunkelheit:
»Die Individuen der Technikerquelle vereinigen sich jetzt wieder. Große Anstrengungen warten auf die Teiltrauben und auf das Ganze.«
Die gesamte Technikerquelle befand sich in einem schnellen Raumschiff, das von Robotern und Ikusern gesteuert wurde.
Das Ziel des Fluges schien erreicht zu sein.
»Die Fähigkeit ist wieder zurückgekehrt, die Fähigkeit, einen für alle sprechen zu lassen.«
Nach und nach nahmen die Hyptons ihre Plätze in der traubenartigen Struktur ein, klammerten sich aneinander und verbanden ihre Gedanken miteinander. Während des langen Fluges waren unzählige Diskussionen geführt worden. Sie alle mündeten in ein und derselben Entscheidung.
»Ein großer Schritt zur Beherrschung von Manam-Turu liegt unmittelbar vor uns und wird von uns gesteuert werden«, meinte Chyrri in die Stille. »Der Verantwortliche, jener Könnende und Wissende, heißt auf Yumnard abermals Notrun. Ich halte große Stücke auf ihn.«
»Dann wird er auch dafür gesorgt haben, dass wir eine würdige Unterkunft bereit finden.«
»Ganz ohne Zweifel.«
Die große Traube der Technikerquelle war von Ritualen und Erinnerungen an vergangene, gloriose Zeiten fast unbelastet. Es herrschte die natürliche Hierarchie der Pragmatiker. Sie hatten dafür zu sorgen, dass alles so durchgeführt wurde, wie es dem großen Plan am meisten diente.
»Die Landung wird eingeleitet«, flüsterte eine Stimme aus der Zentrale des schnellen Schiffes.
Eine unwesentliche Zeitspanne verging ohne Zwischenfälle.
Das Raumschiff identifizierte Sonne und Planeten, die Ikuser funkten ihre Leute an, und die Roboter korrespondierten mit ihresgleichen in der Bodenstation. Das Schiff glitt auf den Planeten zu, folgte dem Leitstrahl und tauchte behutsam in die Lufthülle ein, um Erschütterungen zu vermeiden und die kostbare Fracht nicht zu belästigen. Die große Savanne mit den fertigen Bauwerken lag bald voraus.
Das Schiff zog über dem Gelände einen riesigen Kreis. Auf den Bildschirmen des Hypton-Aufenthaltsraums wechselten die Bilder und Ansichten der Anlage. Ohne Gemütsregungen erkannten die Hyptons, dass die Ikuser in der gewohnten Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gearbeitet und das Projekt fertig gestellt hatten. Dann steuerte das Schiff, das einem langgezogenen Tropfen ähnelte, auf den Kuppelbau zu.
Nahe dem ersten Drittel der Kuppel öffneten sich die Lamellen einer großen Schleuse.
Der kugelförmige Behälter löste sich aus den Halterungen. Servomaschinen hoben ihn aus der Rundung des Schiffes hinaus und steuerten ihn wie eine unendlich kostbare Riesenperle durch die Schleuse ins dunkle Innere der Kuppel hinein und setzten ihn am vorgesehenen Platz ab. Kommunikations- und Versorgungsleitungen wurden angeschlossen, dann bildeten Roboter einen Schutzring auf der Ebene, in deren Mitte das künstliche Heim der Fledermauswesen zu drei Vierteln herausragte.
Wieder traten Stille und Bewegungslosigkeit ein.
Über die Kanäle der Anlage wurden stundenlang Informationen eingespielt. Schweigend nahmen die Denker und Planer der Traube die Neuigkeiten, Bestätigungen und Fragen entgegen. Bildschirme flirrten, Lautsprecher arbeiteten, und Unmengen von Diagrammen waren zu analysieren.
Clirrn, ein Einzelsprecher, äußerte sich schließlich, die Überlegungen vieler Hyptons zusammenfassend.
»Wir brauchen eine kurze Phase der Ruhe, um über alles nachzudenken. Wir kümmern uns um jede Einzelheit. Auch wir sind noch nicht über den Zeitpunkt verständigt worden, an dem das Psionische Tor hierher abgestrahlt wird. Es wird in den nächsten vier Planetentagen sein.«
Die Kommunikationsleitungen wurden abgeschaltet.
