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Wal- und Robbenfänger entdecken

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Kapitän Nathanael Palmer steht dem russischen Kommandanten mit grösster Bereitwilligkeit Rede und Antwort, er spielt mit Behagen den Fremdenführer, der diese ganze Gegend hier wie seine Westentasche kennt. Er hat ja auf dem „Wostok“ keine Konkurrenz vor sich, nur eine harmlose wissenschaftliche Expedition. Untereinander sind die Robbenfänger nicht immer so redselig. Wer einen reichen Fangplatz gefunden hat, schweigt sich darüber aus und macht erst reinen Tisch, bis die letzte Robbe vertilgt ist; für die Späterkommenden soll keine Flosse übrigbleiben; Schonung gibt es nicht, alles muss ans Messer, alt und jung, trächtige Weibchen und Mütter, deren eben geborene Junge umkommen mögen. Auf unbekannten Inseln gibt es keine Jagdgesetze — Eigennutz geht vor Gemeinnutz. Die amerikanische Konkurrenz treibt sich hier im Süden von Kap Hoorn schon lange herum. Manch einer will die Süd-Shetland-Inseln längst besucht haben, ehe sie von den Engländern entdeckt werden; seit 1812 soll dort schon eine amerikanische Fangstation gewesen sein. Die Sage von der Fahrt des Holländers Dirk Gerritsz bis zum 64. Breitengrad und von dem dort gesehenen Land ist immer noch lebendig; wer keine rechte Beute machte, sah sich gern einmal weiter im Süden um, hütete sich aber wohl, jede neue Robbenküste an die grosse Glocke zu hängen. Mit dieser geschäftlichen Geheimniskrämerei ist es 1819 aus.

Der englische Handelskapitän William Smith fährt mit seiner Brigg „William“ im Februar 1819 von Montevideo an der Mündung des La Plata-Stroms nach Valparaiso an der Westküste Südamerikas. Um den Stürmen bei Kap Hoorn auszuweichen, macht er einen grossen Bogen nach Süden, kommt bis 62° 40′ s. V. und sieht dort ein schneebedecktes Land. Eine Luftspiegelung, glaubt er anfangs; da klares und ruhiges Wetter ist, fährt er ein Stück darauf zu und findet eine Gruppe von Felseninseln, wo es von Walen und Robben zu wimmeln scheint. Zu näherer Untersuchung hat er keine Zeit, erzählt aber davon in Valparaiso. Seine Landsleute dort lachen ihn aus; seit Dirk Gerritsz’ Zeiten will jeder da unten schneebedeckte Berge gesehen haben — das kennt man schon! Auf der Rückreise macht Smith wieder einen Vorstoss nach Süden, aber die Winterstürme treiben ihn zurück. Seine amerikanischen Handelsfreunde in Montevideo sind hellhöriger; sie lauern auf jede Gelegenheit, den Engländern Fangplätze wegzuschnappen. Ob Kapitän Smith seine Brigg wohl zu einer Waljagd vermieten wolle? — Warum nicht, wenn man über den Preis einig wird? — Daran wird es nicht scheitern, und schnell ist ein Vertrag aufgesetzt. Aber nun wollen die smarten Amerikaner durchaus wissen, wo denn die von ihm gesehenen Inseln liegen. Also dahin soll die Fahrt gehen! Man möchte ihm und England diese Entdeckung vorwegnehmen. Smith lehnt die Unterschrift des Vertrags ab. — Im Oktober reist er wieder nach Valparaiso. Das Land auf dem 62. Breitengrad ist immer noch da. Er fährt nun eine grosse Strecke der Küste ab, findet an der nordöstlichen Ecke der George-Insel, wie sie später heisst, einen Hafen und schickt den Steuermann nebst einigen Matrosen aus, dieses Land im Namen des englischen Königs in Besitz zu nehmen. Es ist das weitaus südlichste Land, das bisher entdeckt wurde, denn die russische Expedition unter Bellingshausen ist ja erst auf Fahrt gegangen. Smith