Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 56
5.
ОглавлениеIch hatte den Eindruck, dass halb Yutlamal auf den Beinen war. Gemeinsam hatten Maronx und Tranoque zu einer Kundgebung aufgerufen. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass es keinen Schutz gegen den Befall gab. Planetarier, die täglich unterwegs waren, erkrankten im Prinzip nicht häufiger als diejenigen, die streng isoliert in ihren eigenen vier Wänden lebten und sich nicht mehr auf die Straße trauten. Andererseits blieben Leute verschont, die engen Kontakt mit Kranken hatten. Zwar waren die meisten, die zu dem Treffen strömten, Pustelträger, aber es gab auch eine Anzahl mutiger Gesunder, die erfahren wollten, was ihre Stadtväter zu verkünden hatten.
Die Menge drängte sich um ein Podest, auf dem Maronx und Tranoque standen. Es hatten sich zwei Gruppen gebildet – die Befallenen und die Nichtinfizierten. Letztere wachten mit Argusaugen darüber, dass ihnen kein Kranker zu nahe kam, voller Unbehagen gingen sie sofort auf Distanz, wenn der Abstand zwischen den Gruppierungen weniger als eine Körperlänge betrug. Obwohl ich ja wirklich nichts zu befürchten hatte, hielt ich mich bei den Gesunden auf.
Die beiden Kaytaber auf der provisorischen Bühne boten einen bemitleidenswerten Anblick. Alle Fellhaare waren ihnen ausgegangen, fast der gesamte Körper hatte sich in glasige Einheitszellen verwandelt. Sie waren nicht die einzigen in diesem Stadium. Ich zählte mehr als ein Dutzend Personen, bei denen der Befall ähnlich weit fortgeschritten war. Dabei hatte ich den Eindruck, dass sie sich nicht im mindesten daran störten.
Das Geschnatter der Anwesenden verstummte, als Tranoque mit einer Geste um Ruhe bat, doch nicht er ergriff das Wort, sondern Maronx.
»Liebe Nachbarn und Freunde, ich bin froh, dass ihr so zahlreich erschienen seid, denn was ich zu sagen habe, geht alle an.« Er machte eine Kunstpause, um das Interesse der Zuhörer zu steigern. »Das Ereignis, das ich meine, hat auf ganz Aytab eine Wende bewirkt, die ans Wunderbare grenzt. Vorbei sind die Zeiten, da wir um unser tristes Dasein fürchteten, vorbei sind die Tage voller Mühe und Sorgen. Ich bin ein anderer geworden, voller Lebensmut und beseelt von einem Glücksgefühl, wie ich es bisher nicht kannte.« Der Sprecher richtete sich auf. »Ich bin stolz darauf, so zu sein, wie ich jetzt bin, und ich bin froh darüber, dass Traykon diese Entwicklung nicht verhindern konnte.«
Unmutsbezeigungen und Buhrufe waren von den Nichtbefallenen zu hören, doch sie gingen im aufbrandenden Applaus der infizierten Mehrheit unter.
Aha, so lief das Langohr oder wie der Hase hieß. Jetzt bekam ich also den Schwarzen Peter dafür, dass ich mir förmlich ein Bein ausgerissen hatte und noch immer am anderen zog, und EVOLO, der diese Teufelei ausgeheckt hatte und von dem der Oberste Flurhüter nichts wusste, bekam für sein schändliches Tun den Glorienschein mit Mannannakörnern und Verdienstorden am Bande. Nichts konnte deutlicher machen, wie tiefgreifend die Psyche dieser armen Kreatur bereits beeinflusst war. Kein Zweifel: Der Geist vollzog jene Veränderung nach, die der Organismus schon hinter sich hatte.
Mit einer herrischen Bewegung verschaffte Maronx sich erneut Gehör.
»Ihr, die ihr euch hochmütig ›Gesunde‹ nennt und in ständiger Angst lebt, warum wehrt ihr euch dagegen, so zu sein wie wir? Warum fürchtet ihr die eigene Veränderung? Beweisen nicht wir, die wir inzwischen deutlich in der Überzahl sind, wie natürlich und erstrebenswert diese Entwicklung ist? Niemand von uns versteht euer Sträuben. Ihr seid es in Wahrheit, die krank sind – krank und dumm.«
Das waren starke Worte – und die Umkehr der Wahrheit im Quadrat. Meine nicht verblendeten Freunde verstanden das wohl auch so, denn sie schrien »Lügner«, »Spinner« und noch schmeichelhaftere Worte, doch der frenetische Beifall der Befallenen übertönte die Titulierungen.
Eine Gestalt mit intaktem Pelz drängte sich durch die Versammelten und steuerte auf das Podest zu. Erst als sich der Kaytaber auf die hölzerne Plattform schwang, erkannte ich ihn: Es war Valabog, der verkannte Dichter.
»Was ich gehört, hat mich empört!«, schrie er in die Menge.
Sofort wurde es still. Jeder wollte mitbekommen, was der stadtbekannte Poet vorzubringen hatte.
»Es ist fatal und geht nicht an, dass mir ein Kranker sagen kann, ich bin gesund und doch verrückt, und lächelt dabei ganz verzückt. Wir sind die Norm, das sag' ich allen, die wie ich noch nicht befallen. So, wie die Befallenen sich geben, wollen wir Gesunde niemals leben«, reimte er. »Wer klar bei Verstand, der hat erkannt, dass jedermann, nur ein Narr sein kann, der sich so benimmt, wie Maronx es bestimmt. Kaytaber, widersteht dem bösen Geist, den Maronx nun als Segen preist. Nur weil er von Sinnen, müssen nicht gleich alle spinnen, obwohl ...«
Die spontanen Sympathiebezeigungen der Nichtinfizierten steigerten sich zu einer regelrechten Zustimmungsorgie, bis ich nicht mehr verstehen konnte, was Valabog noch zu sagen hatte. Zunehmend wurde die andere Seite aktiv. Sie drückte ihr Missfallen nicht nur in lautstarkem Gebrüll aus, sondern pöbelte auch Gesunde an und wurde sogar handgreiflich. Die Angegriffenen mochten sich verständlicherweise nicht einfach verprügeln lassen und verteidigten sich. Im Nu war eine handfeste Keilerei im Gange. Jeder teilte aus, so gut er konnte, doch der Sieger stand eigentlich schon fest, weil die Pustelträger deutlich in der Überzahl waren.
