Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 55
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ОглавлениеMein Versuch, ihrer habhaft zu werden, schlug fehl. Sie waren aus der Herberge verschwunden, und keiner wusste wohin. Allmählich ging es mir so wie dem Hasen in dem Märchen »Der Hase und der Igel«, nur war es so, dass die Drillinge nicht immer vor mir da waren, sondern sie waren schon weg, wenn ich ankam. Fast kam es mir so vor, als hätten sie einen siebten Sinn, der sie warnte, wenn ich Jagd auf sie machte. Wo mochten sie im Augenblick stecken, was heckten sie aus?
Mein erster Gedanke war, sie zu suchen und aufzuspüren. Ich korrigierte diese Entscheidung jedoch. Die Straßen waren wie ausgestorben, die Gassen leergefegt, dafür war der Äther erfüllt von Hiobsbotschaften und Hilfsersuchen. Überall, in Dörfern wie in Städten, zeichnete sich die gleiche Entwicklung ab wie in Yutlamal. Und ich konnte nichts dagegen tun. Wirklich nicht?
Atlan und die STERNSCHNUPPE mussten her. Mit ihrer Hilfe konnte ich es schaffen, die unheimlichen Vorgänge in den Griff zu kriegen und die Krankheit zu besiegen. Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen? Es war kein Problem, Kontakt mit dem Arkoniden zu bekommen, denn ich besaß schließlich noch den Hyperfunksender. Und wenn ich den Aktivatorträger erreicht hatte, würde ich mich um die Drillinge kümmern.
Spornstreichs eilte ich zu der windschiefen Kate, in der ich das Gerät untergebracht hatte. Die Hütte, in der allerlei Gerümpel aufbewahrt wurde, das langsam verrottete, befand sich in einem winkeligen Gässchen in der Nähe des Stadtwalls. Die wenigen Häuschen, die hier standen, wirkten heruntergekommen und machten einen unbewohnten Eindruck. Nur selten verirrte sich jemand hierher, und das machte diesen Platz so ideal für meinen Zweck.
Noch einmal vergewisserte ich mich, dass ich unbeobachtet war, dann rannte ich los – und blieb abrupt stehen. Knacken und Poltern registrierte ich, Rumoren, das aus dem Versteck kam. Obwohl ich keine Stimmen hörte, war ich sicher, dass irgendwelches Gesindel in der Kate war. Ich musste dieses Pack verjagen, bevor es den Sender fand und ihn beschädigte.
Mit zwei, drei Schritten war ich bei der Hütte und riss die morsche Brettertür auf. Wäre ich ein lebendes Wesen, hätte mich sicherlich der Schlag getroffen. Nicht ein unbekannter kleiner Ganove suchte in dem Verschlag nach Beute, sondern Evodix, Evroom und Everyhan trieben hier ihr Unwesen. Wieder einmal war ich zu spät gekommen. Sie hatten mein Geheimnis nicht nur entdeckt, sondern waren dabei, den Sender zu zerstören.
Schon bei dem Geräusch, mit dem sich die Tür quietschend in den Angeln drehte, waren die drei aufmerksam geworden und fuhren herum.
»Kommt heraus!«, forderte ich sie auf.
Ich hatte nicht vor, sie zu verprügeln, sondern wollte ihnen nur einen Denkzettel verpassen und sie dingfest machen, aber sie reagierten ganz anders, als ich erwartet hatte. Plötzlich richteten sich zwei Strahler auf mich, während der dritte seine Waffe auf die Hyperfunkanlage schwenkte und damit begann, sie zu zerstrahlen.
Ohne Warnung eröffneten die beiden anderen auf mich das Feuer. Gedankenschnell aktivierte ich meinen Schutzschirm und konnte so den Angriff abwehren.
»Das werdet ihr mir büßen«, brüllte ich und stürzte mich wutentbrannt auf die Drillinge.
