Читать книгу Die bedeutendsten Mystiker - Hartmut Sommer - Страница 17
KIRCHENVÄTERZEIT UND FRÜHES MÖNCHTUM
ОглавлениеDie Suche nach den geheimsten göttlichen Mysterien ist Ausdruck einer allgemeinmenschlichen Sehnsucht, die zurückreicht bis in das Dunkel vorgeschichtlicher Zeit. Gottesschau und Gottesbegegnung waren auch in den Jahrhunderten vor Christus das Anliegen griechisch-orientalischer Mysterienkulte, platonisch-philosophischer Spekulation und jüdischer Überlieferung. Das radikal Neue des Christentums ist die Botschaft, dass Gott selbst sich in seinem Sohn den Menschen offenbart hat, in Jesus Christus. Mit dem Sakrament der Eucharistie, das Jesus im Brotbrechen des letzten Abendmahles gestiftet hat, ist nach christlichem Glauben seine bleibende Gegenwart verbürgt. Wer Christus in Liebe und im Glauben nachfolgt, erlangt Anteil am göttlichen Leben, denn der Gottessohn und Gottvater sind eins – wie es Jesus in seiner Fürbitte für alle Glaubenden ausgedrückt hat: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind.“ (Joh 17,21–22) Im christlichen Glauben war damit von Anfang an ein mystischer Zug, der seine theologischen Lehrer bereit machte für die Aufnahme mystischen Gedankengutes aus anderen religiösen Strömungen und philosophischen Lehren. Insbesondere neuplatonische Vorstellungen von der Rückkehr der Seele zum absoluten Einen Gottes auf dem Wege der Versenkung, wie sie Plotin (205–270) ausgeformt hat, lieferten philosophische Denkmuster, die zur Entfaltung einer christlichen Theologie der Mystik beigetragen haben.
Schon die großen Theologen der ersten Jahrhunderte, die sogenannten Kirchenväter, steckten dabei klar den Rahmen ab, in dem Mystik als christlich zu bezeichnen ist. Sie haben überlieferte philosophisch-theologische Lehren ihrem Denken anverwandelt, soweit dies für ein christliches Verständnis der Mystik hilfreich war, vom Unvereinbaren jedoch grenzten sie sich scharf ab. Origenes (um 185–253) formulierte bereits im dritten Jahrhundert wichtige theologische Grundlagen der Mystik. Bei Augustinus (354–430) im vierten Jahrhundert ist die reife christliche Mystik bereits da. Gregor der Große (540–604) im sechsten Jahrhundert hat sie weiterentwickelt und zur Mystik des Mittelalters übergeleitet, die im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht hat. Außerordentlich einflussreich waren Schriften, die wahrscheinlich ein syrischer Mönch des sechsten Jahrhunderts unter dem Pseudonym Dionysius Areopagita geschrieben hat. Seine vom Neuplatonismus angeregte sogenannte negative Theologie, nach der man sich dem dunklen, schweigenden Urgrund Gottes nur über die Erkenntnis dessen annähern kann, was er nicht ist, wurde von den Mystikern angesichts der Unsagbarkeit ihrer Erfahrung vielfach herangezogen.
Die Kirchenväter waren es auch vor allem, die immer wieder theologische Irrlehren korrigierten, denn erst langsam entstand in den ersten Jahrhunderten nach Christi Kreuzestod und Auferstehung ein festes gemeinsames Fundament der Christenheit: Der Kanon der Schriften des Neuen Testaments war Ende des zweiten Jahrhunderts festgeschrieben, und es entwickelte sich eine ausgeformte Liturgie mit der Feier der Eucharistie als Mittelpunkt. Die Konzilien von Nizäa (325), Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) schafften Klarheit darüber, wie die Dreieinigkeit Gottes und die Göttlichkeit Christi zu verstehen seien. Insbesondere die wild wuchernde Spekulation der sogenannten Gnosis griff vielfach auf die noch ungefestigten christlichen Gemeinden über. Deren geheimnisvoll erscheinende, aus verschiedensten Mysterien und eigenwillig umgeformtem christlichem Gedankengut gewobene Lehre versprach einen sicheren Weg zur Selbsterlösung und zur Vergöttlichung der in die Geheimnisse Eingeweihten. Zentralgedanke ist die dualistische Vorstellung, nach der in der Welt ein böses und ein gutes Prinzip miteinander ringen. Die materielle Welt, unsere leibliche Existenz eingeschlossen, gehört zur Welt des Bösen, aus der die Seele erlöst werden muss. Bis ins Hochmittelalter waren entsprechende Lehren verbreitet. Sekten wie die besonders in Südfrankreich aktiven Katharer konnten zeitweise in ihrem Einflussbereich die Kirche fast vollständig verdrängen. Die Bewegung der Brüder und Schwestern des freien Geistes fand Anhänger selbst in christlichen Klöstern. Auch christliche Mystiker wie Marguerite Porete und hochgelehrte Theologen wie Meister Eckhart ließen sich von ihren Vergottungsfantasien anstecken und gerieten in das Fahrwasser problematischer Irrlehren. In Abgrenzung gegen die fantastische Spekulation und schwärmerische Übersteigerung dieser Bewegungen festigte sich früh die gemäßigte, theologisch höchst durchdachte Position der christlichen Mystik. Gottes Gegenwart wird danach allen Glaubenden in kirchlicher Gemeinschaft im Sakrament der Eucharistie geschenkt, nicht nur wenigen Auserwählten, die in eine Geheimlehre eingeweiht sind. Mystische Erhebungen als seltene und außerordentliche Erscheinungen sind ein besonderes Geschenk göttlicher Gnade, aber nicht heilsnotwendig.
In den ersten Jahrhunderten der Kirche entstand auch das Mönchtum als besonderer Mutterboden der christlichen Mystik. Seine Urform waren lose Zusammenschlüsse von Eremiten, die sich ab dem 3. Jahrhundert zum einsamen, Gott hingegebenen Leben in die Wüsten Ägyptens und Syriens zurückgezogen hatten. Die überlieferten Weisheiten dieser sogenannten Wüstenväter sind ein Schatz christlicher Spiritualität. Aus der Notwendigkeit, das Gemeinschaftsleben besser zu gestalten und die mönchische Lebensform auch für diejenigen zu öffnen, die dem harten Eremitenleben nicht gewachsen waren, entstanden organisierte Klöster. Von den unterschiedlichen Regelwerken, die sich die Mönchsgemeinschaften gaben, setzte sich schließlich die Regula Benedicti durch. Benedikt von Nursia (um 480–547) hat sie für sein 529 auf dem Monte Cassino gegründetes Kloster verfasst. Gregor der Große lebte bereits aus ihrem Geist. Sie wurde die allgemein für das Klosterwesen bestimmende Regel, und das Benediktinertum blieb als Kulturträger die vorherrschende Form des Mönchtums bis in das 12. Jahrhundert, in dem dann zahlreiche Reformbewegungen zu einer Neubestimmung des mönchischen Lebens aufbrachen.