Während ich – leider vergeblich – versuchte, die Wogen zu glätten, stürzte plötzlich ohne erkennbare Ursache Valabog von der Plattform herunter und landete in der aufgebrachten Menge. Allesamt Befallene, behandelten sie den Dichter nicht eben gerade freundlich und setzten ihm erheblich zu. Er schien ziemlich perplex zu sein und wehrte sich nicht, als ein paar Rowdies auf ihn eindroschen, während Maronx und Tranoque wissend lächelten.
In mir kam die kalte Wut hoch. Zwar hatte ich zu Valabog keine besondere Beziehung, aber es widerstrebte mir, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen, denn nicht nur seine Gesundheit war bedroht, sondern auch sein Leben.
Entschlossen setzte ich mich in Bewegung. Lautstark versuchte ich, Platz zu schaffen, aber die fanatisierten Befallenen dachten nicht daran, auszuweichen, sondern attackierten mich mit Hieben und Tritten. Das machte mir zwar nichts aus, doch es hinderte mich an einem schnellen Fortkommen. Notgedrungen stieß ich alles zur Seite, was mir in den Weg kam. Völlig Unbelehrbare schickten mir Beleidigungen und Verwünschungen hinterher, andere wurden ernüchtert und stellten die Rauferei ein.
Endlich erreichte ich den Pulk, der sich um den Dichter balgte. Er wirkte ziemlich lädiert, war aber bei Bewusstsein. Zu seinem Glück kamen sich die Kranken ständig gegenseitig ins Gehege.
»Traykon, hilf mir«, röchelte er, als ich auftauchte. »Diese Verrückten bringen mich um.«
»Gefahr erkannt, Gefahr gebannt«, versuchte ich zu scherzen und nahm mich der Raufbolde an.
Ein paar sanfte Hiebe, aufmunternde Rippenstöße und Streicheleinheiten in Form von Ohrfeigen verschafften mir und damit auch dem Dichter sofort Luft. Um uns herum türmten sich Pustelträger, die durch meine »liebevolle« Behandlung den Halt verloren hatten und in einem Knäuel aus Leibern und Gliedmaßen versuchten, wieder auf die müden Beine zu kommen.
»Ihr beide solltet euch schämen!«, rief ich Maronx und Tranoque zu und lud mir das Leichtgewicht auf den Rücken.
Plötzlich schien Valabog sein Gewicht zu verdoppeln und zu verdreifachen, mehrere Zentner lasteten auf mir, ohne dass ein Grund dafür erkennbar war. Das ging nicht mit rechten Dingen zu!
»Hoffentlich brichst du unter deiner Last nicht zusammen«, höhnte der Leiter der Tixudabwehr.
Und da begriff ich. Es war kein wie auch immer geartetes Phänomen, sondern Telekinese. Die Befallenen entwickelten Mutantenfähigkeiten! Ich wusste nicht, wie ausgeprägt sie waren, aber die Vorstellung, die Tranoque soeben inszenierte, ließ bei mir verständlicherweise keine rechte Freude aufkommen. Wenn sich mehrere zusammentaten, konnten sie auch mir gefährlich werden.
»Um mich niederzudrücken, müsstest du mir schon einen Holprig aufladen«, knurrte ich und machte, dass ich davonkam.
Valabog erhielt nach wenigen Schritten sein altes Gewicht zurück, für mich ein Hinweis darauf, dass Tranoque und/oder Maronx noch ein wenig ungeübt waren in der Handhabung dieser neuen Fähigkeit. Mir war das nur recht, denn stümperhaften Mutanten, die noch experimentierten, konnte ich leichter Paroli bieten.
Die Prügelei war immer noch in vollem Gang. Mir persönlich machte das nichts aus, aber die Kaytaber hatten nicht viel Spaß an meinem Vorwärtsstreben. Hinter mir blieb eine regelrechte Tabuzone zurück, eine Schneise aus Gestürzten und Gefallenen, die mit meiner Hilfe engen Kontakt zu ihrem Heimatboden bekamen.
Endlich hatte ich die Menge hinter mir gelassen. Ich konnte schneller ausschreiten und steuerte das Labor an. Der Dichter stöhnte unterdrückt, war aber schon wieder in der Lage, zu reimen.
»Von meinen ganzen Knochen scheint die Hälfte gebrochen.«
»Bestimmt nicht, denn sonst hätte dein Bewusstsein für ein paar Stunden das Licht ausgeknipst«, widersprach ich. »Auf jeden Fall werde ich dich erst einmal gründlich untersuchen.«
Das tat ich dann auch, doch außer einigen Prellungen und Blutergüssen hatte Valabog keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Interessant war für mich seine Schilderung über den Sturz von dem Podest. Unvermittelt hatte er einen heftigen Stoß bekommen, ohne dass ihn jemand körperlich berührt hatte.
Ob Maronx oder Tranoque dafür verantwortlich war, vermochte er nicht zu sagen. Wie sollte er auch die Einwirkung einer unsichtbaren Kraft optisch erkennen? Immerhin war seine Aussage für mich die Untermauerung meiner These, dass die Infizierten Mutantenfähigkeiten entwickelten. Das würde dazu führen, dass sich die Befallenen und die Gesunden noch mehr entfremdeten, denn Teleporter und Telepathen waren den Planetariern unbekannt.
Wenn ich es recht bedachte, war zwischen den beiden Gruppen ohnehin nichts mehr zu kitten. Der Konflikt, der sich unterschwellig entwickelt hatte, war heute offen ausgebrochen und hatte zu einer regelrechten Spaltung in der Bevölkerung geführt. Auch aus anderen Siedlungen wurde von derartigen Vorkommnissen berichtet, von Zusammenstößen und ernsthaften Auseinandersetzungen, die an Heftigkeit zunahmen. Wie aus einem kleinen Dorf in der Nähe Yutlamals gemeldet wurde, ging man dort sogar mit Waffen aufeinander los, die sonst zur Tixudabwehr gedient hatten. Überall eskalierte die Gewalt, aus nichtigen Streitereien wurden Kämpfe, und ein Ende dieser schlimmen Entwicklung war nicht abzusehen.
