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5.

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»Es hat keinen Sinn«, sagte Mrothyr resignierend. »Sie wollen einfach nicht hören, dass wir keine Spezialisten sind. Weiß der Teufel, wer sie auf diesen Gedanken gebracht hat.«

Sie befanden sich in einem geradezu luxuriös eingerichteten Haus mitten in der Stadt. Von draußen klang das eintönige Rauschen des Regens herein. Hin und wieder rollte knarrend und knatternd ein Fuhrwerk vorbei, das bergauf von einem einfachen Explosionsmotor angetrieben und abwärts von bulligen Tieren gezogen wurde.

»Wir haben keine andere Möglichkeit«, entgegnete Doyrirkhra. Er ruhte auf einer mit weichem, roten Leder bezogenen Liege. »Wir müssen so tun, als ob wir wirklich etwas vom Bau verstünden.«

Mrothyr blickte ihn fassungslos an.

»Bist du verrückt?«, fragte er. »Wir beide haben nicht den blassesten Schimmer.«

»Das ist nicht ganz richtig. Immerhin entstammen wir einer Kultur, die andere Bauten erstellt hat, als man sie hier findet. Wir haben eine höhere Bildung als die Evutuumer.«

»Ja – und? Deshalb kann ich noch lange keinen Turm bauen.«

»Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen es zumindest versuchen, wenn wir die nächsten Tage überleben wollen. Wir müssen Zeit gewinnen, damit wir einen Fluchtplan ausarbeiten können. Oder willst du hier bleiben, bis sie uns vom Turm stoßen?«

Mrothyr ging zu einem Fenster und blickte hinaus auf einen Platz. Hunderte von Evutuumern hatten sich dort versammelt. An offenen Feuern wurden mächtige Bratenstücke gegrillt. Aus Fässern wurde eine offenbar berauschende Flüssigkeit ausgeschenkt, der die meisten Männer und Frauen eifrig zusprachen. Immer wieder fielen sich Evutuumer jubelnd in die Arme. Auffallend war, dass sie sich dabei relativ leise verhielten. Man fürchtete anscheinend, durch allzu großen Lärm gefährliche Tiere aus der Wildnis anzulocken.

A'thruif trat ein. Lachend stellte er den Zyrphern zwei große Krüge und einen Teller mit einem riesigen Stück Fleisch hin.

»Lasst es euch schmecken, meine Freunde«, rief er. »Wir haben schon lange keinen so guten Wein mehr gehabt.«

Mrothyr deutete zum Turm hinüber, von dem auch jetzt nur ein kleiner Teil zu sehen war, da die Spitze von den Wolken verhüllt wurde.

»Ihr habt uns noch immer nicht gesagt, wozu ihr den Turm baut«, bemerkte er.

Der Evutuumer ließ sich in einen der Ledersessel sinken. Er streckte die Beine aus, und jetzt begriff Mrothyr, weshalb die Sitzmöbel mit Löchern in der Rückenlehne versehen waren. Die Hörner seines Rückengeweihs schoben sich hindurch, so dass er bequem sitzen konnte.

»Was für eine Frage!«, staunte A'thruif. »Weshalb baut man denn solche Türme? Zu Ehren der Götter natürlich. Die Götter leben über den Wolken, und wir wollen zu ihnen hinaufsteigen. Wenn der Turm noch einmal so hoch wird, wie er jetzt ist, müssten wir den Göttern eigentlich begegnen. Jedenfalls behaupten das unsere Priester.«

Er griff nach dem Krug und trank einen kräftigen Schluck Wein.