nennt es Neu-Süd-Britannien, nachher aber, um Verwechslungen zu vermeiden, Süd-Shetland-Inseln. Jetzt lachen die Engländer in Valparaiso nicht mehr über seine Entdeckung. Kapitän Sheriff, Befehlshaber des englischen Wachschiffes „Andromache“ an der Westküste Südamerikas und Repräsentant des Königs, will schleunigst genaue Aufklärung haben, und als Smith am 19. Dezember wieder abfährt, ist an Bord des „William“ der englische Marineoffizier Edward Bransfield, der nun während der Sommermonate die ganze lange Inselkette zwischen dem 63. und 53. Längengrad aufnimmt und jeder Insel ihren englischen Namen gibt. Die westlichste heisst zu Ehren des Entdeckers Smith-Insel. Den gewaltigen Meeressund im Süden der Kette, die Bransfieldstrasse, befahren Smith und sein Begleiter bis 63° 20′ auf 59° 38′, bis südlich der kleinen vulkanischen Bridgeman-Insel, und sehen von dort aus im Südwesten eine Landküste, jedenfalls dieselbe, an die sich ein Jahr später Kapitän Palmer heranwagt, ausserdem im Südosten die Spitze eines hohen Berges, ohne ahnen zu können, dass sie damit den ersten festen Punkt des später entdeckten und als Teil des antarktischen Kontinents geltenden Graham-Landes vor Augen haben. Weiter südlich lassen die Eismassen das Schiff nicht durch. Nach fünf Monaten ist es wieder in Valparaiso, und seine erfolgreiche Entdeckungsreise macht gewaltiges Aufsehen. An Umfang und Wert kann sich keiner der bisherigen Landfunde rings um die Antarktis mit den Süd-Shetland-Inseln messen. Südlich Neuseelands sind durch Entdeckung der Aucklandinseln (1806) und der Campbellinsel (1810), südlich von Australien durch Auffindung der Macquarie-Insel (1810) längst wichtige Stützpunkte für den Wal- und Robbenfang gewonnen, Meilensteine gleichsam zum Pol; jetzt beginnt sich auch das Meer südlich von Kap Hoorn mit Landfetzen zu füllen, die aber bedeutend grösser und zahlreicher sind. Immer neue tauchen auf. Im Polarsommer 1821/22 ist Kapitän Palmer wieder da unten, diesmal mit Schaluppe „James Monroe“; bei der Elefant-Insel trifft er den englischen Robbenfänger Powell mit den Schiffen „Eliza“ und „Dove“; am 4. Dezember 1821 fahren sie gemeinsam nach Osten, um dort neue Fangplätze auszukundschaften, sichten am 6. die Süd-Orkney-Inseln, umfahren sie und segeln durch die sie trennenden Meeresstrassen. Der Versuch, nach Süden vorzudringen, misslingt; auf 62° 20′ s. B. stossen sie auf festes Eis, das sie zwingt, an seinem Rand nach den Süd-Shetland-Inseln zurückzukehren. Diese ganze Kette von der Smith-Insel im Westen bis zu Cooks Sandwichland im Osten, das nach Bellingshausens Feststellung ebenfalls ein Archipel ist, bildet keine Brücke zum Pol, legt sich vielmehr wie eine Reihe eisstarrender, abschreckender Festungswerke vor ein Land weiter im Süden, das durch ein undurchdringliches Bollwerk von Eisfeldern und Eismauern jede Annäherung abweist. Schon mit diesen Inseln ist nicht zu spassen; in den Sommern 1820 bis 1822 scheitern dort sieben Schiffe, und die Besatzung eines dieser Wracks ist als erste dazu verurteilt, auf einer der Shetland-Inseln zu überwintern; doch ist Näheres über dieses Abenteuer nicht bekannt. Die Küsten im Süden halten die einen für ein Festland — so erscheint es schon 1820 auf einer deutschen Karte in den „Geographischen Ephemeriden“ des Weimarer Verlegers Bertuch —, andere für einen neuen Inselarchipel, und wieder andere für eine Ansammlung von Eisbergen, deren Anblick Land vortäuscht.