Perlmutts Stimme riss mich aus meinen tiefschürfenden Gedanken.
»Valabog, möchtest du etwas essen?«
Wie peinlich. Ausgerechnet ich, quasi der geborene Butler, vergaß schlichtweg, meinem Besuch etwas anzubieten.
»Entschuldige, Valabog, ich bin wirklich ein schlechter Gastgeber. Bestimmt hast du Hunger. Ich werde dir sofort eine Schale voll Mannanna holen.«
»Nein, bleib mir mit diesem Zeug vom Leib«, wehrte der Dichter entsetzt ab.
Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
»Aber alle Kaytaber essen doch diese Körner.«
»Ich nicht«, betonte der Flurhüter mit Nachdruck, und Rechts und Links echoten: »Wir ebenfalls nicht.«
Gut, dass mein Ballonkopf keine Mimik zuließ, denn ich hätte bestimmt mit einem ziemlich blöden Gesichtsausdruck dagestanden.
»Jetzt bin ich aber überrascht. Ihr nennt euch doch sogar selbst Körneresser, und nun sagt ihr drei mir, dass ihr dafür nichts übrig habt. Wovon lebt ihr denn?«
»Von Toberutz«, krähte Linque. »Das ist ein wildwachsendes Getreide, eine Grasart, deren Samenstände das ganze Jahr über geerntet werden können. Ist dir nicht aufgefallen, dass Perlmutt und wir nie aus einer Schüssel gegessen haben?«
»Bemerkt habe ich es schon, doch ich habe mir nichts dabei gedacht. Außerdem habt ihr euren Toberutz immer geschrotet zu euch genommen, so, wie es Perlmutt mit ihrem Mannanna gemacht hat. Wie soll ich da einen Unterschied erkennen?« Anklagend deutete ich auf die Forscher. »Warum habt ihr mir das nicht gesagt, dass ihr anders seid?«
»Wir sind nicht anders, wir besitzen nur eine angeborene Abneigung gegen Mannanna-Körner«, antwortete Restjue.
»Gibt es viele wie euch?«
»Das weiß ich nicht. Toberutz kommt nicht sehr häufig vor, dennoch reichen die natürlichen Bestände, um uns zu versorgen.«
»Das stimmt«, ergänzte Valabog. »Jedenfalls wird diese Pflanze nicht auf Feldern angebaut wie Mannanna.«
Ich hatte das Gefühl, dass in mir das Flutlicht anging, und glaubte, innerlich das Bersten eines Schottes der Positronik zu hören, das unter dem Druck nach außen drängender Daten zusammenbrach. Alles passte auf einmal zusammen.
Valabog war nicht befallen, Links und Rechts ebenfalls nicht. Alle drei mochten kein Mannanna. Das konnte kein Zufall sein. Mannanna enthält eine psi-ähnliche Substanz, die von den Kaytabern aufgenommen wird, doch im Körper dieser Planetarier fehlte sie. Das wiederum ließ nur den Schluss zu, dass eben dieses Fehlen einen natürlichen Schutz gegen den Befall bot – es war gewissermaßen so, dass der Auslöser nur funktionierte, wenn ein Katalysator vorhanden war. Und der hieß Psi.
Ich spann den Faden weiter. War es dann nicht denkbar, dass EVOLOS Mikrozellen nur psi-begabte Wesen befallen und umwandeln konnten? Es drängte sich auf, wenngleich auch mit Einschränkungen: Mir fehlten Vergleichsmöglichkeiten bei anderen Rassen, und eine eigentliche Psi-Begabung fehlte den Kaytabern. So legte ich meine kühne Vermutung erst einmal gedanklich auf Eis – die Realität hatte Vorrang.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr nur deshalb noch gesund seid, weil ihr kein Mannanna verzehrt«, ließ ich den Dichter und die Forscher wissen. »Euer Organismus ist immun gegen die winzigen Pfeile, und zwar auf ganz natürliche Art und Weise. Ihr werdet vermutlich nie zu Pustelträgern werden.«
Die drei stimmten ein Freudengeheul an, doch ich winkte ab.
»So positiv, wie es sich anhört, ist meine Erkenntnis gar nicht. Wie es aussieht, seid ihr eine winzige Minderheit. Zwar seid ihr von dem Befall selbst geschützt, nicht aber vor den Befallenen. Den Funksprüchen habe ich entnommen, dass überall Jagd auf Leute gemacht wird, die noch normal aussehen. Zwei von ihnen haben bereits bei den Kämpfen ihr Leben lassen müssen.«
Betroffen blickten mich die Planetarier an.
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht«, gestand Linque kleinlaut. »Was sollen wir tun? Dieser Pöbel ist in der Überzahl.«
»Das ist die Untertreibung der Woche. Die Befallenen sind uns haushoch überlegen.«
»Du stehst also auf unserer Seite, Traykon?«
»Habt ihr daran gezweifelt?«, fragte ich im Brustton der Überzeugung.
»Dann schickst du mich also fort?«
Au Backe, was hatte ich nun wieder dahergeredet? Manchmal entwickelte ich wirklich den Charme einer Mülltonne und den Takt eines defekten Verbrennungsmotors.
»Perlmutt, davon war nicht die Rede. Wie kannst du so etwas überhaupt denken?« Schuldbewusst ging ich zu ihr und kraulte sie zwischen den Ohren. »Du und ich – wir gehören zusammen, nie werde ich dich allein lassen. Wer dich nicht akzeptiert, muss auf meine Unterstützung verzichten. Hast du tatsächlich geglaubt, ich würde dich im Stich lassen, mein Kleines?«
»Geglaubt nicht, aber ein bisschen habe ich es schon gefürchtet, weil du jetzt doch nur noch für die Gesunden arbeiten willst.«
»Du hast mich missverstanden, Liebes. Ich will die Gesunden schützen, weil deren Leben in Gefahr ist, aber ich habe die Infizierten deshalb noch nicht aufgegeben. Nach wie vor setze ich meine ganze Kraft, all mein Wissen und Können dafür ein, sie zu retten und diesen unseligen Befall rückgängig zu machen. Schon allein du bist alle Mühe wert.«
»Danke, Traykon.« Perlmutts Augen schimmerten verräterisch, doch sie schaffte es, zu lächeln. »Du bist wirklich lieb.«
Plötzlich kam mir ein Gedanke, aberwitzig zwar, doch nicht verrückt.