Wieder herrschten Kälte und Ruhe um die Traube der Technikerquelle.
*
Stundenlang dauerte der Prozess der Analyse.
Sämtliche Angehörige der Technikerquelle sprachen leise miteinander. Sie nutzten ihr erstaunliches Gedächtnis und die hervorragend ausgeprägte Fähigkeit, mit der Selbstdisziplin von Rechenmaschinen jedes anstehende Problem behandeln zu können. Nacheinander stellten sich Aufgabenkomplexe heraus.
Das Kugelschiff mitsamt der ligridischen Besatzung.
Die Ligriden waren Zeugen dieser Anlage geworden. Darüber hinaus würden sie miterleben, wie das Psionische Tor aus dem Transmitter herauskam und stationiert wurde.
Aus diesen Gründen mussten diese ungerufenen und gefährlichen Zeugen verschwinden.
Tirrh schlug ein Verfahren vor.
Dieser Vorschlag wurde mit Einstimmigkeit angenommen.
Mit den vier Gefangenen aus dem angeblich gestohlenen Ligriden-Testschiff würde sich eine Teiltraube beschäftigen müssen. Es war denkbar, dass sie ebenfalls wie die Ligriden behandelt werden mussten.
»Du wirst das Verhör des Kommandanten und seiner drei Mittäter führen, Tirrh«, lautete der Entschluss.
»Mit allen meinen Kräften«, bestätigte das Fledermauswesen.
Die Schlusskontrolle und die Abstimmung des Transmitters und die Versorgung der Anlagen mit Hyperenergie standen dicht bevor.
Ein anderer Hypton mischte sich mit leiser, aber scharf betonter Stimme ein. Seine Warnung kennzeichnete die Schwierigkeit des Problems.
»Um unsere Helfer weiterhin zu motivieren, sollten wir ein Lob aussprechen. Der zeitliche Plan mit allen logistischen Einzelheiten wurde übererfüllt.«
Ein allgemeines, zustimmendes Murmeln war in der Aufenthaltskugel zu vernehmen.
»Die nächste Aufgabe der Ikuser ist noch nicht bezeichnet. Es muss sichergestellt werden, dass auch der nächste Auftrag für uns alle sinnvoll und wichtig ist ... oder wenigstens so erklärt werden kann.«
Wieder stimmten alle Hyptons der Traube zu.
Das Endziel war die Gefangennahme EVOLOS. Was danach geschah, darüber mussten kompetentere Hypton-Planer entscheiden.
Das lag noch in der nahen Zukunft verborgen.
*
Fartuloon war überrascht, als er das Innere des Kuppelbauwerks sah.
Er blieb stehen, hob den Blick und drehte den Kopf.
Die Roboter links und rechts von ihm reagierten blitzschnell und standen ebenfalls still.
Ein mildes, gelbliches Licht erfüllte den Hohlraum der Kuppel. Sie bildete etwa zwei Drittel einer vollkommenen Kugel. Vor Fartuloon breitete sich eine völlig ebene Scheibe aus, auf deren weißem, geriffeltem Belag sich verschiedene Funktionsinseln abzeichneten: Pulte, verglaste Kabinen, Schaltstationen und andere, unbekannte Aufbauten. Links von ihm, außerhalb des Zentrums der Bodenscheibe, ruhte eine große Metallkugel in einer Vertiefung und war durch kantige Blöcke abgestützt. Ihr Inneres war durch einige dicke Bündel von Schläuchen und Kabeln mit dem unsichtbaren Untergeschoss des Kuppelbaues verbunden.
»Weiter«, schnarrte ein Stahlmann.
»Einen Moment. Meine Füße schmerzen«, erwiderte Fartuloon schlagfertig. »Darüber hinaus bin ich überwältigt von der Schönheit der Kuppel.«
Für einen langen Augenblick ließen sich die positronischen Gehirne der Maschinen verwirren. Die Roboter rührten sich nicht.
