Читать книгу Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2) - Hans Kneifel - Страница 83
1.
ОглавлениеNun waren wir wieder einmal unterwegs, auf einem neuen Flug zu einem zweifelhaften Ziel.
Allmählich gewann ich den Eindruck, als sollte ich nach und nach die gesamte Galaxis Manam-Turu kennen lernen. Wenn ich bedachte, wie viele tausend Lichtjahre ich darin bereits zurückgelegt hatte, kam mir der sagenhafte irdische Ahasverus nur noch wie ein Waisenknabe vor.
Der aber hatte es nicht obendrein auch noch ständig mit Gegnern aller Art zu tun gehabt, wie ich und meine wenigen Freunde. Da gab es den Erleuchteten und EVOLO, die Hyptons und die Ligriden, um nur jene zu nennen, die meine hauptsächlichsten Widersacher waren. Die vielen kleineren, die scheinbar dem Nichts entwuchsen wie die Köpfe einer Hydra, trugen aber auch nicht gerade dazu bei, mir das Dasein zu versüßen.
War es wirklich erst gut ein Jahr her, seit mich die Kosmokraten von Krandhor entführt hatten, zuerst nach Alkordoom und später dann hierher? Mir kam es erheblich länger vor.
Morgen sind sogar schon volle dreizehn Monate herum!, erklärte mein Extrasinn lakonisch. Und du hast sie zwar nicht immer so ganz ungerupft, aber doch relativ gut überstanden; was willst du mehr?
Wieder so ein Anflug von skurrilem Humor, mit dem mein zweites Ich mich zuweilen aufzumuntern versuchte. Obendrein ein Versuch am untauglichen Objekt, denn ich hatte den seltsamen Aberglauben der Terraner mit der 13 als Unglückszahl noch nie geteilt. Meine ganze Reaktion darauf bestand aus einem flüchtigen Lächeln, und danach widmete ich mich wieder dem reichhaltigen Frühstück, das uns die STERNSCHNUPPE vorgesetzt hatte.
Mrothyr schien es ebenfalls gut zu schmecken, er langte kräftig zu. Nur Chipols Appetit ließ offenbar zu wünschen übrig, und ich konnte mir auch denken, warum. Er litt unter der Trennung von den Freunden Kiart und Taleda, obwohl er das nicht offen zugab. Ein Junge von fast fünfzehn Jahren war immer bemüht, gegenüber den Erwachsenen keine Schwächen zu zeigen, das war bei einem Daila nicht anders als bei einem gleichaltrigen Terraner.
Er hatte sich unter den »normalen«, nicht psi-begabten Leuten seines Volkes auf Aklard richtig wohl gefühlt, und das hatte ich ihm auch von Herzen gegönnt. Für mich ging es jedoch um erheblich wichtigere Dinge. Jeder Tag, den ich untätig dort verbrachte, kam nur meinen Gegnern zugute. Und diese waren neuerdings wieder sehr aktiv, das hatte mir mein alter Freund Fartuloon vor einigen Tagen in einem Funkspruch mitgeteilt.
Die Lage auf Aklard dagegen gab keinen Anlass zur Besorgnis, die Daila hatten die Dinge dank der Hilfe der einst von dem Planeten verbannten Mutanten voll im Griff. Diese wiederum hatten ihre Psi-Gaben erst unter dem Einfluss der »Glückssteine« von Cirgro voll ausnutzen können, sie waren sozusagen das Nonplusultra beim Kampf gegen Hyptons und Ligriden.
Zwar hatte EVOLO vor einiger Zeit Cirgro heimgesucht und damals zumindest einem Teil der noch dort lagernden Steine ihr Potenzial entzogen. Doch wir waren wenig später ebenfalls in diesem System gewesen, und rings um den Planeten hatte ein fast perfektes Chaos geherrscht. Die dort eingesickerten Hyptons waren geflohen und dabei fast alle umgekommen, ein Angriff der Ligriden war schon im Ansatz jämmerlich gescheitert.
Eine psionische Sperre lag rings um diese Welt, kein fremdes Schiff konnte sich ihr noch nähern. Wir hatten damals zwei sterbende Hyptons an Bord genommen und dann das System verlassen, und seitdem war vieles geschehen. Der Erleuchtete existierte nun nicht mehr, aber sein Geschöpf EVOLO hatte sich selbständig gemacht und war um so aktiver.
