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235. August Lewald1
ОглавлениеHerbst 1831
Wenn abends das Feuer im Kamine brannte, und in der Marmite das Wasser zum Tee seine Äolsharfenmusik begann, dann versammelten sich die Freunde, um im heitern Gespräche eine Stunde bis zum Theater, oder länger bis zur Soiree bei mir zuzubringen. Dann fehlte auch Heine nie. Er warf den Mantel ab und streckte sich in den Lehnstuhl, strich mit der Hand über die Stirne, bat um Tee und klagte über Kopfschmerzen. Dies war stereotyp.
Wo er auch seinen eigentlichen Pariser Abend, und der währt bekanntlich lang, zubringen wollte, immer stellte er sich ein, um ein Stündchen bei mir zu verplaudern.
Als die Cholera in Paris ihre Verwüstungen begann [April 1832], hatte er im Sinne, nach Versailles zu ziehen. Er unterließ es jedoch, als die luftigen breiten Straßen dieser menschenleeren Stadt dennoch nicht imstande waren, die Seuche abzuwehren. Versailles war ihm zu allen Zeiten interessant; „seine Langeweil voll Majestät nährt große Gedanken“, sagte er. Ich führte ihn zum ersten Male dahin und machte ihn auf die Merkwürdigkeiten aufmerksam, die ich schon aus meinem früheren Aufenthalte in Paris genau kannte.
Er strich mit mir zwischen den großen Häusern umher, deren Aufschriften noch die glänzende Hofhaltung des Königs verraten, die aus Versailles einst den Gipfel der europäischen Gesellschaft machte...
Wir hatten uns zu lange im Park aufgehalten, der herbstliche Abend fröstelte uns an, und die unzähligen Marmorbilder sahen in den schwarzen Taxusbüschen wie Gespenster aus.
„Nun so schnell als möglich nach Paris!“ sagte Heine.
Wir hatten beschlossen, unser Diner in St. Cloud zu nehmen, das wir aber jetzt ein andres Mal besuchen wollten.
So eben war die Diligence nach Paris abgefahren. In Versailles die Abfahrt einer neuen abzuwarten, erschien uns langweilig. Wir wollten auf der Straße fortgehen, bis sie uns einholen würde; denn in jeder Viertelstunde geht eine neue ab. Am Morgen waren so viele Plätze leer, es schien keinem Zweifel unterworfen, daß wir nur einzusteigen brauchten. Wir machten uns daher einstweilen zu Fuß auf den Weg.
Das Knallen der Peitsche erscholl; die Diligence rollte daher; und wahrlich, es war hohe Zeit, denn ein sanfter Regen begann niederzuträufeln und schwarzes, bedrohliches Gewölk verhieß uns ein ergiebiges Bad. Wir erwarteten den Wagen unter einer breiten Linde, die noch Laub genug hatte, um uns vor Nässe zu schützen. Schon von weitem machten wir dem Postillion Zeichen, allein sein immer deutlicher werdendes Kopfschütteln nahm uns bald die Hoffnung; die Diligence rasselte an uns vorüber. Ruhige Gesichter, auf denen hie und da ein Blick von Schadenfreude zu glänzen schien, sahen uns nach. Der Wagen war voll!
Wir blickten uns zusammenschauernd an; Heines Mund umgab jener bittere Byronsche Zug, der ihn so interessant macht. Es war kein anderes Mittel als im Regen weiterzuwandern, um nach Paris zu kommen. Wir zogen es jedoch vor, in ein nahegelegenes Haus zu treten, und die nächste Diligence wiederum abzuwarten. Eine häßliche Bäuerin öffnete die Tür. Ich hätte nie geglaubt, daß in der Nähe von Paris und auf dem Wege nach Versailles ein solches Exemplar angetroffen werden könnte. Elend und Schmutz wohnten hier und machten sich den Raum streitig. Wir baten sie, uns verweilen zu lassen; es wurde uns bereitwillig gewährt. Die Bäuerin brachte sauern Landwein und einen ungeheuren Käsefladen. Es war Fromage de Brie, den ich mir schmecken ließ. Indes dunkelte es draußen und man konnte die Diligence in dem Nebel fast nicht mehr erkennen, der mit ihr auf der Straße daherkam. Wir eilten vor die Tür und erwarteten sie mit Sehnsucht. Wir ließen weiße Tücher wehen; der Wagen hielt.
Ein Platz war nur noch leer. Ein edler Wetteifer der Freundschaft entspann sich nun; jeder wollte dem andern den Platz überlassen; jeder wollte zurückbleiben. Wir kämpften diesen schönen Wettkampf auf deutsch, und da keiner von uns Miene machte, einzusteigen, so fluchte der Kondukteur und befahl fortzufahren, welches der Postillion denn auch schimpfend tat...
