Читать книгу Sturm auf den Südpol. Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer - Heinrich Hubert Houben - Страница 19

„Erebus“ und „Terror“ im Kampf mit dem Packeis

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Auf seiner zweiten Fahrt holt Kapitän Ross in weitem Bogen nach Osten aus; diesmal will er auf dem 145. Grad westlicher Länge nach Süden vorstossen, um die von ihm entdeckte grosse Eisbarriere möglichst an ihrem Ostende zu erreichen und bis zu dem Punkt zu verfolgen, wo er sie am 9. Februar 1841 verlassen musste. Er hofft, auf jenem Meridian neues Land zu finden; seine Vorgänger Cook und Bellingshausen haben auf dieser Seite auffallend früh Eis angetroffen. Ihm geht es nicht besser. Schon am 17. Dezember, jenseits des 61. Breitengrades, legt sich ein unermessliches Feld Packeis mit Eisbergen den Schiffen quer in den Weg; sie nehmen den Kampf auf, müssen aber schon am nächsten Tag nach Westen auszuweichen suchen, denn diese Eismassen sind bei weitem gefährlicher als die im Norden des Rossmeeres. Durch Wasserlachen und schmale Kanäle tasten sie sich langsam vorwärts; widriger Wind und Nebel machen ihnen viel zu schaffen. Am 25. Dezember sind sie bis zum 66. Breitengrad gekommen, liegen dann aber fünf Tage völlig fest. Sobald es wieder ein wenig aus Norden weht, lässt Ross die Schiffe zu beiden Seiten einer grossen Eisscholle verankern, damit sie bei Sturm nicht gegeneinander stossen. Im Schlepptau dieser Scholle kriechen sie unerträglich langsam nach Süden. Wie das vorige Mal passieren sie am 1. Januar den Polarkreis, und die Mannschaft feiert Neujahr 1842 mit Spielen auf der Eisscholle und anschliessendem Maskenball. Wo sich auch nur die kleinste Wasserrinne zeigt, versuchen die Matrosen, mit den Booten die Schiffe zu bugsieren und eine Fahrstrasse zu brechen; vergebene Mühe! Immer aufs neue müssen sie sie an Eisschollen verankern und durch stetes Wenden vor dem Einfrieren zu schützen suchen. Trotz vieler Schneeböen ist das Wetter fast schön zu nennen — zu schön! Wenn nur endlich ein Nordsturm das Eis auseinandertriebe! Am 19. ist er da, bringt aber keine Erlösung, sondern Tage des Schreckens, die alles übersteigen, was die Expedition bisher durchgemacht hat. Die auf den Wogen schaukelnden Eismassen, hart wie Granit, prallen mit solcher Gewalt gegen die Schiffswände, dass die Balken und Verdecke krachen; die Masten erzittern, als wollten sie beim nächsten Stoss herabstürzen und über Bord gehen. Schon nach kurzem Kampf ist das Steuer des „Erebus“ nicht mehr zu gebrauchen; bald darauf signalisiert der „Terror“, das seinige sei völlig zerschmettert und fast ganz vom Hintersteven losgerissen. Das tobende Meer wirft die Eismassen polternd gegeneinander, türmt sie übereinander, begräbt sie dann wieder in weissem Gischt. Oft sind die Schiffe so nahe beisammen, dass der „Terror“ auf dem Gipfel der einen Welle schwebt, der „Erebus“ auf dem der nächsten — ein Abgrund mit rollenden Eismassen zwischen ihnen; tauchen sie dann in die Tiefe hinab, so ist vom Deck des einen kaum noch die Marssegelrahe des andern zu sehen. Dabei dichtes Schneetreiben und schliesslich finstere Nacht! 28 Stunden lang stehen die Kapitäne in diesem Tosen der Elemente auf der Kommandobrücke — 28 Stunden tut die Mannschaft kaltblütig, mit aufeinandergebissenen Zähnen, in musterhaftem Gehorsam ihren Dienst. Jeder erwartet vom nächsten Augenblick das Ende. In der Nacht treiben die steuerlosen Schiffe durch eine Kette von Eisbergen, ohne sie zu sehen, und das wird ihre Rettung; der zermalmende Ansturm der Packeismassen verliert hier an Spielraum und Wucht. Am Morgen (21. Januar) legt sich endlich der Orkan. Ross wagt es, sich an Bord des „Terror“ rudern zu lassen; der Zustand des Schwesterschiffes macht ihm Sorge, aber ausser dem verlorenen Steuer hat es weiter keinen Schaden erlitten; vom Bauch des „Erebus“ sind nur einige Kupferplatten weggerissen. Dass sie beide noch auf dem Wasser schwimmen, ist geradezu ein Wunder; die schweren, kupfergepanzerten Holzwände sind unverletzt, die fest verstaute Ladung hat ihnen gewissermassen den Rücken gesteift. Aber manövrierfä hig ist einstweilen keines mehr. Sie bohren sich daher so tief wie möglich in das dichteste Packeis ein, wo der immer noch hohe Seegang jetzt nicht mehr so viel Gewalt hat, und vertäuen sich wieder an einer Eisscholle. Offiziere und Mannschaft kriechen in die Kojen; nur die Zimmerleute und Schmiede des „Erebus“ müssen sofort mit Ausbesserung des invaliden Steuers beginnen, obgleich sie kaum noch auf den Beinen stehen können; auf dem „Terror“ wird das Reservesteuer zusammengesetzt und dann sogleich ein neues hergestellt. Als am Abend des 23. das Eis sich etwas lockert, wird das neue Steuer des „Terror“ eingehängt; ruhiges Wetter ermöglicht es, auch die Kupferplatten, die das Eis von der Leeseite und vom Boden des „Erebus“ weggerissen hat, zu erneuern. Jetzt sind die Schiffe wieder zum Kampf gerüstet.

