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10. Kapitel

Zum 1.10.1970 wurde ich dann zu meinem endgültigen Standort versetzt: „Amphibische Transportgruppe“ in Emden. Das war eine sogenannte „Komandoeinheit“, die die Aufsicht über das „Marineversorgungsbataillon“ in Emden hatte. Das bedeutete, dass in meiner Einheit nur Stabsoffiziere, „Höhere Tiere“ saßen. Aus dem Grund existierten auch nur drei Gefreite. Einer in der Schreibstube beim Spieß, einer war für den Kartenraum zuständig, und ich wurde der Registratur zugeteilt. Das ist die Stelle, bei der die Post ankommt. Hier wird die Post an die Beteiligten verteilt, hingetragen, abgeholt, umgetragen, abgelegt und fertige Post wird abgefertigt.

An dieser Stelle folgendes: Stellen sie sich vor, sie besäßen eine Bank mit 100 Mitarbeitern. Es gäbe keine Öffnungszeiten, keinen Publikumsverkehr und auch kein Geld. Dieser Zustand beschreibt meine Tätigkeit. Es gab keinen Krieg, keinen Feind und auch nicht die Aussicht darauf, dass einer kommen würde.

Das bisschen Arbeit musste für die Zeit von 08: 00 bis 17: 00 h reichen. Kein Wunder, dass ich auf allerlei dumme Ideen kam. So war es üblich, dass die Offiziere sich täglich um 11: 00 h zur „Lagebesprechung“ trafen. Hätte es Krieg gegeben, hätte man dann darüber beraten, wie mit dem Feind umzugehen sei. Es gab aber keinen Krieg. Dafür gab es Kaffee, der von den zivilen Schreibkräften zubereitet wurde. Weiter standen in einem Schrank diverse Alkoholika. Die dienten den Offizieren zur Stärkung, wenn die Lage es erforderte. Ich glaube, dass die Lage 1970 sehr ernst war, denn die leeren Stärkungsmittel lagen abends im Papierkorb. Diese mussten von der Registratur geleert und der Inhalt entsorgt werden. Dadurch wurde ich täglich über den Ernst der Lage informiert. Mit der Hand am Puls der Zeit.

Gegen 12: 00 h wurde die Lagebesprechung beendet und die Offiziere gingen zum Mittagessen. Die meisten fuhren nach Hause und kamen gegen 14: 00 h wieder zurück. In dieser Zeit mussten die Gefreiten reihum die Kaffeetassen spülen und den „Lageraum“ wieder herrichten. Oft fand dann eine zweite Lagebesprechung statt, und es wurde wieder Kaffee gekocht.

Mir stank das gewaltig, und ich beschwerte mich schriftlich darüber: Es sei nicht Aufgabe eines Soldaten, Kaffeetassen zu spülen, wenn der Kaffee privat bezahlt würde und die Tassen auch dem Privateigentum der Offiziere zuzurechnen seien. Außerdem hatte ich in der TDV (Truppendienstverordnung) keinen Abschnitt gefunden, die eine solche Lagebesprechung in Friedenszeiten vorsehen würde. Also würden die Soldaten offensichtlich für illegale Zwecke missbraucht. Und vor allem: Was wäre, wenn Krieg wäre? Die Kameraden würden mangels meiner Unterstützung im Feld sterben, weil ich Kaffeetassen spülen müsse. Natürlich auf den entsprechenden Vordrucken mit dem entsprechenden Formalismus und in epischer Breite. Ich hatte ja Zeit und bei der MVS auch sehr viel Sinnvolles gelernt.

Die Beschwerde wurde abgelehnt, was mich nicht weiter wunderte. Befehl sei Befehl, und die TDV sei für die Vorgesetzten da und nicht für die Untergebenen. Damit hatte ich gerechnet und erneut Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz eingelegt. (Marinedivison Nordsee in Wilhelmshaven). Auch hier zeigte man wenig Einsicht in die illegale Beschäftigung und lehnte erneut ab. Nun, ich war noch nicht am Ende. Erneute Beschwerde eine Stufe höher: Marineoberkommando in Bonn.

Dort verstand man meine Sorgen über die illegale Beschäftigung durchaus, argumentierte aber damit, dass das Kaffeetassenspülen nur einen ganz kleinen Teil meiner Zeit in Anspruch nehmen würde, in Kriegszeiten durchaus ausfallen dürfe und daher zulässig sei.

Nun, das war nicht die Antwort, die ich haben wollte, und es ging weiter zur letzten Instanz: Truppendienstgericht in Hannover. Endlich fand ich jemanden, der meine Sorgen und Nöte verstand. Hier erkannte man glasklar, dass die Offiziere die Tassen eben selbst spülen sollten oder die zivilen Schreibkräfte. Letztere hätten den Kaffee ja auch gekocht, und nach dem Verursacherprinzip seien sie denn letztendlich auch für die Reinigung zuständig. Inwieweit eine tägliche Lagebesprechung erforderlich sei, würde separat geprüft. Allerdings warte ich noch heute auf den Bescheid.

Der ganze Beschwerdeakt hatte ein gutes Jahr gedauert, und die Antwort des Truppendienstgerichtes erhielt ich, als schon wieder Zivilist war. Immerhin wurde das Kaffeetassenspülen bereits an die Zivilkräfte übertragen, als ich mich beim Marineoberkommando beschwerte. So verging die Dienstzeit wie im Fluge. Es gab immer etwas zum Beschweren. Meistens gewann ich. Ich konnte fast jedes Wochenende nach Hause fahren. Da ich auch in Emden ein paar Tage Sonderurlaub ergattern konnte (25km-Marsch, diverse Schießprüfungen), legte ich im Frühjahr 1971 eine 3-wöchige Pause ein und vertrat einen Bekannten, der in Wesseling eine Frittenbude betrieb. Ich bekam seinen Transporter und war auch für den Einkauf zuständig. Jeden Morgen um 10: 30 h machte ich die Frittenbude auf und um 17: 00 h wieder zu. Montag bis Samstag. Ich verdiente eine Menge Geld und war jeden Tag zu Hause.

Romika und ich waren zwischenzeitlich verlobt und dadurch hatte ich freien Zugang zu ihrem Elternhaus. Sie hatte mich am „Tag der offenen Tür“ in Emden besucht und die Nacht bei mir verbracht. Mein Zimmerkumpel nächtigte woanders. Als ich sie sonntags zum Bahnhof brachte, überkam uns beide ein fürchterlicher Schmerz, und wir mussten beide weinen. Es war schlimm, sehr schlimm. Es war uns klar geworden, dass wir zusammen gehörten und auf jeden Fall heiraten wollten.

Das Mädchen da oben auf der Treppe ...

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