»Kleines, würdest du einem Experiment zustimmen?«
»Natürlich. Was muss ich tun?«
»Anstelle von Mannanna sollst du dich von Toberutz ernähren, das ist alles.«
»Was du verlangst, ist unmöglich, die Körner bekommen mir nicht. Ich habe einmal gekostet, als Linque und Restjue gefrühstückt haben. Mir wurde danach speiübel.«
»So geht es mir, wenn ich Mannanna verzehre.«
Mit einer Handbewegung brachte ich Links zum Schweigen.
»Perlmutt, willst du es nicht wenigstens einmal unter meiner Obhut versuchen? Du musst dir vorstellen, dass dein Körper durch die Körner zu einem Psi-Reservoir wird, das täglich neu aufgeladen, vielleicht sogar vergrößert wird. Das, was sich in deinem Organismus abspielt, ist auf eine solche Komponente angewiesen. Wenn nun dieser Vorrat abgebaut und sogar eliminiert wird, fehlt die Grundlage für eine Umwandlung, du wirst gesund. Und das willst du doch, nicht wahr?«
»Ja, das will ich, auch wenn es mir vor den Begleiterscheinungen graut.«
»Ich werde versuchen, die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten«, versprach ich. »Nun sollten wir alle zusammenrufen, die noch nicht befallen oder immun sind. Nur gemeinsam kann es uns gelingen, zu überleben und durchzuhalten.«
Da ich schlecht von Tür zu Tür gehen konnte, um zu fragen, wer noch sein gesamtes intaktes Fell besaß oder ausschließlich Toberutz zu sich nahm, strahlte ich meine Botschaft in den Äther, wohl wissend, dass auch Maronx, Tranoque und Co. den Funkspruch empfingen. Das war jedoch unvermeidbar.
*
Das Häuflein der Gesunden, das sich da um mich geschart hatte, war kleiner als erwartet, und nicht einmal die Hälfte davon ernährte sich von Toberutz. Wenn meine Theorie stimmte, gab es in ganz Yutlamal nur vierunddreißig wirklich Immune, neun Kinder eingeschlossen. Ein Machtfaktor waren sie also wirklich nicht, dennoch waren sie den Befallenen ein Dorn im Auge.
Um sie vor Übergriffen schützen zu können, hatte ich sie alle in der Nähe des Labors untergebracht und das Ende dieses Straßenzugs gewissermaßen in eine Enklave verwandelt. Posten, die sich nicht offen zeigten, um nicht zusätzlich für böses Blut zu sorgen, überwachten das Gebiet und warnten die Bewohner davor, die Häuser zu verlassen, wenn sich wieder einmal Infizierte zusammenrotteten, um es den »Fellträgern« zu zeigen.
Zu meinem Leidwesen bildeten sich innerhalb der ersten vier Tage nach Gründung unserer kleinen Kolonie bei zwei Mitgliedern die charakteristischen Pusteln. So gut es ging, tröstete ich die armen Kerle, die Angst hatten, davongejagt zu werden, doch diese Sorge konnte ich ihnen nehmen. Niemand musste unsere Gemeinschaft verlassen, es sei denn, er ging freiwillig.
Ja, und dann kam der Tag, an dem ich die Gruppe verließ – aus freien Stücken. Der Grund dafür war simpel: Die Vorräte gingen zur Neige, und jemand musste Toberutz ernten. Da das für meine Freunde zu gefährlich war, hatte ich diese Aufgabe übernommen.
In aller Heimlichkeit hatte ich mich aus der Stadt gestohlen. Das geschah nicht aus Furcht vor den Befallenen und den mehr oder minder entwickelten Mutantenfähigkeiten, sondern aus einem ganz anderen Grund: Vor mir hatten sie Respekt. Wenn meine Abwesenheit jedoch publik wurde, konnten sie die Gelegenheit nutzen, um den Immunen ihre Macht zu demonstrieren, und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Unbeobachtet hatte ich etwa sechzig Kilogramm Samenstände der psi-freien Pflanzen eingesackt und schickte mich an, mit meiner Last den Wall zu überklettern, um ungesehen an meinen Ausgangspunkt zurückzugelangen, als ich plötzlich vertraute Stimmen hörte. Sofort hielt ich in der Bewegung inne und lauschte.
»... bedeutet ein Glück für uns, ihr Herren. Die Stadt gehört euch.«
Das war eindeutig Maronx. Und dann ließ sich Tranoque vernehmen.
»Habt ihr Befehle für uns?«
Wie hatte ich denn das zu verstehen? Produzierte mein Horchsystem da eine Neuauflage des Trojanischen Krieges oder hatte meine Positronik energetische Blähungen? Die beiden Kaytaber waren so etwas wie Bürgermeister Yutlamals, die in ihren Entscheidungen frei waren, und nun präsentierten sie irgendwelchen Leuten den Ort als Beute und waren sogar bereit, Anweisungen zu empfangen.
»Ihr müsst schneller und auch entschlossener handeln. Vor allem Traykon muss ausgeschaltet werden.«
Mir schwindelte förmlich, einen Augenblick lang hatte ich den Eindruck, dass meine Steuereinheit mit Kartoffelchips bestückt war. War es denn die Möglichkeit? So klang nur einer – besser gesagt, drei – nämlich die Drillinge. Sie waren also wieder aufgetaucht, und sie hatten das Kommando übernommen.
Obwohl mein optisches System nicht gestört war, fielen mir regelrecht die Rollladen von den Fenstern.
