Читать книгу Gespräche mit Heine - Heinrich Hubert Houben - Страница 199
195. Ludolf Wienbarg49
ОглавлениеFrühjahr 1830
Der Ursprung meiner persönlichen Bekanntschaft mit ihm [Heine] datiert etwas vor dem Ausbruch der Julirevolution, und noch eine geraume Zeit nachher bis zu unserer beiderseitigen Abreise genoß ich die Reize seines Umgangs, sei’s im Buchladen seines Verlegers, sei’s im sogenannten Damenpavillon auf dem alten Jungfernstiege, oder auf Spaziergängen und in seiner Wohnung. In wessen Erinnerung wird nicht das erste Zusammentreffen mit Heinrich Heine unvergeßlich sein?... Um aufrichtig zu sein, muß ich sagen, daß der Kreis, in dem ich lebte, nicht eben von Heine erbaut war. Man hielt ihn dort für einen ausgezeichneten dichterischen Jongleur, man zweifelte zumal an der Wahrheit seiner Empfindungen und Erlebnisse in bezug auf die Liebe, und es ging auf seine Kosten folgender boshafter [1828 im „Gesellschafter“ erschienene] Vers [von Wilhelm Neumann] um:
Den Gärtner ernährt sein Spaten,
Den Bettler sein hölzernes Bein,
Und ich, ich ernte Dukaten
Für meine Liebespein.
Ohne dergleichen Vorurteile in mich aufzunehmen, hielt ich mich an die poetische Totalwirkung, an die ganze Erscheinung des Dichters, die der damaligen Jugend allerdings neu, aber nicht unvorbereitet war. Mehr als man gewöhnlich in Anschlag bringt, war Goethes Faust in die gebildete Welt eingedrungen, für jede neue Schüler- und Studentenjugend eine poetische Bibel, die vom Trivialen fernhielt, hohe und trotzige Prometheusideen nährte und einer kecken Art, das Leben zu fassen und zu genießen, zugunsten sprach. Wohl waren mir aus jener Periode, die ich meine, geistig höhere und schwungvollere Gestalten im Leben bekannt geworden als Heinrich Heine; aber keiner, der durch dichterische Gaben und eminentes ästhetisches Bewußtsein dem Schöpfer des Faustgedichts näherstand, und der auf seinem Gebiet, das heißt auf einem minder ideellen, vom mannhaften Ringen mit den Problemen des Lebens und der Wissenschaft wenig Kunde gebenden, mehr Faust-Mephistopheles in seiner Person gewesen wäre als eben Heinrich Heine...
Unter dem Einfluß dieser Analyse hatte ich mir auch eine Vorstellung von seiner äußeren Person gebildet und war nicht eben überrascht, als die erste Begegnung statt einer feurigen, kräftigen, burschikosen mir eine feine, stille, vornehme, freundliche Gestalt vor Augen führte.
Damals war der Dichter, ohne mager zu sein, nichts weniger als fett, was er erst später, nach der Verdauung so vieler satyrischer Opfer und an der Seite seiner Mathilde wurde. Er trug sich sauber, doch einfach; Pretiosen habe ich nie an ihm gewahrt. Ein schönes, weiches, dunkelbraunes Haar umgab sein ovales, völlig glattes Gesicht, in welchem eine zarte Blässe vorherrschte. Zwischen den einander genäherten Wimpern seiner wohlgeschlitzten, mehr kleinen als großen Augen dämmerte für gewöhnlich ein etwas träumerischer Blick, der am meisten den Poeten verriet, in der Anregung drang ein heiteres, kluges Lächeln hindurch, in das sich auch wohl ein wenig Bosheit schlängeln konnte, doch ohne einen stechenden Ausdruck anzunehmen. Faunisches war nicht in ihm und an ihm. Die ziemlich schwache Nasenwurzel verriet, physiognomischen Grundsätzen zufolge, Mangel an Kraft, Großheit, auch mochte die mäßig gebogene Nase nach unten etwas schlaff abfallen. Die faltenlose Stirn leicht und schön gewölbt, die Lippen fein, das Kinn rundlich, doch nicht stark. Das „böse Zucken“ der Oberlippe war ihm offenbar nur eine Angewöhnung, kein Zeichen der Menschenverachtung und des Lebensüberdrusses... Sein Gang, seine Bewegungen waren in der Regel eher langsam als schnell... Dennoch widerfuhr es ihm mal, als er in Gesellschaft einer Dame über den Wall spazierte, von einem schnurrbärtigen, in eine Polonika gekleideten Herrn angerannt zu werden; statt Entschuldigung suchte dieser auf brutale Weise Streit mit ihm. Heine, der leicht den Argwohn faßte, als schickten ihm seine Feinde dergleichen Strolche auf den Hals, überreichte ihm stolz seine Karte und bat sich die seinige aus. Es war indes nicht so ritterlich gemeint. Auf der Polizei fand sich, daß der Mensch ein fremder Abenteurer war, auch mußte derselbe plötzlich Hamburg und das Gebiet verlassen. Heine erzählte mir die Geschichte auf der Stelle, wo sie passierte. Ich konnte ihm nur recht geben. Daß es ihm nicht an Mut fehle, war eine Versicherung, die häufig, auch in seinen Schriften, vorkam, wo er seiner Duelle in den Studentenjahren erwähnt.