Читать книгу Die Normalität des Absurden - Heinz Schneider - Страница 10

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Früheste Kindheitserinnerungen

Zu meinen ersten Erinnerungen zählt ein Erlebnis, vermutlich aus dem Jahr 1937, das sich in meinem zweistöckigen Geburtshaus in der Fleischergasse 118 in Schlackenwerth im Egerland zugetragen hatte. Eilig war ich zwischen dem ersten Stock und dem Erdgeschoss um eine haarnadelartig angeordnete Treppenkurve durch eine Glastür marschiert, die prompt in hundert Stücke zerschellte, ohne dass mir etwas passierte. Seitdem galt ich im Kreise meiner Familie als ein „geborener“ Dickschädel, denn mein Kopf hielt wohl schon in der frühen Kindheit viel aus, wie daraufhin öfter behauptet wurde. Das traf offenbar nicht nur auf den knöchernen Schädel zu, sondern auch auf den Charakter. Hatte ich mich erst einmal zu einer festen Meinung durchgerungen, war ich davon nur schwer wieder abzubringen. Insofern hatten es manche Zeitgenossen mit mir nicht leicht und mich ständig anzupassen, fiel mir sichtlich schwer. Damit waren Schwierigkeiten in meinem künftigen Leben, das durch zwei Diktaturen geprägt werden sollte, vorprogrammiert. Und zum Wendehals war ich nicht geboren.

Meine Mutter erzählte mir, dass ich bereits mit knapp vier Jahren die Uhr gekannt und so das Erstaunen eines Hausarztes Dr. Wehner in meiner Heimatstadt ausgelöst hätte, der im Beisein vieler Patienten sein Chronometer immer wieder verstellt hätte, ohne dass ich ihm je eine falsche Zeitangabe lieferte. Doch daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.

Anders verhält es sich hingegen mit einem sogenannten „Kommunistenfest“ in Chodau westlich von Karlsbad, zu dem mich Vater und sein Gesinnungsfreund Paul Leicht mitnahmen. Vor vermutlich Hunderten von Teilnehmern sprach ein aus dem Altreich (Synonym für das Deutsche Reich) stammender Kommunist, der offenbar aus der Sowjetunion eingereist war, über die besorgniserregende Entwicklung des Nationalsozialismus in Deutschland. Zum ersten Mal sah ich Abbildungen von vier bärtigen Männern, wahrscheinlich Marx, Engels, Lenin und Stalin. Als Geschenk erhielt ich ein mit einem Sowjetstern (Symbol der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei) versehenes rosarotes Zelluloidschild mit einem Gummiband um den Hinterkopf, sodass ich alles in einem rosaroten Licht sehen konnte. Dieser optisch gefällige Eindruck entwickelte sich für mich jedoch zu keinem Dauerzustand, denn später, als ich aufgefordert wurde, alles in dieser Farbqualität zu sehen, konnte ich verschiedene Farben sehr gut differenzieren. Somit litt ich nicht an jener politischen Blindheit, die in Diktaturen gerne von den Staatsbürgern erwartet wird.

Auch deshalb hatte ich später meine Schwierigkeiten, denn ich wurde kein bedingungsloser Jasager. Selbst die Nationalsozialisten, die einen unbedingten Gehorsam bleibend einforderten, bestätigten in meinem Oberschulzeugnis in Karlsbad 1944/45 treffend die Charaktermerkmale „kritisch, noch etwas scheu“. Ob die Zurückhaltung nun angeboren oder erworben war, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls waren beide Eltern desgleichen mit diesen aus meiner Sicht nicht negativen Kennzeichen versehen. Ein kritischer Dickschädel, den der spätere Gesundheitsminister der DDR, Prof. Dr. Ludwig Mecklinger, mit dem Attribut Kritikaster warnend umschrieb, war ich allemal und brachte andere damit bisweilen zur Raserei – und freute mich darüber. Niemals aber war ich ein Provokateur, denn ich war immer „noch etwas scheu“ und hatte trotz eines innerlichen Aufbegehrens gegen Diktatur und Willkür den Widerstand gelegentlich wohl herbeigesehnt, aber niemals aktiv ausgelöst. Damit sind wesentliche Merkmale meines Charakters genannt und sicher nicht untertrieben.

Die Normalität des Absurden

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