Читать книгу Gespräche mit Heine - Heinrich Hubert Houben - Страница 203

199. Johann Peter Lyser119

Оглавление

Frühjahr 1830

... Heine und ich vertrugen uns scharmant zusammen, als wir in Hamburg lebten, und besuchten einander fleißig; den vierten Reisebilderteil schrieb Heine zur größten Hälfte auf meinem Stübchen, weil er dort ungestörter war als in seiner eigenen Wohnung, wo er oft allerlei ungelegenen Besuch bekam. Er ging nicht leicht ans Niederschreiben, saß er aber einmal da, so arbeitete er wacker darauflos, vergaß den Mittag und schrieb, bis es dämmerte, während ich zeichnete. Abends schrieb Heine nie, wogegen ich erst spät abends meine Schreiberei begann, wie es noch meine Gewohnheit ist; die Dämmerungsstunden verbrachten wir aber an solchen Tagen recht gemütlich miteinander – ich kochte Tee und Erdäpfel in der Montur, und Heine spendierte einen holländischen Hering, Zucker und Rum, und so tafelten wir miteinander, schwatzten und lachten bis 9 Uhr, wo er gewöhnlich noch ein Stündchen zu Marr oder in den Alsterpavillon ging; war er eben bei Kasse, so mußte ich mit von der Partie sein, und dann wurde nicht selten „schlampampt“, wobei ich das meiste tat, denn Heine war, was Essen und Trinken betraf, sehr mäßig.

Das währte so den Winter hindurch bis zum Frühling. Da mietete sich Heine eine Wohnung in Wandsbek und schied in übermütigster Laune von mir, dem es gar nicht recht war, daß wir den Sommer so weit voneinander entfernt wohnen sollten.

Jedoch schon nach wenigen Tagen trat eines Morgens eine vierschrötige wandsbekische Lütje-Maid (Kleinmagd) in mein Zimmer und brachte mir ein Billett von Heine mit der dringenden Einladung, ihn doch sobald als möglich in Wandsbek zu besuchen, denn er sei unwohl und langweile sich wie der Mops der Frau Senatorin---, wenn sie zarte Lieder sänge.

Ich sagte zu, am andern Tage hinauszukommen, wenn das Wetter gut sei; und da das Wetter am andern Morgen wirklich herrlich war, so machte ich mich früh auf und schlenderte dem reizend gelegenen Dorfe zu.

Ich war früher noch nie in Wandsbek gewesen, brauchte daher einige Zeit, um den Gasthof aufzufinden, wo Heine logierte. Wie gewöhnlich, hatte Heine sich für vieles Geld ein miserables Logis gemietet: ein hohes, weites, dunkles Zimmer zu ebener Erde, wo man fror, wenn es draußen noch so heiß war, kahle Wände, zwei Stühle, ein altes Sofa, ein zerbrechliches Bett, dafür zahlte Freund Heine per Monat 30 Mark und war sehr verwundert, als ich ihn überzeugte, daß er für 10 Mark eine unendlich komfortablere und gesündere Wohnung in demselben Hause hätte erhalten können. – Er ließ es aber dabei bewenden und begnügte sich damit: den Wirt, der ihn auf so unverschämte Weise geprellt hatte, einen Spitzbuben zu nennen, was dieser um so weniger übelnahm, als Heine noch zwei Monate lang den unerhörten Zins fortzahlte.

Heine, als ich eintrat, lag auf dem Sofa und empfing mich auf die herzlichste Weise. Tee, Zucker, Rum, Butter, Brot, Käse, harte Eier und gesottene Krebse waren im Überflusse auf dem Tische geordnet, die „Lütje-Maid“ erschien, und ich mußte, wie gewöhnlich, den Tee bereiten.

Heine, trotz seines angeblichen Unwohlseins, ließ sich’s an diesem Morgen trefflich munden, und als ich darüber meine Glossen machte, gestand er mir lachend, daß er sich eigentlich nicht unwohl befände und es mir eigentlich nur geschrieben habe, damit ich sicherer kommen und in Hamburg davon reden solle, wo er dann sicher vor andern Besuchen sei.

Ich nahm das für kein Kompliment und es war auch keines. Heine hatte in Hamburg mir schon zu oft bewiesen, daß ihm oft Tage kamen, wo er mit niemandem reden mochte als mit mir, weil ihn im Grunde niemand so verstand als ich – wenn er seine bösen Tage hatte.

„Aber Heine, wie können Sie bei so himmlischem Wetter in diesem kalten, finstern Loche liegen? Genießt man so einen Frühlingsmorgen auf dem Lande, und zwar an demselben Orte, wo der ehrliche Claudius seine Frühlingslieder sang?“

„Claudius? Wer ist das?“

„Asmus, der Wandsbeker Bote!“

„Den kenn’ ich nicht!“

„Natürlich, Sie kennen ja auch Schillers Gedichte nicht.“

„Gewiß! Ich habe sie nie gelesen!“

„Es ist auch soviel nicht dran!“

Heine merkte, daß er mich nicht mehr wie früher damit ärgern könne, wenn er sich stellte, als habe er nichts von Schiller und andern meiner Lieblingsdichter gelesen! Wußte ich’s doch jetzt, daß er oft gerade die am höchsten stellte, die er nicht zu kennen sich das Ansehen gab.

