Читать книгу Menschwerdung eines Affen - Heike Behrend - Страница 26
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ОглавлениеNachdem das »große« Ritual Sohro beendet war, sagte Sigriarok zu mir: »Jetzt bist du groß geworden«, und lachte. Und der Vater von Kipsang erklärte, das Ritual habe mir gutgetan, ich sei fetter geworden! Auch er lachte, und alle Anwesenden stimmten mit ein.
Tatsächlich bin ich in meinem ganzen Leben nie so sehr ausgelacht worden wie in den Tugenbergen. Wie Clifford Geertz 1968 bemerkte, kann eine Feldforschung nur dann gelingen, wenn sich die Ethnografierten auf die Fiktion einlassen, dass die Ethnologin ein Mitglied ihrer Kultur ist – oder zumindest die beschränkte Mitgliedschaft anstrebt.11 Mit meiner Aufnahme in den Teriki-Clan und der Teilnahme an den öffentlichen Sequenzen des Rituals Sohro bewiesen die Ältesten mir, dass sie sich diese ethnografische Fiktion zu eigen gemacht hatten. Natürlich durchschauten sie sie und spielten, wie ich, mit ihr, nur besser. Der Preis, den ich dafür zahlte, war die Übernahme der Rolle eines lächerlichen Menschen, einer Närrin. Jede meiner Handlungen konnte zu Heiterkeitsausbrüchen führen. Manchmal verstand ich die Ursache, meistens allerdings blieb mir der Grund verborgen. Ich wusste nur, dass ich lächerlich war. Mit diesem Lachen schützten sich die Ältesten vor mir und führten mir vor Augen, dass ich weiterhin Eindringling und fremd war. Ihr Lachen markierte die Grenze, den Augenblick, an dem sie an der ethnografischen Fiktion nicht mehr festhalten konnten – wie in der Pause eines Spiels, in der die Spieler für einen Moment ihre Umwelt vergegenwärtigen, bevor sie weiterspielen.
Ich kann nicht behaupten, dass dieses Lachen ohne Wirkung geblieben wäre. Auch wenn es nicht nur ein Auslachen war, sondern manchmal auch ein eher freundliches Anlachen, so trug ich, je länger es dauerte, sein Gewicht auf meinen Schultern. Es verunsicherte mich. Ich schaute öfter in den kleinen Spiegel, den ich aus Berlin mitgebracht hatte. Nach drei oder vier Wochen schnitt ich mir in den Finger, fiel hin oder rutschte einen Abhang hinunter. Dann wusste ich, dass es Zeit war für eine Pause, für einen Besuch meiner Freunde in Kabarnet oder Nairobi. Dort las ich meine Post, telefonierte mit meinem Mann und mit Freunden in Berlin, ging auf Partys und amüsierte mich. Nach einigen Tagen kehrte ich dann gestärkt und aufgerichtet in die Tugenberge zurück.
Das Lachen der Ältesten eröffnete mir jedoch auch einen gesellschaftlichen Freiraum, den man nur einem Narren zugesteht. Es ermöglichte mir, zwischen den verschiedenen Kategorien der sozialen Person und der Geschlechter hin und her zu wechseln und sie mit Fragen zu belästigen, die sie sich selbst so nicht gestellt hätten.
Nur wenn mein Ehemann mich besuchte, bestanden die Ältesten darauf, dass ich mich wie eine anständige Frau zu verhalten hätte, damit er sich nicht schämen müsse. Dann saß er zusammen mit anderen Männern im Schatten eines Mangobaumes und trank Bier, während ich zähneknirschend Frauenarbeiten verrichtete, Wasser holte, Wäsche wusch und kochte. Fuhr er wieder fort, wurde ich erneut geschlechtlich neutralisiert, gewann meine Freiheit zurück und durfte zwischen den verschiedenen Kategorien der Frauen- und Männerwelt hin und her wechseln.
Aber es gab auch einen Bereich, in dem sich die Interessen der Ältesten mit den meinen trafen. Sie erkannten, dass meine Aufmerksamkeit für ihre Rituale sie aufwertete. Weil ihre Kinder und Enkel in der Schule lernten, dass die eigenen Traditionen primitiv seien und man sie zugunsten von Fortschritt und Moderne aufgeben müsse, weigerten sich viele Junge, überhaupt an den Ritualen teilzunehmen. Dadurch stockte die rituelle Karriere der Väter und Großväter, die nun nicht mehr ihre soziale Person vervollständigen und sich in Ahnengeister verwandeln konnten. Mein Interesse für Traditionen und Rituale gab ihnen eine neue Beachtung und bewirkte immerhin, dass Kipsang sich entschloss, ein wichtiges Ritual durchzuführen, das nicht nur ihn, sondern auch seinen Vater zu einer »größeren Person« machte.
Ich kann nicht ausschließen, dass die Ältesten im Rahmen ihres zyklischen Geschichtsverständnisses hofften, dass die Erzählungen, die sie mir schenkten, eine verlorene Vergangenheit wieder aufleben ließ und ihre Wiederkehr herbeiführen würde.