Die Küsten der Süd-Orkney-Inseln hat vor Powell und Palmer der englische Robbenfänger James Weddell gesichtet, der fünf Jahre hindurch, von 1819—1823, im Süden des Kap Hoorn sein Geschäft betreibt. Schon 1821 segelt er mit voller Ladung an ihnen vorbei nach Norden und kehrt im Januar 1823 dahin zurück, um diese seine Entdeckung genauer zu untersuchen. Ohne von Powells und Palmers Besuch zu wissen, nimmt er die Inselgruppe kartographisch auf, landet an mehreren Stellen, findet aber keine Pelzrobben, nur wenige Seeleoparden. Da seine Berufskollegen über die Süd-Shetland-Inseln wie Raubmöwen hergefallen sind und den Wildbestand dort schon fast vernichtet haben, worüber er 1825 öffentlich Klage führt, sieht er sich nach neuen Fangstellen um und wagt sich mit seinen beiden winzigen Schiffen, der „Johanna“ von 160 Tonnen mit 22 Mann Besatzung und dem Kutter „Beaufoy“ mit 13 Leuten unter dem Kommando von Matthias Brisbane, am 23. Januar nach Süden. Ohne vom Eis aufgehalten zu werden, kommt er in vier Tagen auf dem 40. Längengrad bis 64° 58′ s. B.; da aber nirgends eine Küste ist, kehrt er am 27. Januar wieder um und kreuzt zwischen den Orkney-Inseln und Cooks Sandwichland. Da er auch hier nichts findet, segelt er am 5. Februar nochmals südwärts. Am 10. begegnet ihm ein Eisberg, dessen Nordseite so mit schwarzer Erde bedeckt ist, dass jeder an Bord ihn für ein Vorgebirge hält, um so mehr, als Kapitän Weddell 10 Pfund Belohnung dem ausgesetzt hat, der zuerst Land sichtet. Dieser Eisberg muss von einer Küste herkommen, sagt er sich, und fährt weiter. Am 14. Februar ist er auf 68° 28′ s. B., und nun packt ihn das Entdeckerfieber. Er lässt sich durch das nebelfeuchte Wetter, das seiner Mannschaft übel zusetzt, und durch den Aufmarsch riesiger Eisberge nicht abschrecken, zwängt sich überall durch, und auf dem 70. Breitengrad ändert sich plötzlich die Szenerie. Treibeis und Eisberge werden seltener, am 18. Februar ist bei prächtigem Sonnenwetter auf 72° 38′ kein Stückchen Eis mehr zu sehen. In der glatten See spielen Massen von Walfischen, und Scharen blauer Seevögel, besonders Sturmschwalben, flattern umher. Am 20. Februar erreicht er 74° 15′ auf 34° 17′ w. L., er hat also selbst den grossen Cook um drei volle Breitengrade geschlagen! Bis zum Horizont dehnt sich das offene Meer, hier und da schwimmen kleine Eisinseln, auf denen Pinguine herumklettern, die Lust ist so klar wie an keinem Tag vorher, nur Land ist nirgends zu sehen, obgleich die zahlreichen Vögel seine Nähe zu verkünden scheinen. Mindestens bis zum 75. Grad hätte Weddell noch freie Bahn. Auf einer Fahrt geradezu ins Blaue hat er einen Zugang zum Südpol entdeckt, offenes Meer da, wo man bisher nur undurchdringliche Eisfelder oder eisbeschwertes Land vermutete! Cooks allzu selbstbewusstes Wort von der Unmöglichkeit, weiter vorzudringen als er selbst, dieses Wort, das wie ein Bannfluch auf der Antarktis lastete — er, der kleine, jämmerlich ausgerüstete Robbenfänger, hat es widerlegt, das Land um den Südpol, wenn es überhaupt existiert, muss bedeutend kleiner sein, als die Geographen nach Cooks Umsegelung annehmen, der Südpol ist offenbar viel leichter zu erreichen als der Nordpol und wird trotz Cooks Prophezeiung nicht ewig unentdeckt bleiben! Weddell hat den Weg zu ihm gefunden! Warum ist er nur nicht gleich am 27. Januar schon weiter nach Süden vorgestossen! Dann wäre es ihm gewiss beschieden gewesen, das grosse Geheimnis des Südpols aufzuklären. Hier, mitten in dem weit offenen ersten Tor zur Antarktis, muss er umkehren! Die