Evodix, Evroom und Everyhan – diese Namensähnlichkeit hätte mich gleich stutzig werden lassen müssen. Wenn sich nicht EVOLO selbst dahinter verbarg, mussten es seine Produkte sein, Gesandte, Abkömmlinge. Dass die drei äußerlich nahezu identisch waren, mochte ein letzter Fehler EVOLOS sein, doch das spielte nun keine Rolle mehr.
Weiß der Teufel, was mich bewog, meine Position zu verlassen, doch es hielt mich nicht mehr in meinem Versteck – trotz der Ankündigung, dass mir der Garaus gemacht werden sollte. Wieselflink erklomm ich mitsamt meiner vegetarischen Beute das Hindernis. Das ging nicht ohne Geräusche ab, und so war ich keineswegs verwundert, dass mich fünf Augenpaare anstarrten, als ich oben war.
Was ich sah, war für mich erschütternd. Die alten Tixud-Kampfgefährten früherer Tage waren zu Glasigen geworden, die mich und die Immunen als Gegner betrachteten, doch die, die für ihre Umwandlung verantwortlich waren, akzeptierten sie als Verbündete, sogar als Herrscher und Befehlshaber, obwohl deren Pelz so makellos war wie der von Links und Rechts.
»Jagt diese Bestien davon!«, schrie ich erbost. »Sie haben euch durch ihre Pfeile in die Jammergestalten verwandelt, die ihr jetzt seid. Macht sie unschädlich, bevor ganz Aytab von Glasigen bevölkert wird!«
»Du bist ein Blechidiot, Traykon. Glaubst du Narr wirklich, dass du die Entwicklung aufhalten kannst?« Evodix fletschte die Zähne. »Los, macht ihn fertig!«
Die Mimik von Maronx und Tranoque veränderte sich geringfügig, sie wirkten in sich gekehrt und konzentriert. Und dann griffen sie mit der geballten Kraft ihrer Psi-Begabung an. Unsichtbare Titanenfäuste rissen an mir, in den Boden gerammte Stämme wurden wie Zahnstocher aus dem festgetretenen Untergrund herausgezogen. Nur mit Mühe gelang es mir, das Gleichgewicht zu bewahren.
Bei allen Raumgeistern, mit einer solchen Steigerung ihrer Fähigkeiten hatte ich nicht gerechnet. So musste der legendäre Gucky gewirkt haben, und dem war angeblich niemand gewachsen. Dieser Niemand war ich nun. Ein riesiger Balken, der durch die Luft herangeschwebt kam, knallte wie eine überdimensionale Keule auf mich hernieder. Ich hatte meine liebe Not, diesem Schlag zu entgehen, der aus mir das gemacht hätte, was Hage Nockemann oft Blödel angedroht hatte: Schrott.
Nach dem Motto: Mein Name ist Gummi, ich ziehe mich zurück, blies ich innerlich zum Rückzug. Gewiss, ich hätte auch ein paar Zentner Holzklötze als Geschosse einsetzen können, doch es widerstrebte mir zutiefst, die beiden Unglücklichen zu verletzen oder gar zu töten. Sie waren Beeinflusste, deren eigener Wille ausgeschaltet war.
Mit meiner ganzen synthetischen Kraft stemmte ich mich gegen den telekinetischen Griff – und trotzte ihm. Das kostbare Toberutz an mich gepresst, machte ich, dass ich davonkam, verfolgt von enttäuschten Rufen und wilden Drohungen.
Ich für meinen Teil konnte damit leben, doch die Bedrohung für die Gesunden wuchs, vor allem durch das Auftauchen der Drillinge. Wie ich dieser Gefahr begegnen sollte, wusste ich beim besten Willen nicht.
*
Ohne zu dramatisieren, hatte ich den Kaytabern in der Enklave von meiner Begegnung berichtet und sie gebeten, ihre Stellungnahme abzugeben, wie unser Lager am wirksamsten zu schützen war. Ganz bewusst hielt ich mich dabei zurück, denn meine liebenswerten Freunde waren die eigentlich Betroffenen.
Die meisten Immunen hätten es am liebsten gesehen, wenn ich alles gemacht hätte – und das in mehrfacher Ausfertigung. Da ich schlecht ein paar Fotokopien von mir losschicken konnte, erhielt der Vorschlag die meisten Stimmen, den Valabog gemacht hatte. Er plädierte dafür, diesen Teil der Straße abzuriegeln und von bewaffneten Posten bewachen zu lassen, andere sollten Patrouille gehen, um zu verhindern, dass Befallene durch Keller oder über Dächer einsickerten. Reihum sollten alle Dienst tun, so dass quasi jeder in dieser Zufluchtsstätte zum Milizionär wurde.
Ganz glücklich war ich nicht über diese Entscheidung. Die Zurschaustellung der Wehrhaftigkeit und die totale Abschottung führte vermutlich nicht nur zu einer weiteren Verhärtung der Fronten, sondern musste auch eine zusätzliche Herausforderung für die Befallenen sein, diesem Häuflein zu zeigen, wer die Macht hatte.
Andererseits konnte ich es den Immunen nicht verdenken, so zu handeln. Sie waren wirklich nur eine winzige Minderheit, Flüchtlinge auf einer Insel. Nachbarn, Freunde und Verwandte waren zu Gegnern und Feinden geworden. Und ihre Zahl war übermächtig. Was konnte ich anderes tun, als zuzustimmen? Es war das Recht eines jeden Lebewesens, sich zu verteidigen und sein Leben zu schützen.
Unser Lager verwandelte sich in eine kleine Festung. Kellertüren wurden verrammelt, die Dächer der Häuser, die unseren Bezirk begrenzten, erhielten Holzverhaue, Barrieren und Gräben sperrten die Straße ab. An strategisch wichtigen Positionen wurden Steinschleudern installiert, die zwar verwaist blieben, bei Bedarf jedoch schnell besetzt werden konnten. Rund um die Uhr versahen Wachtposten ihren Dienst, Männlein wie Weiblein. Messer, Speere und Lanzen lagen bereit, ebenso wie Fackeln und Behälter mit Treibstoff.
