Читать книгу Die bedeutendsten Mystiker - Hartmut Sommer - Страница 14
DER MYSTISCHE AUFSTIEG
ОглавлениеDie christliche Mystik versteht sich im Unterschied zu asiatischen Heilslehren nicht als Weg, den wir selbst aus eigener Kraft bis zu Ende gehen können, denn mystische Erfahrung ist immer göttliches Geschenk. Aber die Meister der Mystik wollen mit ihren Schriften den Weg dahin ebnen, indem sie beschreiben, wie sich die Seele bereit machen soll für die Einkehr des göttlichen Gastes. Vor allem muss die Lebensumkehr des Menschen am Anfang stehen, mit einer Konzentration auf das Wesentliche. Allerdings machen sie sehr deutlich, dass sich dabei auch mit noch so frommen Gebets- oder Meditationsmethoden nichts erzwingen lässt. Der christliche Weg ist Aufbruch einer Suche nach dem eigentlichen Sinn, der nur in Gott zu finden ist. Damit ist er ein Heilsweg, auch wenn nur wenigen Menschen die göttliche Nähe in der außerordentlichen Form einer mystischen Vereinigung geschenkt wird. Der altüberlieferte Dreischritt des mystischen Weges beginnt dementsprechend mit der Reinigung, also mit einer grundlegenden Läuterung, dann erst folgen Erleuchtung und Einigung. Die Mystiker beschreiben verschiedene Stufenwege des mystischen Aufstiegs, die bis zu einer tiefen Versenkung und Sammlung führen können, aber nie zur eigentlichen mystischen Einigung und Schau, die wir nur durch gnadenhaftes Herabneigen Gottes erlangen können. Gänzliche Weltabkehr, übertriebene Askese, ja Selbstkasteiung bis hin zur Selbstzerstörung waren bei vielen mittelalterlichen Mystikern ein unchristliches Bestreben, sich damit mystische Gnaden verdienen zu wollen. Die große Teresa von Ávila warnt vor solchen übertriebenen Bußübungen und künstlichen Meditationstechniken, die von der schlichten Aufmerksamkeit für das, was uns im Innersten ansprechen will, nur ablenken kann. Aber nicht nur in der Innenwelt der Seele lässt sich Gott finden. Insbesondere die von Franziskus von Assisi (1181–1226) beeinflussten Mystiker sehen in der vielgestaltigen Schönheit der Natur zugleich Bild und Gleichnis des göttlichen Schöpfers.