»Ich bin mir nicht so sicher, dass die Götter sich uns zeigen werden«, fügte er hinzu. »Aber auch ich möchte einmal über die Wolken hinaussehen. Nicht nur für ein paar Minuten. Für eine so kurze Zeit reißen die Wolken schon mal auf. Nein, ich möchte einen Tag lang oder auch zwei dort oben sitzen und sehen können, was über den Wolken ist. Dafür würde ich mein Leben geben. Und glaube mir, die meisten Evutuumer denken ebenso wie ich. Die Sterne möchte ich beobachten und vor allem den Mond, wenn er hoch am Himmel steht.«

Mrothyr blickte erneut zum Fenster hinaus. Der Regen fiel dichter als je zuvor. Wahre Wassermassen ergossen sich über die Stadt, und die Sicht war so schlecht, dass er die feiernden Evutuumer kaum noch erkennen konnte.

Er verstand A'thruif.

Er selbst kam von Zyrph, einer Welt, auf der klare Tage und Nächte keine Seltenheit waren. Den Himmel zu sehen, war nichts Besonderes. Das war hier anders. Die Evutuumer sehnten sich danach, über die Wolken hinaus in den klaren Himmel sehen zu können. Ob sie dieses Ziel allerdings mit dem Turm erreichen konnten, bezweifelte Mrothyr.

»Was ist das Problem beim Turm?«, fragte er. »Woran droht das Projekt zu scheitern?«

»Du hast erkannt, dass es nicht gelingen wird?« A'thruif strahlte ihn an. »Ich wusste, dass du ein Experte bist.«

»Woran?«, fragte Doyrirkhra.

»Die Steine am Fuß des Turmes zerbrechen«, erklärte der Evutuumer. »Der Druck des auf ihnen lastenden Turmes ist zu groß. Die Last zerquetscht die unteren Steinschichten. Wenn wir noch höher bauen, wird der untere Teil des Turmes auseinanderplatzen, und das ganze Bauwerk wird einstürzen. Wir können aber nicht aufhören, weil wir noch nicht über die Wolken hinausblicken können.«

Die beiden Zyrpher blickten sich an. Das war exakt der Eindruck, den sie schon vor Stunden gewonnen hatten, als sie den Turm zum ersten Mal gesehen hatten. Die evutuumischen Bauhandwerker hatten das Fundament zu schwach ausgelegt.

»Ich bin ganz sicher, dass ihr das Problem lösen werdet«, sagte A'thruif, schob ihnen den Wein hin, erhob sich, grüßte freundlich und eilte aus dem Zimmer.

»Und ich weiß, dass wir das Problem mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt nicht lösen können«, bemerkte Doyrirkhra, als die Tür hinter ihm zugefallen war.

Die beiden Zyrpher befassten sich nun zum ersten Mal ernsthaft und sehr intensiv mit der Architektur und der Statik des Turmes und den dabei auftretenden Schwierigkeiten. Sie arbeiteten die ganze Nacht hindurch und kamen doch nur zu dem Ergebnis, dass sie das Bauwerk nicht retten konnten, weil bei seiner Konstruktion von Anfang an nicht mehr gutzumachende Fehler gemacht worden waren.

»Wir müssen fliehen«, sagte Mrothyr eine Stunde vor Beginn der Dämmerung. »Sofort. Wenn wir noch länger warten, ist es zu spät für uns.«

»Du hast Recht«, stimmte der Wonko zu. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«

Mrothyr nahm seinen Kombitraf auf, und sie verließen das Zimmer, eilten lautlos eine Holztreppe hinunter und traten auf die Straße hinaus.

Bestürzt blieben sie stehen, denn A'thruif und etwa zwanzig weitere Evutuumer traten strahlend auf sie zu und umringten sie.

»Ihr wollt mit den Arbeiten beginnen«, rief der Architekt. »Das ist wundervoll. Ich wusste, dass ihr voller Eifer und Erfolgswillen seid.«

Mrothyr beherrschte sich nur mühsam, und auch Doyrirkhra gelang es nur unter größten Anstrengungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Lachend führte A'thruif die beiden Zyrpher zum Turm.

»Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bereits im Anfangsstadium des Baus schwere Fehler gemacht worden sind«, sagte Mrothyr auf dem Weg zum Turm. »Falls diese sich nicht korrigieren lassen sollten, liegt das nicht in unserer Verantwortung.«

A'thruif legte ihm lachend die Hand auf die Schulter.