Ein bisschen suspekt war den Gesunden das Waffenarsenal schon. Für kaytaberische Begriffe war das ein unerhörtes Vernichtungspotenzial, doch die Angst überwog. Unter dem unseligen Einfluss der Drillinge würden die Befallenen ihre letzten Hemmungen verlieren und angreifen – wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Dreißig- bis vierzigtausend Planetarier traten dann gegen weniger als hundert an, skrupellos die mit Mutantenfähigkeiten ausgestatteten Glasigen, hoffnungslos unterlegen die paar im Umgang mit Waffen nicht geübten Immunen.
Wann immer es meine Zeit erlaubte, beteiligte ich mich an den Rundgängen, ging selbst auf Streife und sprach allen Mut zu. Ungeachtet meiner psychologischen Tätigkeit legte ich auch mit Hand an und nutzte meine Kenntnisse, um mit den zur Verfügung stehenden Stoffen und Möglichkeiten Abwehrmittel herzustellen. Aus Pflanzenabfällen entwickelte ich so etwas wie Tränengas, produzierte aus Chemikalienauszügen Blendpatronen und komponierte eine Art bengalisches Feuer. All das diente der Verteidigung unter dem Aspekt, abzuschrecken und aufzuhalten, wenn es zu einer Auseinandersetzung kam. Dass es dazu kommen würde, stand für mich fest.
Wir hatten unsere Vorbereitungen kaum abgeschlossen, als alarmierende Meldungen die Runde machten: Trotz der getroffenen Sicherheitsmaßnahmen tauchten in unserer Enklave Glasige auf. Niemand hatte beobachtet, wie sie in diesen Bezirk eingedrungen waren. Plötzlich waren sie da, und sie verschwanden wieder, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Die Umgewandelten taten eigentlich nichts, doch sie verschreckten die Immunen, weil sie auch in bewachte Häuser eindrangen, ohne dass die Posten etwas bemerkt hatten. Unabhängig voneinander berichteten meine Freunde davon, diese Gestalten gesehen zu haben, zwar an verschiedenen Orten, doch nahezu zur gleichen Zeit.
Da meine hypersensibel gewordenen Freunde durch diese Zwischenfälle an den Rand der Hysterie gerieten und ich das ebenfalls nicht einfach als gegeben hinnehmen wollte, nahm ich mich der Sache an. Die Personenbeschreibungen, die ich erhielt, waren dürftig: Es waren Glasige. Ergiebiger war da schon, als ich den Eingang der Funksprüche analysierte. Wer immer da auch sein Unwesen trieb, musste ein Einzelgänger sein, denn die Meldungen waren nacheinander eingegangen. Oft lagen zehn Minuten und mehr dazwischen. Für die Kaytaber, denen keine Stunde schlug, weil Uhren überflüssige und unbekannte Geräte waren, machte das kaum einen Unterschied, für mich dagegen schon, schließlich war ich in der Lage, Nano- und Picosekunden zu messen.
Ganz ohne Zweifel handelte es sich um einen Mutanten, doch zu welcher Kategorie zählte er? War es ein Suggestor, ein Teleporter oder ein Hypno? Schneller, als ich gedacht hatte, bekam ich die Antwort auf meine Frage.
Ich war gerade wieder mit einem Versuch beschäftigt, der bei Befallenen im Anfangsstadium einen Umkehrprozess einleiten sollte, als im Labor aus heiterem Himmel ein Glasiger erschien, den ich nicht kannte. Auf einmal war er da, und sofort wusste ich, dass ich es mit einem Teleporter zu tun hatte.
»Warum machst du dir solche Mühe? Erkennst du Tölpel nicht, dass dein Tun sinnlos ist und die paar Verrückten verloren sind?« Mit einer Tatze fegte er zwei Tiegel mit Testsubstanzen zu Boden. »Du wirst mit ihnen untergehen, du Dummkopf, und du wirst es nicht verhindern können.« Er lachte. »Ich habe die beiden Krüge zerstört. Warum hast du das zugelassen, du, der du doch so mächtig und wissend bist? Oder besitzt du gar nicht die Qualitäten, die dir nachgesagt werden, Roboter?«
Ich schätzte Selbstbewusstsein, doch was dieser Bursche da von sich gab, strotzte nur so vor Arroganz und penetranter Selbstüberschätzung. Was mich besonders ärgerte, war der selbstherrliche Auftritt und die Anmaßung, mein Experiment einfach als Unsinn abzutun. Zorn ergriff mich, als ich meinen Blick auf die mit Scherben vermischten mühsam gewonnenen Extrakte richtete. Zwar schäumte der Ego-Sektor vor Wut, doch die logisch orientierte Positronik war durch derartige Emotionen nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ihr Plan war nicht übel. Ein organischer Teleporter konnte sich zwar durch Geisteskraft versetzen, aber auch ein Gehirn, das über Psi-Kräfte verfügte, reagierte nur mit der üblichen Verzögerung, die für Lebewesen typisch war. Legte ich meinen Standard zugrunde, war so etwas wie Zeitlupe angesagt. Ich rechnete mir deshalb gute Chancen aus, den überheblichen Burschen zu schnappen und festzuhalten. Betont arglos erkundigte ich mich:
»Wer hat dich geschickt?«
»Das möchtest du gerne wissen, nicht wahr?«, fragte er überheblich und wischte eine Flasche mit destilliertem Wasser von der Arbeitsplatte.
Das Gefäß zersprang, und sein Inhalt ergoss sich über den Boden. Einige Spritzer trafen den Gläsernen.
»Das war Säure«, bluffte ich.
Entsetzt blickte der Kaytaber an sich herunter, seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf seinen eigenen Körper. Diesen Augenblick nutzte ich und stürmte los. Bevor der Teleporter wusste, wie ihm geschah, war ich bei ihm und riss ihn zu Boden.
Vielleicht ging ich zu rücksichtsvoll mit ihm um, weil ich ihn nur als einen Kundschafter betrachtete, der nichts Schlimmes getan hatte, jedenfalls entmaterialisierte er, bevor ich ihn betäuben konnte – und ich machte den Sprung mit.
Die Zeitspanne dieser Reise durch ein für mich unbekanntes Medium war selbst für meine Instrumente kaum messbar. Das erste, was ich erfasste, als die vertraute Umgebung wieder Realität wurde, war ein Schrei, der jedem Lebewesen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Befallene hatte ihn ausgestoßen.