Dort, wo Boden und gerundete Wandungen ineinander übergingen, waren Scheinwerfer eingebaut. Sie richteten ihre starken, gelblich-weißen Strahlen nach oben. Durch diesen Lichteffekt wurde die Kuppel bis fast zum Scheitelpunkt ausreichend erhellt. An zwei gegenüberliegenden Stellen, weit oben in der Rundung, klebten zwei dicke, schwarze Scheiben an der Wandung. Dicke Bündel farbiger Kabel hingen herunter und verschwanden im Untergeschoss.
Die Roboter zogen Fartuloon weiter auf einen kantigen, weißen Sessel zu, der vor der Metallkugel stand. Einige Scheinwerfer strahlten diesen Platz an.
Natürlich würden die Hyptons ihn jetzt befragen und, vertrauend auf ihre hypnotischen Fähigkeiten, zu beeinflussen versuchen.
Sein Verdacht hatte sich also bewahrheitet. Die Hyptons waren in den Kuppelbau eingezogen und würden jetzt über den Fortgang des Projekts bestimmen.
»Du bleibst in dem Sessel sitzen, bis du die Erlaubnis erhältst, dich zu entfernen«, erklärte ein Roboter und hob seine Waffenarme.
»Selbstverständlich. Nichts anderes hatte ich im Sinn«, verkündete Fartuloon ungerührt. Ebenso ungerührt waren die Maschinen von seinem ironischen Tonfall. Vielleicht hatte er mit den Hyptons mehr Glück. Er bezweifelte dies.
Er setzte sich und streckte seine stämmigen, muskelbepackten Beine aus. Seine Stiefel glänzten im Scheinwerferlicht.
Die Schleuse öffnete sich. Ein eiskalter Luftstrom schlug Fartuloon entgegen. Ein einzelner Hypton flatterte aus der Kugel heraus und nahm auf einem Gestell Platz.
Die Flughäute entlang der Körperhälften falteten sich zusammen, während die großen, vorstehenden Augen, groß wie eine Kleinkinderfaust, sich auf Fartuloon richteten.
Eine hohe, fast pfeifende Stimme fragte:
»Du bist Fartuloon, der Kommandant des Schiffes, das du mit drei anderen Gefangenen den Ligriden von BASTION Zwei gestohlen hast?«
»Ja. Richtig. Und die Roboter von Yumnard haben uns abgeschossen. Wir wollten nichts anderes als weg, nur weit weg.«
»Die Ligriden kennen dein Ziel nicht?«
»Nein. Wir flogen einfach geradeaus, denn wir hatten kein Ziel. Wir beherrschen das Schiff nicht; keiner von uns ist ein ausgebildeter Pilot.«
»Uns wurde hinterbracht, dass du den Namen von EVOLO erwähnt hast.«
»Man hat dir richtige Informationen gegeben«, erklärte Fartuloon und bemühte sich, einigermaßen einfältig und ahnungslos zu wirken. »Ich hörte, bevor ich in Gefangenschaft geriet, dass der Erleuchtete und EVOLO die Feinde der Ligriden sind.«
Sanftmütig scheinende schwarze Pupillen richteten sich auf den Bauchaufschneider. Er sehnte sich an einen ganz anderen Platz, wirklich weit weg von Hyptons und all dem, was er sah und dachte.
»Du weißt, was hier auf Yumnard vor sich geht?«
»Eine rege Bautätigkeit, die von einer riesigen Technikergruppe durchgeführt wird. Müssen gute Freunde von euch sein, denn sie schuften wie die Besessenen.«
Der Körper des einzelnen Hyptons war von dünnen, wallenden Gewändern bedeckt. Sie hatten sich aus rollenförmigen Wülsten entlang der Körperteile ausgefaltet. Noch konnte Fartuloon nichts von der Paralogik-Psychonarkose spüren. Vielleicht war er immun dagegen; möglicherweise entwickelte sie sich erst nach längerer Zeit.
»Welchem Zweck dient deiner Meinung nach dieses Projekt?«
»Ich hörte vom Gefangenenwärter, der uns das Essen brachte, den Begriff Fallenpforte oder Pfortenfalle. Kann ich nicht mehr genau sagen.«
Den Ikusern hatten die Hyptons ihren Willen ebenso sanft und unbemerkt aufgezwungen wie den Ligriden und jenem rätselhaften dritten Volk des Neuen Konzils. Davon war Fartuloon schon seit einer Weile überzeugt.