Wie ein Unwetter fiel ich über sie her, voller Grimm über ihre Skrupellosigkeit. Ich hatte nicht vor, sie zu töten, aber ich musste sie kampfunfähig machen. Meine linke Faust traf Evodix am Nacken. Er taumelte zur Seite, hielt die moderne Hochleistungswaffe jedoch eisern fest und löste sie aus. Pausenlos rasten die vernichtenden Energiebündel auf mich zu.
Meine rechte Hand schoss vor. Ich erwischte Evroom am linken Hinterbein und riss ihn zu Boden. Er rollte sich zur Seite. Bevor ich ihn zu fassen bekam und ihm den Strahler entwinden konnte, schleuderte mir einer der Brüder ausrangiertes Mobiliar vor die Füße, so dass ich ins Stolpern geriet. Und dann nahmen sie mich zu dritt unter Feuer.
Die Feldbelastung wuchs bis in einen bedrohlichen Bereich, und ich hatte kaum die Möglichkeit, auszuweichen. Hier konnte ich meine Schnelligkeit nicht ausspielen, weil der Raum zu eng und zu vollgestopft war.
An mehreren Stellen züngelten Flammen empor, die in dem ausgetrockneten Holz reichlich Nahrung fanden. Rauch breitete sich aus. Ich kümmerte mich nicht darum.
Wieder attackierte ich Evodix und brachte ihn mit einem Fußtritt zu Fall, meine Arme wirbelten herum wie Windmühlenflügel und deckten die anderen mit Schutt und Plunder ein, hochgewirbelter Staub verschlechterte die Sicht. Sie wichen zurück, doch sie gaben nicht auf. Mein Schirm leuchtete in dem Dunst wie eine glühende Fackel.
Mit einem gewagten Sprung war ich bei Evodix und verpasste ihm einen Haken, der jeden Kaytaber ins Land der Träume geschickt hätte, doch der Bursche steckte ihn weg, ohne Wirkung zu zeigen. Ich setzte nach, trat nach der Waffe – und erhielt im gleichen Augenblick einen Punkttreffer von zwei Salven gleichzeitig. Mein Schutzschirm drohte instabil zu werden und zusammenzubrechen.
Sofort katapultierte ich mich weg und landete in einem Haufen alter Töpfe und Fässer, die unter meinem Gewicht zu Bruch gingen. Das reichte Evodix, um wieder auf die Beine zu kommen. Bevor ich mich von dem Gerümpel befreit hatte, das auf mir lag, hatten sie mich von mehreren Seiten ins Visier genommen. Drei gluthelle Strahlenbahnen konzentrierten sich auf eine Stelle.
Nun wurde es brenzlig. Farbige Schlieren durchzogen die energetische Hülle, die Belastungsgrenze war längst überschritten. Mit beiden Händen warf ich die Trümmer hoch, die auf mir lasteten, und stürzte mich mit einem Satz nach vorn. Meine Rechnung, dass Everyhan durch die Attacke in Deckung gezwungen wurde, ging nicht auf. Er durchschaute die Finte und feuerte weiter. Mir blieb keine andere Wahl, als zu verschwinden, wenn ich meine Existenz nicht aufs Spiel setzen wollte.
Ein Balken kam mir unter die Finger. Ihn hochzureißen und auf die Drillinge zu schleudern, war eins. Ohne mich umzusehen, spurtete ich zur offenen Tür und rannte ins Freie. Hinter einem Erker hielt ich an und desaktivierte den Schutzschirm. Sein Aggregat hatte geringe Beschädigungen davongetragen, war jedoch noch funktionsfähig.
Froh, diesem Inferno heil entkommen zu sein, hielt ich nach einem Verfolger Ausschau, doch offensichtlich begnügten sich die Drillinge damit, mich in die Flucht geschlagen zu haben. Aus welchen Gründen auch immer schien es ihnen vorrangig darum zu gehen, den Sender unbrauchbar zu machen.