Auf Anhieb erkannte ich, dass ihm nicht mehr zu helfen war. In dem Bestreben, mir zu entkommen, hatte er wohl mehr reflexhaft seine Psi-Fähigkeiten eingesetzt und war blind gesprungen. Dabei hatte er die Distanz nicht genau kalkulieren können. Anstatt jenseits der Sperre zu materialisieren, landete er auf einer hölzernen Absperrung und wurde von einem der zugespitzten Pfähle durchbohrt. Er starb, ohne leiden zu müssen.
So gut es ging, erklärte ich den fassungslosen Wächtern, was vorgefallen war, dann trug ich den Toten zu einer rasch ausgehobenen Grube und verbrannte den Leichnam. Ich wollte sichergehen, dass von dem Glasigen keine Gefahr mehr ausging, doch ich hatte mich verrechnet. Noch während der Einäscherung erreichten mich neue Hiobsbotschaften: Es gab weitere Fälle von Juckreiz und Pustelbildung in unserer Enklave.
Schlagartig wurde mir bewusst, dass der Teleporter nicht nur einfach ein harmloser Beobachter gewesen war, sondern ein wandelnder Ansteckungsherd, und das galt mit Sicherheit nicht nur für ihn. Wie es aussah, waren alle umgewandelten Glasigen in der Lage, Mikrozellen auszuscheiden oder abzusetzen wie Evodix, Evroom und Everyhan. Das bedeutete, dass sich die Gefahr potenzierte, ohne dass die Drillinge selbst aktiv werden mussten. Allein bei dem Gedanken daran konnte einem angst und bange werden.
Dass die Befallenen vor einem gewaltsamen Tod nicht gefeit waren, war weder Trost noch Hilfe. Sollten wir losschlagen und umbringen, was nicht der Norm entsprach, sollten wir Exekutionskommandos bilden, die in Nacht- und Nebelaktionen die Glasigen dezimierten, wo immer es ging? Das wäre Massenmord, und dazu würde sich niemand hergeben – weder die Immunen noch ich selbst.
In meinem Bestreben, den Befall aufzuhalten, zu stoppen oder gar rückgängig zu machen, also eine friedliche Lösung zu erreichen, war ich kaum weitergekommen. Fortschritte gerieten mir zu Scheinerfolgen, ich erreichte allenfalls Verzögerungen, ohne das Übel wirklich an der Wurzel packen zu können.
Perlmutt, um die es mir besonders ging, litt unter der Behandlung wie ein Krebskranker, der mit Zytostatika behandelt wurde. Diese Zellgifte hatten früher die Ärzte ihren tumorbefallenen Patienten verabreicht und dabei billigend in Kauf genommen, dass die gesunden Zellen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Erbrechen, Haarausfall, Blutbildveränderungen und Organschädigungen wurden dabei wie selbstverständlich hingenommen, um das Leben zu retten oder wenigstens zu verlängern.
Ich befand mich in einer ähnlichen Lage wie die damaligen Mediziner. Der Kleinen ging es schlecht, sie klagte über Übelkeit, hatte Kopf- und Magenschmerzen und regelrechte Entzugserscheinungen. Meine Medikamente und Ersatzstoffe, die ich produziert hatte, griffen ebenso wenig an wie andere Mittel, die ich in immer neuen Varianten entwickelte. Obwohl ich wie ein Besessener arbeitete, gelang es mir nicht, eine Substanz zu finden, die die gleichen Eigenschaften hatte wie Mannanna, ohne dem Befall Vorschub zu leisten.
Meine zierliche Freundin litt unter meinen Versuchen, doch sie beklagte sich nicht, obwohl meine Behandlung nicht half. Täglich veränderte sie sich mehr, und ich konnte diese unselige Entwicklung nicht zum Stillstand bringen. Mehr als einmal verfluchte ich meine Hilflosigkeit. Es war eine bittere Erkenntnis für mich, dass selbst mein umfangreiches Wissen nicht ausreichte, um EVOLO zu trotzen – mir fehlte Blödels Labor.
Und dann fehlte mir auf einmal auch Perlmutt. Als ich von einem meiner Inspektionsgänge in die Unterkunft zurückkehrte, war sie verschwunden. Ich suchte das ganze Haus und auch die anderen Gebäude ab, fragte jeden, den ich traf, ob er etwas über den Verbleib der Kleinen wusste, doch niemand konnte konkrete Auskünfte geben. Schweren Herzens fand ich mich damit ab, dass meine Freundin wohl die Fronten gewechselt hatte – ob aus Hoffnungslosigkeit oder aus Überzeugung, zu den Glasigen zu gehören, konnte dahingestellt bleiben. Ich fühlte mich einsam und verlassen ohne sie und erwog ernsthaft, einfach aufzugeben, denn mein Kampf gegen die Mikrozellen und die Befallenen erschien mir sinnloser denn je. Dann dachte ich jedoch an die, die sich von mir Schutz und Hilfe erhofften, also machte ich weiter.
Spät in der Nacht tauchte Valabog bei mir auf und bat mich um ein Gespräch. Da jeder wusste, wie sehr ich an Perlmutt hing, nahm ich an, dass er mich mit seinen Hauruck-Gedichten ablenken und aufheitern wollte, aber das war nicht der Fall, im Gegenteil, er rückte mit einem abenteuerlichen Vorschlag heraus, ohne zu reimen.
»Die tatenlose Warterei zerrt allen an den Nerven. Wir müssen wissen, was die Gegenseite plant, und deshalb habe ich mich entschlossen, ins feindliche Lager überzuwechseln, um Informationen zu sammeln.«
»Du bist verrückt. Das wäre dein sicherer Tod. Dein Plan ist abgelehnt«, sagte ich kategorisch.
»Als Immuner habe ich die Pfeile nicht zu fürchten«, wandte der Hobbydichter ein.
