Читать книгу Die Normalität des Absurden - Heinz Schneider - Страница 19
ОглавлениеSchulzeit in Dömitz
1946 wurde ich in die Dömitzer Einheitsschule aufgenommen. Meine Mutter konnte nicht erreichen, dass ich in die siebente Klasse kam, denn die tschechische Schule in Radošov, wie Rodisfort nach dem Kriegsende hieß, hatte den wenigen deutschen Schülern mit antifaschistischer Herkunft keine Zeugnisse ausgestellt. Somit konnte ich keinen gültigen Beleg für den Besuch der sechsten Klasse vorweisen.
Vom Inhalt her war der Unterricht in der Nachkriegstschechei keinesfalls schlechter als in Dömitz. Da die Dömitzer Lehrer den Unterricht in einer fremden Sprache dem Deutschen als nicht gleichwertig erachteten, musste ich die sechste Klasse – jetzt in der Roggenfelder Straße – ein zweites Mal besuchen, nun in meiner Muttersprache, ohne dass ich zuvor sitzengeblieben war.
Die Mitschüler und die Klassenlehrerin, Frau Griem, nahmen mich freundlich auf, ich fühlte mich sofort wie zu Hause. Der überwiegende Teil der Schüler war ebenfalls aus der Heimat vertrieben worden und stammte entweder aus Pommern, Ost- oder Westpreußen oder auch aus dem Wartheland. Aus dem Sudetenland war ich zunächst allein. Wir hatten jetzt neben Englisch auch Russisch, ein Fach, das damals unter den meisten Schülern nicht sonderlich beliebt war. Arbeiterkinder wurden gegenüber Kindern mit bürgerlicher Herkunft weder bevorzugt noch benachteiligt.
Das Schulklima kann als durchaus harmonisch bezeichnet werden. Meine neuen Freunde wurden neben dem Schlesier Peter Nimptsch die Mecklenburger Orchi Schulz, ein Kaufmannssohn, und Fritz Henning, der ebenfalls eine kleinbürgerliche Herkunft aufwies und sehr belesen war. Mit ihnen hatten wir 1947 eines Nachts mit Ölfarbe das Wort „Hunger“ an die Mauer rechts neben einem Milchgeschäft in der Nähe der Apotheke geschrieben, welches nicht übertüncht wurde und noch lange erkennbar war. Beide Freunde waren fast täglich in meinem Elternhaus zu Gast, in dem allerdings oft die tägliche Diskussion von meinem Vater auf die aktuelle Tagespolitik gelenkt wurde. Auch mit den Mitschülerinnen Miken Stolle, Dödi Götting und Lotti Saß verstand ich mich gut. Wir wirkten nach Unterrichtsschluss in einer vom Dömitzer Werner Timm gegründeten Laienspielgruppe mit und wurden mit dem zeitkritischen Stück „Die Dachluke“ sogar als Kreis- und Landesmeister und schließlich 1949 als Ostzonenmeister anlässlich des III. Parlaments der FDJ in Leipzig ausgezeichnet. Werner Timm setzte es durch, dass wir einmal in Zinnowitz an der Ostsee einen kostenlosen prächtigen Ferienaufenthalt verbringen konnten, wodurch unser Zusammengehörigkeitsgefühl erheblich gestärkt wurde. So war die Grundschule in einer von Enthusiasmus und Harmonie geprägten Zeit 1949 für mich in Dömitz zu Ende gegangen. Im Februar 1949 war ich freiwillig der FDJ beigetreten, die damals noch eine überparteiliche Organisation zu sein schien und Ähnlichkeiten mit dem sowjetischen Komsomol nicht erkennen ließ.