Der Brand hatte sich weiter ausgebreitet, schon schlugen Flammen aus dem Dach der Hütte. Allmählich mussten auch die drei den Rückzug antreten, wenn sie nicht in den Flammen umkommen wollten. Oder waren sie in ihrem Zerstörungsdrang blind für alles, was um sie herum vorging?
Ich verließ meine Deckung hinter dem Mauervorsprung und schlich zu der Kate zurück. Eng an den Boden gepresst, robbte ich die letzten Meter bis zur Rückwand vor und spähte zwischen halbverkohlten Brettern in das verwüstete Innere. Die Hitze und das Feuer mussten auch den Halunken zusetzen, doch es schien sie nicht zu stören. Mit geradezu pedantischer Sorgfalt zerstrahlten sie die Hyperfunkanlage. Keiner redete ein Wort oder gab Anweisungen, und trotzdem gingen sie so planmäßig und zielstrebig vor wie ein Ganzes. Niemand kam dem anderen in die Quere, jeder handelte, als wenn der andere wüsste, was als nächstes an die Reihe kam.
Und dann, als der Sender nicht mehr als solcher zu gebrauchen war, ging plötzlich eine unheimliche Veränderung mit den Drillingen vor: Ihre Körper begannen regelrecht zu zerschmelzen, wurden konturenlos und verflüssigten sich. Wie Regenwasser versickerte ihre Substanz im Boden.
Mein Ego-Speicher war fassungslos, doch meine Positronik war auch durch ein solches Ereignis nicht zu erschüttern und stellte gleich eine logische Folgerung. Um dieses Phänomen zu ergründen, musste ich etwas von dem benetzten Erdreich mitnehmen und untersuchen. Leider machte mir das Feuer einen Strich durch die Rechnung.
Stützpfeiler, die die Dachkonstruktion getragen hatten, brachen verkohlt entzwei, polternd stürzte die brennende Hütte in sich zusammen und begrub das Geheimnis der Drillinge unter sich. Glühende Scheite wurden weggeschleudert, heiße Asche wirbelte empor, ein Funkenregen überschüttete mich. Irgendwo erklang eine Feuerglocke.
Ich machte, dass ich davonkam, denn mit dem Brand mochte ich nicht in Zusammenhang gebracht werden. Ratlos kehrte ich zu meinen kranken Freunden zurück.
Die ungelösten Fragen waren um ein weiteres Rätsel erweitert worden: Wer oder was waren die Drillinge, woher kamen sie? Denn dass es sich um keine Kaytaber handelte, stand für mich fest. Die konnten sich nämlich nicht auflösen, und sie bauten und besaßen keine Strahler.
*
Es widersprach meinem von Blödel eingebrachten geistigen Erbe, einfach aufzugeben. Ungezählte Stunden hatte ich inzwischen wieder im Labor verbracht und war doch nicht schlauer als am Anfang. Dass es noch zahlreiche Gesunde gab und Perlmutt ebenso wenig infiziert war wie Links und Rechts, war nur ein schwacher Trost, denn der Zustand der Kranken veränderte sich rapide.
Wenn die Pustel erst einmal eine bestimmte Ausdehnung erreicht hatte, wuchs sie nicht mehr langsam und kontinuierlich, sondern vergrößerte sich quasi über Nacht. War erst einmal die Hälfte der Haut glasig geworden, schlug die kreatürliche Angst der Befallenen vor der Krankheit in Resignation um, die Panik wich Gleichgültigkeit. Damit war der Prozess zu meinem Leidwesen aber immer noch nicht abgeschlossen.
Hilflos und voller Verzweiflung musste ich mit ansehen, dass auch die Kopfpartie und das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen wurde, unabhängig davon, wo die Schwellung entstanden war. Die Körperteile wurden fast transparent, doch es war nicht nur eine äußere Veränderung, es trat auch eine regelrechte Umwandlung ein, wie ich bei verschiedenen Untersuchungen festgestellt hatte. An die Stelle der Spezialisten, die als Haut-, Blasen- oder Darmzellen Dienst taten, traten Einheitszellen, die zwar ihre ursprüngliche Gestalt behielten, möglicherweise sogar zur Stabilisierung des Körpers beitrugen als inneres Skelett, aber sie erfüllten keine spezielle Funktion. Mehr als Organzellen, wie es sie bei den Einzellern als Organersatz gab, konnten sie nicht sein.