»Wie sieht das Vorhaben von dir und deinen Freunden aus?«
»Welches Vorhaben?«, fragte Fartuloon.
Die filigranen Membranen an den Schädelseiten bewegten sich schwach, als ob sie durch einen Luftzug in Schwingungen geraten wären. Fartuloon mimte weiterhin den Unwissenden. Er hoffte, dass er überzeugend wirkte.
»Wohin wäret ihr geflohen, wenn unsere Wachschiffe euch nicht aufgebracht hätten?«
»Keine Ahnung. Irgendwohin, wo es keinen Ärger gibt. Vielleicht zu den Zyrphern.«
»Welche seltsame Sprache habt ihr verwendet, um den kodierten Funkspruch abzustrahlen?«
Das war eine ernsthafte Klippe. Fartuloon war innerhalb enger Grenzen auf die Fragen vorbereitet. Ohne Zögern erwiderte er:
»Es ist eine alte Sprache, die ich in Manam-Turu lernte. Ich rief denjenigen, der sie mich lehrte. Ein Freund, ein alter Mann, der uns vielleicht eine Heimstatt vermitteln kann.«
»Sein Name? Seine Rasse?«
»Er ist ein Planetenwanderer, so wie ich. Man nennt ihn Colemayn. Ich traf ihn, nachdem er von einem kleinen Planeten geflüchtet war. Weyngol, glaube ich, nannte sich diese Welt.«
»Seine Rasse?«
»Das weiß ich nicht. Er hat entfernte Ähnlichkeit mit einem alten Daila.«
»Ich habe deine Auskünfte zur Kenntnis genommen.«
»Und wann werden wir aus unseren Zellen hinausgelassen?«, fragte Fartuloon sofort.
»Die Entscheidung darüber verschieben wir. Wichtigere Dinge gehen vor. Ihr werdet unseren Entschluss rechtzeitig erfahren.«
»Aha«, schloss der Bauchaufschneider wenig geistreich und sah aufmerksam zu, wie das Fledermauswesen seine Kleidung zusammenrollen ließ, sich in die Luft erhob und, nachdem sich die Schleuse geöffnet hatte, in die Dunkelheit zurückflatterte.
Die Roboter traten je drei Schritte vor und packten Fartuloon bei den Armen.
»Wir bringen dich in deine Zelle zurück«, sagten sie synchron. Fartuloon schwieg, ging mit ihnen und hoffte, es würde ihm gelingen, wieder gleichzeitig mit dem Schaltimpuls der Maschine die Gittertür seiner Zelle zu öffnen.
Das Schloss war noch immer funktionsuntüchtig.
*
In der Ruhe und Einsamkeit der Zelle, bei gedrosselter Raumbeleuchtung und nach dem faden, geschmacklich unbefriedigenden Essen, das nichts als sättigte, lag der Bauchaufschneider ausgestreckt auf der Pritsche.
Den Harnisch, das Schwert und die Stiefel hatte er vor der Befragung durch den Hypton abgelegt. In schweigender Konzentration versuchte er, die Summe dessen zu ziehen, was er seit seinem ersten Auftauchen als Colemayn in dieser Galaxis erfahren hatte. Dazu addierte er die Informationen, die er von Atlan über das Erste Konzil hatte, aus lang zurückliegender Zeit.
Natürlich war auch das Geschehen auf der Savanne des Planeten Yumnard ein Teil einer großangelegten Strategie, die nichts weniger zum Ziel hatte als die Herrschaft über Manam-Turu.
Die Hyptons versklavten auf ihre milde, nichtsdestoweniger in der Auswirkung erbarmungslose Art die Völker dieser Milchstraße.
Einen Teil ihrer Helfer brachten sie aus Chmacy-Pzan mit, aus jener Galaxis, aus der sie aufgebrochen waren.
Vermutlich auch die Ikuser mit ihren unglaublichen technischen Fähigkeiten.
Auf den Flügen zwischen dem Gefängnis und der Kuppel hatte Fartuloon beobachten können, dass ein Ring von etwa zwanzig, fünfundzwanzig Robotern die KLINSANTHOR umstand. Die Reparaturen waren vermutlich alle ausgeführt, die freiwillige Aktion beendet. Hoffentlich hatte sie den Beteiligten viel Freude gemacht!