Unterdes hat das Packeis sie beträchtlich nach Nordwest zurückgeschoben. Hier durchstossen zu wollen scheint aussichtslos. Am 27. hat Ross zwar die Genugtuung, auf dem 158. Meridian einen halben Grad südlicher gekommen zu sein als Cook, aber am nächsten Tag liegt er schon wieder um so viel nördlicher. Immer noch ziehen unübersehbare Eisfelder von Süden herauf, und wenn ein Nordwind erlaubt, ihnen entgegenzusteuern, und die Schollen beiseite weichen, scheint es zwar, als ob die Schiffe gute Fortschritte machen, aber das ist eine Augentäuschung; nur das Eis treibt so schnell an ihnen vorüber, sie selbst liegen ziemlich auf der gleichen Stelle. Am 30. Januar wird beim Vorwärtsbugsieren mit Hilfe der Boote der „Erebus“ gegen eine Eismasse geworfen, sein Bugspriet zerbrochen, sein Tauwerk schwer beschädigt. Die Lage wird immer kritischer — dabei verrinnt die kostbarste Zeit des Jahres mit diesem aufreibenden Kampf gegen das Packeis.

Aber irgendwann muss doch auch dieser Eisgürtel, dessen Breite Ross auf 1800 Kilometer berechnet, zu Ende gehen! Am 1. Februar stehen in Südwest dunkle Nebelwolken — ein Wasserhimmel! Und wirklich wird schon am Abend offenes Meer gesichtet. Der Anblick des sich nähernden Packeisrandes aber ist schreckenerregend: er besteht aus grossen, unterwaschenen Eismassen, um die eine wütende Brandung schäumt. Ein steifer Nordwind füllt die Segel, der Durchstoss muss trotz der einbrechenden Dunkelheit sofort gewagt werden, denn wenn der Wind sich legt oder wendet, wenn die Schiffe etwa bei plötzlichem Sturm oder bei Windstille von diesem schweren Packeisrand aufgefangen werden, dann ist kaum noch etwas zu hoffen. Jedes Zaudern ist sicherer Untergang — der Wind droht bereits zum Sturm anzuwachsen; alle Segel ausser dem Mars- und Hauptsegel müssen eingezogen werden. Kurz nach Mitternacht gibt Ross den Befehl zum Angriff. Die gesamte Mannschaft ist auf Deck, jeder an dem ihm zugeteilten Posten. Es ist völlig Nacht, nur der fahle Schein der Brandungslinie bezeichnet das Ziel. Der „Erebus“ fährt voran, der „Terror“ dicht hinter ihm. Das Auge des Kommandanten sucht vergebens nach einer Lücke in diesem Wall von brüllenden Eisblöcken und Gischt, es bleibt keine Wahl als geradeaus! Bald poltern die ersten Eistrümmer gegen die Schiffswände, die Wogen branden auf Deck, mächtige Eisschollen stemmen und bäumen sich gegen den Bug, der Vordersteven bricht — es gibt kein Zurück mehr! Der Wind füllt die wenigen Segel, dass die Masten sich biegen, seine starke Faust pflügt mit dem eisenfesten Schiff die rollenden Massen beiseite. Zwei Stunden dauert der verzweifelte Kampf — dann ist das Wagestück gelungen, das offene Meer erreicht, die sechsundvierzigtägige Gefangenschaft im Eis überstanden. Am Himmel leuchten die ersten Sterne — ein schlimmes Vorzeichen: der Sommer geht bald zu Ende.