Jede Körperzelle enthält den kompletten Bausatz des Individuums in ihren Genen. Nur – die Natur macht von diesem Reservoir keinen Gebrauch. Leberzellen etwa, die durch Fetteinlagerung zugrunde gehen, werden nicht durch »wissende« Zellen ersetzt, sondern es bildet sich Bindegewebe, das die eigentliche Aufgabe des körpereigenen Zentrallabors nicht bewältigen kann. »Umschulungen« finden also im Organismus nicht statt.
Zellen lassen sich bekanntlich nicht verschieben wie Schachfiguren, und nach welchen Kriterien sollte eine solche Auswahl auch vorgenommen werden? Ist eine Herzzelle, die das Einzelwesen leben lässt, wichtiger als eine Zelle des Eileiters, die mithilft, die Art zu erhalten? Vielleicht nicht bei einer jungen Frau, was aber, wenn sie nicht mehr im gebärfähigen Alter ist? Hat eine Lungenzelle eine wichtigere Aufgabe zu erfüllen als eine Nierenzelle? Nein, da sind keine Prioritäten zu setzen. Dass das Gehirn als Sitz der Intelligenz eine gewisse Ausnahme bildet, indem andere Zellen den Part geschädigter Bereiche übernehmen können, ist kein Widerspruch in sich, denn das Gehirn ist ein Organ mit Multifunktionen und gleichartigen Zellen.
Diese kleinsten Körperbausteine umzustrukturieren, war eigentlich unmöglich. Krebs, eine Geißel des 20. Jahrhunderts auf Terra, schied aus. Wer Zyto-Diagnostik kannte, wusste, dass den Krebszellen der harmonische, kompliziert konstruierte Aufbau fehlte, ganz abgesehen davon, dass sie sich schneller teilten. Sogar in ihren Vorformen waren diese entarteten Zellen unter dem Mikroskop zu erkennen, und dafür ergab sich kein Anhaltspunkt.
Viren sind in der Lage, Zellen als Produktionsstätte zu missbrauchen, indem sie ihre Erbmasse in die Zelle einbringen und sie so zwingen, die fremde DNS zu reproduzieren. Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde sich eine Virusepidemie von ungeheurem Ausmaß auf dem gesamten Planeten ausbreiten, doch das schien nur so. Diese sich anbahnende Katastrophe musste etwas anderes sein, etwas, dem mit herkömmlichen Mitteln nicht beizukommen war. Unbegreiflich war, dass diejenigen, die später befallen wurden, sich schneller verwandelten.
Obwohl ich meinen kranken Freunden nicht helfen konnte, ließ ich den Kontakt nicht abreißen und besuchte sie, so oft es ging. Auch jetzt hatte ich wieder zahlreiche infizierte Kaytaber besucht. Mehr als zu versuchen, sie moralisch aufzurüsten, konnte ich nicht für sie tun, dennoch waren sie dankbar, wenn ich auftauchte. Sie lebten so isoliert wie nie zuvor in ihrem Leben, waren allein mit ihrer Furcht und ihrer Not. Und ich, von dem sie medizinische Hilfe erwartet hatten, musste tatenlos zusehen, wie sich die liebenswerten Planetarier in fremdartige Geschöpfe von fast durchsichtigem Aussehen verwandelten. Ich wusste nicht einmal, ob das so etwas wie eine Endstufe war oder ob Siechtum und Tod folgten.