»Natürlich nicht«, erwiderte er. »Aber ihr seid so großartige Spezialisten, dass ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen machen würde.«

»Man kann uns nicht für etwas bestrafen, für das wir nicht verantwortlich sind«, rief Doyrirkhra. Er konnte sich kaum verständlich machen, da die Evutuumer so laut redeten und lachten.

»Es hat keinen Sinn«, sagte der Freiheitskämpfer zu ihm. »Sie wollen nicht hören. Sie sind froh, jemanden gefunden zu haben, dem sie die Verantwortung zuschieben können. Wahrscheinlich wollen sie ihren eigenen Kopf damit retten.«

Sie betraten den Turm durch ein gewölbtes Tor. Über eine breite Treppe ging es hinauf in einen Raum, der überraschenderweise schon in dieser Bauphase prunkvoll eingerichtet war. Über Dutzenden von Statuen erhob sich ein mit edlen Metallen und blitzenden Diamanten verziertes Gewölbe. An den Wänden befanden sich Gemälde, auf denen verschiedene Szenen aus dem Leben der Evutuumer dargestellt wurden. Die beiden Zyrpher konnten nur vermuten, dass es sich dabei um legendäre oder religiöse Ereignisse aus der Vergangenheit dieses Volkes handelte.

Aus einer Nische kam ein in blaue Tücher gehüllter Mann hervor. Er verneigte sich vor Mrothyr und Doyrirkhra, drückte seine Finger gegen seine Lippen und dann gegen ihre Stirnen.

»Ich begrüße euch im Namen der Götter, die über den Wolken wohnen«, sagte er. »Ihr werdet es sein, die uns einen Blick auf die Götter gewähren werden.«

In den Augen des Priesters leuchtete ein fanatisches Licht. Auf den Lippen des Mannes stand rötlicher Schaum. Mrothyr hatte das Gefühl, einem Mann gegenüberzustehen, der sich vollständig in seinen religiösen Phantasien verloren hatte.

Wir werden diesen Turm nicht lebend verlassen, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, erkannte er.

»Wir müssen den Turm untersuchen«, erwiderte er. »Es sind Fehler gemacht worden, die korrigiert werden müssen.«

»Beginnt mit der Arbeit«, rief der Priester. »Wartet nicht. Jede Stunde ist kostbar.«

»Der Priester ist krank«, flüsterte A'thruif Mrothyr zu, als sie wenig später allein weitergingen. »Er fürchtet, dass er sterben muss, bevor er der Götter ansichtig geworden ist. Er verfolgt alle mit seinem tödlichen Hass, von denen er glaubt, dass sie die Arbeiten verzögern. Und er ist mächtig. Es gibt niemanden am Bau, der es wagt, langsam zu arbeiten. Sie fürchten ihn alle.«

»Du auch?«

»Ich auch. Ich habe keine Lust, mich von ihm umbringen zu lassen.«

Mrothyr wusste nicht, was er tun konnte, um den Turm zu retten. Er glaubte nicht daran, dass es überhaupt eine Möglichkeit gab, dies zu tun, aber er musste sich so verhalten, als wüsste er es. Deshalb nahm er seinen Kombitraf hervor, blieb stehen und legte ihn an einen der Steinquader, nachdem er ihn auf geringste Wirkung justiert hatte. Dann löste er ihn aus, und ein greller Blitz zuckte daraus hervor.

Erschrocken fuhren die Evutuumer zurück.

»Was soll das?«, fragte Doyrirkhra in zyrpherischer Sprache, damit die anderen ihn nicht verstanden.

Mrothyr setzte die Waffe gleich noch einmal an, schaltete sie jedoch auf Desintegratorwirkung, so dass nun ein grüner Blitz aus dem Projektor schoss. Er reichte nur wenige Zentimeter weit, löste jedoch ein wenig von dem Stein auf. Die Evutuumer sahen es und flüsterten ehrfurchtsvoll miteinander.

