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223. August Clemens127

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9.–15. Mai 1831

Im Frühling 1831 verließ Heine das deutsche Vaterland, weil es, seinem eigenen Geständnis nach, in Spandau wohl Ketten, aber keine Austern gibt, so wie er einst auch nach Italien pilgerte, weil er in München einen Schneider bei dem bloßen Namen „Italien“ vor Vergnügen krähen hörte. Man muß gestehen, Heine hat eigentümliche Motive zu seinen Fahrten. Welche Gründe ihn auch in der Tat nach Frankreich trieben, mir einerlei; seine Reise führte ihn über Frankfurt...

Die Erschütterungen, welche die Julirevolution in den Gemütern hervorgerufen, bebten noch durch alle Schichten der Gesellschaft... Da ward uns die Kunde, Heinrich Heine werde auf seiner Reise nach Frankreich unsere Stadt berühren. Ich muß gestehen, daß ich mich auf seine nähere Bekanntschaft lebhaft freute...

Damals lebte, las und schrieb in unserer Stadt Jean Baptiste Rousseau, einst Heines Studiengenosse in Bonn, der uns gar manches ergötzliche Gedichtchen von ihm mitzuteilen wußte, das vermutlich in der Gesamtausgabe seiner Werke bei Campe fehlen dürfte. Auch manches Histörchen von unserm Dichter erheiterte unsere Abende. So jene Verse in Sydows Album, der ihm in Bonn ein Blatt aus demselben überreichte. Heine nahm es an, setzte sich, etwas hineinzuschreiben, an den Tisch. Da sah er den in seinem Alter noch rüstigen Deklamator zu seiner Verwunderung hinkend im Zimmer umhergehen. „Warum hinken Sie, Sydow?“ – „Ach Gott, meine Hühneraugen schmerzen mich so sehr!“ – Eine kleine Pause, und Sydow hatte das gewünschte Blatt in Händen, worauf die Worte:

Augen, die nicht ferne blicken,

Und auch nicht zur Liebe taugen,

Aber ganz entsetzlich drücken,

Sind des Sydow Hühneraugen.

Zur Erinnerung an

Heinrich Heine.

Endlich am 9. Mai erhielt ich von Pfeilschifter eine Einladung auf den folgenden Abend mit der Bitte, nicht zu fehlen, Heine würde bei ihm essen. Pfeilschifter war damals Redakteur der Frankfurter Oberpostamtszeitung. Heine und Pfeilschifter! Konnte man sich entschiedenere Gegensätze denken? Pfeilschifter, wie er bei allen gilt, die ihn nicht näher kennen, der Obskurant, der Jesuit, der Ultramontane, und wie alle die Ehrentitel noch heißen mögen, die man von jeher an ihn verschwendete – und Heine, der freisinnigste Dichter, damals der Liberalste aller Liberalen, nicht allein der Verehrer Kronions und des ganzen Olymps, sondern der frisch von Berlin angekommene Hegelsche Gott in eigener Person. Man hat wohl recht: Berge und Täler begegnen sich nicht, aber Menschen.

Indessen, diese Gegensätze sollten sich am heutigen Abend nicht berühren. Wir saßen erwartend um den runden Tisch, aber Heine ließ sich entschuldigen, hatte Verhinderung, Abhaltung, hoffte aber die ganze Gesellschaft morgen bei Rousseau zur Schokolade zu finden.

Hier sah ich ihn denn zum erstenmal. Dieser blasse junge Mann mit dem feingeschnittenen Gesichte, den verschwimmenden Augen, den weichen blonden Haaren, den feinen, in Glacéhandschuhen steckenden Händen, in eleganter schwarzer Kleidung, eine Rose im Knopfloch, eine andere zwischen den spielenden Fingern, der sich so vornehm nachlässig auf dem Kanapee wiegt, der statt zu sprechen nur lispelt und über alles so vornehm ab–lispelt, dieser Metternich en miniature – das wäre mein jugendlich frischer, frivol kecker Liederdichter! – Daß doch die großen Männer so selten dem Bilde gleichen, das man sich in der Ferne von ihnen entwirft!

Am Abend des 12. Mai, eines blühenden Himmelfahrtstages, fand sich die ganze muntere Gesellschaft bei mir zusammen. Wir spielten bis tief in die Nacht jeux d’esprit, machten Boutrimés, führten Sprichwörter auf und ließen Scharaden enträtseln. Heine war allerliebst. Einer Dame aus der Gesellschaft ward eine zweisilbige Scharade aufgegeben. Als die Reihe an Heine kam, ließ er sich so vernehmen:

Die Erste lieb’ ich unter mir,

Die Zweite über–haupt,

Das Ganze täuschet für und für,

Daß niemand mehr ihm glaubt.