Deprimiert betrat ich das Labor. Linque und Restjue waren damit beschäftigt, die letzten Teile einer Versuchsanordnung abzubauen und wegzuräumen, die – das war schon die traurige Regel – keine neuen Erkenntnisse gebracht hatte, Perlmutt schrotete Mannanna für eine Mahlzeit. Als ich die Tür hinter mir schloss, hielt sie inne und blickte mich mit ihren ausdrucksvollen Augen erwartungsvoll an.
»Hast du Maronx und Tranoque aufgesucht?«
»Auch«, sagte ich einsilbig.
»Du klingst niedergeschlagen«, stellte sie mitfühlend fest. »Geht es den beiden schlechter?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Ihre Körper sind fast durchsichtig, nun zeigen sich Auswirkungen auf die Psyche.« Rastlos wanderte ich auf und ab. »Dass der Verstand sich in die Apathie flüchtete, als feststand, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt, ist eine normale Reaktion, eine Schutzmaßnahme, die natürlich ist, um den denkenden Geist davor zu bewahren, in den Wahnsinn abzugleiten. Das Gehirn kann in diesem Zustand der Abschottung verharren, es kann auch zur Amnesie kommen, wenn es ein Schock war, das Erlebte kann allerdings auch verarbeitet werden, langsam und behutsam, bis die Realität kein Trauma mehr ist und wieder akzeptiert wird als das, was sie ist.« Ich blieb vor meiner kleinen Freundin stehen. »Hältst du den Zustand von Tranoque und Maronx für erstrebenswert?«
»Um Himmels willen – nein!«
Das klang wie ein Aufschrei, Perlmutts Fell sträubte sich. Entsetzt blickte sie mich an.
»Traykon, was hast du vor?«
»Nichts, meine Kleine, du brauchst dich nicht zu fürchten.« Beruhigend strich ich ihr über den samtigen Pelz und spürte, dass sie zitterte. »Beruhige dich, dir geschieht nichts. Meine Frage war rein rhetorischer Natur.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Mein Eindruck ist, dass Tranoque, Maronx und die anderen Kranken im gleichen Stadium beginnen, sich als Glasige wohl zu fühlen.«
»Nie und nimmer«, gab Perlmutt im Brustton der Überzeugung zurück. »Oder haben sie entsprechende Äußerungen gemacht?«
»Nicht direkt«, antwortete ich ausweichend. »Sie haben neuen Lebensmut gewonnen, aber das ist nicht so ungewöhnlich wie es aussieht. Viele Kranke, die aufgrund einer ungünstigen Diagnose schon mit dem Leben eigentlich abgeschlossen haben, bäumen sich nach einer Phase der Resignation gegen das scheinbar unabänderliche Schicksal auf, und es sind nicht unbedingt die so genannten Kämpfernaturen, die sich mit unbändigem Willen und Lebensmut gegen das drohende Ende stemmen. Was mich irritiert, ist vielmehr der Umstand, dass sie versuchen, ihrem Zustand positive Seiten abzugewinnen, dass sie beinahe froh sind über ihre Umwandlung. Das passt in kein Schema.«
Ich wollte in meinen Ausführungen fortfahren, als Perlmutt plötzlich aufschrie.
»Was ist denn?«
»Mich hat etwas gestochen.«
Verdammt, nun hatte es auch die Kleine erwischt. Das war mein erster Gedanke, doch der nachfolgende Impuls war schon logisch-nüchtern und weit weniger von Emotionen geprägt, wenngleich sie noch mitschwangen: Ich musste Perlmutt retten, und das konnte ich nur, wenn ich sogleich aktiv wurde. Gleichzeitig bot sich mir die Gelegenheit, den Erreger oder was immer es auch sein mochte, nicht nur zu lokalisieren, sondern auch zu isolieren. Eingedenk dessen, dass in eine Zelle eingedrungene Viren diese regelrecht zwingen, schon nach zehn Minuten neue Viren auszubilden und es nach zwanzig Minuten bereits hundert davon sind, war Eile geboten.
