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Vorwort

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Neben Goethe ist Heinrich Heine der reichste Sprecher unter allen Dichtern des neunzehnten Jahrhunderts. Der Witz, ein wesentlicher Teil seines Genies, sprudelt am frischesten, saust am schlagkräftigsten in mündlicher Wechselrede. Seit seinem ersten Semester ist seine spitze Zunge bei Gegnern gefürchtet, unter Freunden der Funke im Pulverfaß jugendlichen Übermuts. Das Bonmot ist sein Schrittmacher in der Geselligkeit von Hamburg, Berlin, München und Paris. Sein neuester Schlager hüpft wie ein Feuerwerksfrosch von einer Teegesellschaft in die andere. Freude an der Pointe, oft auch Schadenfreude, verbreiten ihn eilfertig weiter. Wo Heine auftritt, blüht die Anekdote: aus ihrem Samen wuchert üppig die Legende, die schließlich des Dichters Pariser Matratzengruft wie ein Dornröschengestrüpp überwächst. Die letzten acht Leidensjahre diente ihm, neben seinen wenigen neuen Schriften, das Gespräch als wichtigster Vermittler mit der Welt da draußen.

Heines Gespräche sind neben den Briefen die reichhaltigste Quelle zu seiner Biographie. Was da in der Zeitgeschichte „kreucht und fleugt“, alles kommt zur Sprache, und sämtliche „Prominenten“ der deutschen und französischen Literatur treten hier auf, als Helden und Liebhaber, Narren oder Intriganten; jeder hat sein Stichwort, tiefsinnig, übermütig, witzig, boshaft und immer wirksam. Aber – um Napoleons Wort umzudrehen – vom Lächerlichen zum Erhabenen ist nur ein Schritt: der Witz leuchtet wie Höhenfeuer auf Bergen, eine ernste, oft düstere, vielfach unerforschte Gedankenwelt umgibt uns, und aus dem nachgoetheschen Deutschland führen über Gipfel und durch Abgründe die Wege bis in unsere unmittelbare Gegenwart.

Seit dem Beginn meiner jungdeutschen Studien bin ich diesen mündlichen Dokumenten Heinescher Gedankenwelt nachgegangen, und das Ergebnis einer langjährigen Sammelarbeit lege ich in diesen „Gesprächen mit Heine“ vor. Mein Ziel war Vollständigkeit, soweit dieser Begriff auf geschichtliche Forschung überhaupt anwendbar ist und der immer schwieriger werdende wissenschaftliche Verkehr mit in- und ausländischen Bibliotheken, Archiven, Hütern und Besitzern literarischer Nachlässe usw. ihn überhaupt noch zuläßt. Die „Gespräche mit Heine“, das erste Quellenwerk seiner Art, stellen sich als ein, ich glaube sagen zu dürfen, wichtiger Ergänzungsband neben die Sammlungen seiner Werke und Briefe. Diese Einreihung schaltete von selbst die Wiederholung alles dessen aus, was in jenen Sammlungen bereits zu finden ist; Heines eigene, ausführliche Niederschriften über seine Gespräche mit Ludwig Börne z. B. lassen sich aus seiner bekannten Schrift über Börne nicht herausschälen, ohne einen fast vollständigen Abdruck jenes Buches zu geben; statt dessen biete ich hier die nicht weniger belangreichen Aussagen des Gegners zum erstenmal in ihrem ursprünglichen Wortlaut, und in den Briefen verstreute Gesprächfragmente und Anekdoten wurden nur dann herangezogen, wenn sie zur Kommentierung fremder Berichte dienen mußten. Lag doch eine solche Fülle unentbehrlichen, bekannten und unbekannten Stoffes vor, daß jede unnütze Wiederholung allgemein zugänglichen Textes sich von selbst verbot. Nur so war es möglich, die in Betracht kommende umfangreiche, oft überaus schwer erreichbare Heine-Literatur gleichsam in einer Nuß zu geben, und ohne die vorbildliche Unterstützung seitens der Düsseldorfer Landes- und Stadtbibliothek, deren Direktor, Herr Dr. Nörrenberg, mir bei längerer Benutzung der dortigen einzigartigen Heine-Bibliothek jede Erleichterung zuteil werden ließ, wäre mein Ziel annähernder Vollständigkeit eine Illusion geblieben. Wenn diesem Buch einiges Verdienst um die Heine-Forschung zugeschrieben werden sollte, so darf ich vorab einen Teil dieser Anerkennung als Zeichen meines Dankes Herrn Dr. Nörrenberg überweisen, dessen pietätvolle und unermüdliche Sorgfalt die Düsseldorfer Heine-Sammlung geschaffen hat – das unanfechtbarste aller Denkmäler.