Im Moment hatten wir jedoch seine Spur verloren, aber die Hyptons und ihre Helfer bereiteten uns genügend Sorgen. Was lag da näher, als sich nochmals um Cirgro zu kümmern? Wir hatten erfahren, dass sich die Ligriden von dort zurückgezogen hatten, und auch sonst mieden alle Handelsraumer und sonstigen Schiffe jetzt diese Welt.
Es war fraglich, wer die Psi-Sperre um sie errichtet hatte. Waren es die dort ansässigen dailanischen Mutanten mit Hilfe noch wirksamer Glückssteine gewesen? Oder ging das aufs Konto jener seltsamen Krelquotten, der Ureinwohner von Cirgro? Wie auch immer, dort mussten gewaltige Psi-Kräfte im Spiel sein, sie hatten selbst Hyptons und Ligriden eine schwere Niederlage bereitet.
Also hielt ich es für angebracht, einen Kontaktversuch zu denen zu unternehmen, die darüber verfügten. Wenn es uns gelang, sie auf unsere Seite zu bekommen, konnten sie wertvolle Verbündete im Kampf gegen EVOLO sein. Und wir brauchten nichts nötiger als solche, wenn es zur Konfrontation mit diesem übermächtigen Gegner kam!
Diese Gedanken hatte ich meinen Gefährten vorgetragen, nachdem mein Logiksektor mir zugeraten hatte. Mrothyr hatte auch sofort zugestimmt, ihm behagte das fruchtlose Herumsitzen auf Aklard ebenfalls nicht. Chipols Begeisterung dagegen hatte sich in Grenzen gehalten, seiner neuen Freunde wegen, aber im Stich lassen wollte er uns auch nicht.
Widerspruch war von einer Seite gekommen, von der ich es am wenigsten erwartet hatte: die STERNSCHNUPPE hatte protestiert!
»Es gefällt mir überhaupt nicht, nochmals dort hinfliegen zu sollen«, hatte das Schiff erklärt. »Schon der erste Flug hat mich vor große Probleme gestellt, ich denke nur mit Unbehagen an den Zustand zurück, in dem ich mich zeitweilig befand.«
»Da bist du durchaus nicht allein«, hatte ich zugeben müssen, denn damals war es uns allen nicht gut ergangen. Illusionen aller Art hatten uns im Bereich der Psi-Sperre zu schaffen gemacht, bis hin zur völligen Desorientierung, und selbst die STERNSCHNUPPE war nicht davon verschont geblieben. »Das soll uns jedoch nicht davon abhalten, die Lage dort zu erkunden, wir müssen nur eben entsprechend vorsichtig sein. Falls sich wieder Ligriden in dem System aufhalten, brechen wir den Einsatz sofort ab.«
»Ich werde dich daran erinnern, falls dein Gedächtnis gerade dann versagen sollte!«, kam es missmutig zurück. Das Schiff bewies wieder einmal, dass es eine eigene »Persönlichkeit« besaß, aber bis hin zur Befehlsverweigerung reichte es nun doch nicht.
Und nun waren wir unterwegs nach Cirgro, hatten vorgeschlafen und stärkten uns noch einmal, um zumindest körperlich gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
*
»Zielgebiet erreicht«, verkündete die STERNSCHNUPPE, und ihre Stimme klang noch immer indigniert. »In zwanzig Sekunden verlasse ich den Linearraum, bereitet euch darauf vor.«
Mrothyr grinste breit, seit seinem kurzen Abstecher nach Zyrph schien er permanent gute Laune zu haben. Zwar hatte er dort so gut wie nichts erreicht, aber das Wiedersehen mit seiner Heimatwelt hatte ihm offenbar gut getan. Chipol dagegen verzog keine Miene, sein sonst oft vorwitziges Mundwerk hatte schon seit Beginn des Fluges Pause. Ich registrierte beides aber nur nebenbei, meine Sinne konzentrierten sich bereits auf die Ortungsschirme.