Das Psionische Tor, über Transmitter von irgendwoher herangeschafft, diente als Waffe gegen EVOLO.
»Die Zeit zwischen Colemayn«, flüsterte Fartuloon, »und dem alten, fetten Bauchaufschneider war offensichtlich bedeutend. Innenpolitisch, meine ich. Viel muss vorgefallen sein, von dem ich keine Ahnung habe.«
Atlan würde ihm alles erzählen!
Aber Atlan musste erst noch gefunden werden!
Fartuloon sagte sich, dass es das klügste sei, noch so lange wie möglich zu warten. Er wollte das Psionische Tor sehen, dessen Wirkung herausfinden, und dann erst konnten sie daran denken, mit der KLINSANTHOR zu fliehen. Diesmal sollte die Flucht professioneller vonstatten gehen, schwor er sich.
*
Jetzt saß er auf dem dicken, isolierten Rohrbündel, das aus dem Mittelpunkt der Baustelle zum leeren Bett eines periodischen Flusses führte. Vor Tagen war Wasser hindurchgepumpt worden. Im Gegensatz zu allen Nächten bisher gab es schon seit mehr als zehn Stunden deutlich weniger Raumschiffsverkehr.
Der Bauchaufschneider hatte sehen können, wie ein Trägerschiff einen der Zylinder abgeschleppt hatte. Der riesige Container, in dem Hunderte Ikuser gewohnt hatten, hinterließ in der Landschaft ein riesiges Loch und die wassergefüllte Grube eines großen Schwimmbeckens.
Vor einer Stunde hatte es ein Gewitter gegeben. Donner, Blitze und Regen waren über die Savanne hinweggezogen und wetterleuchteten jetzt noch im Osten, vor den Bergen.
Es roch nach Feuchtigkeit und wuchernden Pflanzen. Die vielen Scheinwerfer spiegelten sich in zahllosen Pfützen. Fartuloon war wieder unterwegs, um zu schnüffeln. Heute Nacht war er allein; seine drei Gefährten schliefen tief und geräuschvoll.
Fartuloon verließ seinen Platz und schlich auf den Rand der Savanne zu. Nach zehn Minuten Marsch lagen die letzten Lichter weit hinter ihm. An dieser Stelle ging das vorbereitete, aufgewühlte und wieder kultivierte Gelände in die unangetastete Natur über.
»Und hier gibt's keine Roboter«, brummte er und lenkte seine Schritte auf eine der letzten Baustellen zu. Allerdings wirkte diese Ansammlung von würfelförmigen, grellfarbenen Containern so, als würde sie gerade abgebaut und zum Weitertransport fertiggemacht. Hier arbeiteten mehr Ikuser als Roboter.
Fartuloon stapfte durch Lehm, über raschelndes Gras und durch nasse Ranken und knisterndes Schilf. Er war schlechter Stimmung. Alles dauerte zu lange, es gab niemanden, dem er Neuigkeiten oder Hinweise entlocken konnte, und die nächsten Stunden waren voller Ungewissheit. Als Informanten konnte er die Ikuser vergessen. Es gab keinen Gesprächspartner, weder wirkliche Ruhe noch wirkliche Gefahren. Alle warteten auf das Erscheinen des Psionischen Tores. Roboter, Ikuser und Hyptons. Er stolperte und fiel in einen Busch, dessen Blätter die Wassertropfen auf ihn schleuderten und ihm ins Gesicht schlugen. Dornen rissen an seiner neuwertigen Kleidung und am feinen Leder der Stiefel. Fartuloon verbrachte eine Minute damit, sich aus dem Buschwerk zu befreien und machte seinem Grimm mit ausgesuchten altarkonidischen Flüchen von großer Ausdruckskraft Luft.
Dann blieb er stehen, zog ein Tuch aus einer Tasche und trocknete Gesicht und Hände ab. Plötzlich erstarrte er. Seine Augen hatten, ohne dass er bewusst hingesehen hätte, etwas wahrgenommen.
»Sehr interessant!«, murmelte Fartuloon und blickte in die Richtung der neun großen Sterne, die ihm schon mehrmals aufgefallen waren. Er hatte diese Konstellation Colemayns Gewürz getauft. Sie hatte gewisse Ähnlichkeit mit einer scharf schmeckenden Pflanze.