»Unsere Freunde sind zweifellos davon überzeugt, dass ich ein Spezialinstrument einsetze«, antwortete Mrothyr in der gleichen Sprache. »Ich will Zeit gewinnen, das ist alles.«

»Aber du solltest Energie sparen. Es ist nicht notwendig, die Waffe jedes Mal auszulösen.«

»Natürlich nicht, aber gerade zu Anfang konnte ich nicht darauf verzichten.«

»Ja. Du hast Recht.«

Die beiden Zyrpher bemühten sich nun, als Experten aufzutreten. Sie untersuchten den Turm und krochen in alle Winkel und Nischen, um dort angeblich Messungen vornehmen zu können. Sie ließen außen am Turm kleine Gerüste errichten, um bestimmte Steinquader erreichen zu können, und sie erkannten von Stunde zu Stunde deutlicher, dass der Turm nicht zu retten war.

Drei Tage verstrichen, ohne dass sie eine Fluchtmöglichkeit gefunden hatten. Die Evutuumer begleiteten sie auf Schritt und Tritt.

»Wir sind am Ende«, flüsterte Mrothyr. Er kauerte zusammen mit Doyrirkhra in einem Winkel des Bauwerks. Wenige Meter von ihnen entfernt schleppten Bauarbeiter Steinquader an ihnen vorbei. »Ich weiß nicht mehr weiter.«

»Ich auch nicht«, antwortete der Priester.

»Du musst doch irgendeinen Vorschlag haben.«

»Ich habe aber keinen.«

Verzweifelt überlegten sie, was sie tun konnten, ohne dabei zu mehr als einer Notlösung zu kommen.

»Wir müssen A'thruif vorschlagen, den Turmbau zu erweitern«, sagte Mrothyr. »Er muss das Fundament entlasten. Dazu ist es notwendig, im unteren Bereich Seitenarme zu bauen, Stützen, die einen Teil der Last aufnehmen.«

»Und du meinst, das hilft?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte der Freiheitskämpfer. »Baustatik ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Ich will ja auch nur Zeit gewinnen, bis sich irgendwann die Möglichkeit zur Flucht ergibt.«

Die Steinwand neben ihnen zerbröckelte.

»Flucht?«, fragte A'thruif. Er schob seinen massigen Kopf durch die entstandene Öffnung. »Ihr habt durch falsche Entscheidungen den gesamten Turmbau gefährdet, und jetzt wollt ihr euch der Verantwortung durch die Flucht entziehen? Ihr habt mich tief enttäuscht.«

Erschrocken fuhren die beiden Männer zurück. Mrothyr griff nach seinem Kombitraf, doch A'thruif warf sich auf ihn und entriss ihm die Waffe. Zugleich brüllte er aus Leibeskräften, und nun kamen Dutzende von Bauarbeitern herbei und stürzten sich auf die beiden Zyrpher.

Eine Stunde später standen Mrothyr und Doyrirkhra auf der Spitze des Turmes inmitten von roten Regenwolken. Hunderte von Evutuumern hatten sich um sie herum versammelt. Die Freundlichkeit war aus ihren Gesichtern gewichen. Alle sahen grimmig und erzürnt aus.

»Wir haben lange genug beteuert, dass wir keine Experten sind«, rief Doyrirkhra verzweifelt. »Warum habt ihr nicht auf uns gehört? Ihr könnt uns nicht die Schuld geben für die Fehler, die ihr gemacht habt.«

Der Priester trat dicht an die beiden Zyrpher heran. Sein Gesicht verzerrte sich vor Hass. Roter Regen tropfte von seiner vorspringenden Stirn.

»Glaubst du, dass du den Turm dadurch retten kannst, dass du uns tötest?«, fragte Mrothyr den Priester.