Das Ziel möglichster Vollständigkeit in der Wiedergabe der hier gesammelten Dokumente ist gerade Heine gegenüber eine Notwendigkeit, denn es handelt sich um einen Dichter, dessen Charakterbild in der Geschichte noch immer hin und her schwankt, von der einen Seite ebenso hoch erhoben wie von der anderen herabgezerrt wird. Jede Auswahl des Stoffes kann nur von bestimmten, vorher festgelegten Gesichtspunkten ausgehen und verfällt damit, bewußt oder unbewußt, einer Tendenz. Gegen diese Gefahr schützt allein das Streben nach Vollständigkeit, die Mitteilung alles Erreichbaren, ohne Rücksicht darauf, wie weit es im Streit der Meinungen über Heine der einen oder anderen Partei dienlich sein könnte. Wenn strenge Objektivität überhaupt etwas Menschenmögliches ist – in einer solchen Dokumentensammlung muß und kann sie walten. Ich habe mich daher auch in der Kommentierung der oft sich widersprechenden Berichte durchaus auf das rein Sachliche beschränkt, auf solche Widersprüche hingewiesen oder sie aufzuklären versucht und im übrigen nur den biographischen Faden fortgesponnen. Die weitere Ausbeutung des hier zusammengetragenen Materials muß der Einzelforschung überlassen bleiben; ihr hofft mein Buch als Handwerkszeug zu dienen.

Das Quellenverzeichnis am Schluß des Textes (S. 1079) weist die Herkunft sämtlicher Dokumente genau nach. Sie scheiden sich in gedruckte und handschriftliche. Daß längst Gedrucktes keineswegs immer als bekannt anzusprechen ist, besonders wenn es sich um Zeitschriftenliteratur oder gar Tageszeitungen handelt, weiß jeder Fachkollege, und so ist mir mancher Fund gelungen, den die Wünschelrute der Heine-Forschung bisher nicht aus seinem Versteck ans Licht gezogen hat. Daß unter den 228 aufgeführten Quellen 21 sind, die bisher völlig unbekanntes Material aus zahlreichen ungedruckten Briefwechseln Heinescher Zeitgenossen zutage fördern, darf ich wohl als ein willkommenes Ergebnis meiner Sammelarbeit hervorheben. Hier erwies sich wie stets Varnhagen von Enses Nachlaß als unerschöpflich; meine Kenntnis dieser Papiere geht noch in die Zeit zurück, da ich das Register zu seinen Tagebüchern, wie sie im Druck vorliegen, ausarbeitete, dazu die Originalhandschrift verglich und für mein „Bibliographisches Repertorium“ in Varnhagens weitschichtigem Briefwechsel neue Kunde für die Zeitschriften der Romantik und des Jungen Deutschlands suchte und fand. Der Verwaltung der Preußischen Staatsbibliothek Berlin, der Direktion ihrer Handschriftenabteilung, Herrn Prof. Dr. Degering, schulde ich für die uneingeschränkte Hergabe dieser Briefschaften wärmsten Dank; ebenso Herrn Prof. Dr. Strubell in Dresden und Herrn Prof. Dr. Ludwig Levin Schücking in Breslau für Mitteilung von mir erbetener Stücke aus dem endlich aufgetauchten Nachlaß Gustav Kühnes und dem Schückingschen Familienarchiv. Mein eigenes literarhistorisches Archiv bot ebenfalls mancherlei Ausbeute. Durch Übermittlung von Kopien in Deutschland nicht erreichbarer Druckschriften verpflichteten mich das Britische Museum in London (Herr Kustos R. F. Sharp) und die Nationalbibliothek in Wien.