In der Nähe dieses Sternbildes sammelten sich Raumschiffe. Sie befanden sich zufällig vor diesen Sternen in einem planetennahen Orbit oder in entsprechenden Manövern. Immer wieder flammten Triebwerke auf. Mächtige Scheinwerfer blinkten, es gab Signale in verschiedenen Farben. Einige Schiffe waren außerhalb des Schlagschattens Yumnards und zeichneten sich überaus deutlich als blinkende, funkelnde Objekte ab.
»Sollten sie etwa das Empfangskomitee für das Psionische Tor sein?«, fragte sich der Bauchaufschneider. Er beobachtete dieses lautlose Spiel sich bewegender Objekte noch eine Weile und ging dann, weitaus vorsichtiger geworden, weiter.
Rechts von ihm, in der undurchdringlichen Schwärze des nächtlichen Niederwaldes, bewegten sich Tiere. Er hörte das Rauschen großer, nasser Flügel, verschiedene Rufe und Schreie und ab und zu das Knacken von Ästen. Insekten zirpten und summten. An einigen Zweigen saßen Leuchtkäfer und gaben leise Pfiffe von sich. Vor dem Wanderer zeigten sich im Gegenlicht die Erdbewegungsmaschinen und ein riesiges Dreieck aus nasser Erde, das sorgfältig geharkt und neu angesät worden war.
»Keine überdeutlichen Spuren«, erinnerte sich Fartuloon und machte einen großen Bogen um dieses Stück Land. Dann befand er sich am Rand der Baustelle. Noch zwei Schritte, und er geriet in den Bereich der Scheinwerfer.
Schweigend sah er zu, wie Leitungen abgekoppelt und auf Trommeln gerollt wurden, wie sich Greifarme und Traktorstrahlen an die Ecken der Würfel klammerten, wie Ikuser und Roboter silbrig funkelnde Schraubverbindungen lösten.
Noch ein Container schwebte unter einem Transportgerät hängend davon, auf einen der betonierten Kreise zu, auf denen einige Raumschiffe standen. Sie schienen nur aus Maschinen, Tanks, einem Steuermodul und einem Gitterwerk zu bestehen, in das die Bausteine eingehängt wurden.
»Aufbruchstimmung!«
Fartuloon sah viel, aber er konnte keinen rechten Nutzen aus diesen Beobachtungen ziehen. Er schlich durch den Schatten und zwischen Ausrüstungsgegenständen näher und bewunderte wieder einmal die ausgereifte, planvoll überlegte Art, in der die Ikuser arbeiteten. Jeder Handgriff saß. Unaufhörlich meldeten sich die Arbeiter über ihre Funkgeräte, gaben einander knappe Kommandos und waren dabei von einer heiteren, entspannten Grundstimmung, die Fartuloon viel über den Charakter dieses Hilfsvolks sagte. Abgesehen von ihrer Technik-Manie waren sie ein harmloses, unaggressives Völkchen, das nur die eine Aufgabe kannte und sich um nichts sonst kümmerte.
Einzelne Individuen mochten sich aus der Masse herausheben und ein wenig anders verhalten, nicht aber das Gros der Ikuser.
Der Bauchaufschneider riss plötzlich seinen Kopf in die Höhe. Er sah, dass auf einem metallenen Raster neben dem Container ein Ikuser stand, der ein Funkgerät in der Hand hielt und mit Nachdruck ins Mikrophon sprach. Langsam drehte sich ein Antigravgerät in der Luft. Tiefstrahlerlicht fiel auf die Szene.
Der Arm des Schleppgerätes drehte sich, das Endstück traf den Ikuser an den Schultern und schleuderte ihn über das niedrige Geländer des Metallrostes.
Fartuloon hatte es fast kommen gesehen. Er schnellte sich nach vorn, hob die Arme und streckte sie aus. Der Körper des Ikusers überschlug sich in der Luft, Fartuloons Sohlen rutschten auf einer Eisenplatte. Dann krachte der Ikuser in Fartuloons Hände, Funkgerät und Werkzeuge wirbelten durch die Luft und klapperten auf das Metall, und der Bauchaufschneider wurde von dem Anprall umgeworfen. Die beiden Körper bildeten auf dem Boden ein wirres Knäuel. Mit einem Satz war Fartuloon wieder auf den Beinen und zog den Ikuser in die Höhe.