»Links, Rechts, ich brauche meine Einsatzausrüstung – chirurgisches Besteck, Betäubungsmittel und so weiter – ihr wisst schon. Macht schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Die Forscher ließen alles stehen und liegen und rannten los, um herbeizuschaffen, was ich benötigte. Sie hatten sofort begriffen, um was es ging, doch auch Perlmutt war nicht auf den Kopf gefallen und erkannte auf Anhieb die für sie schreckliche Wahrheit.
»Durch diesen Stich bin ich infiziert worden, nicht wahr?« Tapfer bemühte sie sich, ihre Furcht zu unterdrücken, doch ihre Stimme vibrierte. »Traykon, kannst du mich retten?«
»Vermutlich. Mach dir keine Sorgen, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen. Und diesmal stehen die Chancen gut, weil ich gleich eingreifen kann.« Zärtlich fuhr ich meinem zierlichen Liebling über den Kopf. »Keine Angst, es wird alles gut.« Fürsorglich zog ich eine Matte heran. »Bitte leg dich hin, aber sei vorsichtig.«
»Mein Vertrauen in dich ist immer noch sehr groß«, hauchte Perlmutt und ließ sich auf die einfache Unterlage sinken.
»Wo hat dich etwas gestochen? Zeige mir die Stelle.«
Sie tat es und deutete auf einen Punkt oberhalb des linken Hinterbeins. Als ich den Pelz auseinander strich, erkannte ich eine winzige Hautveränderung. Sie war so minimal, dass sie ein Lebewesen bestimmt übersehen hätte, doch mir als Roboter fiel sie dank meiner ausgeprägten Fähigkeiten auf. Also hatten die Betroffenen nicht nur einen Phantomschmerz gespürt – von außen war tatsächlich etwas in den Körper eingedrungen. Etwas, das so klein war, konnte sich leicht verbergen, aber es konnte im Organismus keine großen Strecken zurücklegen, wenn es nicht gerade von den Körperflüssigkeiten transportiert wurde. Für das, was sich dem menschlichen Auge entzog, waren Millimeter oft eine kaum zu überbrückende Entfernung. Und darauf baute ich.
»Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, aber ich denke, diesmal könnte ich es schaffen.« Überzeugt von dem, was ich sagte, fuhr ich fort: »Allerdings will ich kein Risiko eingehen. Das bedeutet, dass ich ein nussgroßes Stück Gewebe entfernen muss, um sicherzugehen, dass in deinem Körper nichts zurückbleibt. Du wirst davon nichts spüren, denn ich werde dir eine Vollnarkose geben. Bist du damit einverstanden?«
»Warum fragst du noch? Du wirst es schon richtig machen, also fang endlich an.«
Mein Optimismus schien auf Perlmutt abgefärbt zu haben, sie wirkte entspannt, fast gelöst. Abrupt wandte ich mich ab und nahm die Spritze und das Betäubungsmittel entgegen, die ich von Linque gereicht bekam. Sorgfältig dosierte ich das Anästhetikum und verabreichte der Kleinen die Injektion. Sie wirkte fast augenblicklich.
Ihre Mimik ließ erkennen, dass die Forscher ziemlich betroffen waren. In ihrem Eifer zu helfen, hatten sie ein paar Kilogramm Instrumente herangeschleppt, von denen die meisten überflüssig waren. Ich verlor kein Wort darüber, schließlich meinten sie es nur gut. Diesmal musste ich es schaffen, und hier und jetzt hatte ich die Möglichkeit dazu.
Voller Selbstvertrauen machte ich mich an die Arbeit. Zugegeben, es war ein blutiges Werk, was ich da tat, aber diese Operation musste sein. Links und Rechts, meine gelehrigen Schüler, standen mir nicht zum ersten Mal zur Seite und assistierten mir beim Eingriff. Da keine Hauptschlagader in Mitleidenschaft gezogen wurde, verlief alles recht undramatisch. Nachdem ich die Wunde versorgt hatte, überließ ich Perlmutt der Obhut der beiden Kaytaber bis zu ihrem Aufwachen. Da ich im Labor blieb, konnte eigentlich nichts passieren, dennoch hatte ich ihnen eingeschärft, mich sofort zu rufen, falls es zu Komplikationen kommen sollte.
Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, Präparate aus dem entnommenen Gewebe anzufertigen und unter dem Mikroskop zu untersuchen. Als ich beinahe schon nicht mehr daran glaubte, fündig zu werden, entdeckte ich eine einzige Zelle, die der üblichen Struktur nicht entsprach. Es war kein Problem, sie zu isolieren, doch für eine genaue genetische Untersuchung fehlten mir die geeigneten Mittel. Eines allerdings konnte ich mit Sicherheit feststellen: Dieser Winzling war kein Erreger im üblichen Sinne, weder Pilz, Bakterie noch Einzeller, er war nicht einmal ein Virus. Vergeblich versuchte ich zu ergründen, wo ich diesen Zwerg aus dem Mikrokosmos unterbringen konnte.
Ganz auf eine wissenschaftliche Lösung fixiert, knallten plötzlich ein paar symbolische Sicherungen in mir durch, mir war, als hätte jemand die Moduljalousie hochgezogen, so dass Licht die düsteren Speicher durchflutete. Himmel, warum war ich nicht früher darauf gekommen? Hatte ich wirklich eine so hohle Birne, dass sie nicht einmal als Mützenparkplatz taugte?
Was meine Positronik da von sich gab, waren Vermutungen, doch sie waren logisch fundiert und nicht von der Hand zu weisen. Ich hatte ein Phantom gejagt, eine Krankheit kurieren wollen, die mit Medikamenten und medizinischen Mitteln gar nicht zu heilen war. Wo hatte ich Idiot nur meine Augen gehabt?
Die Ähnlichkeit der Vorgänge auf Aytab mit den Aktionen des Pre-Los waren auffällig. Auf Domain hatte ich erlebt, dass das Pre-Lo Körperpfeile verschoss, und ich wollte auf der Stelle ohne Energie sein, wenn es sich mit den mysteriösen Infektionen nicht auch so verhielt, nur – diesmal musste EVOLO selbst dafür verantwortlich sein. Das Pre-Lo war ja nur ein Vorläufer gewesen, ein Testprodukt, und EVOLO war vollkommener, vielleicht sogar ganz vollkommen, wenn das stimmte, was ich erfahren hatte.
Mir schwindelte regelrecht. Ausgerechnet hier, auf diesem ruhigen Planeten, bewohnt von friedlichen Körneressern, sollte dieses Überwesen, Monstrum oder was immer es sein mochte, sein Unwesen treiben? Mir war klar, dass ich allein auf verlorenem Posten stand, dennoch würde ich nicht aufgeben. Zu sehr waren mir die liebenswerten Kaytaber an mein nicht vorhandenes Herz gewachsen, um sie jetzt einfach ihrem Schicksal zu überlassen.
Dass EVOLO all das Leid über diese Welt und ihre Bewohner gebracht hatte, war Spekulation, dessen war ich mir bewusst, doch ich zweifelte nicht daran, dass ich der Wahrheit recht nahe kam. EVOLO. Ausgerechnet gegen ihn musste ich antreten. Dabei hatte ich denkbar schlechte Karten. Während ich noch grübelte, welche Taktik oder Strategie geeignet war, um den Schaden so gering wie möglich zu halten, riss Restjues Stimme mich aus meinen Gedanken.
»Was gibt es?«
»Perlmutt ist aus der Narkose erwacht. Sie leidet unter Juckreiz.«
Das konnte, das durfte nicht sein. Alarmiert rannte ich zum Lager meiner kleinen Freundin. Sie war bei Bewusstsein, lächelte mich an – und kratzte sich intensiv.