Dann waren die zwanzig Sekunden um, das Schiff glitt in den Normalraum zurück. Das geschah vollkommen glatt und problemlos, die STERNSCHNUPPE hatte ihre Speicher während des Aufenthalts auf Aklard voll aufgetankt. Die Schirme blendeten auf, und zunächst zeigten sie die Sterne dieses Sektors von Manam-Turu. Erst nach einigen Sekunden wurden sie umgeschaltet, und nun kam die Sonne ins Bild, in deren System sich Cirgro befand.
Allerdings nur so groß wie ein Daumennagel, und unwillkürlich musste ich lächeln. Das Schiff schien wirklich großen Respekt vor diesem Gebiet und den seinerzeitigen Erscheinungen zu haben, denn es hatte als Austrittspunkt die Bahn des äußersten Planeten gewählt.
Und was soll daran verkehrt sein?, bemerkte mein Extrasinn so nüchtern wie fast immer. Die Ligriden schießen bekanntlich sehr schnell, ohne erst lange zu fragen, und nach ihrer damaligen Niederlage dürften sie besonders reizbar sein!
Das war allerdings anzunehmen, also entgegnete ich nichts und bezähmte meine Ungeduld. Die STERNSCHNUPPE driftete langsam ins System hinein, dabei vergingen einige Minuten, und dann erklärte sie: »Ich messe im gesamten Umkreis keine Energieemissionen an, die von anderen Schiffen stammen könnten, Atlan. Das System scheint also frei davon zu sein, ich nehme jetzt Fahrt auf und steuere Cirgro an.«
Das klang regelrecht erleichtert, und ich bemerkte mit feinem Spott: »Wie schön für dich und für dein empfindsames Gemüt! Sieh aber zu, dass wir den Planeten heute noch erreichen, ich möchte hier nicht unnütz Zeit verlieren, die mir später vielleicht fehlen kann.«
Ich bekam keine Antwort, aber unsere Geschwindigkeit nahm nun rapide zu. Schon fünfzehn Minuten später erschien Cirgro groß im Bild, und unwillkürlich stieß ich einen leisen Pfiff aus.
Rings um den Planeten herrschte ein regelrechtes Chaos!
Mir genügte schon ein kurzer Blick, um das zu erkennen, denn ich hatte ähnliches früher schon oft genug gesehen.
Mein fotografisches Gedächtnis lieferte mir auf Anhieb eine ganze Anzahl Beispiele dafür. Das begann bereits in meiner Jugend, wo ich als Kristallprinz von Arkon gegen Maahks und Kralasenen hatte kämpfen müssen, und später bei den Terranern ...
Verlier dich jetzt nicht in alten Erinnerungen!, mahnte mich der Extrasinn scharf. Dazu ist angesichts der Verhältnisse hier beim besten Willen keine Zeit.
Das stimmte leider nur zu sehr.
Zwar gab es keine sichtbaren Gegner, doch der Raum um Cirgro wimmelte geradezu von Wracks. Einen Teil davon hatte es schon nach unserem ersten Besuch in dem System gegeben, doch in der Zwischenzeit hatte sich ihre Zahl weiter vergrößert. Außerdem trieben dazwischen zahlreiche Trümmer, so dass der Planet von einem regelrechten Ring aus Schrott umgeben war.
Mrothyr pfiff schrill durch die Zähne.
»Mann, das ist ja ein regelrechter Schiffsfriedhof! Kein Wunder, dass es hier keinen Flugverkehr mehr gibt, unter solchen Umständen traut sich kein Händler mehr her. Ob es wirklich ratsam ist, sich dieser Welt weiter zu nähern? Vielleicht besteht die Sperre noch immer, und dann könnten wir ihr nächstes Opfer sein.«
Ich zuckte überlegend mit den Schultern.
»Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich«, gab ich zurück. »Ob nun Daila oder Krelquotten, kein Mutant kann ein solches Feld dauernd aufrechterhalten, auch nicht ein ganzer Verbund von psi-begabten Wesen. Nach einiger Zeit erschöpfen sich ihre Kräfte, sie müssen einfach abbrechen, sonst brennen ihre Hirne förmlich aus, das weiß ich aus langer Erfahrung.«
»Könnte es nicht sein, dass es auf dem Planeten eine Maschine gibt, die permanent solche Impulse ausstrahlt?«, warf nun Chipol ein. Dies waren nach Stunden seine ersten Worte, nun schien er seine depressive Phase endlich überwunden zu haben, und ich nickte ihm lächelnd zu.
