Читать книгу Menschwerdung eines Affen - Heike Behrend - Страница 19
7
ОглавлениеZufällig erfuhr ich, dass ich »Affe« genannt wurde. Dieser Name war, wie Kipsang mir gestand, kein Ehrenname, sondern eher ein Spottname, der vor mir verborgen bleiben sollte. Eindringlich hatte ich Kipsang gebeten, mir zu berichten, wie die Leute über mich sprachen und welche Namen sie mir gaben. Ich versicherte ihm, dass ich nicht böse würde, auch wenn die Namen verletzend seien. Denn das Wissen, das man mir schenke, sei vom sozialen Status abhängig, den man mir zuweise. Natürlich verstand er sofort die epistemologische Dimension, die die Bezeichnung »Affe« barg, wusste er doch am allerbesten, was mir als Affe vorenthalten und verborgen blieb.
Ich beschloss, das semantische Feld des Affen zu erschließen. Kipsang half mir dabei. Wir fanden heraus, dass die Bewohner der Tugenberge zwei Arten von Fremden unterscheiden: bunik, die nahen Fremden, gegen die man Krieg führt, die man aber auch heiratet; und toyek, die radikal Fremden, die sozial und kulturell so weit entfernt sind, dass sie den wilden Gegensatz bilden. Toyek leben wie Affen in der Wildnis, sind behaart, haben lange Schwänze, fressen Menschen, laufen auf dem Kopf und begehen Inzest. Die beiden Kategorien, die nahen und die ganz Fremden, stehen jedoch nicht in einem absoluten Gegensatz, sondern können auch als aufeinanderfolgende Phasen in einem Prozess der Integration von Fremden gesehen werden. In Clangeschichten erzählten die Ältesten von wilden Männern, die wie Affen leben. Ein Zufall führt sie in die bewohnte Welt. Sie bringen den dort lebenden Menschen Hirse oder das Feuer und erhalten als Gegengabe eine Frau. Die Heirat verwandelt sie in Schwiegersöhne, die nach und nach ihre Fremd- und Wildheit verlieren und durch ihre Kinder und Enkel vollständig in die bewohnte Welt integriert werden.
Anstelle unserer Klapperstorchgeschichte erzählten Mütter in den Tugenbergen ihren Kindern, dass eine Frau, die sich ein Kind wünscht, in die Wildnis geht. Sie stiehlt dort ein Affenbaby, schneidet ihm den Schwanz ab und trägt es nach Hause. Sie legt es an ihre Brust und nennt es »mein Affe«, bis es in einem Ritual den Namen eines Ahnen erhält. Dann wird seine Herkunft, sein äffischer Ursprung, »vergessen«.
Die Grenze, die die Bewohner der Tugenberge zwischen Mensch und Tier ziehen, in diesem Fall Affe, ist sehr viel durchlässiger als jene, die das Christentum zieht. Während die christliche Schöpfungsgeschichte den Menschen als Herrn über die Tiere setzt und damit eine starke Diskontinuität zwischen beiden erschafft, ist das Verhältnis in den Tugenbergen eher kontinuierlich; es schließt eine Entfernung des Menschen vom sowie eine Rückkehr zum Affen ein.
Die Bewohner Bartabwas vertraten also einen Primitivismus und eine Evolutionstheorie, die Darwin sicherlich erfreut hätte. Ihre Theorie der Menschwerdung war nicht unilinear und auf Fortschritt hin ausgerichtet. Das Äffische verschwand nie ganz, wurde nicht völlig überwunden. Denn in verschiedenen Ritualen des Lebenszyklus mussten die Initianden in der liminalen Phase nicht nur in die Wildnis zurück, sondern auch wieder zu wilden Tieren werden, bevor sie sich in eine »größere soziale Person« verwandeln konnten.
Als Affe wurde ich der Kategorie der Primitiven und ganz Fremden zugeteilt. Ich war nicht Mensch, sondern Tier. Man platzierte mich an den Rand einer mir fremden Kosmologie. Doch bekam ich die Chance, mein äffisches Wesen hinter mir zu lassen: Meiner Entwicklung förderlich waren zunehmende Sprachkenntnisse und das Erlernen der Regeln der Höflichkeit, auch wenn ich mich nicht immer an sie hielt. Vom Affen stieg ich zum »Ding« auf; »Ding« bezeichnet eine Person, die noch nicht wirklich erwachsen und selbstverantwortlich handelt – so wie man auch bei uns von einem »jungen Ding« spricht. Doch da ich regelmäßig in die Tugenberge zurückkehrte und die Ältesten mich nicht loswurden, stellte ein Ältester mit Namen Aingwo fest: »Das Ding kommt immer wieder zu uns, das Ding liebt uns.« Meine Beharrlichkeit, zu ihnen zurückzukehren, war die erste Eigenschaft, die sie meiner noch höchst unvollständigen sozialen Person anhefteten.