Читать книгу Das Brot der Rache - Harro Pischon - Страница 13

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Der Regenvorhang war schier undurchdringlich. Kein Weiterkommen. Er saß unter einem Felsvorsprung und klapperte mit den Zähnen. Jetzt nicht krank werden wegen eines lächerlichen Regengusses! Es kommen noch andere Herausforderungen auf dich zu: Hochgebirge. Schnee.

Er kroch tiefer in seinen Mantel und lächelte. Hatte er doch ein Festmahl genossen. Das kleine Feuerchen in einer Mulde seines Unterschlupfs hatte ihn Schnecken rösten lassen, die die Feuchtigkeit herausgelockt hatte. Und er hatte immer noch Brot und Wasser.

Seine Gedanken durchdrangen nicht die Wasserwand, sie prallten zurück und er war wieder bei der Einsatzgruppe, sah die brennenden Häuser, hörte die Schreie, vor allem der Kinder. Wie konnte diese Schuld je getilgt werden? Seine, ja, seine, nicht nur die aller Beteiligten, aller Deutschen. Harmlose Menschen töten, die ein krankes Gehirn als Gegenstand einer Strafaktion ausersehen hatte, weil es Partisanen gab, die ihr Land gegen die Besetzung durch eine fremde Armee verteidigten. Und wenn nichts anderes zu tun war, in einer Stadt Juden zusammentreiben und in einen Zug verfrachten. Plötzlich sah er auch wieder sein kleines Paradies vor sich: den Raum mit den Zeichenbrettern in Nürnberg, die kleine Wohnung mit der alten Mutter. Gewiss musste er sie auch schon mitunter, vor allem nachts, in den Keller führen, wenn die britischen Bomber anflogen. Er war es gewohnt bescheiden zu leben, so störte ihn die Knappheit an Lebensmitteln nicht. Wie gern hätte er das Kriegsende in seiner Nische abgewartet. Aber es hatte ihn geradewegs in die Hölle verschlagen. Er musste erkennen, dass die vielen Erlebnisse der letzten Jahre keine Besonderheit waren, nicht die Rüpeleien der SA-Kolonnen, die nicht nur die Straße beherrschten, sondern den Hitlergruß forderten; nicht die Schmierereien an den Schaufenstern: „Kauft nicht bei Juden!“; nicht die Nachrichten aus dem Häuserblock mit Arbeiterwohnungen, dass Nachbarn im Morgengrauen von der Gestapo abgeholt worden waren. Alles das war ein System, das sie wie eine Naturkatastrophe, wie eine Krankheit hingenommen hatten, immer hoffend, dass es bald ein Ende haben möge. Es hatte aber kein Ende, es führte zum Ende. Die Angriffe auf die Stadt hatten zugenommen, mittlerweile wusste er nicht einmal mehr, ob seine Mutter noch lebte.

Warum habe ich mich nicht gewehrt? Warum habe ich allem nur zugesehen? Dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei und dann der Zentrumspartei, die er gewählt hatte, weil er aus gut katholischem Elternhaus stammte. Dem Verbot der Gewerkschaften, denen er, seit er arbeitete, angehörte. Er war allein gewesen, umgeben von der Arbeitsfront, von Blockwarten und Winterhilfsdienst, von der gelenkten Presse. Die Volkshochschulbewegung, in deren Rahmen er sich weitergebildet hatte, war bedeutungslos geworden oder hatte sich dem allgemeinen Nationalismus untergeordnet. Die Kolping'schen Gesellenvereine wurden zu Kolpingfamilien umbenannt. Und auch die Bewegung des Franz Xaver Gruber, der in München ein „Leo-Haus“ gegründet hatte und auf eine gut katholische Willensbildung aus war, gab es nicht mehr. Ja, die Studenten, er hatte einmal von einer Gruppe in München gehört, hatten es leichter. Sie konnten sich heimlich treffen, kamen an Informationen heran. Oder die höheren Kreise der Offiziere wie die angeblichen Verräter des 20. Juli, sie hatte ihre Verbindungen. Walter war nie Kommunist gewesen, nie Mitglied einer Zelle, nie im Untergrund. Er hatte sich vom Schlosser durch viele Fortbildungen und Prüfungen bis zum technischen Zeichner, ja zum Konstrukteur hochgearbeitet. Das wollte er nicht opfern, nicht hinschmeißen für das vage Ziel einer Revolution oder für ein anderes Ideal.

Er hatte Schuld auf sich geladen durch seine Feigheit, durch sein Wegducken. Dies hier war sein Sühneweg. Er empfahl sich seinem Gott. Wollte der ihn auf seinem Weg strafen, sein Leben fordern, so sollte es sein. Er würde alles auf sich nehmen, alles, was auf ihn zukommen würde. Aber er würde gehen, jeden Weg, er würde nicht aufgeben, nicht verzagen. Das wäre wieder - Feigheit. Gegen eine Diktatur aufstehen war unberechenbar. Gegen die Natur, gegen Gefahren konnte man bestehen.

Er holte seine Feldflasche wieder zurück, die er in den Regen gestellt hatte, um sie zu füllen, trank noch einen Schluck, löschte sorgfältig das kleine Feuerchen und legte den Kopf auf die Knie. Schüsse weckten ihn immer wieder auf, doch er wagte nicht bei Tageslicht weiterzugehen. Erst als es dämmerte, machte er sich auf den Weg.

Das Brot der Rache

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