Das Wort war Roßkamm. Heine und Rousseau hatten ein Sprichwort aufzuführen, welches, ist mir entfallen. In der Darstellung kam die Rache eines Rezensenten vor. Rousseau war der Rezensent, Heine der Dichter. Ersterer saß am Schreibtische; die Türe flog auf, der Dichter trat in der leidenschaftlichsten Stimmung herein: „Sie sind also der Elende, der sich unterfing, eine so niederträchtige Rezension auf mich zu schreiben! Endlich habe ich Sie gefunden! Leugnen Sie nicht! Ich weiß, daß Sie es sind, der mich auf ewig totzumachen dachte. Jetzt ist die Reihe an mir! Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen!“ – „Wie, was, Sie wollen mich doch nicht ermorden?“ – „Das zu tun bin ich sehr gesonnen. Aber nicht bloß töten will ich Sie, nein, langsam zu Tode quälen, wie Sie mich gemartert!“ – „Hilfe, Hilfe, Rettung!“ – „Alles ist umsonst. Wir sind allein. Die Türe ist abgeschlossen. Bube, dein letztes Stündchen hat geschlagen!“

Mit der Rechten drückte der schmächtige Heine den langen Rousseau in den Sessel zurück, mit der Linken hatte er im Nu die Glastüre eines Bücherschrankes geöffnet und die vorher zurechtgelegte Urania von Tiedge herausgerissen und begann nun mit eintönigster Stimme von der Welt zu lesen, zu lesen, zu lesen. – Der Rezensent ertrug dies eine Weile mit Mut, dann ward’s ihm schlecht, er fing an sich zu drehen und zu winden, fiel auf die Knie, bat erbärmlich um Gnade, nur um eine Stunde, nur um eine Minute Frist, sich zu erholen. Umsonst! Der Dichter blieb unerbittlich und las und las. Der Rezensent wurde still und immer stiller, zuckte ein paarmal, und endlich

Saß er, eine Leiche,

In dem Sessel da,

Nach dem Buche noch das bleiche,

Starre Antlitz sah.

„Ich habe ihn totgelesen“, rief Heine triumphierend; „so sollte es allen Rezensenten ergehen.“

Als ich Heine einige Tage später im Schwanen, seinem Gasthofe, besuchte, fand ich eine andere Notabilität des Witzes und der Laune bei ihm. Es war Saphir, derselbe, der mir einige Tage zuvor, als er mir in der Promenade begegnete, auf die Frage, wie ihm unsere Anlagen gefallen, die für einen Frankfurter höchst schmeichelhafte Antwort gab: „Der Umgang um die Stadt ist auf jeden Fall angenehmer als der Umgang in der Stadt.“ – Und dennoch war Saphirs Witz im allgemeinen harmloser als der Heines. Er bestand meistens in Wortspielen, Calembourgs, während Heines Witz sich mehr an Personen, Verhältnisse, Zustände hielt, zwar seltener als der immer sprudelnde Saphirs, dafür aber schärfer, schneidender, verletzender war.

Über die politischen Fragen des Tags sich in dieser bewegten Zeit mit Heine zu verständigen, war rein unmöglich. Er war der blutdürstigste aller Republikaner, und besonders war ihm das herrschende Justemilieu ... ein Greuel. „Bedenken Sie doch, wieviel durch dieses System erhalten, gerettet worden ist. Welche Ströme Blutes müßten fließen, sollte das konstitutionelle Prinzip wieder einem demokratischen Absolutismus, einem neuen Konvente weichen!“ – „Mein Gott, lassen Sie fließen!“ – Ich blickte verdutzt meinen jungen Barnave an. Die Worte des älteren fielen mir bei: „Le sang qui coule, est-il donc si pur?“ – Wahrhaftig, ich bin Wundarzt und habe im Leben wohl mehr Blut fließen sehen, als alle diese Herren von der Feder. Daher mag es wohl kommen, daß ich mit diesem „ganz besonderen Safte“ nicht so verschwenderisch bin als die ins Große gehende Antiphlogose dieser Umsturzhelden.

Freilich zwischen Wort und Tat liegt noch eine bedeutende Kluft. Unser Heine selbst hätte als Mitglied eines Wohlfahrtsausschusses weit lieber mit einer Marquise de l’ancien régime bei Austern und Champagner ein Schäferstündchen gefeiert, als sie, wie ein zweiter metaphysisch grübelnder, alles nivellierender St. Just, aus purer Volksbeglückungssucht zur Guillotine geschickt. Heine mit seinem feinen, blassen Gesicht, seinen zarten Händen, seinen aristokratischen Manieren war von jeher nur in Worten ein Republikaner, im Herzen der exklusivste Aristokrat.

[Den Deklamator Theodor von Sydow nennt Heine nur einmal, im Brief an Christiani vom 24. Mai 1824. – Seinen „Geständnissen“ zufolge fuhr Heine am 1. Mai 1831 über den Rhein; diese Angabe wird durch die genauen Daten in dem Bericht von Clemens widerlegt. Zu Saphir vgl. Nr. 149.]

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