»Deine Idee ist nicht schlecht, Kleiner, aber auch daran kann ich nicht glauben. Die Daila-Mutanten hatten es nie nötig, sich solcher Hilfsmittel zu bedienen, und die Krelquotten verfügen gar nicht über die entsprechende Technik, soviel ich weiß. Im Übrigen glaube ich aber auch nicht, dass man sich wegen eines einzelnen und relativ kleinen Schiffes viel Mühe machen wird. Wir stellen keine Bedrohung für Cirgro dar, also halte ich unsere Chance, nahe an den Planeten heranzukommen, für relativ gut.«
»Trotzdem rate ich nach wie vor davon ab«, sagte nun das Schiff. »Glauben heißt noch lange nicht wissen, das sollte gerade dir am besten bekannt sein, Atlan! Wenn es sogar die Ligriden aufgegeben haben, diese Welt einnehmen zu wollen, muss die Gefahr noch immer akut sein.«
»Das weißt du auch nicht, du glaubst es nur!«, konterte ich. »Jetzt sind wir einmal hier und ich möchte den Flug nicht umsonst gemacht haben, nur einer imaginären Bedrohung wegen. Es bleibt also dabei – bestimme einen Kurs, der uns sicher durch diesen Ring von Wracks und Trümmern bringt! Oder traust du dir das nicht zu?«
Diese Frage sollte provozieren, und sie erreichte auch ihren Zweck. Die STERNSCHNUPPE ließ einen Laut hören, der wie ein gekränktes Murren klang, dann schwieg sie. Doch sie gehorchte meiner Anordnung und begann zu beschleunigen, und Chipol verzog belustigt das Gesicht.
»Jetzt hast du sie beleidigt«, kicherte er. »Hoffentlich rächt sie sich nicht dafür und versalzt uns die nächsten Mahlzeiten, sie hat eben auch ihren Stolz.«
Mrothyr nickte tiefsinnig.
»Den hat sie, möglich wäre es also durchaus. Deshalb bin ich dafür, dass du demnächst zuerst das Essen kostest – die Idee kam schließlich von dir ...«
Der Junge blieb ihm die Antwort nicht schuldig, und zwischen den beiden entspann sich ein scherzhaftes Wortgeplänkel. Ich ließ sie gewähren, denn ich wusste, dass sie so die unterschwellige Anspannung abreagierten, der sie angesichts des umfassenden Chaos in diesem System zwangsläufig unterlagen. Dabei musste ich an den Mausbiber Gucky in der fernen Milchstraße denken; er hatte auch immer dann die kessesten Sprüche von sich gegeben, wenn die Lage alles andere als rosig war.
Ich hätte einiges dafür gegeben, den kleinen Ilt und »Retter des Universums« jetzt an meiner Seite zu wissen! Er als Allround-Mutant wäre mir eine unschätzbare Hilfe gewesen, er hätte schon von weitem gespürt, ob es die unsichtbare Barriere noch immer gab. Außerdem hätte er die Gedanken der Planetenbewohner gelesen ...
Träume nicht schon wieder von unerreichbaren Dingen!, rief mich der Logiksektor zur Ordnung. Konzentriere dich besser wieder auf die Bildschirme und Anzeigen, die kritische Zone ist schon fast erreicht.
Ich seufzte leise, aber mein zweites Ich hatte natürlich Recht. Ein Blick auf die Ortungen zeigte mir, dass die unregelmäßige Phalanx aus Schiffstorsos und Bruchstücken bereits weniger als hunderttausend Kilometer vor uns lag. Dahinter befand sich die Nachthalbkugel von Cirgro, vom schwachen Schimmer der Lufthülle umgeben, aber sie wanderte allmählich nach unten hin aus. Die STERNSCHNUPPE hatte inzwischen die Fahrt wieder vermindert und steuerte nun auf eine größere Lücke im Trümmerring zu.