Matrosen haben für Entdeckungsreisen keinen Sinn, sie wollen Land sehen und Pelzrobben, denn ein Teil der Ladung ist ihr Gewinn. Viele Leute schon spüren rheumatische Schmerzen, Anzeichen des Skorbuts; die Lebensmittel gehen auf die Neige, er kann das Leben seiner Gefährten nicht aufs Spiel setzen einem geographischen Rätsel zuliebe, das er mit seinen kümmerlichen Instrumenten doch nicht so exakt wird lösen können, wie die Wissenschaft es verlangt. Die Tage werden schon bedenklich kürzer. Obendrein weht scharfer Südwind, der ein Vorwärtskommen erschwert, aber für die lange Heimfahrt unschätzbar ist. Also entschliesst sich Weddell schweren Herzens zur Umkehr. „Um der Mannschaft“, erzählt er in seinem Reisebericht, „durch Anerkennung ihres Verdienstes wieder Mut zu machen, lobte ich ihre Ausdauer und ihr ordentliches Betragen und eröffnete ihr, dass wir viel weiter nach Süden gelangt seien als irgendein Seefahrer jemals vor uns. Die Flaggen wurden gehisst, eine Kanone gelöst, und die Mannschaft beider Schiffe rief dreimal ‚Hurra‘. Dieser festliche Augenblick nebst dem gehörigen Quantum Grog vertrieb ihren Unmut und flösste allen neue Hoffnung für die Zukunft ein.“ Der neuentdeckte Meeresteil erhält den Namen König-Georg-IV.-Meer. — Das Glück, das den kühnen Kapitän bis dahin begleitete, bleibt ihm auch auf der Heimfahrt treu; der Südwind trägt seine Schifflein pfeilschnell bis über den Polarkreis, und wenn die Zone des Treibeises und der Eisberge auch noch einen stürmischen Kampf kostet, bei dem der kleine Kutter am 5. März vom Hauptschiff getrennt wird, so treffen doch beide am 12. März glücklich in Südgeorgien ein, wo sich die zahlreichen Skorbutkranken erholen. Von da segelt Weddell am 17. April nach den Falkland-Inseln; dort überwintert er, um im nächsten Sommer nachzuholen, was im vorigen versäumt wurde. Aber diesmal sind die Süd-Shetland-Inseln so von Packeis belagert, dass die Schiffe nicht die Küste erreichen. Er kehrt nach Kap Hoorn zurück und verbringt den Winter in Feuerland. Der kleine Kutter unter Kapitän Brisbane aber macht sich im Dezember nochmals auf den Weg und kommt mit einer so reichen Beute an Fellen zurück, dass auch der geschäftliche Ertrag dieser Expedition, die durch einen glücklichen Zufall und durch den Wagemut des Anführers ein wissenschaftlicher Erfolg von grösster Bedeutung geworden ist, nicht allzusehr hinter den berechtigten Erwartungen der tüchtigen Mannschaft zurückbleibt.

Man sollte meinen, die Geographen Europas machen einen Luftsprung, als sie 1825 Weddells schmucklosen und gerade dadurch überzeugenden Reisebericht lesen, aber da regt sich nichts. England hat mit Australien, der Südsee und Kanada alle Hände voll zu tun, und seine grossen Polarforscher John und James Ross, Parry, Franklin usw. nehmen ausschliesslich den arktischen Teil Nordamerikas mit Wucht in Angriff. Die Antarktis, so weit entfernt, bleibt einstweilen den Wal- und Robbenfängern preisgegeben, die ja bewiesen haben, dass sie recht tüchtige Roharbeit leisten und der systematischen Forschung manchen Stein aus dem Wege räumen; ihre etwas wirren und groben Kartenskizzen wird früher oder später die Wissenschaft schon ins reine zeichnen. Mit den Aufklärungsarbeiten soll man teure Expeditionen nicht belasten; für sie ist die Gewinnsucht der beste Vorspann, und wenn sich noch mehr so tapfere Draufgänger finden wie Weddell, übersieht die englische Admiralität besser, wo sie später erfolgversprechend anzusetzen hat. Da ist in London die grosse Reederei Charles Enderby, die sucht stets