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Exkurs über Franz Murer

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1947 wird Franz Murer, der ehemalige stellvertretende Gebietskommissar von Wilna, auf seinem Hof in Admont in der Steiermark von den Engländern verhaftet. Sie liefern ihn an die Russen aus, auf deren Gebiet Wilna liegt. In der Sowjetunion wird er 1949 wegen „Mordes an sowjetischen Bürgern“ zu 25 Jahren Kerker verurteilt.

1955 verpflichtet sich die UdSSR im Rahmen des Staatsvertrages, alle Kriegsgefangenen nach Hause zu schicken. Dazu gehören auch Strafgefangene wie Franz Murer, wobei die Republik Österreich allerdings zugesagt hatte, solche Personen vor österreichische Gerichte zu stellen.

Der Heimkehrer zog sich auf seinen Hof zurück und wurde ein angesehenes Mitglied der ÖVP.

Simon Wiesenthal war der Meinung, es sei unerträglich, dass ein Mörder nach nur sieben Jahren Haft wieder in Freiheit sei. Die Justizbehörden erklärten Wiesenthal, russische Gefängnisse seien dreimal so hart wie österreichische, mithin habe Murer schon 21 Jahre abgebüßt. Neu verhandelt würde gegen Murer nur, wenn neue Tatbestände zutage kämen. Wiesenthal bot in der Folge siebzehn Zeugen für persönliche Morde Murers auf. Das Justizministerium reagierte nicht, Jahre hindurch, auch nicht auf zahlreiche in- und ausländische Eingaben. Wiesenthal tat das, was ihm immer wieder als „Nestbeschmutzung“ ausgelegt worden ist: Er ging an die Öffentlichkeit.

1963 geruhte die Justiz, einen Prozess gegen Franz Murer vor dem Grazer Geschworenengericht anzusetzen. Am vierten Prozesstag saßen Wiesenthal und der Zeuge Jakob Brodi zusammen im Grazer Hotel Sonne. Brodi war Zeuge für den Mord Murers an seinem Sohn David. In Wilna hatte die SS vor den Toren des Ghettos zwei Gruppen gebildet. In einer waren die Arbeitsfähigen, darunter Josef Brodi, in der anderen sein Sohn David. Sie waren für den Transport nach Ponary bestimmt. Während die beiden Gruppen noch warteten, versuchte der siebenjährige David zu seinem Vater hinüberzuschleichen. Ein Deutscher entdeckt und erschießt den Jungen. Auf Bildern hatte Jakob Brodi zweifelsfrei Franz Murer als Schützen erkannt.

Brodi sagte jetzt zu Wiesenthal: „Ich höre, dass Murers Söhne und seine Frau in der ersten Reihe sitzen und sich über die Zeugen lustig machen.“ Wiesenthal nickte.

„Ihnen wird das Spotten vergehen, wenn ich in den Zeugenstand gerufen werde. Ich bin nicht hergekommen, um auszusagen, sondern um zu handeln.“ Er öffnete seine Weste und packte den Griff eines im Hosenbund versteckten Messers. „Murer hat vor meinen Augen mein Kind getötet. Jetzt werde ich ihn vor den Augen seiner Familie töten. Aug um Auge!“

Wiesenthal brauchte aber die Zeugenaussage. „Wir können unser Ziel nicht erreichen, wenn wir Rache und Vergeltung zulassen. Wenn Sie Murer töten, sind Sie selbst ein Mörder!“

Dann dachte Wiesenthal an seine Tochter und sagte mühsam: „Ich habe auch geweint, Herr Brodi, als ich von Ihrem Jungen gelesen habe.“

Jakob Brodi legte das Messer auf einen Sessel und weinte. Am nächsten Tag las er mit tonloser Stimme seine Aussage vor.

Ein paar Tage später fällten die Geschworenen ihr Urteil: „Nicht schuldig“.

Unter Hochrufen, von einem Blumenmeer empfangen, verließ Franz Murer das Gerichtsgebäude. Ein weiteres Verfahren hat nicht stattgefunden, trotz Aufhebung des Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof.

Franz Murer wurde 82 Jahre alt. Als er 1994 starb, wohnte er komfortabel in Gaishorn am See in der Obersteiermark. Zuletzt war er Bezirksbauernvertreter der ÖVP.


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