Im Schock des Schreckens hatte der Ikuser seine Augen unterarmlang ausgefahren. Jetzt zogen sie sich wieder in die Schädelhöhlen zurück. Fartuloon ließ den Arm los und sagte:
»Das hätte hart enden können.«
Er deutete auf den Metallboden. Der Ikuser schüttelte sich und atmete schwer.
»Du hast ... Gefangener ... warum stehst du hier?«, fragte er völlig verwirrt und blickte auf seine seltsame Art hinauf zu dem Schlepper, richtete das andere Auge auf Fartuloon und dann auf die verstreuten Werkzeuge. Der Bauchaufschneider sah, dass im Gegensatz zu allen anderen Ikusern dieser Mann schneeweiße und breitere Körperbänder mit mehr Taschen und Elementen trug.
»Ich habe dich fallen gesehen«, sagte er. »Und vielleicht konnte ich dein Leben retten. Oder wenigstens verhindern, dass du dir alle Knochen brichst.«
»Ich danke dir, Fremder. Ich bin Notrun.«
»Dann musst du der oberste Chef aller Ikuser sein«, antwortete Fartuloon nachdenklich. »Welch ein Zufall. Ich bin der Kommandant des Raumschiffs, das ihr repariert habt.«
Der Staringenieur bückte sich und fing an, seine Ausrüstung einzusammeln und in die betreffenden Fächer und Etuis zurückzustecken.
»Ich habe nur meinen Leuten gestattet, das Schiff in ihrer Freizeit wiederherzustellen«, erklärte der Ikuser. »Ich weiß, dass sie sich einige Mühe gegeben haben. Die Hyptons haben euch freigelassen?«
»Sie haben nichts dagegen, dass ich mich ein wenig umsehe«, wich Fartuloon diplomatisch aus. »Du scheinst nicht verletzt zu sein.«
»Nein. Danke. Nur der Schreck macht mir zu schaffen. Wie kann ich dir danken?«
»Das ist ganz einfach«, meinte Fartuloon. »Du kannst mir etwas über dein Projekt erzählen. Ich sehe die Bauwerke, begreife aber die technischen Einrichtungen nicht.«
Er war wie elektrisiert. Ausgerechnet den einzigen Ikuser, der ihm wirklich stichhaltige Informationen geben konnte, hatte er auf diese merkwürdige Weise kennen gelernt.
»Wir zapfen die Hyperenergie der Sonne ab, des Sterns Ukenzia«, erklärte Notrun knapp. »Damit versorgen wir das Psionische Tor. Die Normalenergie versorgt die gesamte Station und wird einen Transmitter betreiben. Der Transmitter dient dazu, das Psionische Tor oder die Fallenpforte zu empfangen. Das ist alles.«
Nachdem er am Funkgerät einige Probeschaltungen durchgeführt hatte, fügte Notrun hinzu:
»Überdies sind wir bis auf ein paar abschließende Arbeiten so gut wie fertig. Morgen testen wir den Transmitter.«
»Was soll dieses Tor bewirken?«, fragte Fartuloon und bemühte sich, seine Aufregung nicht zu zeigen.
»Das weiß ich nicht. Das ist Sache der Hyptons. Sie werden mir sagen, wozu es gut ist, wenn sie es für nötig erachten. Vermutlich erst kurz vor dem Einsatz.«
»Du weißt wirklich nicht, was dieses Tor kann? Wer durch dieses Tor kommen oder gehen soll?«
»Nein. Ich kenne nur das Aussehen dieses Objekts.«
»Merkwürdig«, antwortete Fartuloon. Der Ikuser beruhigte seine Leute, indem er ihnen schilderte, was passiert sei. Er versprach, sich sofort wieder um die Verladeaktion zu kümmern. Er richtete seine Augen gleichzeitig auf Fartuloon.
