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196. Ludolf Wienbarg50

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Frühjahr 1830

Im Sommer [richtig wohl: Frühjahr] 1830 mit Heinrich Heine in Hamburg zusammenlebend, erinnere ich mich, eines Morgens früh ihm einen Besuch abgestattet zu haben... Als ich mich an seine leichte Seite auf dem Sofa niedergelegt, erinnerte mich der erste Blick auf die umgebenden Gegenstände sehr lebhaft an den Goetheschen Zugvogel, der nirgends seines Bleibens findet, ein offener Reisekoffer, zerstreute Wäsche, zwei oder drei Bändchen aus einer Leihbibliothek, ein Paar elegante Stöckchen mit kaum verwischten und abgeglätteten Spuren sorgfältigen Einpackens, und vor allem das Männchen selber; denn obwohl er bereits einige Monate die Hamburger Luft atmete und in einem anständigen Bürgerhause wohnlich eingerichtet war, so schien er mir doch den Anstrich von einem Reisenden zu haben, der erst den Abend vorher vom Postwagen gestiegen und eine etwas marode Nacht im Gasthofe zugebracht. An diesen allgemeinen mobilen Eindruck knüpfte sich ganz natürlich ein Gesprächsthema über Reisen und Wandern, und ich brachte die Reisebilder aufs Tapet, obwohl eigentlich wider meinen feineren Takt sündigend, der mir verbietet, Schriftsteller an ihre Werke zu erinnern. Ich hatte damals meine Studentenjahre noch im frischen Gedächtnis und erzählte ihm, wie ich seine Lieder, die dem ersten Teil der Reisebilder vorausgehen, früher gekannt als dieses Werk selbst, ja sogar früher als den Namen ihres Verfassers. Damit, sagte ich, ging es so zu: Ich kümmerte mich während meiner Studienjahre bitterwenig um die erscheinende neueste Literatur. Madame Schwers in Kiel wird im Folioregister ihrer Leihbibliothek meinen Namen kaum anders als mit der Nummer Goethescher Werke, die ich las und wieder las, auf einer Linie erblicken. Dieses geschah nicht aus Verachtung des Neuesten, denn ich kannte es nicht. Auch nicht aus Prinzip oder übermäßig gelehrtem Eifer, sondern wohl hauptsächlich deswegen, weil ich als Knabe und Gymnasiast schon das allgemeine Lesefieber so ziemlich überstanden, ferner weil in mir durch frühere Versuche und derzeitige poetische Anlässe und Aufregungen der eigene Schöpfungstrieb in voller Blüte stand, und endlich, weil ich zu lebhaften Geschmack und Anteil an der burschikosen Tagesgeschichte nahm, um mich in fremde, fernliegende und noch dazu papierene Phantasiewelten eben sehr neugierig einzudrängen. Dennoch blieb ich von den geheimen interessanten Einwirkungen derselben nicht völlig unberührt. Der Kreis, in dem ich mich bewegte, bestand aus lebhaften und geistreichen jungen Leuten, die sich zum Teil weniger literaturscheu zeigten als ich selber. Auf Spaziergängen nach dem Düsterbrooker und Wiburger Holze und im weinduftigen tiefen Schacht, in den wir des Abends fröhlich hinabfuhren, hörte ich so manchen „göttlichen Witz“, so manche Phrase, „die wahrhaftig auch nicht von Haferstroh“, so manche Lieder und Liederverse rezitieren, daß ich so ungefähr die neue Literaturglocke läuten hörte, ohne sie zu sehen und zu wissen, wo sie hinge. So hörte ich denn auch Ihre Lieder, und zwar die pikantesten, tollsten und frechsten aus dem Munde eines genialen Menschen, der über kurz oder lang einmal in der Welt auftauchen wird. Dabei kam uns der Dichter nur als ehemaliger Göttinger Student in Betracht, und wenn ich ganz den eigentümlichen Eindruck schildern soll, den diese Gedichte auf uns machten, so muß ich bekennen, derselbe bestand auch nur im Einklang mit der altburschikosen Malice auf die Philisterschaft, der nun, wie uns bedünkte, mit so keuschen Liedern ein neuer Stoff zur Ärgernis geboten wurde. – Heine nahm sich bei dieser Erklärung ganz allerliebst. Er drückte sich das rotseidene Taschentuch, das er sich zur Nacht um den Kopf gewickelt, mit beiden Händen an die glatten schwarzen Haare, klagte anfangs, wie gewöhnlich, über Kopfweh, wickelte und zupfte darauf den bunten mephistophelischen Schlafrock in den kühneren Wurf eines Faustmantels um die Schulter und begann mit lächelnder Miene und blinzelnden Augen, aber im trockensten Dozententon mir als einem jungen Scholaren die tiefere welthistorische Bedeutung seiner liederlichen Lieder auseinanderzusetzen. Ich mußte ihm gerade ins Gesicht lachen und blieb demungeachtet ein aufmerksamer Zuhörer. Die Situation war so komisch, daß, wie gleich nachher der taube Lyser ins Zimmer trat, er sich kichernd uns am Tische gegenübersetzte und eine der lustigsten Karikaturen von uns entwarf, wie sie seiner flüchtig geschickten Feder nicht selten ungemein gelingen und die, wie ich glaube, Heine noch gegenwärtig aufbewahrt... Ich stimme gegenwärtig der Heineschen Äußerung vollkommen bei, seine Lieder würden ihn überleben. Ich verstehe das so gut von den märchenhaft tiefen und schönen, als ganz insbesondere von den wilden und unzüchtigen. Das kleinste und schmutzigste Rosenblättchen seiner Liebespoesie, obenauf mit dem verdächtigen Namen und Andenken eines schönen Berliner Kindes, wird tiefer in die Unsterblichkeit hineinflattern, als tausend und abertausend theologische und moralische Fettschwänze dieser Zeit ihnen nachtrippeln mögen.

Gespräche mit Heine

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