»Werden wir gut durchkommen, Schiff?«, erkundigte ich mich mit gedämpfter Stimme. »Was sagen deine Messinstrumente?«
»Wenn du mir gestattest, ihnen zu glauben – sie zeigen nichts an, das irgendwie bedrohlich für uns wäre«, erklärte die Stimme unseres Fahrzeugs kühl. So nachtragend hatte ich die STERNSCHNUPPE noch nie kennen gelernt, im Lauf der Zeit entdeckte ich immer neue Seiten an ihr. Trotzdem war ich froh, ein solch »beseeltes« Schiff zu besitzen, es war allen anderen Raumfahrzeugen weit überlegen. Es reagierte selbständig und viel schneller, als ein lebender Pilot die Lage erfassen und schalten konnte, und das wog ihre gewissen Eigenheiten bei weitem auf.
Alles schien also gut abzugehen, auch ohne den Mausbiber Gucky. Ich lehnte mich zurück und entspannte mich.
Allerdings um einige Sekunden zu früh, das wurde mir gleich darauf klar ...
*
Mrothyr und Chipol hatten ihr verbales Geplänkel inzwischen beendet, sie unterhielten sich nun über Dinge, die uns während des Aufenthalts auf Aklard begegnet waren. Plötzlich stockte der Junge jedoch mitten im Satz und fuhr zusammen, sein bräunliches Gesicht wurde blass und verzerrte sich.
»Etwas stimmt hier nicht mehr!«, brachte er dann mühsam hervor. »Ich weiß nicht was es ist, aber ... ich fühle mich auf einmal gar nicht mehr wohl. Spürt ihr es nicht auch?«
»Was sollen wir spüren?«, fragte Mrothyr verwundert. »Ich merke jedenfalls nichts, mir geht es nicht anders als sonst auch. Oder bildest du dir jetzt schon ein, das Salz zu schmecken, das uns das Schiff eventuell ins Essen tun wird?«
»Lass diese dummen Witze«, murrte Chipol, »danach ist mir jetzt gar nicht zumute. Mir wird immer schlechter, ich bekomme Angst – was kann das nur sein, Atlan?«
Er sank in seinem Sitz zusammen, seine Züge verzerrten sich noch mehr. Ich erhob mich, ging zu ihm hinüber und sah ihn besorgt an, war jedoch ratlos. Bis dahin hatte er sich auch in prekären Lagen immer sehr gut gehalten, trotz seiner Jugend, oder vielleicht eben deshalb. Was war nun also plötzlich mit ihm los?
Kannst du es dir wirklich nicht denken?, meldete sich plötzlich mein Extrasinn. Ihr habt die kritische Zone erreicht, die Sperre um den Planeten besteht also noch immer! Chipol ist sensibler als ihr Erwachsenen, deshalb wirkt sich ihr Einfluss auch früher auf ihn aus.
Verdammt, das konnte stimmen!
Ich war mentalstabilisiert, deshalb würde ich der letzte sein, der etwas spürte, falls überhaupt. Mrothyr musste nach dem Jungen an der Reihe sein, ich sah ihn an und fragte: »Du merkst wirklich noch nichts?«
Der Mann von Zyrph schüttelte den Kopf.
»Absolut nichts«, versicherte er bestimmt. »Vielleicht ist es bei Chipol auch nur eine Sache der Psyche; er denkt daran, wie es uns beim ersten Mal ergangen ist und bildet sich nun ein ...«
Er unterbrach sich mitten im Satz, denn plötzlich durchlief ein heftiger Ruck das Schiff.
Andruck kam durch und drohte uns von den Beinen zu reißen, wir klammerten uns gerade noch rechtzeitig an Chipols Sitz fest. Das war in diesem Schiff noch nie zuvor vorgekommen, und ich erkannte auch keinen plausiblen Grund dafür. Nach einigen Sekunden war es aber wieder vorbei, und nun fragte ich scharf:
»Was soll das, STERNSCHNUPPE? Bekommst du es etwa auch schon mit Chipols Angst zu tun?«
»Nein, ich musste den fremden Schiffen ausweichen!«, sagte das Schiff mit gehetzt klingender Stimme. »Sie erschienen plötzlich wie aus dem Nichts auf meinen Ortungen und hätten uns gerammt, wenn ich nicht rasch reagiert hätte. Jetzt sind sie rechts von uns – da, sie wenden und kommen erneut auf uns zu!«
Die Anzeigen der Ortung sagten mir nicht viel, deshalb sah ich auf die optischen Sichtschirme. Darauf erblickte ich jedoch nur den Planeten und die ruhig dahintreibenden Wracks; ich lauschte auf einen Kommentar meines Extrahirns, aber dieses schwieg dazu. Auch Mrothyr sah nicht mehr als ich, und trotzdem änderte die STERNSCHNUPPE schon nach wenigen Sekunden erneut abrupt den Kurs.