»Ich habe überhaupt nichts gemerkt«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Ist alles überstanden?«
Die Augen und die holprige Sprechweise ließen erkennen, dass die Betäubung noch Nachwirkungen zeigte. Wäre sie bei klarem Verstand gewesen, hätte sie allein der Umstand stutzig werden lassen, dass sie von Juckreiz gequält wurde.
Verdammt, was sollte ich ihr sagen? Die Wahrheit, die ich selbst nicht glauben konnte, nicht wahrhaben wollte? Zumindest den Kampf um Perlmutt musste ich gewinnen, denn alles andere als ein Erfolg war eine Niederlage, weil es ein bisschen Heilung nicht gab.
»Zuerst einmal werde ich den Verband wechseln«, wich ich aus.
Von Linque ließ ich mir eine sterile Kompresse reichen und entfernte behutsam die Wundabdeckung. Sie fiel mir fast aus der Hand, als ich die glasige Pustel sah. EVOLOS einzellige Pfeile oder wie immer man die Gebilde bezeichnen wollte, hatten ein neues Opfer gefunden – ausgerechnet meine geliebte kleine Perlmutt. Wie betäubt erneuerte ich den Verband.
»Traykon, warum bist du so still? Stimmt etwas nicht?«
»Der Eingriff ist nicht ganz so verlaufen, wie ich es gedacht habe«, formulierte ich vorsichtig, um ihr so schonend wie möglich beizubringen, dass sie befallen war. »Die Operation ging komplikationslos vonstatten, aber neben dem entfernten Gewebe hat sich eine charakteristische Schwellung gebildet.«
Ungläubig sah Perlmutt mich an. Ihr Blick tat mir regelrecht weh.
»Ich bin ... ich bin also ... infiziert?«, brachte sie stockend und mühsam beherrscht hervor.
»Man muss es wohl so nennen«, bestätigte ich. »Aber das ist nicht endgültig. Ich habe Erkenntnisse gewonnen, die Anlass zu neuer Hoffnung geben. Ich werde dich nicht aufgeben, und du darfst es auch nicht tun. Eine Schlacht habe ich verloren, doch nicht den Krieg, denn selbst aus Niederlagen kann man lernen.« Zärtlich kraulte ich sie am Kopf. »Schlaf ein bisschen, es wird dir gut tun. Ich bleibe bei dir.«
Perlmutt kratzte sich. Mit banger Stimme fragte sie:
»Traykon, wirst du es schaffen?«
»Würde ich es dir zusichern, wäre es eine Lüge, doch ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen. Das ist ein Versprechen.«
»Ich vertraue dir.«
Ein schwaches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Sie schloss die Augen und war wenig später eingeschlafen. Vorsichtig maß ich Puls, Temperatur und Blutdruck. Sie zeigten Abweichungen von den Standardwerten, waren aber nicht besorgniserregend, denn nach jedem Eingriff reagierte der Körper mit Veränderung dieser Funktionen. Die Atmung war regelmäßig, der Venendruck stabil.
Nachdenklich betrachtete ich die Kleine. Wenn sie gesund werden sollte, musste ich völlig neue Wege gehen. Es war keine Krankheit im herkömmlichen Sinn, und demzufolge war auch die Ausbreitung atypisch. Diese Bedingung musste eine wie auch immer geartete Heilmethode ebenfalls erfüllen, mit der Schulmedizin kam ich hier nicht weiter.
Die Infizierung durch die mikroskopisch kleinen Pfeile musste im Prinzip wohl so verlaufen, dass sich schon beim Auftreffen des Erregerobjekts auf die Haut etwas entlud, das den ganzen Organismus schlagartig psionisch oder psi-ähnlich verseuchte.
Das Problem war nun, diesen Vorgang nicht nur zu neutralisieren, sondern sogar rückgängig zu machen. Wie ich das anstellen sollte, wusste ich noch nicht, doch ich musste eine Lösung finden. Das war ich Perlmutt und den Kaytabern schuldig.