Die Reihenfolge der Gespräche mit Heine, wie ich sie hier zusammengestellt habe, konnte nicht anders als chronologisch sein. Nicht nur mit Rücksicht auf den berechtigten Wunsch jedes Lesers nach stofflicher Abwechslung, sondern vor allem im Sinne des ganzen Buches. Diese Anordnung ermöglicht und belebt erst die vergleichende Kritik; das Gleichartige trifft zusammen, bestätigt und ergänzt sich gegenseitig, der eine Berichterstatter korrigiert oder widerlegt über denselben Vorgang den andern, Klatsch und Lüge verraten sich selbst, und die Wurzeln späterer Legenden liegen bloß. Um diese, für die Forschung wichtige Gegenüberstellung gleichartiger oder zusammengehöriger Dokumente zu ermöglichen, mußten die als Quellen dienenden umfangreichen Heine-Erinnerungen in Einzelgespräche zerlegt werden. War deren zeitliche Bestimmung nicht schon durch den Berichterstatter selbst gegeben, dann bot Heines Briefwechsel (in der dankenswerten Ausgabe von Fr. Hirth) vielfach zuverlässige Anhaltspunkte oder auch Berichtigungen falsch überlieferter Daten. Nicht immer war die Frage: Wann fand das Gespräch statt? einwandfrei zu beantworten; oft schieben sich mehrere Gespräche übereinander, ein späteres umrahmt ein früheres usw. In vielen Fällen blieb daher die Datierung ungewiß, und hinter den Jahreszahlen erscheinen Fragezeichen, wenn aus der Heine-Literatur kein zuverlässiger Nachweis zu gewinnen war. Berichte, die gelegentlich Gehörtes zeitlos zusammenfassen, habe ich da untergebracht, wo sie aus äußeren oder inneren Gründen am besten hinzupassen schienen; darüber mögen in Einzelfällen die Meinungen auseinandergehen. Fingierte (und als literarische Fiktionen sich bekennende) Gespräche, deren sich einige bei Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ferdinand Hiller, Philibert Audebrand und andern finden, kamen für meine Sammlung nicht in Betracht; ebensowenig die Phantasien des Spiritisten Johannes Bánfy. Offenbare Fälschungen habe ich nicht ganz übergangen, besonders dann nicht, wenn ihre Einreihung in den Zusammenhang den Nachweis der Erfindung ergab.

So hat sich eine Folge von 825 Gesprächen ergeben, die mit laufenden Nummern versehen sind. Am Kopf jedes Gespräches steht der Name dessen, der als Besucher oder Berichterstatter unmittelbar in Frage kommt oder mittelbar zu gelten hat. Erzählt beispielsweise Heines unzuverlässige Nichte Maria Embden, die spätere Fürstin della Rocca, Jugenderinnerungen des Dichters, so dürfen als eigentliche Gewährsleute ihre Mutter Charlotte oder ihre Großmutter Betty Heine angenommen werden. Oft genug geht aber auch die Tradition von Hand zu Hand, ehe sie einen literarischen Niederschlag findet; der wirkliche Zeuge bleibt mit und ohne Absicht anonym; in solchen Fällen mußte einfach der Erzähler verantwortlich zeichnen, auch wenn er weder der Besucher noch der ursprüngliche Berichterstatter war oder sein konnte. Nicht selten ist die Frage: Wer war hier der Besucher? gar nicht zu beantworten.

Die kleinen hochstehenden Ziffern hinter den Namen am Kopf jedes Gesprächs verweisen auf die laufenden Nummern des Quellenverzeichnisses. –