„Aber hier hab’ ich wirklich schöne Gedichte!“ sprach er nach einer Weile, und reichte mir ein elegantes Büchlein hin; es waren Lieder ihm zugeeignet und ganz und gar in seiner Manier geschrieben [Gaudys „Erato“]. – Ich hatte das schon nach den ersten zwei Versen weg, und warf das Buch beiseite, indem ich ausrief: „Wie ist doch die Natur im allgemeinen so schön!“

Heine brach in ein lautes Gelächter aus und schrieb sofort diese Kritik auf das Titelblatt des Buches; dann aber sprach er: „Übrigens habe ich dieser Tage einige Lieder in einem Leipziger Journale von einem Dichter: ‚Hermann Meynert‘ gelesen, die mich frappiert haben; unter allen meinen Epigonen hat keiner so meine Art und Weise getroffen als eben der, und einige dieser Nachbildungen sind wirklich poetisch! – Spaßeshalber: versuchen Sie’s mal hier auf der Stelle, in meiner Manier ein Liedchen zu improvisieren, ein bißchen frivol, denken Sie dabei an die schöne Wantuh und Ihr letztes Abenteuer mit derselben bei [Georg] Lotz, als Madame Lotz nicht zugegen war.“

Ich ließ mich nicht lange bitten und warf ein Liedchen hin, welches die Veranlassung zu einem der anmutigen Lieder Heines wurde, weshalb ich es hier mitteile. Es lautet:

„Magst du dich auch selbst belügen,

Mich belügst du nicht, mein Kind!

Möglich, daß die Küsse trügen,

Wie oft Worte möglich sind.

Nicht entscheid’ ich solche Fragen!

Lüg’ mit Worten, lüg’ im Kuß,

Lüge dreist – ich will’s drauf wagen,

Weil ich dich schon lieben muß.“

Heine las das Lied und sprach rasch: „Nicht übel – bis auf den Schluß, der an Goethes Art und Weise erinnert – warten Sie! So würde ich’s gegeben haben!“ Und er schrieb:

„In den Küssen – welche Lügen!

Welche Wonne in dem Schein! –

Ach, wie süß ist das Betrügen,

Süßer noch: betrogen sein.

Liebchen, wie du dich auch wehrest,

Weiß ich doch, was du erlaubst!

Glauben will ich, was du schwörest!

Schwören will ich, was du glaubst!“

Heine reichte mir das Lied, und als ich es gelesen hatte, drehte ich das meinige zusammen und benützte es als Fidibus, womit ich mir die Zigarre anzündete.

„Wenn ich Sie nicht besser kennte,“ lachte Heine, „würde ich Sie für schrecklich eitel und empfindlich halten, so hab’ ich Sie recht verstanden – mein Lied ist gut, wie?“

„Ja, wahrhaftig!“ –

„Wohl, es soll mit in die neue Ausgabe des Buches der Lieder! Und jetzt wollen wir einen Spaziergang machen; einer besonderen Toilette meinerseits bedarf es nicht.“

Heine machte denn auch keine große Toilette, und bald waren wir draußen in der schönen, freien, sonnigen Luft. – Zu meiner Verwunderung schlug Heine den Weg nach dem Gottesacker ein, wo er einige Worte mit dem Totengräber wechselte und sodann mit mir zwischen den Gräberreihen hinschlenderte. Plötzlich hielt er an, drückte mir lächelnd die Hand und deutete auf einen Grabhügel, über welchen sich ein einfacher Stein erhob – es war das Grab des Wandsbeker Boten Matthias Claudius, genannt Asmus, und als ich überrascht und gerührt von dieser zarten Aufmerksamkeit den Freund anblickte – lächelte er und eine Träne glänzte in seinem Auge. – Und derselbe Heine, der mich kurz zuvor damit hatte necken wollen, daß er vorgab, von dem alten Claudius nichts zu kennen, zitierte jetzt die Worte desselben:

– Sie haben

Einen guten Mann begraben,

Und mir war er mehr.

[Von dieser Erzählung Lysers gilt das oben (zu Nr. 188) Gesagte. Schon Hirth (a. a. O., S. 68) hält es für unglaubhaft, daß Lyser dieses improvisierte Gedicht, das er 1830 sofort verbrannt haben will, 1848 noch im Kopfe hatte. Vielleicht schrieb er es erst 1848 in Anlehnung an Heines Verse; ebenso unwahrscheinlich ist die Äußerung Heines über den obskuren Dichterling Meynert. – Von einer Neuausgabe des „Buchs der Lieder“ war damals schwerlich schon die Rede; die erste Auflage reichte volle zehn Jahre. Aber in die 1830 erscheinende neue Ausgabe der „Reisebilder“ wurde Heines Gedicht sogleich aufgenommen („Heimkehr“ Nr. 72) und Lyser eröffnete einen Artikel über diese Neuausgabe in den „Originalien“ (Nr. 132) mit jenen Versen Heines.]

Gespräche mit Heine

Подняться наверх