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Vorwort

Dies ist ein Roman, eine Fiktion. Aber der übliche Passus, dass sowohl die Handlung als auch die handelnden Personen frei erfunden sind, trifft hier nur zum Teil zu.

Etliche Orte und Ereignisse sind historisch, auch damit verknüpfte Personen. Im Mittelpunkt steht der Anschlag einer jüdischen Rächergruppe – NAKAM – auf ein amerikanisches Internierungslager für SS-Leute und höhere NS-Chargen in Nürnberg, im heutigen Ortsteil Langwasser. Dieser Anschlag fand am 14. April 1946 statt, indem Brote mit Arsenik vergiftet wurden. Danach erkrankte eine große Zahl von internierten Deutschen. Sie wurden in Militärkrankenhäusern behandelt. Aber hier beginnt auch schon die Fiktion auszufransen, denn ob es Todesopfer gab und wenn ja wie viele, ist nicht mit Gewissheit zu sagen. Die Rächer lebten jahrzehntelang in dem Glauben, sie hätten mit ihrer Aktion „Erfolg“ gehabt. Vieles spricht dagegen.

Es gab auch neben diesem Plan B (Tochnit Bet) den Plan A (Tochnit Alef), der ganze Großstädte ausrotten sollte, um den Holocaust zu rächen, der ebenso wenig wie der Massenmord an Juden auf Individuen, auf Personen Rücksicht genommen hatte. Plan A wurde nirgends realisiert.

Es gab auch als einen Ursprungsort die Stadt Wilna im heutigen Litauen (heute Vilnius), das jüdische Ghetto, den Gebietskommandeur der SS Franz Murer und die Todesstätte Ponary, in der zehntausende Juden ermordet wurden. Und es gab die jüdischen Widerstandskämpfer und Partisanen, die zionistische Jugendorganisation haschomer hazair, deren einer Führer Abba Kovner war, der spätere Gründer und Leiter der Nakam-Gruppe. Es gab auch die Konzentrationslager, in denen Betriebe Häftlinge als Zwangsarbeiter von der SS „bezogen“, wie zum Beispiel Stutthof bei Danzig oder eines der kleineren Lager in Württemberg, wo die „Operation Wüste“ stattfand, der Abbau von Ölschiefer, um noch Treibstoff zu gewinnen. Es gab auch den Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg, der am 20. November 1945 begann, es gab eine Jewish Brigade Group in Norditalien, jüdische Soldaten in britischen Uniformen, wobei hier schon wieder die einen das Hauptquartier in Tarvisio ansiedeln, die anderen im nahegelegenen Pontebba. Es gab auch die bricha, eine Organisation, unterstützt von der Brigade und von der Jewish Agency, der Vertretung der Juden in Palästina, die versuchte, Juden nach Palästina zu bringen.

Alles das gab es, wenn auch nicht jedes Wo oder Wie authentisch und verbürgt ist. Wie so oft leben solche Ereignisse durch die Geschichten, die darüber erzählt wurden. Auch die Aktion des vergifteten Brots ist in vielen Geschichten und Büchern erzählt. Dieser Roman konnte nur geschrieben werden, weil schon Geschichten existieren, er versucht nicht wie andere vor ihm, allen Personen, so weit sie historisch sind, andere Namen zu geben. Aber jeder weiß, der einmal über Nakam gelesen hat, wer Abba Kovner war, dass er es war, von dem der Ausspruch überliefert ist, dass die Juden sich nicht wie die Schafe zur Schlachtbank führen lassen und dass er am Ende des Krieges und nach dem Ende vom Gedanken an Rache besessen war. Auch der Kommandeur der Nürnberger Nakam-Gruppe, Joseph Harmatz, behält seinen Namen. Er hat in seinen Erinnerungen („From The Wings“) seine eigene Geschichte erzählt, von der etliche Geschichtenerzähler mehr oder weniger profitiert haben. Ein Mitglied der Nürnberger Gruppe hat seinen Vornamen Lebke (Levke, Leipke) behalten, nicht aber seinen Familiennamen. Zwar ist der wirkliche Lebke inzwischen gestorben, aber seinen Namen möchte ich schützen. Auch sein Leidensweg durch deutsche Lager ist frei erzählt. Immerhin wurde ihm die zweifelhafte Ehre zuteil, noch im Jahr 2000 vom Oberlandesgericht in Nürnberg angeklagt zu werden. Die Anklage wurde später fallen gelassen, wegen Verjährung und der besonderen Umstände. Aber er wurde durch ein Buch von zwei Nürnbergern dem Vergessen entrissen und rief damit die Justiz auf den Plan. Auch die zwielichtige Figur des Verräters ist authentisch, wiewohl der Umfang seiner Taten zweifelhaft ist. Auch er hat einen anderen Namen im Roman, weil die Fiktion keinen Anspruch auf historische Wahrheit erhebt.

Andere Figuren wie der Nürnberger Kommissar haben einen Platz in der wirklichen Geschichte, sind aber tatsächlich völlig frei erfunden, ebenso wie der zum SD gezogene kleine Soldat Walter Grund, der sich nach Beendigung des Krieges absetzt und von Kroatien nach Deutschland alleine zurückmarschiert, um in Nürnberg in eben dem Internierungslager zu landen.

Andere Personen wiederum, die nur kleinere Rollen spielen, aber in dem Geflecht von Rache, Unrecht und der Suche nach Menschlichkeit eine Stimme haben, haben wirklich gelebt und gehandelt. So der unfreiwillige Lagerkommandant Erwin Dold oder der auch von Harmatz genannte Ludwig Wörl. Es gibt in dieser Geschichte noch andere Einzelne, die menschlich, oft tapfer bis zur Selbstverleugnung geblieben sind, inmitten des Grauens. Sie sind es wert in Erinnerung behalten zu werden, so wie Unmenschen wie Franz Murer nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Dies ist ein Roman, eine Fiktion auf den Schultern anderer Geschichten, dabei neue Geschichten erzählend, mit den bekannten verwebend, abwägend, wenn es gelingt, nachdenkend über das Unglück, das Menschen aus unserem Land, unserer Kultur über jüdische Menschen gebracht haben, über unerträgliche Grausamkeiten, über die Gegenwehr, den Widerstand und über die Antwort der Rache. Der programmatische Buchtitel des „Nazijägers“ Simon Wiesenthal lautet: „Recht, nicht Rache“. Aber er muss in seinem Buch oft erkennen, dass das Recht nicht immer auf der Seite der Opfer steht.

Erzählen ist Erinnern. Manès Sperber wollte „nur ein Erinnerer sein“. Wie Siegfried Lenz in seiner Laudatio für Sperber sagte, ist Erinnern immer auch Auflehnung gegen das Vergessen, gegen die Gleichmütigkeit der Geschichte, die über alles hinweggeht. Erinnern ist auch eine besondere Form der Liebe zu denen, deren Opfer vergeblich war, die stimmlos geblieben sind. Erinnern ist dazu das Bewahren von mutigen Menschen in schwierigen Zeiten, von solchen, denen die Menschlichkeit oft sogar mehr galt als das eigene Leben. Und Erinnern ist der Schmerz beim Erkennen von Irrtümern, der heilsame Schmerz.

Außer Joseph Harmatz hat keiner der Rächer etwas veröffentlicht über seine oder ihre Erlebnisse, Motive, Zweifel. Selbst die mündlich mitgeteilten Erinnerungen sind nicht verlässlich. Alles, was wir haben, sind Geschichten - so wie diese.

Das Brot der Rache

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