Noch ist die Gefahr nicht vorüber. Überall zeigen sich Nachzügler des Packeises; Sturm, Nebel, Windstille — alle haben sich gegen Ross verschworen; er kommt nach Süden nicht durch, immer wieder muss er nach Westen ausweichen. Als er am 13. Februar endlich mit vollen Segeln nach Süden fahren kann, ist er nur 10 Grad von seiner vorigen Route entfernt, dicht beim 180. Grad westlicher und östlicher Länge. So viel wie möglich hält er auf Südosten zu. Am 20. Februar segelt er etwa 50 Kilometer von der Stelle vorbei, wo er voriges Jahr aus dem Packeis und dem sich schon bildenden Neueis flüchten musste; diesmal ist ausser wenigen Eistrümmern das Meer völlig offen. Ein schneidend kalter Wind weht von der Eisbarriere herüber; das Spritzwasser gefriert, sobald es auf Verdeck und Tauwerk fällt; ein Fisch, der mit heraufgeschleudert wird, ist im Augenblick angefroren. Die Matrosen haben unausgesetzt zu tun, diesen Eisballast wegzuhacken. Am 22. Februar erscheinen die ersten Tafeleisberge; um Mittag auf 76° 42′ südlicher Breite und 165° 50′ westlicher Länge belagern sie die Schiffe von allen Seiten, rühren sich aber nicht vom Fleck; in 350 Meter Meerestiefe sind sie auf einer Schlammbank gestrandet. Kurz vor Mitternacht dieses Tages wird von der Mastspitze aus die grosse Eisbarriere sichtbar. Ross hält direkt auf sie zu und nähert sich ihr bis auf 10 Kilometer; dann wendet er nach Osten, immer noch in der Hoffnung, um ihr Ostende herum noch ein Stück weiter nach Süden segeln zu können. Gegenwind zwingt ihn am 23. Februar, zu wenden; er fährt so dicht an die Eisbarriere heran, wie der Gürtel von Eisstücken an ihrem Fuss zulässt. Das Senkblei findet in 520 Meter Tiefe Grund mit grünem Schlamm und kleinen vulkanischen Steinen. Da der Eiswall hier nur 35 Meter hoch ist, kann sein äusserer Rand unmöglich auf Meeresboden ruhen. Seine Umrisse sind diesmal viel unregelmässiger als im vorigen Jahr; da, wo die Schiffe liegen — auf 77° 49′ südlicher Breite und 162° 36′ westlicher Länge —, öffnet sich sogar eine Bucht von etwa 15 Kilometer Tiefe, aber sie ist so mit Eistrümmern angefüllt, dass an Hineinfahren nicht zu denken ist; die grossen Veränderungen, die seit dem ersten Besuch im Rand der Eisbarriere vor sich gegangen sind, machen ihre Nähe nur noch gefährlicher; sie hat offenbar stark „gekalbt“. Dennoch wagen sich die Schiffe bis auf 2½Kilometer heran und erreichen auf 78° 9′ 30″ ihre höchste südliche Breite in 161° 27′ westlicher Länge. Aus den Messungen ergibt sich, dass die Eisbarriere von diesem Punkt aus in nordöstlicher Richtung abbiegt; damit entschwindet bei der vorgerückten Jahreszeit jede Hoffnung, ihr Ende umfahren zu können. Ross verfolgt sie noch einige Kilometer östlich, denn dort wird sie noch niedriger, ist kaum 25 Meter hoch, und von der Mastspitze aus bietet sich nun ein weiter und sehr überraschender Ausblick über die rätselhafte Eisebene: sie steigt nach Süden allmählich an und verliert sich zwischen hohen, schneebedeckten Bergen, in Erhebungen, wie ein Gletscher sie unmöglich zeigen kann. Hier muss Land sein, wenn das Ganze nicht eine Augentäuschung ist! Denn nicht das kleinste Felsstück durchbricht die einförmige weisse Fläche. Ross und seine Begleiter haben richtig vermutet: die heutige Karte der Antarktis verzeichnet nur etwas weiter östlich König-Eduard-VII.-Land! Und auch die Buchtenbildung der Eisbarriere auf den Meridianen 162—164 westlicher Länge spielt in der späteren Entdeckungsgeschichte der Antarktis eine grosse Rolle. Hier hat der Eiswall offenbar seine verwundbarste Stelle.

Am Morgen des 24. Februar rückt das Packeis von Norden her wieder so dicht heran, dass Ross sich zum Rückzug entschliessen muss. Die Kälte ist obendrein so stark, dass sich aus offener See Eisflächen bilden. Ein frischer Südost kommt den Schiffen in ihrer bereits gefahrvoll gewordenen Lage zu Hilfe; sie brechen 45 Kilometer weit durch Jungeis, und sobald sie wieder in freiem Wasser sind, gibt Ross dem „Terror“ das Signal: „Zurück nach Norden!“ Er ist mit dem Ergebnis der zweiten Reise nicht so recht zufrieden; er ist nur 11 Kilometer südlicher gekommen als das vorige Mal, hat die Eisbarriere 10 Längengrade weiter östlich verfolgt, vielleicht hinter ihr neues Land entdeckt und eine gewaltig grosse, unbekannte Meeresstrecke erkundet; die lange Gefangenschaft im Packeis hat sein Vordringen gelähmt, ihm die beste Sommerzeit geraubt. Die Leistung der Offiziere und Mannschaft ist aber um so höher zu bewerten; die Durchquerung eines Packeisgürtels von 1800 Kilometer Breite mit zwei kleinen Segelschiffen ist eine Heldentat, die in der Geschichte der Antarktis weder damals noch später ihresgleichen hat.

Sturm auf den Südpol. Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer

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