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9. Charlotte Embden-Heine74
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[Mitteilung ihrer Tochter Maria:] Meine Mutter wurde in einem Kloster erzogen, d. h. sie ging dort in die Schule, die zwar von Nonnen geleitet wurde, welche jedoch aufgeklärt genug waren, den besten Professoren der Stadt den Unterricht für Geschichte, Geographie und Literatur anzuvertrauen.
Professor B. erzählte seinen Schülerinnen eine Geschichte, die sie zu Hause niederschreiben mußten. Nach den Schulstunden setzte meine Mutter sich an die Arbeit, doch soviel sie auch nachdenken mochte, sie konnte sich des Inhalts der Erzählung nicht mehr entsinnen. Mit den Armen auf dem Tische, untätig ins Weite starrend, rollten große Tränentropfen über ihre Wangen, und so fand Heinrich sein Schwesterchen.
„Was gibt’s?“ fragte er.
„Die Geschichte, die ich niederschreiben soll, ist mir entfallen – was soll aus mir werden, wie kann ich morgen vor dem Professor erscheinen – –“ und heftiges Schluchzen verhinderte sie weiterzusprechen.
„Beruhige dich, liebes Lottchen,“ begütigte sie der Bruder, „suche nur dich zu erinnern, von welchem Gegenstande der Lehrer sprach, gib mir eine Andeutung, den geringsten Anhalt, und ich schreibe dir eine prächtige Geschichte.“
Nach einer Stunde brachte er seiner Schwester das Heft; glücklich und vergnügt, von dieser unangenehmen Arbeit befreit zu sein, legte sie es in ihre Schulmappe, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen.
Den folgenden Tag legte sie ihr Heft zu den andern, und nachdem der Lehrer sie alle beisammen hatte, nahm er sie mit nach Hause, korrigierte sie und gab, je nachdem man es verdiente, gute oder schlechte Punkte. Meine Mutter trug das Köpfchen hoch und erwartete gelobt zu werden; doch zu ihrem größten Erstaunen behielt der Lehrer ihr Heft zurück. War die Geschichte zu lang – hatte er sie nicht gelesen?
Nach Beendigung der Lehrstunde ließ der Professor sie rufen. „Wer hat dies geschrieben?“ auf das Heft zeigend.
Ohne Zögern antwortete sie: „Ich!“
„Ich werde weder schelten noch dir Vorwürfe machen,“ sagte er, sie ermutigend, „nur sage mir: Wer hat dies geschrieben?“
Beschämt, eine Unwahrheit gesagt zu haben, nannte sie den wahren Verfasser.
„Dies ist ein Meisterwerk“, rief er aus.
Zwei andere Professoren hatten diesem kleinen Verhör beigewohnt und Professor B. las ihnen den Aufsatz vor. Es war eine grausige Gespenstergeschichte und mit so lebhaften Farben geschildert, daß das kleine Mädchen laut aufschrie...
Professor B. besuchte meine Großmutter und beglückwünschte sie, einen so geistreichen Sohn zu haben, der mit solcher Leichtigkeit ein solches Meisterwerk zustande bringen konnte. Der Knabe wurde gerufen, blieb jedoch kalt bei allen Lobeserhebungen, denn er glaubte nicht etwas Besonderes geschaffen zu haben. Der Lehrer wollte durchaus das Manuskript behalten, allein er bekam nur eine Abschrift.
[Gefunden hat sich dieses jugendliche „Meisterwerk“ bisher nicht.]