»Nein, aber euer Tod wird andere davon abhalten, uns zu betrügen.«

Mehrere Arbeiter rückten ein Holzgestell heran und fesselten Doyrirkhra daran. Mrothyr erkannte voller Entsetzen, dass es sich dabei um eine Art Katapult handelte.

»Hört auf«, rief er. »Lasst den Wahnsinn. Wir werden einen Weg finden, euch zu helfen, aber macht Schluss damit.«

»Sei still«, befahl der Priester, »oder ich lasse dir den Mund verbinden.«

Einige Vögel strichen durch den Nebel heran. Erschrocken flatterten sie in die Höhe, als sie die Evutuumer sahen. Mrothyr stemmte sich gegen seine Fesseln, konnte sie jedoch nicht lösen, und auch Doyrirkhra wehrte sich mit aller Macht gegen das unvermeidlich erscheinende Ende, als die Arbeiter das Holzgestell noch etwas näher an die äußere Kante des Turmes heranrückten.

»Es dauert lange, bis ihr unten seid«, erklärte der Priester mit hasserfüllter Stimme. »Der Turm ist mehr als hundertfünfzig Meter hoch. Ihr habt also genügend Zeit, eure Verbrechen zu bereuen, bevor ihr unten aufschlagt.«

»Ihr Barbaren«, keuchte der Wonko. »Glaubt nur nicht, dass die Götter euch gestatten werden, über die Wolken hinauszublicken. Sie werden euch ein Zeichen setzen und den Turm zerstören, so dass ihr euch in Demut vor ihnen beugen werdet.«

»Vollstreckt das Urteil«, befahl der Priester. Er stieß beide Arme und die beiden Tentakel in die Höhe. »Schleudert sie in den Abgrund.«

Mrothyr beobachtete, wie A'thruif mit einer Axt ein Seil durchschlug, mit dem die Arbeiter das Katapult gespannt hatten. Doyrirkhra schrie laut auf.

»Nein! Nein – tut es nicht.«

Der Hebelarm des Katapults fuhr zischend nach vorn und schlug dann laut krachend gegen eine Sperre. Doyrirkhra löste sich von dem Haltebalken und flog in hohem Bogen in den Nebel hinaus.

»Nein! Nicht«, schrie er in panischem Entsetzen, als er in die Tiefe stürzte.

Die Evutuumer brüllten laut. Jubelnd streckten sie die Arme in die Höhe, als hätten sie einen großen Sieg errungen. Obwohl sie lärmten und wild durcheinander schrien, glaubte Mrothyr zu hören, wie der Wonko tief unter ihm auf die Felsen schlug.

»Jetzt er«, befahl der Priester, als es wieder ruhiger geworden war. Er zeigte auf Mrothyr.

»Das wagst du nicht«, sagte der Freiheitskämpfer. In seinen Augen glomm ein Licht, das den Priester erschrocken vor ihm zurückweichen ließ.

»Verbindet ihm die Augen«, befahl der Blaue. »Schnell. Beeilt euch.«

Mehrere Arbeiter traten von hinten an Mrothyr heran und schlangen ihm ein dunkles Tuch um den Kopf, so dass der Priester diese gelben, unheimlich leuchtenden Augen nicht mehr sehen musste.

Mrothyr schloss mit dem Leben ab. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn jetzt noch irgendein Umstand retten konnte.

»Vollstreckt das Urteil«, rief der Priester.

Mehrere Männer packten den Freiheitskämpfer und stellten ihn auf das Katapult.

»A'thruif – zerschlage das Seil«, hallte ein Ruf.

Mrothyr vernahm die Schritte eines Mannes, der sich ihm näherte. Dann folgte ein dumpfer Schlag, und er erhielt einen wuchtigen Stoß gegen den Rücken, der ihn hoch in die Luft hinausschleuderte. Er vernahm das Gebrüll der Evutuumer, und dann stürzte er in die Tiefe.

