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4.4 Der Tätertyp
ОглавлениеEs ist Aufgabe der Kriminologie und der Psychologie, Zusammenhänge zwischen Tatsituationen und Tätertypen aufzuhellen. Sind Deliktsart und Tatsituation bekannt, so lässt sich oft auf den Tätertyp schließen. So wird zum Beispiel Anlagebetrug typischerweise von Leuten begangen, die eine hoch entwickelte Fähigkeit haben, andere zu überzeugen, sich aber auch durch einen gewissen Narzissmus auszeichnen. Sie waren im normalen Wirtschaftsleben meist nicht erfolgreich und haben sich deshalb auf kriminelle Geschäfte eingelassen. Bemerkenswert ist, dass manchmal weniger Intelligente die fast unglaubliche Fähigkeit besitzen, wesentlich intelligentere Leute von ihrer Person und ihren Ideen zu überzeugen.
Der Deutsche Volker Eckel hatte sich als Sohn von Saddam Hussein ausgegeben, einen Vermögensausweis einer Bank über 700 Milliarden Dollar (!!!) gefälscht und in der Schweiz damit innerhalb kürzester Zeit in einem kleineren Kanton eine Aufenthaltsbewilligung erhalten und ein Pauschalbesteuerungsabkommen ausgehandelt. Er bot dann dem Zürcher Fußballklub Grasshoppers an, 300 Millionen Franken zu investieren, und wurde allein aufgrund dieser Ankündigung vom Vorstand, bestehend aus sonst gewieften Wirtschaftsleuten, eine Woche lang luxuriös bewirtet. Es gelang ihm dann, Investoren aus der Baubranche zu veranlassen, ihm im Hinblick auf angeblich geplante Großprojekte hohe Geldsummen anzuvertrauen.
Vor Gericht warf sein Verteidiger den Opfern vor, sie seien allzu leichtgläubig gewesen. Sie hätten insbesondere darüber hinweggesehen, dass Volker Eckel eine auffällige Rechtschreibschwäche und schlechte Tischmanieren habe. Offenbar war es ihm aber ohne weiteres gelungen, diese Defizite durch sonst brillantes Auftreten zu kompensieren.
Unter vielen Verdächtigen lassen sich also mit den Mitteln der Psychologie und der Kriminologie (mit Zurückhaltung und entsprechender Unsicherheit!) diejenigen eher ausschließen, die nicht fähig wären, einen Anlagebetrug zu begehen. Andererseits sind diejenigen Verdächtigen besonders gründlich zu überprüfen, welche die genannten psychischen Voraussetzungen besitzen.
Was für den Anlagebetrüger gilt, trifft ähnlich für viele andere Typen von Delinquenten zu: Auch sie besitzen spezifische psychische Merkmale. Darauf basiert die Konstruktion von Täterprofilen, auf deren Bedeutung wir später zurückkommen.
Delikte sind sodann soziale Erscheinungen und damit als Massenphänomene statistisch erfassbar. Ihre wissenschaftliche Bearbeitung ist eine der Aufgaben der Kriminologie. Die Ergebnisse sind kriminalistisch verwertbar. Man weiß aufgrund von Statistiken z.B., dass bei (vorsätzlicher) Brandstiftung in etwa 40% der Fälle der Täter der Eigentümer des zerstörten Objektes oder ein Angehöriger des Eigentümers ist, in 22% der Fälle ein Angestellter, in 16% der Fälle der Mieter oder Pächter. Das führt dazu, den Täter in erster Linie unter den Eigentümern, Angehörigen und Mietern zu suchen. Im Weiteren weiß man, dass Brandstifter häufig auch andere Straftaten begehen, und zwar vor allem Eigentums- und Gewaltdelikte; man wird also nach Vorbestraften suchen können. Schließlich ist aus amerikanischen Untersuchungen bekannt, dass 70% der Brandstifter das Feuer im Umkreis von wenigen Kilometern zu ihrem Wohnort legen; das wird also eine vorerst kleinräumige Suche nach dem Täter nahelegen. Hat man dagegen von einer vermutlich fahrlässig verursachten Feuersbrunst auszugehen, so könnte man mangels anderer Anhaltspunkte vor allem an Kinder denken, die mit Feuer gespielt haben.
Raphael Humbel hat errechnet,[19] dass die Täter bei vorsätzlichen Tötungsdelikten zu 40% aus Familie und Verwandtschaft, zu 19% aus dem Freundes- und Bekanntenkreis oder aus der Nachbarschaft des Opfers stammten; in 36% der Fälle konnte keine bekannte Beziehung zwischen Opfer und Täter hergestellt werden. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass 89% der Täter männlich sind, gibt dies wertvolle Hinweise darauf, wo die Suche nach dem Täter (möglicherweise) am meisten Erfolg verspricht. Markant sind auch die Unterschiede zwischen Einzel- und Serientätern. Thomas Knecht gibt an, rund 80% der Tötungsdelikte gehe ein Interessenkonflikt zwischen Opfer und Täter voraus, es habe also eine Beziehung bestanden; bei Serienmördern dagegen bestehe in 82% der Fälle keine Vorbeziehung mit dem Opfer, bei sexuell motivierten Tötungshandlungen sogar bei 89%.[20] Findet man also kein konfliktbasiertes Motiv, dann sollte man eher nach einem Serientäter suchen.
Bei Vergewaltigungen sind die Zahlen noch deutlicher: 47% der Täter stammen aus Familie oder Verwandtschaft und 29% aus dem Bekanntenkreis oder der Nachbarschaft, in 4% der Fälle bestand eine berufliche Beziehung.
Ansatzpunkt solcher statistischer Betrachtungen ist allerdings oft das Motiv. Die Statistik der Brandstiftungen liefert die genannten Zahlen, weil sie die Motivlage widerspiegelt. Ist aufgrund der Tatumstände von vornherein klar, dass ein anderes Motiv im Vordergrund steht, helfen solche Statistiken nur bedingt weiter, um im konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit bestimmter Hypothesen zu begründen.
Psychologie und Kriminologie zeigen also Tatsachen und Zusammenhänge, die fahndungs- und beweistechnisch verwertet werden können. Die Forschungen beziehen sich aber oft auf isolierte Probleme oder auf gerade öffentlich diskutierte umstrittene Phänomene. Es wäre wahrscheinlich günstig, systematisch und übersichtlich für alle Tatkategorien darzustellen, welche Täterkategorien besonders häufig sind, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Allerdings müsste berücksichtigt werden, dass solche Typisierungen von Tätern auch kulturabhängig sind: Eine amerikanische Statistik über das Profil der Verfasser von Erpresserbriefen wird sich nicht ohne weiteres auf europäische Verhältnisse übertragen lassen.