Diesmal so scharf, dass wir wirklich fielen, der Andruck presste uns hart zu Boden und wir bekamen kaum noch Luft. Diesmal hielt er länger an, und als wir uns endlich wieder aufrappeln konnten, erklärte das Schiff verstört:
»Tut mir leid, Atlan, ich konnte wirklich nicht anders. Diese zwölf Kampfraumer der Ligriden haben es auf uns abgesehen – nun kurven sie schon wieder ein! Und jetzt taucht noch eine weitere Flotte von oben her auf ...«
Ich schaltete schnell, gab Mrothyr einen Wink und warf mich selbst in den Sitz vor dem Instrumentenpult. Neutralfelder bauten sich um uns auf, so dass wir gegen den Druck geschützt waren. Ich beugte mich vor und strengte erneut meine Augen an.
Doch auch jetzt sah ich immer noch keine fremden Schiffe auf den Sichtschirmen, und nun meldete sich endlich auch wieder der Extrasinn.
Das Schiff wird ebenso vom Planeten her beeinflusst wie Chipol! Seine Ortungsanlagen werden gestört und zeigen Geisterbilder, die Initiatoren wollen euch mit allen Mitteln an einer Annäherung an Cirgro hindern. Bereite dich auf weitere Zwischenfälle vor!
»Da, sie kommen schon, um uns zu fangen!«, schrie der Junge im gleichen Augenblick auf, als der Andruck endlich wieder nachließ. »Drei Stahlmänner mit feuerbereiten Waffen dringen in die Zentrale ein – los doch, schießt sie ab ... oh, ich habe solche Angst!«
Ein rascher Blick zeigte mir, dass es diese Roboter nicht gab, der Eingang zum Steuerraum war nach wie vor geschlossen. Also existierten sie ebenso nur in der Einbildung Chipols, wie jene Geisterflotten auf den Instrumenten der STERNSCHNUPPE, und ich atmete auf.
»Kümmere dich um den Jungen«, wies ich den Zyrpher an, »gib ihm notfalls ein Betäubungsmittel. Es gibt keine echten Gefahren, unsere Kontrahenten arbeiten wieder nur mit Illusionen, und das kennen wir nun schon. Wenn sie nicht mehr einzusetzen haben, geben wir keinesfalls auf.«
Mrothyr nickte und ging zu dem wieder jammernden Chipol, und im selben Augenblick erkannte ich eine neue, diesmal aber sehr reale Gefahr.
Das Schiff hatte seinen Kurs inzwischen mehrmals geändert, um den nicht vorhandenen Ligridenraumern auszuweichen, seitdem aber noch nicht wieder korrigiert. Seine Funktionen schienen also noch immer irgendwie beeinträchtigt zu sein – und nun rasten wir mit hoher Fahrt genau auf einen Pulk von Wracks und Trümmern zu!
»Sofort ausweichen, STERNSCHNUPPE!«, schrie ich entsetzt. »Die Unbekannten haben dich hereingelegt, ihre Geisterschiffe hatten nur den Zweck, dich in den Trümmerring zu treiben. Bist du nun wieder soweit klar, dass du ihn erkennen kannst?«
Das Schiff reagierte wider Erwarten sofort, der Antrieb setzte ein. Wieder schlugen mehrere Gravos durch, aber wenige Sekunden später hielten wir wieder auf die freie Stelle zu.
»Lass dich in Zukunft nicht mehr beirren, ganz gleich, was deine Ortungen anzeigen«, wies ich unser Fahrzeug nun kategorisch an. »Es gibt keine fremden Schiffe hier im System, klar? Wären es wirklich Kampfraumer der Ligriden gewesen, hätten sie sofort auf uns geschossen, aber Phantome können das natürlich nicht.«
»Die Logik sagt mir, dass du Recht hast, Atlan«, kam es nach kurzem Zögern fast kleinlaut zurück. »Gut, ich gehorche also, obwohl meine Instrumente erneut den Anflug dieser Formationen anzeigen, auf deine Verantwortung hin.«
»Ich werde sie zu tragen wissen«, entgegnete ich, und nur zehn Sekunden danach passierten wir die Lücke, kaum tausend Kilometer von einem halb zerrissenen Schiff der Hyptons entfernt.
