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3. Betty Heine88
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[Mitteilung ihrer Enkelin Maria:] Eines Tages – es war ein heißer Sommertag – studierte Heine in seinem Zimmer bei offenen Fenstern. Die Sonne schien so warm, und die hellen Strahlen liebkosten seine braunen Locken. Die Hitze wurde unerträglich. Harry legte die Feder beiseite, klappte seine Bücher zu und schritt nachdenkend zum Fenster. Sehnsuchtsvoll blickte er hinaus ins Freie. Plötzlich kam ihm der Gedanke, auf das Gesims des Fensters zu klettern und sich außerhalb desselben der Länge nach hinzustrecken. Gesagt, getan. Die Hitze überwältigte ihn, und er schlief ein.
Seine Gedanken, seine Träume führten ihn in das Reich der Phantasie, und unruhig wandte er sich zur Seite. Das Gesims war nur zwei Fuß breit, und mit Schrecken beobachteten die Vorübergehenden den schlafenden Knaben. Man benachrichtigte die Mutter, die händeringend auf die Straße eilte. Federbetten wurden ausgebreitet, Kissen und Decken herbeigeholt, denn man befürchtete das Kind könne jeden Augenblick auf die Straße fallen und sich den Kopf zerschmettern! Ihn wecken? Unmöglich; die leiseste Berührung konnte ein Unglück herbeiführen; man fürchtete ins Zimmer zu treten: das Geräusch der knarrenden Tür hätte ihn wecken können. Beobachtend standen die Leute auf der Straße und starrten zum zweiten Stock hinauf. – Jetzt bewegt er einen Arm – – hieß es, und die katholische Bevölkerung schlug ein Kreuz. Jetzt wandte er den Kopf – – die arme Mutter war nicht mehr Herr ihrer Sinne, und trotz aller Mahnungen wollte sie hinauf zu ihrem Sohn, um ihn zu retten oder mit ihm hinunterzustürzen.
Ängstlich, mit klopfendem Herzen stieg sie die Treppe hinauf – sie legte die Hand ans Schloß – es glückte, sie öffnete leise die Tür. Mit verhaltenem Atem stand sie auf der Schwelle. Leise zog sie die Schuhe aus und schlich ans Fenster. Unten staunte die Menge regungslos.
Sie streckte den Arm aus – sie wagte nicht, ihn zu umfassen – sie erhob den Blick gen Himmel, als ob sie dort oben um Hilfe flehte. – Mit festem Arm zog sie den Knaben an sich, durchs Fenster hinein, an ihre klopfende Brust.
Unten jauchzte das Volk und schrie: „Es lebe Madame Heine! Hoch!“
„Mutter, warum wecktest du mich? Engel umgaben mich, ich träumte, in einem Zauberhaine zu sein, Vögel sangen liebliche Melodien, und ich dichtete die Worte dazu.“
„Bist du mir böse?“ fragte er die weinende Mutter, deren Angst sich endlich in Tränen auflöste. Sie konnte weder schelten noch strafen, sondern küßte ihn innig. Zugleich wurde das Bewußtsein in ihr wach, daß das Kind zum Dichter geboren sei.
Meine Großmutter hat uns diese Begebenheit oft erzählt.