solche Leute, die für Wal- und Robbenfang neue Gebiete erschliessen; sie schärft ihren Kapitänen ein, sich keine Gelegenheit zu Landentdeckungen entgehen zu lassen, versieht sie mit den dazu nötigen nautischen Instrumenten und rechnet nicht kleinlich nach, wenn auf solchen mehr Entdeckungs- als Beutezügen die Ladung an Fellen und Tran einmal spärlich ausfällt und kaum die Unkosten deckt. Doch solche Leute, die geschäftliche Umsicht mit wissenschaftlicher Vorbildung und persönlichem Mut vereinen, sind selten. Einmal aber tut Enderby einen besonders glücklichen Griff. Am 14. Juli 1830 verlassen zwei kleine Schiffe den Hafen von London, die Brigg „Tula“ von 148 und der Kutter „Lively“ von 70 Tonnen; Führer der Expedition ist Kapitän John Biscoe, den Kutter befehligt Kapitän Smith, der Entdecker der Süd-Shetland-Inseln, deren Küsten längst so ausgeplündert sind, dass es sich kaum mehr lohnt, dahinunter zu gehen. Den beiden erfahrenen Kapitänen wird es hoffentlich gelingen, irgendwo in den antarktischen Meeren neue Fangplätze auszukundschaften. Die Schiffe segeln zunächst nach den Falkland-Inseln und von da nach Osten. Seit 1762 haben spanische Schiffe dortherum dreimal Land gesichtet, die Aurora-Inseln; auch Weddell hat ihnen schon nachgespürt, aber vergeblich, und Biscoe geht es ebenso. Er steuert deshalb auf die Sandwich-Inseln zu, in deren Süden ihn aber das Eis nicht durchlässt. Er fährt nördlich um sie herum und dann nach Südosten, passiert am 21. Januar 1831 in fast eisfreiem Wasser den Polarkreis und erreicht am 1. Februar seine höchste südliche Breite, 69° 25′ auf 13° ö. L.; etwas weiter östlich hat Bellingshausen elf Jahre vorher seinen ersten Vorstoss nach Süden gemacht und ist auch nicht weiter gekommen. Zahlreiche Vögel und die Farbe des Wassers deuten auf nahes Land; in den folgenden Tagen wiederholen sich diese Anzeichen, aber Biscoe muss am 4. Februar dem schweren Packeis ausweichen und bis an den Polarkreis zurückgehen. Die beiden kleinen Schiffe leisten Wunderbares, denn auf dieser ganzen Strecke treiben Ostwind und Strömung ihnen die Eismassen stets entgegen. Am 19. Februar erreichen sie genau die Stelle, wo im Januar 1773 eine Eismauer Cook Halt gebot und Bellingshausen noch früher nach Norden zurückgehen musste. Biscoe aber glückt es, sich von hier an einige Tage nahe dem Polarkreis zu halten, und er sieht nun, wie die Eismauer nach Osten hin langsam höher wird, 30, 35 Meter und mehr. Sie ist die Steilküste eines Landes, das am 25. Februar in 66° 2′ s. B. und 43° 54′ ö. L. sichtbar wird und am 27. (in 65° 57′ s. B. und 47° 26′ ö. L.) zu gewaltigen Bergrücken aufsteigt, deren schwarzfelsige Gipfel aus dem weissen Schnee gespenstisch hervorragen. Bei den Versuchen, durch den 40 bis 60 Kilometer breiten Eisgürtel, der das Land umgibt, bis zu seiner Küste vorzudringen, überrascht die beiden Schiffe ein schwerer Sturm; die „Tula“ wird 240 Kilometer nach Westen zurückgetrieben. Dennoch gelingt es Biscoe, noch einmal in Sicht des Landes zu kommen, zahlreiche Skorbutfälle an Bord aber zwingen ihn, schleunigst nach Norden zu gehen. Als er in Hobart auf Tasmanien am 7. Mai ankommt, sind zwei Matrosen gestorben und die übrigen so krank, dass die „Tula“ nur von ihren drei Offizieren, einem Matrosen und einem Schiffsjungen in den Hafen gesteuert wird. Dennoch hat sich Biscoe noch bis zum 81. Längengrad innerhalb des 60. Breitengrades behauptet. Den Kutter hat Kapitän Smith nach Port Phillip an der Südküste Australiens retten können; im August trifft auch er in Hobart ein.