Die Behandlung der gedruckten Quellen erfordert noch eine nähere Aufklärung. Die meisten dieser Berichte über Besuche bei und Gespräche mit Heine erschienen zuerst in Zeitschriften oder Zeitungen, von Druckfehlern wimmelnd, vielleicht von der Redaktions- oder Zensurschere zerfetzt, von irgendeinem Anonymus überarbeitet. Solche Texte wurden nur im Notfall zugrunde gelegt, wenn ein zweiter Druck nicht existiert, oder in gewissen Ausnahmefällen, die im Quellenverzeichnis motiviert sind. Lag der Text in späterer Buchform vor, dann wurde deren Wortlaut wiedergegeben; die Buchtexte sind ja in der Regel von ihren Verfassern korrigiert, oft ergänzt und erweitert, und dürfen daher als zuverlässiger gelten. Immer aber wurde die erste Druckform, von wenigen unerreichbaren abgesehen, mit der zweiten verglichen. Das erwies sich besonders dann als unerläßlich, wenn zwischen dem ersten und zweiten Druck eine längere Zeitspanne lag, in der Anschauungen wechseln, frühere falsche Angaben sich durch bessere Kenntnis berichtigen, alte Freundschaften zersplittern und Feindschaften entstehen konnten, die gewisse Züge in anderm Lichte sahen. Solche Unterschiede der Lesart sind im Quellenverzeichnis genau nachgewiesen; im Text sind die betreffenden Stellen durch unauffällige Sternchen * gekennzeichnet; solch ein Sternchen hinter einem Einzelwort oder vor und hinter einer Wortgruppe bedeutet also, daß der erste Drucktext oder eine noch spätere dritte Redaktion andere Wendungen enthält, die unter den entsprechenden Quellen- und Gesprächnummern in dem angehängten Verzeichnis angegeben sind. Dort ist auch alles gesagt, was mir bei kritischer Betrachtung gewisser Quellen aufgefallen ist. Nur bei den durch Adolph Stahr und Fanny Lewald überlieferten Gesprächen waren die Abweichungen so bedeutend, daß es angebracht erschien, den Wortlaut der letzten Redaktion in den der ersten hineinzuarbeiten, wobei einige Wiederholungen unvermeidlich waren. Und bei Heinrich Laubes widerspruchsvollen Heine-Erinnerungen blieb nichts anderes übrig, als sie ihrer Entstehungszeit entsprechend aufeinander folgen zu lassen. An jenen Sternchen kann also der Leser, der für Varianten kein Interesse hat, achtlos vorübergehen. Was sich bei Vergleichung der Lesarten als offenbarer Druckfehler erwies, ist stillschweigend verbessert oder blieb unberücksichtigt. Ergänzungen, Erklärungen und Berichtigungen, die zum Verständnis des Textes notwendig waren, sind in den Text selbst eingeschoben und durch eckige Klammern [] als Zutat des Herausgebers kenntlich gemacht; umfangreichere Erläuterungen, die der zeitlichen Bestimmung oder der Kritik einzelner Gespräche dienen, sind an die entsprechenden Abschnitte, ebenfalls in eckigen Klammern, angehängt, vermitteln auch in einigen Fällen den Übergang zum nächsten Gespräch. Sternchen mit Klammer – *) – verweisen auf Anmerkungen am Fuß der Druckseite, wenn diese Anmerkungen zum Originaltext gehören. Zahlen mit Klammern – 1) usw. – sind Anmerkungen des Herausgebers, die ganz vereinzelt zur Kritik gewisser Angaben sofort nötig erschienen, in den Text selbst sich aber nicht einfügen ließen. Drei Punkte ... bedeuten, daß der Originaltext hier gekürzt ist; was dastand, hatte mit Heine überhaupt nichts zu tun oder doch nichts mit dem zufälligen Gespräch; was nur irgendwie beachtlich erschien und als Echo Heinescher Worte gelten konnte, habe ich stehenlassen, selbst auf die Gefahr mancher Wiederholungen hin, besonders in der Schilderung der Persönlichkeit des Dichters und seines Milieus.

Die fremdsprachigen Texte schließlich habe ich, von vereinzelten leicht verständlichen Sätzen abgesehen, in deutscher Sprache wiedergegeben. Wo autorisierte ältere Übersetzungen vorlagen, habe ich diese zugrunde gelegt, in allen übrigen Fällen die Übertragung aus dem Französischen, Englischen und Dänischen selbst vorgenommen. Mein Buch wendet sich ja nicht an den kleinen Kreis der Gelehrten, sondern soll jedem Freund Heines oder der Literatur überhaupt in allen Teilen verständlich sein. Von diesen fremdsprachigen Quellen bot das Buch von Alexander Weill, „Souvenirs intimes de Henri Heine“ (1883), weitaus die größten Schwierigkeiten, dieses begreiflich erscheinen lassen, daß dieses in Frankreich erfolgreiche Buch in der Heimat des Dichters so gut wie unbekannt ist und selbst bei den Heine-Forschern einem Vorurteil begegnet, das mir nicht gerechtfertigt erscheint; es ist kein Pamphlet und seine Schilderung Mathildes keine boshaftwitzige Karikatur, sondern ein Porträt mit allen Merkmalen drastischer Lebenswahrheit. Bei der Übersetzung Weills, der in geistreichen Bonmots und Pointen Heine selbst zu überbieten sucht, unterstützte mich in dankenswerter Weise ein jüngerer Studienkollege, Herr Dr. Karl Wolf in Hannover, Verfasser einer Dissertation über Gustav Kühne.

Die Ausarbeitung des Registers übernahm Herr Felix Hasselberg in Berlin; alle Benutzer meines Buches werden ihm dafür ebenso Dank wissen wie der Herausgeber.

Berlin, im Herbst 1925

Prof. Dr. H. H. Houben

Gespräche mit Heine

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