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„Heim ins Reich“

1937 zogen wir nach Neudau, einem kleinen Dorf ca. zwei Kilometer von Schlackenwerth entfernt. Da die Eltern aufgrund der etwa sieben Jahre währenden Arbeitslosigkeit meines Vaters die Miete in der Schlackenwerther Fleischergasse 118 nicht mehr bezahlen konnten, nahmen wir das Angebot der Tante Marie, der jüngsten Schwester meiner Mutter, dankbar an, in ihr neu gebautes Domizil zu ziehen, in dem wir uns sehr wohl fühlten.

Ich erinnere mich an zahlreiche deutsche Jagdflugzeuge, die Anfang Oktober 1938 über Neudau kreisten und beim Tiefflug einen Höllenlärm entfachten, außerdem an Panzer, die offenbar am Vormittag des 4. Oktobers auf dem Bahngelände in Zügen der Deutschen Reichsbahn standen und mit freundlichen deutschen Soldaten besetzt waren. Sie wurden von uns Kindern begeistert empfangen. Die Freude nahm noch zu, als wir das Innere eines Panzers sehen durften. Ein Soldat gab uns ein Silberstück mit einem Porträt von Paul v. Hindenburg im Wert von fünf Reichsmark und bat meinen sechs Jahre älteren Bruder Rudi, mit diesem Geld Wurst für die Panzerbesatzung bei einem nahe gelegenen Fleischer zu kaufen, was wir gerne taten. Vom Metzger Schwengsbier erhielten wir eine große Menge an böhmischen Knackern, Schinken und Braunschweiger Wurst. Als wir nach wenigen Minuten auf das Bahngelände zurückkamen, hatte der Panzerzug Neudau bereits in Richtung Karlsbad verlassen, sodass wir unerwartet zu stolzen Besitzern mehrerer Kilogramm Wurst und Schinken geworden waren.

Kurz darauf kamen wir zu Hause an und sahen, dass das Haus von vier Mann – offenbar Helfershelfern der Sudetendeutschen Partei – umstellt war. Sie erklärten meinem Vater, dass er das Gebäude nicht verlassen dürfe. Die befürchtete Verhaftung, denn er hatte nach Hitlers Machtantritt zahlreichen kommunistischen Emigranten aus dem Altreich geholfen, in der Tschechoslowakei einen Unterschlupf zu finden, geschah jedoch nicht. Später erfuhren wir, dass ein entfernter Verwandter aus unserer Großfamilie mit nationalsozialistischer Gesinnung für meinen Vater gebürgt hatte. Bald fand er sogar in der nahe gelegenen Porzellanfabrik in Lessau eine Arbeit, in der auch meine Mutter seit vielen Jahren beschäftigt war. Obwohl meine Eltern als Antifaschisten über den Einmarsch der Hitlertruppen nicht froh waren und Schlimmes befürchteten, waren sie über die Möglichkeit einer geregelten Arbeit für meinen seit sieben Jahren arbeitslosen Vater überglücklich.

Die Normalität des Absurden

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