»Dafür um so mehr die Glasigen selbst. Ich verweigere meine Zustimmung zu diesem Unternehmen. Gibt es sonst noch etwas?«
»Nicht so hastig, ich habe dir ja noch gar nicht erklärt, wie ich vorgehen will.« Valabog setzte eine Verschwörermiene auf. »Ich mache Maske. Kann ich auf deine Unterstützung zählen, oder muss ich es allein tun?«
Ich verstand. Der Kaytaber hatte vor, sich als Befallener zu tarnen, trotzdem kam ich zu dem Schluss, dass seine Chance gering war, unentdeckt zu bleiben und heil zu uns zurückzukehren.
»Dein Mut ist bewundernswert, dennoch – das Risiko ist zu groß.«
»Mein Entschluss steht fest«, beharrte der Flurhüter. »Versuche nicht, mich aufzuhalten, denn es wird dir nicht gelingen. Gute Nacht!«
Er machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Da ich einsah, dass er nicht umzustimmen war, hielt ich ihn zurück.
»Warte, ich werde dich präparieren. Wenn ich schon sonst nichts für dich tun kann, sollst du wenigstens so echt wie möglich aussehen.«
»Mehr habe ich auch nicht erwartet. Fang gleich an.«
Seufzend machte ich mich an die Arbeit, schor eine Stelle am Rücken kahl und komponierte aus Gel und anderen Zutaten eine Pustel, die nicht nur sehr echt wirkte, sondern auch wasserfest war und so elastisch, dass sie durch Muskelbewegungen nicht riss oder abplatzte.
»Du hast nicht unbegrenzt Zeit«, schärfte ich ihm ein. »Zwei, drei Tage vielleicht, nicht mehr, sonst beginnt das nachwachsende Fell durchzuschimmern.«
»Danke, Traykon. Ich habe gewusst, dass du mich nicht im Stich lassen würdest. Du bekommst Nachricht über Funk, wenn ich etwas herausgefunden habe.«
»Sei vorsichtig – und viel Glück, Valabog.«
Der Dichter ging zur Tür und winkte verabschiedend.
»Jetzt oder nie! Ich muss den teuren Augenblick ergreifen.«
Sprach's und verschwand in der Dunkelheit. Ein wenig perplex blickte ich ihm nach. Was der Bursche da von sich gegeben hatte, stammte von Schiller. Seit wann beherrschte ein Kaytaber den Teil? Oder hatte er es von mir aufgeschnappt?
Eine andere Erklärung gab es wohl nicht. Nachdenklich schloss ich die Pforte und wandte mich wieder meiner Arbeit zu. Ich war nicht sonderlich zuversichtlich, Valabog noch einmal lebend zu Gesicht zu bekommen. Seine äußere Tarnung mochte noch so perfekt sein, aber wenn es unter den Glasigen Telepathen gab – was nicht auszuschließen war – nützte ihm auch die beste Maskerade nichts.
Meine pessimistische Einstellung musste ich etwas korrigieren, als sich unser Kundschafter kurz nach Sonnenaufgang meldete. Es war kaum mehr als ein »Alles in Ordnung!«, doch ich war froh, etwas von ihm zu hören. Das nächste Lebenszeichen empfing ich am späten Nachmittag. Der Kontakt war nur kurz, dafür aber um so inhaltsschwerer. Man war dabei, Kommandos zusammenzustellen, die die Immunen beseitigen sollten. Zwar konnte Valabog keinen genauen Termin nennen, doch meine Befürchtung bestätigte sich, dass ein Kampf unausweichlich war. Sofort warnte ich die kleine Schar, die hier versammelt war, und ließ die Wachen verstärken.
Durch die sich abzeichnende Entwicklung war meine Arbeit im Labor überflüssig und unwichtig geworden. So ließ ich Versuche Versuche sein und half mit, unsere Verteidigungsanlagen zu vervollkommnen und Fluchtwege zu schaffen. Aus psychologischen Gründen hatte ich das bisher vernachlässigt und sah eigentlich auch jetzt noch keinen Sinn darin, doch die anwesenden Mütter bestanden darauf, im Notfall wenigstens die Kinder in Sicherheit zu bringen.
Ich beugte mich dieser Forderung, ohne Einwände zu machen, dabei wusste ich, dass die Notausgänge keineswegs Rettung verhießen. Wem es gelang, in die Wildnis zu entkommen, würde irgendwann doch noch den Glasigen in die Hände fallen oder ein Opfer der Tixudkatzen werden.
Valabogs nächster Funkruf erreichte mich in den frühen Morgenstunden des noch jungen Tages bei einem Patrouillengang. Mit wenigen Worten berichtete er, dass eine Gruppe gebildet worden war, die mich ausschalten und vernichten sollte. Kopf dieses Kommandos war Perlmutt. Der Dichter warnte noch vor der Brutalität und der Rücksichtslosigkeit der Glasigen, als das Gespräch abrupt unterbrochen wurde. Ich hörte noch ein paar dumpfe Laute, ein Rauschen, dann war der Kontakt endgültig weg. Es war nicht auszuschließen, dass das Kommunikationsgerät seinen Geist aufgegeben hatte, aber daran glaubte ich nicht. Wahrscheinlicher war, dass man den Immunen als solchen erkannt und entlarvt hatte. Der arme Valabog weilte vermutlich nicht mehr unter den Lebenden.
Und ich? Dass meine Existenz bedroht war, vermochte mich nicht zu schrecken, doch dass ausgerechnet mein kleiner Liebling der Chef dieser Einheit war, die mir den Garaus machen sollte, traf mich sehr. Galt ihr unsere Freundschaft nichts mehr, war die Beeinflussung tatsächlich so stark, dass unsere harmonische, teilweise sogar innige Beziehung plötzlich wie weggewischt war?
Es schien so. Perlmutt war zu einem Feind geworden, ihr Ziel war, mich zu vernichten. Das konnte ich natürlich nicht zulassen – schon aus dem einfachen Grund, weil eine derartige Passivität nicht mit meinem Selbsterhaltungsprogramm vereinbar war. Es tat mir weh, ausgerechnet gegen sie antreten zu müssen, aber das ließ sich wohl nicht vermeiden. Ob sie es sich gewünscht hatte, mich zum Gegner zu haben? Ich konnte es mir eigentlich nicht vorstellen, obwohl Valabog es behauptet hatte. Wie auch immer – ich würde sie vorsichtig behandeln.