Da die Nacht immer schwärzer ward und der Regen in Strömen niedergoß, wurden unsere Gedanken auch immer ernster. Dies war die letzte Diligence gewesen; für heute kam keine mehr vorbei. Und hier in der Hütte zu übernachten, war ein fürchterlicher Gedanke... Wir sprachen nicht mehr. Auch Wein und Käse waren verzehrt. Ich pfiff „lieber Augustin“ und dachte an das Vaterland. Da rollt etwas durch die Nacht! Die Bäuerin läuft vor die Tür. „Un Coucou!“ ruft sie, und es hält wirklich ein prustendes Pferd, und ein Gewirr von Männer- und Frauenstimmen wird vernehmbar. Wir stehen im herabströmenden Regen vor der Tür. Der Kutscher des Coucou will uns aufsteigen lassen, die ganze Gesellschaft wird rebellisch. „Alles sei voll! Man ersticke!“ so schreien sie wie toll durcheinander.
Der Kutscher erklärt, er wolle seinen eigenen Platz dem Herrn einräumen und sich seitwärts auf dem einen Schenkel der Gabeldeichsel placieren; die Herren und Damen sollten durchaus nicht inkommodiert werden. Man beruhigt sich im Innern des Coucou bei dieser Erklärung. Der Spitzbube von Kutscher aber wußte wohl, daß es sich um mehr als eine Person handle. Wir waren unser drei; denn meine Frau war mit von der Partie.
Einer nach dem andern steigt nun beschwerlich hinauf und nimmt auf einem schmalen Brettchen Platz, das den Sitz des Kutschers ausmachte. Der Zorn der im Coucou Sitzenden weicht nunmehr der Heiterkeit, und bei jedem neuen Aufsteigenden erschallt ein wieherndes Gelächter. Wie wir uns rücken und strecken, schwankt und kracht das zerbrechliche Fuhrwerk hin und her, und verschiedenes Geschrei im Diskant aus dem Departement des Innern wird stets dabei vernommen. Endlich gibt es einen tüchtigen Ruck, der alles ins Gleichgewicht bringt; der Kutscher hat Posto gefaßt und das in die Gabel gespannte Pferd beginnt seinen schwerfälligen Trott und hebt bei jedem Schritt die ganze vollgepfropfte Maschine balancierend in die Höhe. –
Das war eine Fahrt, an die ich zeitlebens denke! –
Die Nacht war rabenschwarz und das Vordach zu kurz, um unsern Sitz zu beschirmen. Es endete dergestalt über unserm Haupte, daß große Tropfen und oft, wenn es einen Stoß gab, eine ganze Flut angesammelten Wassers sich über unsere Nasenspitze in unsern Schoß ergoß. Wir klapperten mit den Zähnen und taten kläglich genug. Der mitleidige Vetturin hüllte seine übelriechende alte Pferdedecke um unsere erstarrten Glieder. –
Erleuchtete Häuser! Ein langer Palast! Wir sind in Sèvres; das ist die Porzellanfabrik. Heine will aussteigen und hier übernachten. Ich stelle ihm vor, daß es ihm an allen Bequemlichkeiten fehlen würde, daß er weder Kleider noch Wäsche wechseln könne, und daß ja nun bald das Ziel unserer Leiden erreicht sei. – Er bequemte sich zu bleiben.
Wir nähern uns jetzt Paris. Schon tauchen die Tausende von Lichtern an den langen Quais wie ein Sternenmeer aus dem Nebel. Wir erreichen die Barriere. Jetzt erst fällt es uns mit Zentnerlast aufs Herz, daß der Coucou nicht weiter als bis zu den elysäischen Feldern fährt und daß wir nun noch zu Fuß in diesem Wetter eine halbe Stunde zurückzulegen haben... An einem kleinen, erleuchteten Häuschen wird gehalten; dies ist das Büro der Coucous; man drängt sich, um seine Zahlung zu leisten und so schnell als möglich die Arkaden der Rue de Rivoli zu erreichen, die uns ein gutes Trottoir und Schutz vor dem Regen gewähren. Wir segnen ihres großen Erbauers Gedächtnis, der uns in diesem Momente recht augenscheinlich als Wohltäter der Menschheit erscheint.
Wir atmen froh und frei, da wir in die Hallen des Palais Royal treten...
Unser gewöhnliches Restaurant damaliger Zeit, Pestel, hatte schon zugemacht. Die Leute geben nur bis acht Uhr zu essen, weil man später selten diniert. Wir gingen daher au Perigord, einem der elegantesten Café-Restaurants. Und wir säumten nicht, uns bei leckeren Speisen und trefflichen Weinen von den Mühseligkeiten des Abends zu erholen.