»Das war knapp, wie?«, meinte Mrothyr, der nun wieder neben mir auftauchte. »Unsere ›Freunde‹ arbeiten mit wirklich miesen Tricks, aber nun haben wir die Sperrzone wohl hinter uns gebracht. Der Junge ist jetzt auch wieder ruhig, ich habe ihm ein Sedativum verabfolgt. Er sieht zwar immer noch Gespenster, doch nun hat er keine Angst mehr davor.«
Ich nickte nur, lehnte mich zurück – und im selben Augenblick wurde mir schwarz vor den Augen.
Ein starker psychischer Druck lastete plötzlich auf meinem Hirn und drohte mich zu überwältigen. Ich lehnte mich instinktiv mit aller Kraft dagegen auf, zugleich begann auch mein Zellaktivator zu pulsieren, und beides zusammen half. Mein Sehvermögen kehrte wieder, aber körperlich fühlte ich mich so schwach, als hätte ich gerade einen Marathonlauf absolviert.
»Noch ein Patient – anscheinend bin ich der einzige Normale hier an Bord«, beklagte sich der Rebell von Zyrph. Er öffnete das Fach in meiner rechten Armlehne, schob den Ärmel meiner Jacke hoch, und dann ergoss sich der Inhalt einer Spritzampulle unter leisem Zischen in meine Muskulatur.
Schon Sekunden später fühlte ich mich körperlich wieder viel besser, aber der fremde Druck in meinem Hirn blieb. Er schien auch meinen Extrasinn zu lähmen, denn dieser gab keinen Kommentar zu dem Geschehen, wie sonst üblich.
Immerhin konnte ich wieder klar sehen, ein Blick auf den Schirm vor mir bewies, dass wir dem Planeten Cirgro immer näher kamen. Die STERNSCHNUPPE schwieg zwar, aber sie hielt den geraden Kurs dorthin, und das beruhigte mich sehr.
Allerdings nicht für lange ...
Meiner Schätzung nach waren wir noch eine halbe Lichtsekunde von der fremden Welt entfernt. Sie füllte nun, zu einem Viertel von ihrer Sonne erleuchtet, fast den ganzen Sichtschirm aus, und in der erhellten Zone zeichneten sich inmitten eines großen Ozeans die Randgebiete eines Kontinents ab. Die STERNSCHNUPPE steuerte offenbar gerade darauf zu, wenn jetzt weiter alles glatt abging, konnten wir in einer Viertelstunde dort landen.
So schien es aber nur, mein Optimismus erwies sich als verfrüht.
Plötzlich peitschte ein lauter Knall durch die Schiffszentrale, und mein Kopf fuhr herum. Das Geräusch kam von dem Psi-Spürer der STERNSCHNUPPE, jenem Gerät also, auf das schon bisher nur bedingt Verlass gewesen war.
Es war nun förmlich explodiert, Splitter von Glas und Metall schwirrten durch die Luft. Sie erreichten jedoch keinen von uns, sondern prasselten unschädlich zu Boden, und ich stufte diesen Verlust als nur ausgesprochen unbedeutend ein.
Sehr zu Unrecht, das erwies sich gleich darauf, denn dieses Ereignis leitete nur den Anfang vom Ende ein ...
»Ich spüre etwas Fremdes!«, sagte das Schiff, und seine Stimme klang wie von regelrechter Panik erfüllt. »Ein unbekannter Einfluss greift nach mir, er lähmt meine Systeme, ich kann nicht mehr ...«
Dann brach die Stimme der STERNSCHNUPPE abrupt ab, und zugleich gingen in der Zentrale alle Lichter aus. Ein Geräusch wie von einem laut schmetternden Schlag drang noch an meine Ohren – dann verlor ich das Bewusstsein, sackte in meinem Sitz zusammen und erfasste nichts mehr davon, was danach noch mit uns und dem Schiff geschah.