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Am Berliner Institut für Ethnologie hatte ich mit Adornos Kritik der empirischen Sozialforschung gelernt, der quantitativen Forschung grundsätzlich zu misstrauen. Ich stellte also den Ältesten, nachdem ich die wichtigsten Themen gefunden zu haben meinte, vor allem qualitative Fragen, und erst später begann ich, auch quantitativ zu arbeiten. Dass dies die passende Vorgehensweise war, wurde mir klar, als ich versuchte, die Kolonialzeit aus der Perspektive der Ältesten zu rekonstruieren. Denn wie mir Kipton erzählte, hatten die Europäer ihre Herrschaft mit der Forderung etabliert, dass die Bewohner der Tugenberge für »die Regierung« zu zahlen hätten. Regierungsbeamte oder die von ihnen eingesetzten Häuptlinge begannen, Rinder und Ziegen zu zählen. Sie zählten auch Häuser, Kinder und Erwachsene. Danach mussten die Gezählten Steuern zahlen, zuerst in Form von Naturalien, später in Form von Geld. Auch andere Älteste erzählten, dass das Gezähltwerden mit Zwangsabgaben und kolonialer Kontrolle einherging. Vielleicht als Reaktion darauf, vielleicht aber auch als bereits althergebrachtes Verbot versuchten die Bewohner der Tugenberge jegliche Form von Quantifizierung zu vermeiden. Zwar kannten alle die Anzahl der eigenen Ziegen, Rinder und natürlich auch der Kinder ganz genau, aber darüber zu sprechen oder sogar die Zahl zu nennen, galt nicht nur als unhöflich, sondern war geradezu eine Herausforderung, aus Neid dem Reicheren Schaden zuzufügen. Hätte ich also angefangen, die Häuser, Tiere und ich weiß nicht was zu zählen, dann hätte ich mich sehr direkt in die Tradition kolonialer Herrschaftspraktiken gestellt. Die Erhebung quantitativer Daten wäre auf Kosten jener Versenkung ins Detail erfolgt, die gerade den Reichtum und die Subversion ethnografischen Wissens ausmacht.

Menschwerdung eines Affen

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