»Nochmals Dank für dein Eingreifen. Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr sagen kann. Frage doch die Hyptons; sie haben die Gesamtplanung des Projekts.«
»Danke für den Hinweis«, murmelte Fartuloon und nickte. »Viel Erfolg für deine Arbeit.«
Eilig, seine eigenen Probleme im Kopf, rannte der Ikuser zurück ins Zentrum der Container und zu seinen Leuten. Fartuloon blieb stehen und schüttelte den Kopf. Alles war gegen ihn, musste er sich eingestehen. Selbst der Chef der ameisenhaft schuftenden Ikuser wusste nicht viel mehr als er, Fartuloon, selbst. Er glaubte Notrun jedes Wort. Immerhin, versuchte er sich zu trösten, hatte der Ingenieur seine Vermutungen bestätigt. Das war der einzige Lichtblick.
»Das nächste Mal lasse ich ihn fallen«, sagte er grimmig und zog die Schultern hoch. Es war sinnlos, noch weiter durch die Dunkelheit zu stolpern. Mehr würde er nicht erfahren. Und wenn er noch fünfmal aus seiner Zelle herausschlich und die Kräfte des Skarg mobilisierte – er würde im Gebiet der Baustelle nichts erfahren.
Wütend und mutlos ging er in die Richtung des Gefängnisses zurück.
*
Es musste gegen Morgen sein; wieder wurde Fartuloon wach und öffnete probeweise seine Augen. Er starrte an die Decke und merkte, dass sich trotz der wenigen Stunden tiefen Schlafes seine Laune nicht gebessert hatte. Jetzt fluchte er innerlich, weil er nicht einmal weiterschlafen konnte.
Als er das nächste Mal senkrecht nach oben blinzelte und versuchte, die Reste seines Traumes festzuhalten, sah er die Farben und die Helligkeit. Durch das Glas des Fensters strahlten irgendwelche Lichteffekte in den Raum hinein. Ächzend stand Fartuloon auf und ging zum Fenster.
»Ich bin in der richtigen Sekunde aufgewacht«, meinte er leise und gähnte. »Tatsächlich.«
Er blickte geradeaus auf die große Kuppel, in der sich die Hypton-Traube befand. Zwei riesige Öffnungen waren entstanden, und die Projektoren hatten sich herausgeschoben. Von ihnen spannten sich zwei weiße Balken in die Luft, krümmten sich und bildeten einen Kreis, der mehr als dreihundert Meter Durchmesser aufwies.
Der Transmitter war eingeschaltet.
Die Farbe und die Intensität des Lichtkreises änderten sich langsam. Im Zentrum breitete sich eine brodelnde, graue Schicht aus, die jedes Licht zu schlucken schien.
»Generalprobe oder etwa das Ereignis selbst?«, fragte sich Fartuloon unbehaglich.
Die Kuppel und der Kreis der Transmitterenergie beherrschten die Savanne. Das Licht der Sterne verblasste ebenso wie die vielen Scheinwerfer des Projekts. Fartuloon presste seine Stirn gegen das kalte Glas und sah regungslos und verwirrt zu, wie sich die Farben änderten, und wie weiter nichts passierte.
Es schien also doch nur der Testlauf gewesen zu sein. Als er sich abwandte, erschien im Zentrum der Kreisfläche ein kurzer, blitzender Impuls. Dann schob sich in mäßigem Tempo ein kleines Raumschiff von nicht mehr als fünf Metern Durchmesser heraus und flog geradeaus weiter.
Das Schiffchen beschrieb über dem Gefängnis eine Kurve und steuerte dann den Raumhafen des Projekts an.
Das Leuchten der beiden dicken Transmitterbalken nahm ab, dann erlosch es schlagartig. Ein dumpfes Dröhnen hallte donnernd über die Savanne. Langsam schoben sich die beiden Projektoren wieder in die Kuppel zurück. Die Kuppel schloss sich lautlos.
Das nächste Mal – wann? – würde sich hier das Psionische Tor hervorschieben. Das bedeutete das vorläufige Ende eines langen Fluges. Ausgangsort und Zukunft waren Fartuloon nicht bekannt.
Trotz seines Ärgers vermochte er tatsächlich wieder einzuschlafen, obwohl drei startende Raumschiffe die Nacht und den Morgen mit ihrem Triebwerkslärm erfüllten.