Am 10. Oktober gehen beide wieder unter Segel, zunächst auf Robbenfang nach Neuseeland und westlich davon an den Chatham- und Bounty-Inseln, aber was sie dort erwischen, lohnt kaum den Aufenthalt, und an neuen Fangplätzen haben sie noch nicht einen gefunden. Vielleicht winkt ihnen auf der andern Seite der Antarktis mehr Glück. Also steuern sie am 4. Januar 1832 nach Südosten, und aus der geschäftlichen Erkundungsfahrt wird die dritte Weltumsegelung im antarktischen Südmeer, nur dass Biscoe vom Glück weit stärker begünstigt ist als seine beiden Vorgänger Cook und Bellingshausen. Er hat die erste unzweifelhafte Landküste am Südpol gefunden, nach seinem Auftraggeber nennt er sie Enderby-Land, und der zweite Teil der Fahrt beschert ihm eine noch viel wichtigere Entdeckung. Am 14. Februar ist er schon auf dem Meridian von Feuerland, und am 15. segelt er auf eine hohe Insel zu, der er den Namen der Königin Adelaide von England gibt. Daran schliesst sich eine ganze Kette weiterer Inseln, die seitdem als Biscoe-Inseln auf den Karten der Antarktis stehen. Im Hintergrund dieser von Eis blockierten Inseln aber zeichnen sich die gewaltigen Umrisse eines hohen Festlandes ab, das sich weiter östlich nach Norden in den Ozean vorschiebt, wie Biscoe wenigstens glaubt; denn das Eis lässt ihn nicht so nahe heran, dass er festzustellen vermag, ob diese ungeheuren Landmassen ein zusammenhängendes Ganzes bilden oder sich in einen Archipel grosser Inseln auflösen, was sich erst zweiundvierzig Jahre später offenbart. An der Westecke dieser vermeintlichen Festlandküste findet Biscoe eine grosse Bucht, die von zwei hohen Bergen überragt wird, dem Mount William und dem Mount Mowerby; die Lage des ersteren stellt er mit 64° 45′ s. B. und 63° 51′ w. L. richtig fest. Er landet am Strande dieser Bucht und betritt als erster eine Küste in diesen Breiten. Dem ganzen Landkomplex gibt er den Namen des damaligen Chefs der englischen Admiralität, und Graham-Land spielt von nun an in der Geschichte der antarktischen Forschung eine Hauptrolle. — Von da segelt Biscoe nach den Süd-Shetland-Inseln, wo der Sturm die „Tula“ auf die Küste wirft; ihr Steuer zerbricht, dennoch gelingt es dem Kapitän, wieder flott zu werden und die Falkland-Inseln zu erreichen. Dort scheitert der Kutter „Lively“, die Mannschaft aber wird gerettet.

Die ausserordentlichen Erfolge Biscoes, dem an einwandfreien Entdeckungen mehr gelungen ist als allen bisherigen Forschern in der Antarktis zusammen, erregen mit Recht grosses Aufsehen, und die Geographischen Gesellschaften von London und Paris erkennen ihm ihre grosse goldene Medaille zu. Auch das Haus Enderby ist stolz auf diesen Kapitän und rüstet gleich zwei neue Schiffe aus, mit denen er seine Entdeckungsreise fortsetzen soll; ein Vertreter der Admiralität, Leutnant Rea, wird als Teilnehmer an der neuen Expedition abkommandiert. Daraus ergeben sich anscheinend Streitigkeiten über die Führung des Oberbefehls, Biscoe ist offenbar nicht geneigt, seine Selbständigkeit aufzugeben, und tritt zurück. Irgendein Neuling übernimmt sein Amt und fährt so tollkühn drauflos, dass schon auf der ersten Etappe das Schicksal dieser zweiten Expedition besiegelt ist. Eines der beiden Schiffe wird bei den Süd-Shetland-Inseln vom Eis zermalmt, das andere entgeht nur mit knapper Not dem Verderben.

Es sind nur dürftige Runenzeichen, die sich bisher auf der weissen Karte der Antarktis als Landkonturen abzeichnen. Im Januar 1833 kommt noch eines hinzu, Kemp-Land östlich von Enderby-Land, das wiederum ein Kapitän dieses Handelshauses gesichtet hat, doch weiss man über dessen Fahrt nichts Näheres. Nun endlich beginnt aber auch die wissenschaftliche Forschung, ihre Aufmerksamkeit dem Südpol zuzuwenden. Weniger die eigentlichen Geographen, die noch gar nicht neugierig darauf zu sein scheinen, welche Geheimnisse sich unter der Eiskappe des Südpols verbergen, wohl aber die Geophysiker, die den rätselvollen Kräften des Universums nachspüren und ihre Rechnungen nicht zum Abschluss bringen können, solange der Posten Südpol noch offensteht.

Sturm auf den Südpol. Abenteuer und Heldentum der Südpolfahrer

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