In diesen Sekunden der höchsten Verzweiflung gelang es ihm, die Fesseln zu sprengen. Er registrierte kaum, dass seine Arme plötzlich frei waren. Er schlug wild um sich, um sich zu fangen, und alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, dass er in wenigen Sekundenbruchteilen auf die Felsen aufschlagen und sterben würde. Er spürte, wie ihm der Regen ins Gesicht schlug, und er hörte den schrillen Schrei eines Vogels.

Trauer erfasste ihn. Er würde nicht mehr erleben, wie sein Volk frei wurde.

*

»Es ist vorbei«, rief A'thruif den Bauarbeitern zu. »Ans Werk. Wir müssen die Schäden beheben, die die beiden Fremden angerichtet haben.«

Er ging zu dem blaugekleideten Priester, der am Rand des Abgrunds stand und die Arme in den Regen streckte.

»Sie sind tot, Ashkahir«, sagte er leise, »aber es hat sich nichts geändert.«

Der Priester wandte sich ihm zu. Nachdenklich blickte er auf die Arbeiter, die mit Hilfe der Kräne weitere Steinquader heraufholten.

»Natürlich hat sich nichts geändert«, antwortete er mit gedämpfter Stimme, »aber wir werden weniger Schwierigkeiten mit den Leuten haben. Man wird uns wieder besser gehorchen.«

»Und die Schäden am Fundament werden schlimmer.«

»Das wussten wir schon vorher, A'thruif«, erwiderte der Priester. »Die Berechnungen haben sich als falsch erwiesen. Der Turm wird früher oder später zusammenbrechen, weil sich jetzt nichts mehr reparieren lässt, aber willst du das dem Volk sagen?«

»Früher oder später werden wir es tun müssen.«

Sein Gegenüber lächelte zynisch.

»Hast du denn nichts begriffen? Die beiden Fremden sind schuld. Deshalb haben wir sie hingerichtet. Noch heute werden wir eine große Versammlung einberufen. Auf ihr werde ich erneut Anklage gegen die Fremden erheben, und ich werde ihnen alle Schuld in die Schuhe schieben. Ich werde mitteilen, dass die Fremden mit ihrem Messinstrument irreparable Schäden angerichtet haben. Dann soll das Volk in einer Abstimmung entscheiden, ob weitergebaut werden soll oder nicht.«

»Wir können nur hoffen, dass es sich gegen den Weiterbau entscheiden wird.«

Ashkahir lächelte.

»Wozu haben wir die Macht?«, fragte er. »Wir haben alle Instrumente der Beeinflussung in Händen. Wir als Regierende können die Probleme so darstellen, dass uns an der von uns verschuldeten Katastrophe keine Schuld trifft. Das, mein Lieber, ist das Privileg der Regierenden. Danach können wir nur hoffen, dass wir für einige Zeit abgewählt werden.«

»Aber dann kommt die Opposition an die Macht, und sie wird nichts Besseres zu tun haben, als uns die Schuld am Zusammenbruch des Turmes nachzuweisen.«

Ashkahir schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

»Ich sehe, du hast die Mechanismen der Macht noch nicht begriffen. Wir haben nicht nur die Beweise, sondern auch die vermeintlich Schuldigen beseitigt. Wie könnte uns eine neue Regierung daher behelligen? Sie wird genug damit zu tun haben, alles wieder in Ordnung zu bringen. Dazu sind Maßnahmen notwendig, die beim Volk keine Freude auslösen werden. Also wird man uns nach Ablauf der nächsten Wahlperiode wieder an die Macht rufen. Wir können dann ein ordentlich bestelltes Haus übernehmen, und alle Probleme sind beseitigt. Was willst du mehr?«

»Du bist ein Genie, Ashkahir«, staunte A'thruif.

»Daran habe ich nie gezweifelt.« Der Priester legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Und jetzt arbeite fleißig weiter, mein Freund. Mögen die Götter Zeuge deines unermüdlichen Fleißes und deines Verantwortungsbewusstseins sein.«

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